Ausgabe 03/2015 Juni/Juli www.unternehmensjurist.net Vertriebskennzeichen 23401 Preis: 15,-- Euro unternehmens jurist Magazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen TURBO FÜR DIE RECHTSABTEILUNG Nur mit perfekter Organisationsstruktur und leistungsfähigen IT-Lösungen können Syndici die zunehmende Arbeitslast und die steigenden Anforderungen an Effizienz und Qualität meistern. Doch die Auswahl des richtigen Softwaresystems fällt schwer. K T ung ER N ft U P ha o H Wn/Pr C S io ig Li t at k du t INHALT unternehmensjurist 14 30 34 TITELTHEMA SCHWERPUNKT VERBAND 14 TITELTHEMA Der Druck auf Syndici wächst. Sie müssen ihre Aufgaben immer schneller und günstiger erledigen. Gleichzeitig dürfen sie sich keine Fehler erlauben. Eine Mammut aufgabe, die ohne leistungsfähige Hilfsmittel nicht möglich ist. Innovative IT-Systeme helfen, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen. 38 SCHIEDSVERFAHREN Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU steht in der Kritik. Für viele sind die Vorwürfe nicht gerechtfertigt. Denn das Investor-Staat-Schiedsverfahren birgt auch Chancen. 76 INTERVIEW Der neue Präsident Solms U. Wittig über die rasante Entwicklung des Verbandes und seine Ziele. STANDARDS 03EDITORIAL 06 KURZ & KNAPP 85REVISION 86 PERSONENREGISTER, IMPRESSUM 4 Ausgabe 3/2015 42 RÜCKRUF VON LEBENSMITTELN Der Zeitdruck beim Rückruf von Lebensmitteln ist groß. Ein Zögern kann eine Warnung der Behörden auslösen, was den Imageschaden erhöht. Eine schnelle Analyse und aktive Kommunikation sind gefragt. 78 REFERENTENENTWURF BUJ schickt eine ausführliche Stellungnahme zum geplanten Gesetz an das Justizministerium. 79 MITGLIEDERBEFRAGUNG Umfrage liefert dem Verfassungsgericht einen guten Einblick in das Berufsbild der Syndikusanwälte. 80 KAMMERVERSAMMLUNGEN Dr. Philipp Voet van Vormizeele über die mit Spannung erwartete Vorstandswahl in Düsseldorf. 82 SYNDIKUS SUMMIT Unternehmensjuristen präsentieren sich als Mitgestalter und Strategen. 84 M&A SUMMIT Einblicke in die vielfältige Arbeit der Transaktions-Profis. unternehmensjurist 52, 82 INHALT 68 STRATEGIE & MANAGEMENT TRENDS & THEMEN JOB & KARRIERE 24 FEINDLICHE ÜBERNAHME Fast wäre mit der R. Stahl AG erstmals ein börsennotiertes Familienunternehmen gegen seinen Willen von einem anderen Familienkonzern geschluckt worden. Eine ausgefeilte Abwehrstrategie sowie die Geschlossenheit der Mehrheits aktionäre hat das verhindert. 48 KANZLEI-HONORARE Von externen Anwälten eine klare Prognose zu anfallenden Honoraren zu bekommen, war bislang nahezu unmöglich. Nun werben erste Kanzleien mit Festpreisen. 60 PROJEKTMANAGEMENT Nur wer den Projektumfang von Anfang an klar umreißt, kluge Zielvorgaben anpeilt und die richtigen Leute mit ins Boot holt, dem winken echte Effizienzvorteile. 52 BERUFSRECHT Der Referentenentwurf zur beruflichen Neuordnung der Syndikusanwälte liegt vor und wird allgemein begrüßt. Aber im Detail sind noch Fragen, beispielsweise zur geplanten Doppelzulassung, zu klären. 64 WIRTSCHAFTSJURISTEN Etwa 1.000 Absolventen von Wirtschaftsrechtsstudiengängen starten pro Jahr in den Beruf. Ihre Karrierechancen sind in vielen Bereichen sehr gut. 30 HAPAG-LLOYD/CSAV-FUSION Hapag-Lloyd-Chefjustiziar Thomas Mansfeld hat mit seinem Team binnen eines Jahres erfolgreich die Fusion mit der chilenischen Reederei CSAV zur viertgrößten Linienreederei der Welt begleitet. 34 AUFBAU DER RECHTSABTEILUNG Durch die Verrechtlichung der Wirtschaft müssen Mittelständler erstmals eine Rechtsabteilung aufbauen oder Strategien für deren Um- und Ausbau entwicklen. Eine spannende Aufgabe für Syndici. 56 KARTELLRECHT-COMPLIANCE Unternehmen können unliebsame Überraschungen vermeiden, wenn sie zur Vorbeugung ein Risikomanagementsystem nutzen, das auch ökonomische Einflussfaktoren berücksichtigt. 68 FREIZEIT In der Ruhe liegt die Kraft. Viele Unternehmensjuristen finden in Kunst und Kultur den idealen Ausgleich zum anstrengenden Berufsleben. 72 PORTRÄT Durch den Verkauf ist aus der Wärmetauschersparte von GEA eine eigene Firmengruppe geworden. Dr. Christoph Hirschmann erklärt die Auswirkungen. Ausgabe 3/2015 5 KURZ & KNAPP unternehmensjurist Mit stürmischen Böen ist weiterhin zu rechnen Das Eckpunktepapier zu den berufsrechtlichen Perspektiven der Syndici konkretisiert sich im Referentenentwurf. Der massive Gegenwind hat sich gelegt, aber längst sind nicht alle Stakeholder überzeugt. Zum Kreis der Befürworter gehören jetzt auch 13 Verbände von Banken, Industrie und Handwerk. In einer gemeinsamen Stellungnahme zum Referentenentwurf begrüßen sie unter anderem insbesondere, dass der Gesetzesvorschlag zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte einen berufsrechtlichen Lösungsansatz verfolgt, ein einheitliches Berufsbild des Rechtsanwalts zum Ziel hat und auf bestehende Zulasungsvorschriften verweist, klar einheitliche tätigkeitsbezogene Zulassungskriterien regelt, die Mitgliedschaft in und Rückkehr zu Versorgungswerken der Rechtsanwälte öffnet und das Zeugnisverweigerungsrecht im Zivilprozess einräumt. Doch die Verbände, zu denen unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., der Deutsche Industrie- und Handelskammertag e.V. sowie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. zählen, üben auch Kritik: So sei die tatsächliche Schaffung eines einheitlichen Berufsbildes des Rechtsanwalts und vollständige Aufgabe der Doppelberufstheorie noch umzusetzen und die Stellung des Syndikusanwalts als Arbeitnehmer sowie die Fortgeltung des Grundsatzes des innerbetrieblichen Schadensausgleichs klarzustellen. Weiterhin dürften Syndikusrechtsanwälte nicht durch Pflichtversicherung für Innenansprüche des Arbeitgebers schlechter gestellt werden. Schließlich müssten weitere Übergangsregeln und Konkretisierung des Bestandsschutzes geschaffen werden. Die Verbände sprechen