Dänische Minderheit deutlich größer als bisher angenommen Ergebnisse der ersten repräsentativen Erhebung zur dänischen Minderheit im Norden Deutschlands Adrian Schaefer-Rolffs Kai-Uwe Schnapp März 2015 Inhaltsverzeichnis Executive Summary .............................................................................................................................. 3 1 Einleitung ...................................................................................................................................... 4 2 Größe und Wohngebiet der dänischen Minderheit ..................................................................... 5 3 Alter der Minderheitsangehörigen und Dauer der Minderheitszugehörigkeit ............................ 6 4 Schulbesuch der Kinder und Organisationsmitgliedschaften....................................................... 8 5 Letzte Wahl und Parteienidentifikation ....................................................................................... 8 6 Zur bisherigen Schätzung der Minderheit .................................................................................. 11 7 Methodisches Vorgehen ............................................................................................................. 11 8 Zusammenfassung ...................................................................................................................... 12 9 Literaturverzeichnis .................................................................................................................... 14 Version 1.1. des Textes (25.3.2015, 21:49). Versionsinformation: Diese Version wurde auf S. 5 um den genauen Wortlaut der Frage ergänzt, mit der wir um die Auskunft gebeten haben, ob jemand zur dänischen Minderheit gehört. Außerdem wurden in Tabelle 1 die geschätzten absoluten Größen der Minderheit in den einzelnen Gebietseinheiten ergänzt. 2 Executive Summary Das Gebiet entlang der deutsch-dänischen Grenze wird nördlich der Grenze von einer deutschen und südlich der Grenze von einer dänischen Minderheit bewohnt. Mit der vorliegenden Studie wurde nun erstmals mit einer repräsentativen Umfrage die Größe der dänischen Minderheit in Deutschland bestimmt und ermittelt, wo die Angehörigen der Minderheit leben. Die vor 60 Jahren, im März 1955, beschlossenen Bonn-Kopenhagener Erklärungen erkennen der deutschen Minderheit in Dänemark und der dänischen Minderheit in Deutschland das freie Recht auf ein Bekenntnis zur jeweiligen Volkszugehörigkeit zu und betonten die Gleichbehandlung beider Minderheiten im Grenzland. Eine Folge der seinerzeit vereinbarten staatlichen Zurückhaltung ist, dass bislang keine verlässlichen Informationen über die Größe und Verbreitung der dänischen Minderheit im Norden Deutschlands vorlagen. Nach unseren Ergebnissen ist die dänische Minderheit in Deutschland deutlich größer als bisher angenommen. Ging man bislang von rund 50.000 Angehörigen aus, so zeigt die Studie nun, dass circa 104.000 Menschen im Norden Deutschlands zur dänischen Minderheit gehören. Davon leben etwa 42.000 im Gebiet nördlich der Linie Tönning-Rendsburg-Kiel – also in der Region, die bislang als Hauptwohngebiet der Minderheit angesehen wurde. Doch auch südlich dieser Linie wohnen rund 37.000 Minderheitsangehörige, weitere rund 25.000 leben in der Freien und Hansestadt Hamburg. Neben der Größe und der Verbreitung der Minderheit wurden auch Daten über die Dauer der Minderheitszugehörigkeit und das Wahlverhalten erhoben. Dabei zeigte sich, dass je rund ein Drittel der Befragten in erster (32 %), zweiter (30 %) und dritter oder höherer Generation (33 %) der Minderheit angehört. 