sich hierbei insbesondere dafür aus, dass die Anhörung der Deutschen Rentenversicherung Bund, wie sie in Paragraf 46a Abs. 2 BRAO-E vorgesehen ist, gestrichen oder zumindest modifiziert wird. Weiterhin müsse klargestellt werden, dass wegen der Vertretungsbefugnis nach außen als Voraussetzung für fachliche Unabhängigkeit keine Handlungsvollmacht oder Prokura erforderlich ist (Paragraf 46 Abs. 3 Nr. 3 BRAO-E): Der Syndikusrechtsanwalt nehme regelmäßig gegenüber Drit- 6 Ausgabe 3/2015 ten die Interessen seines Arbeitgebers wahr. Es entspreche aber regelmäßig nicht dem Berufsbild eines Syndikusrechtsanwalts, dass dieser eine anderweitige Vertretungsbefugnis hat. Diese und weitere Stellungnahmen finden Sie auf der Homepage des BUJ: www.buj.net/berufsrecht Pro: Nürnberg, Düsseldorf, Hamm Unterdessen haben sich neben dem BUJ auch die Rechtsanwaltskammern Düsseldorf und Hamm mit großer Mehrheit für eine Unterstütung des vom BMJV eingeschlagenen Weges ausgesprochen (siehe auch Seiten 78 ff.). Auch die Kammer Nürnberg hat auf ihrer Jahreshauptversammlung den Referententwurf diskutiert. Bei nur einer Gegenstimme und vier Enthaltungen sprach sich die rund 200-köpfige Versammlung, dafür aus, dass sich der Vorstand dafür einsetzt, auf Basis des Referentenentwurfs eine berufsrechtliche, dauerhafte Lösung für die Syndikusanwälte zu finden. Contra: Karlsruhe & Co Die Kammern Karlsruhe, Koblenz, Saarbrücken, Thüringen und Zweibrücken, in denen insgesamt rund 12.800 Anwälte vertreten sind, lehnen den Referentenentwurf ab und melden „durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken“ an. In einer gemeinsamen Stelllungnahme führen sie aus, die im Entwurf vorgesehene Aufnahme der bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigten Syndici in die Anwaltschaft verletze das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes und die Berufsfreiheit der Rechtsanwälte (Art. 20 sowie Art 12 des GG). Die Kammern sehen die Anwaltschaft unter verfassungsrechtlichen Schutz gestellt; dieser werde durch die Einbeziehung der Syndici aufgegeben, die Einführung des Syndikusrechtsanwalts als neuen anwaltlichen Berufstyp sei „mit der verfassungsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit nicht vereinbar“. Mann der Stunde: Justizminister Maas Gegenwind in Berlin Dort klagt ein Kammermitglied, weil es eine Verletzung des Paragrafen 88 Abs. 4 S.1 BRAO sieht, wonach ein Kammermitglied in eigenen Angelegenheiten nicht mitstimmen dürfe. Da der seinerzeit in der Hauptversammlung gefasste Beschluss ausschließlich Syndikusanwälte betreffe, hätten diese an der Abstimmung nicht teilnehmen dürfen, der Beschluss daher nichtig. Zwei weitere Kammermitglieder, die selbst nicht zur Wahl kandidierten, haben mit ihrer Klage die Wahl von acht Syndikusanwälten in den Vorstand, hilfsweise die Wahl aller 14 Vorstandsmitglieder angefochten, denn diese sei „wegen unzulässiger Wahlbeeinflussung, unzulässiger Majorisierung und/ oder eines Verstoßes gegen Paragraf 88 Abs. 2 BRAO“ unwirksam, da das Wahlrecht nur persönlich ausgeübt werden dürfe. Kammerpräsident Dr. Marcus Mollnau erklärte, er halte die Klagen für unbegründet. Die berufspolitische Meinungsbildung, wie sie mit dem angefochtenen Beschluss erfolgte, sei – so Dr. Mollnau – wesensimmanente Aufgabe der anwaltlichen Selbstverwaltung, die alle Kammermitglieder auf einer Kammerversammlung gleichberechtigt wahrnehmen können. Auch an der Wirksamkeit der Vorstandswahlen habe er keine Zweifel. SCHWERPUNKT LITIGATION/PRODUKTHAFTUNG unternehmensjurist SCHIEDSVERFAHREN DIE ANGST VOR DER PARALLELEN GERICHTSBARKEIT Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP) erfährt viel – weitgehend negative – Resonanz; die sich hier bietenden Chancen, beispielsweise eines verbesserten Investor-Staat-Schiedsverfahrens, kommen oft zu kurz. M it Blick insbesondere auf das umstrittene Investitionsschutzregime kursieren Schlagworte wie „große Unterwerfung“ der Teilnehmerstaaten unter die Interessen von Großkonzernen oder „mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar“. In den Verhandlungen wird das Thema Investitionsschutz derzeit ausgeklammert. Um den für uns Juristen besonders interessanten TTIP-Bestandteil Investitionsschutzregeln einmal näher zu beleuchten, erscheint es sinnvoll, sich zunächst mit der Rechtsentwicklung zu befassen; für einen Gesamtüberblick und zur Vertiefung wird unbedingt das Standardwerk „Internationales Investitionsrecht“ von Prof. Jörn Griebel empfohlen. Handel und Investitionen sind eng miteinander verflochten, insbesondere kann ein transnational tätiges Unternehmen die Vorteile einer Liberalisierung des grenzüberschreitenden Handels nur nutzen, wenn zugleich spezifische Handelshemmnisse ausgeräumt werden. Daher stellen Investitions(schutz)regeln einen integralen Bestandteil eines Handelsabkommens dar. Betrachtet man die Investitionsrisiken, deren Minimierung der Investor anstrebt, so lautet das wichtigste Schlagwort „Vorhersehbarkeit“ – diese bezogen vor allem auf das Verhalten der involvierten Regierungen. Die politischen Risiken, die mit dem Tätigwerden in einer ausländischen Ökonomie 38 Ausgabe 3/2015 verbunden sind, müssen aus Sicht des Investors also durch Regelungen über die faire Behandlung des Investors und Klarheit über die zur Anwendung kommenden Gesetze und Verfahrensweisen reduziert werden. Das Hauptrisiko ist der Entzug oder die gravierende Beeinträchtigung der Rechte des Investors an seinem im Gaststaat gelegenen Eigentum, beispielsweise durch schleichende oder de-facto-Enteignungen, die sich aus Gesetzesänderungen ergeben. Als Form der Enteignung ist auch das Verbot des Transfers oder des Umtauschs von im Gaststaat erworbenem Kapital (Transfer-/Währungsrisiko) zu sehen. Investitionsschutzmaßnahmen werden seit jeher rechtlich und gerichtlich gesichert In den Zeiten vor Aufkommen von Investitionsvereinbarungen jeglicher Art war ein Investor ausschließlich auf die Einhaltung der dem Völkergewohnheitsrecht entstammenden fremdenrechtlichen Mindeststandards durch den Gaststaat angewiesen. Hiernach ist eine Enteignung von Ausländern nur zulässig, wenn sie einem öffentlichen Zweck dient, keinen diskriminierenden Charakter hat und eine Entschädigungsleistung nach sich zieht. Die Lückenhaftigkeit und mangelnde Durchsetzbarkeit dieser Standards legen nahe, dass sich Investoren seit jeher bemüht haben, ihre Rechtsposition zu stärken. Eine frühe Investitionsschutzmaßnahme – insbesondere in Entwicklungsländern oder ehemaligen sozialistischen Ländern anzutreffen – ist das Investitionsschutzgesetz. Ein solches regelt die Zulassung von ausländischen Investitionen in bestimmten Wirtschaftssektoren, legt aber auch fest, welche nationalen Werte Vorrang haben sollen. Selbst dann, wenn in einem solchen Gesetz die Bereitschaft erklärt wird, Investitionsstreitigkeiten vor neutralen Foren verhandeln zu lassen, liegt auf der Hand, dass ein solches nationales Gesetz nur bis zur nächsten Gesetzesänderung Bestand hat. Eine höhere, individuellere Schutzwirkung entfaltet ein Investitionsvertrag zwischen dem Gaststaat und dem ausländischen Investor, jedenfalls dann, wenn dieser Vertrag eine internationale Rechtswahlklausel sowie eine Stabilisierungsklausel, also eine Re- unternehmensjurist SCHWERPUNKT LITIGATION/PRODUKTHAFTUNG gelung zur Verhinderung der Änderung von Gesetzen zum Nachteil des Investors, enthält. Die gängigste Form einer Vereinbarung wurde im Laufe der Zeit der bilaterale Investitionsschutzvertrag. Anfangs war auf der einen Seite des in Europa entwickelten Vertrags stets ein Industrieland, auf der anderen Seite ein Entwicklungsland zu finden – erst innerhalb des kanadisch-US-amerikanischen Freihandelsabkommens CFTA standen sich bei einem Inves titionsschutzregelwerk zwei Industrienationen gegenüber. Die USA entwickelten 1982 einen Prototypen für einen BIT (= Bilateral Investment Treaty). Im Wesentlichen sehen die BITs Regelungen zur Meistbegünstigung oder Inländerbehandlung, Beschränkung von Enteignungen auf Fälle des öffentlichen Wohls bei Entschädigung entsprechend einem rechtlichen Verfahren auf einer nichtdiskriminatorischen Basis sowie mit einer prompten, angemessenen und effektiven Entschädigung, basierend auf dem fairen Marktwert, vor. Ebenfalls geregelt sind meist freie, pünktliche Transfers sowie in neueren BITs die Erledigung von Disputen zwischen einem Staatsangehörigen oder einem Unternehmen der einen Partei und der Regierung der anderen Partei durch ein Schiedsgericht – in der Regel nach den ICSID-Regeln. Weltbank genoss Ruf der Objektivität und hat früher bei Streitfällen assistiert Das International Centre for Settlement of Investment Disputes, kurz ICSID, wurde 1965 nach Inkrafttreten der Washington Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States unter der Ägide der Weltbank gegründet. Bereits zuvor hatte die Weltbank bei Streitfällen zwischen Staaten und ausländischen Investoren assistiert und genoss insbesondere bei den Entwicklungsländern den Ruf der Objektivität. Die ICSID-Convention wurde bis dato von 159 Ländern gezeichnet, das Streiterledigungszentrum hält die notwendige Administration bereit sowie eine Auswahlliste von Schiedsrichtern. Zwar gibt es Verfahrensregeln, das anwendbare Recht, insbesondere die inhaltlichen Regeln zum Investitionsschutz, bringen die Parteien jedoch – in der Regel aus ihren BITs – mit. Für ad-hoc- oder nichtinstitutionelle Verfahren soll noch auf die UNCITRAL-Regeln, die United Nations Commission on International Trade Law Arbitration and Conciliation Rules, hingewiesen werden, die von zwei Streitparteien vorab vertraglich oder ad hoc im Streitfall vereinbart werden können und diesen dann einen Satz von Default-Regeln zur Verfügung stellen. Ein nach mehrjährigen Verhandlungen gescheiterter Versuch, die vielen BITs durch ein einheitliches multilaterales Abkommen zu ersetzen, war der Entwurf eines Multinational Agreement on Investment, kurz MAI, der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), einer Internationalen Organisation mit 34 der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichteten Mitgliedstaaten. DIE AUTORIN Dr. Nabila Abaza-Uhrberg ist als Leiterin des Bereichs Konzernrecht/Compliance/Datenschutz sowie Chief Compliance Officer bei der Roland Rechtsschutz-Versicherungs-AG in Köln tätig. Nach Studium in Köln und Promotions forschungsaufenthalt in Stanford war AbazaUhrberg langjährig als Leiterin Recht bei einer auf Versicherungs-Asset-Management spezialisierten Gesellschaft tätig, um dann ab Anfang 2013 bei Roland ein Team rund um Recht und Compliance aufzubauen. Last not least sollen Versicherungs- und Garantiesysteme bei der Betrachtung der Investitionsschutzmechanismen nicht unerwähnt bleiben. Neben der Möglichkeit der privaten Versicherung von Auslandsinvestitionen werden etwa von der United States‘ Overseas Privat Investment Corporation (OPIC), einer Agentur der US-Regierung, und der Multilateral Investment Guaranty Agency (MIGA), einer Untereinrichtung der Weltbank, Versicherungen gegen die erwähnten politischen Risiken sowie gegen einen Vertragsbruch seitens des Gaststaates angeboten. Wo stehen wir heute beziehungsweise welches Klima erwartet den TTIP? Weltweit betrug im Jahr 2013 das Volumen neuer ausländischer Direktinvestitionen 1,4 Billionen USDollar – der Gesamtbestand belief sich Ende 2013 auf 25,5 Billionen US-Dollar mit einem deutschen Anteil in Höhe von 1,2 Billionen US-Dollar. Dem gegenüber steht ein Bestand von weltweit mehr als 3.000 bi- und multilateralen Investitionsschutzabkommen. Deutschland hat mit 139 Verträgen, von denen derzeit 132 in Kraft sind, nicht