36 % der befragten Minderheitenmitglieder gaben an, bei der letzten Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Jahr 2012 die Partei der Minderheit, den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), gewählt zu haben. 64 % der Minderheitszugehörigen wählten eine andere Partei oder gar nicht. Darüber hinaus haben 21 % der befragten Angehörigen der dänischen Minderheit eine feste Parteibindung an den SSW, 51 % neigen einer anderen Partei zu, 29 % haben keine spezifische Parteibindung. Die Daten zeigen außerdem, dass Befragte vor allem dann den SSW wählen, wenn sie in einem Verein der dänischen Minderheit organisiert sind oder mindestens eines ihrer Kinder eine dänische Schule besucht. Zur Erhebung der Daten wurden im Januar 2015 von IPSOS Public Affairs in einer repräsentativen Telefonumfrage 2500 Menschen in Schleswig-Holstein und Hamburg befragt. 3 1 Einleitung Das dänisch-deutsche Grenzland wird nördlich der Grenze von einer deutschen und südlich der Grenze von einer dänischen Minderheit bewohnt. Die vor 60 Jahren, im März 1955, beschlossenen Bonn-Kopenhagener Erklärungen erkannten das freie und staatlicherseits nicht überprüfbare Recht auf ein Bekenntnis zur jeweiligen Volkszugehörigkeit an und betonten die Gleichbehandlung der Minderheiten im Grenzland. In der Erklärung heißt es außerdem: „Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden“ (BRD 1955, II.1). Dies hatte zur Folge, dass über die zahlenmäßige Größe der Minderheit bislang lediglich Schätzungen verschiedener Minderheitenorganisationen vorlagen und darüber hinaus nicht bekannt war, wo genau die Minderheitenangehörigen leben und was ihre sozio-demografischen Merkmale ausmacht. Mit dem vorliegenden Beitrag wird nun erstmals auf der Basis einer repräsentativen Umfrage die Größe der dänischen Minderheit bestimmt und ermittelt, wo ihr angehörige Personen tatsächlich leben. Grundlage für diese Aussagen ist eine repräsentative Telefonumfrage in Schleswig-Holstein und Hamburg mit insgesamt 2.500 Befragten und einem Erhebungsschwerpunkt im Gebiet nördlich der Linie Tönning-Rendsburg-Kiel. Die Erhebung wurde im Auftrag der Professur für Politikwissenschaft, insbesondere Methoden, an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg von IPSOS Public Affairs im Januar 2015 durchgeführt. Neben der Größe und Verbreitung der Minderheit setzt sich der Text mit folgenden Fragen auseinander: Seit wie vielen Generationen fühlen sich Familien, in denen lt. Umfrage Angehörige der Minderheit leben, der Minderheit zugehörig? In welchem Umfange besteht Mitgliedschaft in minderheitsspezifischen Vereinen und Verbänden und wie stark werden von Kindern der Befragten die speziellen Schulen der dänischen Minderheit in Schleswig besucht? Wie wählten die Angehörigen der Minderheit bei den letzten Landstagwahlen in Schleswig-Holstein im Jahre 2012 und bei der letzten Bundestagswahl im Jahre 2013 und über welche Parteineigungen verfügen sie? In den folgenden Abschnitten beschreiben wir die dänische Minderheit auf der Basis der oben genannten Studie. In den letzten beiden Abschnitten stellen wir dar, wie die Größe der dänischen Minderheit bislang ermittelt wurde und wie wir bei unserer Studie vorgegangen sind. 4 2 Größe und Wohngebiet der dänischen Minderheit Bisher gingen die Schätzungen der Größe der dänischen Minderheit im Norden Deutschlands davon aus, dass ca. 50.000 Personen dieser Minderheit angehören. 