nur die meisten Verträge, sondern auch im Jahr 1959 den ersten BIT (mit Pakistan) geschlossen. Von den weltweit 214 Investitionsschiedsverfahren, die in den Jahren 2008 – 2012 bekannt wurden, waren 53 Prozent von EUInvestoren eingeleitet worden; ein Trend, der in jüngster Zeit noch deutlicher zutage tritt: Von den im Jahr 2012 initiierten Verfahren gehen 60 Prozent auf die Initiative von europäischen, aber nur 7,7 Prozent auf die Initiative von US-Investoren zurück. In den letzten Jahren war zudem insgesamt ein starker Anstieg von Streiterledigungsverfahren im Investitionsschutz zu verzeichnen. Zum Ende 2013 waren insgesamt 568 Verfahren bekannt, wobei bis zum Jahr 2000 jährlich höchstens 13 Fälle initiiert wurden, bis zum Jahr 2013 steigerte sich diese Zahl jedoch auf 56 jährlich neu eingeleitete Verfahren. Ausgabe 3/2015 39 SCHWERPUNKT LITIGATION/PRODUKTHAFTUNG Einer der Haupt-Parameter für ein TTIP-Investitionsschutzregime ergibt sich aus der Diversität der Rechtssysteme der beteiligten Staaten. Anders als in der Mehrzahl früherer Handels- und Investitionsvereinbarungen sind an diesem Abkommen ausschließlich Industrienationen beteiligt, dennoch muss von einer Grund-Skepsis der potenziellen Anleger sowohl in den USA als auch in der EU ausgegangen werden, da die beteiligten Staaten einerseits zu den unterschiedlichen Rechtskreisen des Common und des Civil Law gehören und andererseits einen unterschiedlichen Stand der Rechtsentwicklung und der Rechtsprechung aufweisen. Ein Investitionsschutzabkommen, also auch ein hierauf bezogener Part von TTIP, muss mindestens die vier Grundgarantien enthalten. Dies ist zunächst • das Diskriminierungsverbot, welches die Prinzipien der Inländerbehandlung (national treatment) und der Meistbegünstigung (most favoured national treatment) umfasst. Dann ist ein • Verbot entschädigungsloser Enteignung in das Abkommen aufzunehmen; diese darf weder direkt noch indirekt erfolgen, die Kompensation muss nicht-diskriminierend, zügig, angemessen und effektiv sein; der Hauptstreitpunkt in diesem Kontext ist überlicherweise die Subsumtion des Sachverhaltes unter den Begriff der indirekten Enteignung (indirect expropriation). Eine weitere – und die allgemeinste – Garantie ist das • Gebot der billigen und gerechten Behandlung, hier werden die berechtigten Erwartungen des Investors geschützt; häufig kreist ein Schiedsverfahren um die Ausfüllung des sehr weiten Begriffs (fair and equitable) und die Beantwortung der Frage, ob der Staat sich gegenüber seinen zuvor gegebenen Zusicherungen widersprüchlich verhält. Die vierte Grundgarantie betrifft den • freien Transfer von Kapital (transfer of funds), der Investor darf beispielsweise nicht an der Repatriierung von Gewinnen gehindert werden. In jüngerer Zeit regeln Investitionsschutzabkommen über den Schutz ausländischer Direktinvestitionen (post-establishment) hinaus auch den Marktzugang in einen ausländischen Markt (pre-establishment). Der kritische, aber aus Sicht des Investors aufgrund der schon geschilderten Unsicherheiten unverzichtbare Teil eines Inves titionsschutzabkommens ist die Aufnahme eines – gegenüber dem Verweis auf die staatliche Gerichtsbarkeit vorzugswürdigen – Investor-Staat-Streiterledigungsmechanismus, der integraler Bestandteil aller in der jüngeren Vergangenheit geschlossenen Abkommen dieser Art war. Investitionsschiedsgerichte haben in der Vergangenheit häufig gute Ergebnisse geliefert, doch auch der EU-Kommission sind die Unzulänglichkeiten bewusst: „They have generally worked well. However, the system needs improvements.” Ein kritischer Blick auf die Unzulänglichkeiten erscheint daher unabdingbar, um das Spannungsverhältnis zwischen Schutz- 40 Ausgabe 3/2015 unternehmensjurist interessen des Investors und Souveränitätsinteressen des Staates abwägen zu können. Die Hauptkritikpunkte, die von Gegnern der Inves titionsschiedsverfahren ins Feld geführt werden, sind zum einen die mangelnde Transparenz der Verfahren. Hiergegen werden schon seit längerem Gegenmaßnahmen ergriffen, so hat zum Beispiel die UNICTRAL 2013 Regeln zur Transparenz veröffentlicht. Zum anderen wird der fehlende Instanzenzug moniert; dieser liegt ein Stück weit in der Natur der Sache, nämlich des möglichst bindend strukturierten Verfahrens außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit; abgemildert wird dieses Manko derzeit etwa durch die Möglichkeit, innerhalb des ICSID-Regelwerkes einen Schiedsspruch annullieren zu lassen (für andere Schiedsverfahren durch die Vollstreckbarerklärung nach der New Yorker Konvention, die ihrerseits eine Überprüfbarkeit durch staatliche Gerichte darstellt). Schiedsgerichte sind umstritten wegen der Sorge vor hohen Schadensersatzzahlungen Der Wesenskern der Kritik betrifft die Sorge vor der Unkontrollierbarkeit der Schiedsgerichte, insbesondere hinsichtlich möglicher astronomisch hoher Schadensersatzzahlungen: Häufig wird auf die Schadensersatzforderungen, die unter dem NAFTA gegen Kanada erstritten wurden (etwa 150 Mio. US-Dollar) oder auf ein Verfahren des Zigarettenherstellers Philip Morris gegen die australische Regierung auf Schadensersatz in Höhe mehrerer Milliarden US-Dollar verwiesen. Diese, so die Befürchtung, führten dazu, dass betroffene Staaten von vornherein auf sinnvolle Gesetzesvorhaben verzichten könnten. Ob es gelingen wird, diesem als „Regulatory Chill“ bezeichneten Effekt mit Maßnahmen zu begegnen, kann – etwa auch angesichts des Vattenfall-Verfahrens gegen Deutschland, in dem das Unternehmen auf Basis der Energiecharta wegen des deutschen Atomausstiegs Schadensersatz in Höhe von 3,7 Mrd. US-Dollar fordert – entscheidend werden für einen TTIP-Verhandlungserfolg. Wie sich in zahlreichen Schiedsverfahren (etwa Saluka vs. The Czech Republic oder Methanex vs. United States) erwiesen hat, steht und fällt ein wirksamer Schutz des Staates vor Aufgabe seiner souveränen Regulierungsaufgaben (right to regulate) mit klaren, stringenten Regeln in den Investitionsschutzabkommen, welche die Anwendbarkeit restriktiv fassen und keinen zu weiten Interpretationsspielraum zulassen. Für das weitere Vorgehen in Sachen TTIP stehen drei Wege offen: Eine Möglichkeit wäre, TTIP wegen der Unstimmigkeiten gänzlich aufzugeben. Unabhängig davon, wie optimistisch man die wirtschaftlichen Auswirkungen von TTIP prognostiziert, würde ein Scheitern von TTIP eine Epoche eskalierender Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und der unternehmensjurist SCHWERPUNKT LITIGATION/PRODUKTHAFTUNG EU einleiten – Stichwort „Chlorhühnchen –, die dann mangels anderweitiger Erledigungsmöglichkeit über die zwischenstaatliche Streit schlichtung (Dispute Settlement Body) der Welthandelsorganisation WTO ausgetragen würden. TTIP könnte ohne Investitionsschutzregeln geschlossen werden. Dann bliebe es bei dem Flickenteppich aus zahllosen BITs und multilateralen Abkommen wie der Energiecharta bei stetig steigender Anzahl von Streitigkeiten. Vorzugswürdig erscheint die Schaffung eines im Vergleich zu Vorläufern elaborierteren Investitionsregelwerks innerhalb des TTIP-Rahmens. Hier besteht die Chance, die Weichen für die Zukunft zu stellen und die Inhalte einer neuen Generation von Investitionsschutzabkommen mitzubestimmen – auch als politisches Signal für die künftige Verhandlung weiterer von der EU abzuschließender Abkommen mit gegebenenfalls weniger demokratisch verfassten Ländern. LITERATUR Das Streiterledigungssystem des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA, Dr. Nabila Abaza-Uhrberg, Shaker Verlag, 2005 Internationales Investitionsrecht, Lehrbuch für Studium und Praxis, Jörn Griebel, Verlag C.H. Beck, 2008 Investitionsschutzabkommen: mehr Rechts sicherheit oder Verzicht auf Souveränität, Henning Klodt, Martin Klein, Marc Bungenberg, Gabriel Felbermayr, Gerhard Schick, Wirtschaftsdienst, 94. Jahrgang, 2014, Heft 7 Investment Protection and Investor-to-State Dispute Settlement in EU agreements (Fact Sheet), European Commission, November 2013 Wird Interessenausgleich hergestellt, könnten Schiedsverfahren in TTIP verankert werden Auf die folgenden materiell-rechtlichen wie formalen Verbesserungen wäre hinzuwirken, um eine gewisse Balance zwischen den Investorinteressen und denen der beteiligten Gaststaaten zu schaffen: Elementar wichtig ist, dass die Anspruchsgrundlagen, auf die sich etwaige Schadensersatzforderungen stützen, präziser formuliert werden, als dies bisher häufig in Investitionsschutzabkommen der Fall war. Dies betrifft vor allem die Definition der indirekten Enteignung. Diese wird künftig genauer gefasst und, so eine Forderung der EU-Kommission, von Erläuterungen beziehungsweise Anwendungsbeispielen flankiert werden müssen. Es muss klar normiert werden, dass das Interesse des Staates an einer legitimen Regierungspolitik dann Vorrang haben muss vor den rein monetären Auswirkungen, welche die staatlichen Maßnahmen auf einen Investor haben, wenn der Staat in nicht-diskriminierender Weise tätig wird. Damit in Einklang steht auch die Forderung, die Generalklausel „fair and equitable treatment“ zu ergänzen um eine klare Definition der einzelnen Elemente dieser Grundgarantie. Eine Reihe von Handlungsweisen, die als diskriminierend anzusehen sind, muss ebenso definiert werden. Hinsichtlich der Formalien des Schiedsverfahrens müssen zum einen rechtsmissbräuchlich oder im falschen Forum oder mehrfach verfolgte Ansprüche unterbunden werden. Es ist darüber nachzudenken, ob der Investor nicht zunächst auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen werden sollte und nur bei Unmöglichkeit der Beschreitung dieses Weges oder bei mangelnder Unabhängigkeit der Gerichte direkt das Schiedsverfahren initiieren dürfte. Der schon häufig erhobenen Forderung nach deutlich größerer Transparenz muss nachgegeben werden, um die Schiedsverfahren aus dem Dämmerlicht der Geheimverfahren ans Tageslicht hervorzuholen. Ein geeigneter Ausgangspunkt könnten die schon erwähnten UNCITRAL-Regeln zur Transparenz sein. Auch der seit Jahrzehnten geäußerte Wunsch nach einer Revi sionsinstanz (appellate mechanism), als Vorlage könnte etwa der Appellate Body der WTO dienen, ist überaus nachvollziehbar, ebenso wie die Forderung nach einem Code of Conduct für Schiedsrichter, um etwa Interessenkonflikte zu vermeiden. Nachzudenken ist zudem über die Möglichkeit, dem an einem Schiedsverfahren beteiligten Staat ein Widerklagerecht einzuräumen, um sich gegen die von einem Konzern geltend gemachten Forderungen angemessen zur Wehr setzen zu können. Vielleicht befände sich bei Umsetzung aller genannten Punkte das EU-USA-Schiedsverfahren tatsächlich auf dem Weg in die Richtung eines Handelsgerichtshofes, wie ihn zuletzt Anfang Mai Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gefordert hat. Jedenfalls wäre es so möglich, einen deutlich besseren und eher vorhersehbaren Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Gaststaaten und der ausländischen Inves toren zu schaffen. Dr. Nabila Abaza-Uhrberg Ausgabe 3/2015 41 KARTELLRECHT-COMPLIANCE UNSICHTBARE RISIKEN ENTDECKEN Oft werden das Management und die Compliance-Verantwortlichen von Kartellverstößen im eigenen Unternehmen überrascht. Dabei könnten diese Gefahren durch ein ausgefeiltes Risikomanagement system, das auch ökonomische Faktoren berücksichtigt, rechtzeitig entdeckt und vermieden werden. S chokolade schmeckt meist süß, kann einem aber auch bitter aufstoßen – etwa wenn sich ein Kartell anbahnt. So wie 2008, als sich namhafte Schokoladenhersteller über die Weitergabe von Kostensteigerungen bei Kakao und Milch abgestimmt haben. Nach langwierigen Ermittlungen verhängte