1 Den Ergebnissen unserer Studie zufolge ist die Minderheit aber deutlich größer. Unsere Daten zeigen, dass tatsächlich ca. 104.0002 Personen im Norden Deutschlands zur dänischen Minderheit gehören. Davon leben ca. 42.0003 nördlich der Linie Tönning-Rendsburg-Kiel, der Region, die auch bislang als Wohngebiet der Minderheit angesehen wurde. Insgesamt leben in Schleswig-Holstein ca. 79.0004 Angehörige der dänischen Minderheit. Gänzlich unerwartet ist das Ergebnis, dass ca. 25.0005 Angehörige der Minderheit in der Freien und Hansestadt Hamburg beheimatet sind. Um die Zugehörigkeit von Befragten zur dänischen Minderheit zu erheben haben wir in Übereinstimmung mit den Inhalten der Bonn-Kopenhagener Erklärungen gefragt: „Auf der deutschen Seite des Grenzlandes gibt es eine dänische Minderheit, auf der dänischen Seite eine deutsche Minderheit. Würden Sie sich selbst oder ein anderes Haushaltsmitglied als Mitglied der dänischen Minderheit in Deutschland betrachten?“ Knapp die Hälfte der Minderheitsbevölkerung lebt nach unseren Berechnungen tatsächlich auf dem Territorium des ehemaligen Herzogtums Schleswig. In der Stadt Flensburg gehören etwa 14 % der Bevölkerung der dänischen Minderheit an, im Landkreis Schleswig-Flensburg sind es ca. 9 % und im Landkreis Nordfriesland rund 8 % (vgl. Tabelle 1). Aber auch in den südlichen Teilen der Kreise Rendsburg-Eckernförde und Dithmarschen, den angrenzenden Landkreisen Steinburg, Pinneberg, Segeberg und Plön sowie in der kreisfreien Stadt Kiel sind in etwa 2 % der Wohnbevölkerung Angehörige der dänischen Minderheit. Dagegen geht der Anteil der minderheitsangehörigen Bevölkerung in der kreisfreien Stadt Neumünster und der Hansestadt Lübeck sowie in den Landkreisen Ostholstein, Stormarn und Herzogtum Lauenburg gegen Null (vgl. Tabelle 1). 1 2 3 4 5 In Abschnitt 7 beschreiben wir, wie die bisherigen Schätzungen ermittelt wurden. 95%-Vertrauensintervall für diesen Wert: 75.177 - 133.877. Das bedeutet, dass dieser Schätzwert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% aus einer Grundgesamtheit stammt, deren wahrer Wert in dem genannten Intervall liegt. 95%-Vertrauensintervall für diesen Wert: 29.580 - 54.420. 95%-Vertrauensintervall für diesen Wert: 60.608 - 98.356. 95%-Vertrauensintervall für diesen Wert: 14.569 - 35.521. 5 Tabelle 1: Anteil und geschätzte absolute Anzahl der Angehörigen der dänischen Minderheit an der Wohnbevölkerung (nach Kreisen von Nordwest nach Südost, gewichtet) Landkreise, kreisfreie Städte, Regionen geschätzter Bevölkerungsanteil geschätzte absolute Größe a 95 %-Vertrauensintervall 7,6 % 12.357 3,0 - 12,2 % 13,7 % 11.497 5,5 - 21,9 % Schleswig-Flensburg 9,0 % 17.580 4,4 - 13,6 % Rendsburg-Eckernförde 5,7 % 15.241 2,5 - 8,9 % Dithmarschen 0,7 % 921 0,9 - 2,3 % Kiel 2,6 % 6.201 0,3 - 4,9 % Steinburg 1,7 % 2.234 0 - 4,2 % Plön 1,9 % 2.347 0 - 4,5 % 0% 0 0 - 0,6 % Kreis Pinneberg 1,8 % 5.344 0,1 - 3,5 % Segeberg 2,1 % 5.411 0,1 - 4,1 % Ostholstein 0% 0 0 - 0,3 % Hansestadt Lübeck 0% 0 0 - 0,3 % Stormarn 0% 0 0 - 0,3 % Herzogtum Lauenburg 0% 0 0 - 0,4 % Region Schleswig b 7,8 % 42.000 c 5,5 - 10,1 % Schleswig-Holstein gesamt 2,8 % 79.000 c 2,1 - 3,5 % Freie u. Hansestadt Hamburg 1,4 % 25.000 c 0,8 - 2,0 % Gesamt 2,3 % 104.000 c 1,8 - 2,8 % Nordfriesland Flensburg Neumünster a – Ausgehend von der Wohnbevölkerung der Kreise lt. Statistikamt Nord 2014. b – Die Kreise Dithmarschen und Rendsburg-Eckernförde gehen nur teilweise in diese Zahl ein. c – Gerundete Werte. 