das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von 63 Millionen Euro. Ein Schaden, der mit der richtigen KartellrechtsCompliance hätte abgewendet werden können. Diese Meinung vertritt zumindest Dr. Johannes Paha. Der wissenschaftliche Assistent an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ist Leiter eines Forschungsprojekts zur kartellrechtlichen Compliance sowie Co-Autor der Studie „Wie Compliance-Maßnahmen Kartellrechtsverstöße verhindern und zum Unternehmenserfolg beitragen können“. Johannes Paha verweist darauf, dass schon 56 Ausgabe 3/2015 im Jahresbericht 2007 eines der beteiligten Unternehmen von Gewinnrisiken aufgrund gestiegener Rohstoffkosten die Rede war. Insbesondere Deutschland stach dort klar heraus. „Und beim Auftreten solcher klassischer Risikofaktoren für kartellrechtswidriges Verhalten sollten die Compliance-Anstrengungen gerade in diesen Abteilungen forciert werden“, fordert der Wissenschaftler. Laut seiner Studie sind zwar rund 80 Prozent der teilnehmenden Unternehmen gut aufgestellt, wenn es darum geht, kartellrechtliche Risiken zu identifizieren und einzudämmen. Aber, und das mahnen die Studienautoren an, Risikofaktoren im ökonomischen Umfeld stünden noch nicht ausreichend im Blickfeld der Unternehmen. Solche Risikofaktoren sind beispielsweise neue Markteintritte, steigende Importkonkurrenz und erhöhte Wettbewerbsintensität. unternehmensjurist TRENDS & THEMEN bewerb führt, der wiederum geführt wird, um die Produktionskapazitäten weiter auszulasten. Ein Beispiel dafür ist das Stahlträgerkartell, das Ende der 1980er Jahre gebildet wurde, nachdem in den 1970er Jahren die Stahlnachfrage drastisch eingebrochen war und danach aufgrund neuer Konkurrenzprodukte noch weiter absank. „Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse waren wir erstaunt, dass weniger als die Hälfte der von uns befragten Compliance-Verantwortlichen diese Faktoren als Risiken ansieht“, sagt Johannes Paha. Und das, obwohl Verstöße gegen das Kartellverbot für Unternehmen langfristig sehr gefährlich sind. So verhängte die Europäische Kommission in den vergangenen Jahren pro Fall ein durchschnittliches Bußgeld in Höhe von 340 Millionen Euro. Auch die Klagen auf Schadensersatz spielen inzwischen eine immer größere Rolle. Hinzu kommen hohe Verfahrenskosten und teure Managementressourcen, die gebunden werden, um die Verfahren abzuwickeln. Doch die Folgen beschränken sich nicht nur auf die Wertminderung des Unternehmens. Kartellrechtsverstöße führen auch zu einem enormen Imageverlust. Im Sinne einer wirkungsvollen Compliance muss man auch auf Aufträge verzichten wollen Genau dort setzt die Linde Group mit ihrem intern entwickelten Smart Compliance Risk Assessment an. Risiken können damit in zwei Stufen identifiziert und analysiert werden. Diese sind das elektronische Scoping und die Risikodialoge. Gefahrenfaktoren aus dem ökonomischen Umfeld, zum Beispiel Marktanteile, Marktstrukturen, Wettbewerberkontakte und Produktuniformitäten, fließen beim elektronischen Scoping ein. Um dieses erfolgreich starten zu können, müssen die Experten jedoch ein abstraktes Risiko wie Korruption zunächst in die darin enthaltenen Einzelrisiken zerlegen. Zu fragen ist: Wie sind die Einzelrisiken zu bewerten? Wie wahrscheinlich ist ihr Eintritt? Welche Auswirkungen haben sie für das Unternehmen? „Die Compliance-Organisation strebt dabei auch immer eine ökonomische Sichtweise und Begründung an. Wir verlassen uns nicht nur auf juristische Argumente“, sagt Dr. Florian Stork, Associate Senior Counsel – Compliance EMEA bei Linde. Identifikation und Analyse von Risiken sind laut Johannes Paha nur möglich und wirksam, wenn man Marktfaktoren einbezieht. Denn „Kartelle werden häufig initiiert, wenn eine ganze Branche in die Profitabilitätsfalle läuft“. Das kann ein Nachfrageeinbruch sein, der zu einem intensiven Preiswett- Die Clariant SE hat sich deshalb dem Prinzip „Zero Tolerance“ verpflichtet. Es gilt nicht nur bei kartellrechtswidrigem Verhalten, sondern auch bei sonstigen Verstößen gegen den Code of Conduct des Unternehmens. Aber: „Dieses Prinzip funktioniert nur, wenn es vom Top-Management vorgelebt und praktiziert wird“, sagt Dr. Thorsten Posner, Head of Legal Services Europe und Regional Compliance Officer Europe bei der Clariant SE. Entsprechende Initiativen und Schulungen werden daher auch immer von einem Mitglied der Konzernleitung unterstützt. Er räumt zwar ein, dass es Geld kostet, ein leistungsfähiges Compliance-System einzurichten und am Laufen zu halten. „Aber dieser Aufwand ist gut investiert und vergleichsweise gering zu den drohenden Kosten und Nachteilen bei einem Verhalten, das nicht compliant ist.“ Das Top-Management müsse signalisieren, dass kartellrechtskonformes Handeln im Interesse des Unternehmens liege und dass Verstöße den Unternehmenswert minderten, fordern die Gießener Autoren der Compliance-Studie. Ein Satz, dem auch Dr. Ernst-Joachim Grosche, Chief Compliance Officer bei der Remondis Assets & Services GmbH & Co. KG, zustimmt. „Im Zweifel muss man dann aber auch auf einen Auftrag verzichten wollen“, fordert der Syndikusanwalt. „Unser oberstes Management lebt das vor, indem es immer wieder auf diese Notwendigkeit hinweist“, ist Grosche zufrieden. Auch Florian Stork ist sich sicher: „Über seine Vorbildfunktion prägt das Senior Management ganz entscheidend die Compliance-Kultur eines Unternehmens.