3 Alter der Minderheitsangehörigen und Dauer der Minderheitszugehörigkeit Der Altersstruktur unserer Stichprobe ist zu entnehmen, dass die Angehörigen der dänischen Minderheit im Vergleich mit der Gesamtpopulation eher etwas ältere Bürgerinnen und Bürger sind (vgl. Tabelle 2). 5 % der minderheitsangehörigen Personen sind zwischen 18 und 29 Jahren alt, 18 % sind zwischen 30 und 39 Jahre alt. In der Gesamtbevölkerung sind dies entsprechend 14 % (18 bis 29 Jahre) und 6 19 % (30 bis 39 Jahre). In der Minderheit sind 13 % zwischen 40 und 49 Jahre alt, diese Altersgruppe ist in der Gesamtbevölkerung mit 13 % ähnlich groß. Dies gilt auch für die 50- bis 59Jährigen. Innerhalb der Minderheit macht diese Gruppe 18 % aus und in der Gesamtbevölkerung 22 %. Etwas anders ist es bei den älteren Personen. Während in der dänischen Minderheit 33 % zwischen 60 und 69 Jahre alt sind, sind es in der Gesamtbevölkerung nur 24 %. Über 75 Jahre alt sind 7 % aller Befragten und 13 % der Minderheitenangehörigen. Tabelle 2: Alter der befragten Personen (gewichtet)6 Alter Gesamt (N=2500) In der Minderheit (N=95) 18-29 30-39 40-49 50-59 60-74 75+ k. A. 14 % 19 % 13 % 22 % 24 % 7% 0,5 % 5% 18 % 13 % 18 % 33 % 13 % 0% Auf die Frage, „Seit wie vielen Generationen gehört Ihre Familie der dänischen Minderheit an?“, antworteten die befragten Personen wie folgt (vgl. Tabelle 3): 26 % gaben an, in erster Generation der Minderheit anzugehören, 41 % sagten es sei die zweite Generation der Minderheitenzugehörigkeit ihrer Familie, 28 % gehören seit drei oder mehr Generationen der dänischen Minderheit an und 4 % wussten die Frage für ihre Familie nicht zu beantworten. Tabelle 3: Seit wie vielen Generationen gehört Ihre Familie der dänischen Minderheit an? (gewichtet, N = 95) Seit einer Generation 26 % Seit zwei Generationen 41 % Seit drei oder mehr Generationen 28 % Ich weiß es nicht 4% Von den Haushalten, in denen Minderheitenangehörige leben, sind in Schleswig-Holstein zwei Drittel (66 %) Haushalte, in denen genau eine minderheitszugehörige Person lebt. In einem Drittel (34 %) dieser Haushalte gehört mehr als ein Haushaltsmitglied der Minderheit an. In Hamburg lebt in allen Haushalten, aus denen Personen befragt wurden (100 %), nur eine Person, die der Minderheit angehört. 6 Für diese und die folgenden Tabellen gilt: Prozentwerte addieren sich aufgrund von Rundungsfehlern nicht immer zu 100. 7 4 Schulbesuch der Kinder und Organisationsmitgliedschaften Im Selbstverständnis vieler Angehöriger der dänischen Minderheit, vor allem aber der Vertreter ihrer politischen und gesellschaftlichen Organisationen, spielen die Minderheitsvereine wie auch die speziellen Schulen der dänischen Minderheit eine besondere Rolle.7 Daher wollten wir zunächst wissen, ob schulpflichtige Kinder der Befragten minderheitsangehörigen Personen bzw. aus minderheitszugehörigen Haushalten diese Schulen besuchen. Die zugehörige Frage lautete: „Besucht eines oder mehrere Ihrer Kinder eine dänische Schule?“. Sie wurde von 55 % der Befragten, in deren Haushalten Schulkinder leben, positiv beantwortet und von 45 % dieser Befragten verneint (N=50). Nach der Mitgliedschaft in Vereinen und Organisationen fragten wir wie folgt: „Sind Sie Mitglied in einem (oder mehreren) Vereinen oder Organisationen der dänischen Minderheit?