“ Doch ComplianceKommunikation ist für ihn keine Einbahnstraße. Ergänzt wird die Top-down-Kommunikation durch ein regelmäßiges Ausgabe 3/2015 57 TRENDS & THEMEN unternehmensjurist Dr. Johannes Paha, Wissenschaftlicher Assistent, Justus-LiebigUniversität Gießen Dr. Florian Stork, Associate Senior Counsel – Compliance EMEA, Linde AG Dr. Thorsten Posner, Head of Legal Services und Regional Compliance Officer Europe, Clariant SE Bottom-up-Reporting, damit das Management einen Überblick über den aktuellen Stand der Compliance erhält. Compliance muss jedoch mehr sein als eine Förderung des „Tone at the Top“. Denn nicht jeder Mitarbeiter wird sich durch das Vorleben integren Verhaltens durch das Management davon abhalten lassen, Verstöße gegen das Kartellrecht zu begehen. Screening und andere Möglichkeiten, Missstände aufzudecken, wirken abschreckend. Gleiches gilt, wenn jedem im Unternehmen bewusst ist, dass Fehlverhalten sanktioniert wird. Die Studienautoren fordern die Verantwortlichen deshalb auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, sodass die Verstöße gegen das Kartellrecht noch unattraktiver werden. Als Beispiele nennen sie die interne Revision, Hinweisgebersysteme, Kronzeugenregelungen, Abmahnung und Kündigung. Ernst-Joachim Grosche von Remondis sagt dazu: „Die Maßnahme des Hinweisgebersystems wird zwar als sinnvoll angesehen und auch genutzt. Bislang aber noch nicht bei Kartellverstößen.“ Da ein solcher Verstoß in den vergangenen zehn Jahren nicht festgestellt worden sei, habe es auch keine Sanktionen, sondern nur Ermittlungsverfahren gegeben. Bußgelder seien nicht verhängt worden. Auch Thorsten Posner bezeichnet Maßnahmen der unternehmensinternen Aufdeckung als absolut sinnvoll und zwingend, um die Risiken für das Unternehmen zu reduzieren. Neben der internen Revision hat Clariant jüngst ein Hinweisgebersystem eingeführt. Damit wollte das Unternehmen seinen Mitarbeitern eine weitere Möglichkeit der Kommunikation eventueller Verstöße geben – bei Bedarf auch anonym. Integrity Line ist der Name dieses Systems, ein verschlüsselter Online-Meldedienst, der von einem unabhängigen Anbieter betrieben wird. Mitarbeiter können rund um die Uhr, sieben 58 Ausgabe 3/2015 Dr. Ernst-Joachim G rosche, Chief Compliance O fficer, Remondis Assets & Services GmbH & Co. KG Tage die Woche in ihrer eigenen Sprache Compliance-Fragen ansprechen. Und das absolut vertraulich! Darüber hinaus stellt das System sicher, dass ein Vertreter aus der ComplianceAbteilung die Anliegen bearbeitet. Schulungen sind das wichtigste Instrument, um Kartellverstößen wirkungsvoll vorzubeugen Vorbeugung ist wichtig. Mitarbeiter müssen sensibler für Compliance-Fragen werden, auch bei kartellrechtlichen Risiken. Das kann dann zu Situationen führen, wie Ernst-Joachim Grosche sie beschreibt: „Wenn etwa unsere Mitarbeiter Sitzungen mit anderen Marktteilnehmern haben, sind sie heute schon viel vorsichtiger mit dem, was sie dort mitteilen.“ Denn Preise und Gebiete sind heikle Beispiele unter Gesichtspunkten von Kartellrechts-Compliance. Remondis setzt auf Schulungen. Das betrifft in erster Linie alle leitenden Mitarbeiter der Führungsgesellschaften. Darunter sind sämtliche Vorstände, Einkaufs- und Vertriebsleiter und Key Accounter. Darüber hinaus werden bei Remondis auf Wunsch des Managements aber auch Mitarbeiter in sensiblen Bereichen, in denen Bedarf gesehen wird, geschult. Studienleiter Johannes Paha und seine Kollegen gehen in Sachen Schulung sogar noch einen Schritt weiter. Sie halten ein zweistufiges Modell für sinnvoll: Mitarbeiter zunächst im Kartellrecht zu schulen und über kartellrechtliche Fallstricke aufzuklären. Wenn diese Schulungen dann gut laufen und Ressourcen für andere Compliance-Aufgaben frei werden, sei es sinnvoll, verstärkt auf den Aufbau eines kartellrechtlichen Risikomanagements zu setzen. Denn wer nicht weiß, dass er geradewegs auf kartellrechtliches Glatteis gerät, kann schnell einbrechen. Daniel Grosse VERBAND unternehmensjurist „Das Berufsrecht ist zwar in der aktuellen Situation das zentrale Thema des BUJ. Ich möchte in den nächsten zwei Jahren aber auch den fachlichen Austausch unter den Mitgliedern und deren Mitwirkungsmöglichkeiten weiter ausbauen.“ Solms U. Wittig, Präsident des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen „Ich setze auf Kooperation statt Konfrontation“ Im Interview mit „unternehmensjurist“ spricht der neue BUJ-Präsident Solms U. Wittig über die Entwicklung des Verbandes, die aktuelle Situation in berufsrechtlichen Fragen und seine Ziele für die nächsten zwei Jahre. Herr Wittig, wie beurteilen Sie die bisherige Entwicklung des BUJ? Mit einem Wort: grandios! Bei der Verbandsgründung 2011 hat niemand damit gerechnet, dass der BUJ so schnell so stark wird und eine so wichtige Rolle in der berufspolitischen Diskussion spielt. Welche Gründe gibt es dafür? Zum einen ist der BUJ in ein Vakuum gestoßen. Es gab bis 2011 keine unabhängige Interessenvertretung, die sowohl die fachliche und persönliche Vernetzung von Unternehmensjuristen förderte als auch als Sprachrohr für diese Berufsgruppe fungierte. Das Akzo-Nobel-Urteil, der damit verbundene Verlust des Legal Privilege und der Umgang mit den Folgen wurde deshalb ganz schnell zur Initialzündung für die BUJ-Gründung. 76 Ausgabe 3/2015 Und zum anderen? Das enorme persönliche Engagement meiner Vorgänger und der jeweiligen Präsidiumsmitglieder. Nicolai von Ruckteschell und sein Team haben die Notwendigkeit für die Gründung eines eigenen Verbandes klar erkannt und konsequent umgesetzt. Sie haben die richtigen Themen auf die Agenda gesetzt. Beginnend mit dem Legal Privilege über die Fachanwaltszulassung bis hin zur Rentenversicherung. Bis zu seinem Ausscheiden hat er den BUJ-Karren gezogen und zusammen mit seinen Präsidiumskollegen hervorragende Aufbauarbeit geleistet. Elisabeth Roegele hat diese großen Fußstapfen dann perfekt ausgefüllt. Ihr unermüdlicher Einsatz nach den BSG-Urteilen vom April 2014 sucht seinesgleichen. Durch ihre hervorragende Fachkenntnis und ihr großes diplomatisches Geschick hat sie den BUJ zu einer festen Größe in der politischen Landschaft gemacht. Nicht zuletzt deshalb wurden wir vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz um eine Stellungnahme zu den anhängigen Verfahren beziehungsweise dem Referentenentwurf zum Gesetz zur Neuordnung des Rechts für Syndikusanwälte gebeten. Es ist für mich deshalb eine Ehre, dieses Amt zu übernehmen und mit meinen Präsidiumskollegen die Interessen der Syndici aktiv zu vertreten. Durch die berufspolitischen Turbulenzen des letzten Jahres ist der BUJ zu DEM Sprachrohr für Unternehmensjuristen geworden. Welche Akzente wollen Sie in Ihrer zweijährigen Amtszeit setzen? VERBAND unternehmensjurist Das Gesetzgebungsverfahren aktiv zu begleiten und zu einem guten Ende zu bringen ist derzeit natürlich die wichtigste Aufgabe. Wir begrüßen die Vorlage sehr „Ich bin fest davon über zeugt, dass wir eine Lösung finden, die für den Moment zu akzeptieren ist.