“. Hier waren ein Drittel der Antworten positiv (34 %), zwei Drittel der Befragten, die der Minderheit angehören, antworteten, dass sie keinem dieser Vereine und keiner dieser Organisation angehören. 5 Letzte Wahl und Parteienidentifikation Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) hat in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland eine Sonderrolle. Als Partei der dänischen Minderheit ist er von der sonst geltenden Sperrklausel von 5 % der abgegebenen gültigen Stimmen bei Landtagswahlen befreit.8 Nicht zuletzt wegen der in den letzten Jahren und im Zusammenhang mit der Regierungsbeteiligung des SSW immer wieder aufgeflammten Diskussion um dieses Sonderrecht (Edinger 2014) interessierte uns, wie die Angehörigen der Minderheit sich bei Wahlen entscheiden und über welche dauerhaften Parteibindungen sie verfügen. Zunächst fragten wir: „Am 6. Mai 2012 hat die letzte Landtagswahl in Schleswig-Holstein stattgefunden. Welcher Partei haben Sie da Ihre Stimme gegeben?“. Für den SSW hatten gut ein Drittel (36 %) der befragten Minderheitenmitglieder gestimmt, 56 % der minderheitsangehörigen Befragten stimmten dagegen für eine andere Partei und 10 % beteiligten sich nicht an der Wahl. 7 8 Schaefer-Rolffs 2014, Chapter 3.1; Schaefer-Rolffs, Schnapp (2014a), Schaefer-Rolffs, Schnapp (2014b). Das gleiche Recht besitzt grundsätzlich die sorbische Minderheit in Brandenburg (http://www.wahlrecht.de/landtage/index.htm, letzter Abruf am 25.3.2015). Da es aber keine Partei der sorbischen Minderheit gibt, wird dieses Recht nicht wahrgenommen. Damit ist der SSW die einzige Partei in Deutschland, die von der 5-%-Sperrklausel ausgenommen ist. 8 Unter den anderen Parteien entschied sich der relativ größte Teil der minderheitszugehörigen Befragten für die SPD (30 %), für die Grünen votierten 14 % der Personen dieser Gruppe, für die CDU 10 % und für die FDP 2 % (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4: Wahlentscheidung minderheitsangehöriger Personen bei der Landtagswahl Schleswig-Holstein 2012 (gewichtet, N = 71) Südschleswigscher Wählerverband - SSW 36 % CDU 10 % SPD 30 % FDP 2% Grüne 14 % Nichtwähler 10 % Sucht man nach Erklärungen für dieses Wahlverhalten, so ergeben sich Hinweise bei einem Blick auf den Schulbesuch der eigenen Kinder und die Zugehörigkeit zu Minderheitsorganisationen. Von den befragten Personen aus der dänischen Minderheit, bei denen mindestens ein Kind eine Schule der Minderheit besucht, wählen über die Hälfte (56 %) den SSW, bei Befragten ohne Kind in einer dänischen Schule sind es dagegen nur 17 % (vgl. Tabelle 5). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Organisationsmitgliedschaften. Zwei Drittel der befragten Minderheitsangehörigen (65 %), die Mitglied in einem Verein oder einer Organisation der Minderheit sind, wählen den SSW. Bei den Personen ohne eine solche Bindung sind es dagegen nur 17 % (vgl. Tabelle 6). Tabelle 5: Wahlentscheidung minderheitsangehöriger Personen nach Schulbesuch der Kinder Mindestens ein Kind in dänischer Schule Ja (N=24) Nein (N=16) Südschleswigscher Wählerverband - SSW 56 % 17 % CDU 0% 5% SPD 24 % 36 % FDP 0% 3% Grüne 16 % 34 % Nichtwähler 4% 15 % 9 Tabelle 6: Wahlentscheidung minderheitsangehöriger Personen nach Zugehörigkeit zu Minderheitenorganisation Mitgliedschaft in dänischem Verein oder Organisation Ja (N=33) Nein (N=38) Südschleswigscher Wählerverband - SSW 65 % 17 % CDU 0% 16 % SPD 12 % 41 % FDP 0% 3% Grüne 15 % 13 % Nichtwähler 9% 10 % Schließlich stellten wir die Frage nach dauerhaften Parteibindungen. Diese lautete wie folgt: „Neigen Sie – ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten Partei zu? Und wenn ja, welcher?