“ und sind froh, dass es endlich eine gesetzliche Grundlage für unser Berufsbild geben wird. Aber natürlich sind zuvor noch einige Details zu klären. Wo muss beim Gesetzgebungsentwurf noch nachgebessert werden? Ich würde nicht von Nachbesserungs-, sondern von Präzisierungsbedarf sprechen. Das betrifft zum einen den Zulassungsprozess. Wir möchten die doppelte Zulassung vermeiden, da sie viele neue Fragen aufwirft und den Fortbestand der Doppelberufstheorie andeutet. Stattdessen sind wir für einen einheitlichen Zulassungsprozess für niedergelassene und Syndikusanwälte. Letztere sollen dann den angedachten eigenen Status erhalten. Der andere große Themenblock ist die Haftung. Aufgrund der besonderen Stellung der Syndikusanwälte können die Regeln für niedergelassene Anwälte nicht 1:1 übernommen werden. Die Fragen, die uns sehr bewegen, sind deshalb: Gibt es Haftungsbegrenzungen? Wird es eine bezahlbare Haftpflichtversicherung für uns geben? Und wenn ja, was wird sie leisten? Wie lautet Ihre Prognose? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Lösung finden. Es kann jedoch sein, dass diese nicht für alle Kolleginnen und Kollegen die Ideallösung sein wird, dass sie aber für den Moment zu akzeptieren ist. Ein anderes wichtiges Thema ist das Verhältnis des BUJ zu den regionalen Kammern und der BRAK. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation? Das Verhältnis ist in vielen Kammerbezirken sehr angespannt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Bei uns kam die scharfe Ablehnung mancher Kammern zu einer berufsrechtlichen Lösung der Syndikusfrage natürlich nicht gut an. Die Gegenseite war sicherlich nicht begeistert, dass sie in den Kammerversammlungen von ihren Syndikus-Kollegen überstimmt wurden und nun häufig auch gegen ihre Überzeugung für eine berufsrechtliche Regelung eintreten müssen. Zudem wurden auch viele Unternehmensjuristen in den Kammervorstand und in die Satzungsversammlung gewählt. Dafür mussten teilweise langjährige Mitglieder weichen. Das war für viele kein Grund zu Freude. Der Vorwurf lautet, dass sich die Syndici nur engagieren, weil es um die Rentenbefreiung und damit um ihr Geld geht. Das stimmt so nicht, schließlich gab es auch in der Vergangenheit immer wieder Syndici, die im Kammervorstand mitgearbeitet haben. Dennoch müssen wir diesen Vorwurf natürlich sehr ernst nehmen und den Kollegen durch unsere Arbeit zeigen, dass es uns nicht nur um die Rentenversicherung, sondern um ein langfristiges Engagement geht. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, für die Einheit der Anwaltschaft einzutreten und die Interessen unseres Berufsstandes gemeinsam zu vertreten. Ich bin deshalb für Kooperation statt Konfrontation. Wie sie am Anfang bereits andeuteten, ist das Berufsrecht nicht der einzige Schwerpunkt, den sich der BUJ auf die Fahne geschrieben hat. Welche Felder der Verbandsarbeit interessieren Sie jenseits des Berufsrechts? Es ist ganz logisch, dass das Berufsrecht in der aktuellen Situation das wichtigste Thema des BUJ ist. Das wird kurz- und mittelfristig auch so bleiben. Bei aller Diskussion um Rentenbefreiung, Legal Privilege und Fachanwaltszulassung dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass die Mitglieder auch noch andere Anforderungen an uns stellen. Sie wollen informiert werden und sich zu fachlichen Themen austauschen. Sie suchen Antworten auf konkrete Sachfragen, nach Weiterbildungsmöglichkeiten und Gelegenheiten, um sich aktiv ins Verbandsleben einzubringen. Dafür müssen wir vielfältige Angebote machen. Wie können die aussehen? Ich sehe einen wichtigen Ansatzpunkt in der Arbeit der Fach- und Regionalgruppen. Für die Kollegen sind sie die erste Anlaufstelle vor Ort. Zudem repräsentieren sie vom hochspezialisierten Kollegen in einer großen Konzernrechtsabteilung bis zum Einzelkämpfer in einem kleineren Unternehmen die ganze Vielfalt der deutschen Wirtschaft. Hier schlummert unheimlich viel Erfahrung und Expertise, die wir nutzen müssen. Können Sie das bitte konkretisieren? Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass mit Hilfe der Fach- und Regionalgruppen einheitliche Vertragsklauseln ausgearbeitet werden, die jedes Mitglied nutzen kann. Darüber hinaus wäre es „In den Fach- und Regionalgruppen schlummert viel Erfahrung und Wissen, das wir nutzen müssen.“ beispielsweise auch denkbar, eine qualifizierte Schiedsrichterliste zu erstellen, auf die alle Mitglieder zugreifen können. Ich bin mir sicher: Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr solcher Möglichkeiten findet man. Von solchen Angeboten würden vor allem Kollegen aus kleineren Rechtsabteilungen profitieren. Sie haben keinen Spezialisten etwa für das Vertrags- oder Schiedsrecht und könnten sich dadurch auf ihre Kernkompetenz konzentrieren. Als Leiter einer großen Konzernrechtsabteilung haben Sie also auch die vielen Einzelkämpfer im Auge? Ja, denn sie stellen das Gros der Mitglieder, sind das Rückgrat des Verbandes und müssen oft Enormes leisten. Ausgabe 3/2015 77
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