“. Hier antworteten 21 % der Minderheitsmitglieder, dass sie dem SSW zuneigen, 51 % der Befragten aus dieser Gruppe nannten eine andere Parteineigung, 29 % gaben an, keiner bestimmten Partei zuzuneigen (vgl. Tabelle 7). Tabelle 7: Parteineigung minderheitsangehöriger Personen (gewichtet, N=70) Südschleswigscher Wählerverband - SSW 21 % CDU 13 % SPD 27 % FDP 0% Grüne 9% Keiner Partei 29 % Zusammenfassend ist also festzustellen, dass die Mehrheit der Personen, die sich selbst als minderheitszugehörig begreifen, den SSW als ihre politische Interessenvertretung im Kieler Landtag wählen. Die Wahrscheinlichkeit, den SSW zu wählen, wird bei den minderheitsangehörigen Personen stark davon beeinflusst, ob die eigenen Kinder eine Minderheitsschule besuchen und ob diese Personen selbst einer Minderheitsorganisation angehören. Bejahende Antworten in beiden Variablen bedeuten eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit der Wahl des SSW. 10 6 Zur bisherigen Schätzung der Minderheit Bereits zu Beginn von Kapitel 2 hatten wir festgestellt, dass alle bisherigen Angaben zur Größe der Minderheit auf Schätzungen beruhen und man bis dato von einer Größe der dänischen Minderheit von ca. 50.000 Personen ausging. Diese Schätzungen beruhen auf Angaben zu Organisationsmitgliedschaften, dem Besuch der dänischen Schulen und den Wahlergebnissen des SSW. So wurde etwa der Anteil der Kinder, die dänische Schulen besuchen, am Anteil aller schulpflichtigen Kinder in Schleswig-Holstein auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Äquivalente Verfahren wurden für die Organisationsmitgliedschaften und die Wahlergebnisse angewandt. Betrachtet man nun etwa den Umstand, dass fast zwei Drittel der von uns befragten Minderheitenmitglieder angaben, in keinem Verein oder keiner Organisation der Minderheit Mitglied zu sein, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Schätzungen der Größe der Minderheit zu gering ausfallen. Vergleichbares gilt für die Wahlergebnisse des SSW, weil, wie oben berichtet, ein großer Teil der minderheitszugehörigen Personen nicht den SSW wählt und damit aus der Schätzung der Minderheitsgröße herausfällt. Ganz offensichtlich wird das Schätzproblem auch bei dem Indikator Schulen. Da es dänische Schulen nur in Schleswig gibt, nennenswerte Teile der Minderheit aber südlich der Linie Tönning-Rendsburg-Kiel leben, dann besteht hier gar nicht die Möglichkeit, Kinder auf eine dänische Schule zu schicken. Dementsprechend entsteht auch hier ein Moment, das dazu beiträgt, die tatsächliche Größe der dänischen Minderheit eher zu unterschätzen. Die vorliegende Studie kann daher als sinnvolles Korrektiv für die bisher genutzten Schätzverfahren gelten. 7 Methodisches Vorgehen Die Umfrage wurde im Auftrage der Universität Hamburg von Ipsos Public Affairs durchgeführt. Die Daten wurden mit einer CATI-Befragung der über 18-jährigen deutschsprachigen Wohnbevölkerung von Schleswig-Holstein und Hamburg erhoben. Genutzt wurde ein Dual-FrameAnsatz mit 70 % Festnetz- und 30 % Mobilfunknummern. Für das Festnetz wurde eine ADM Festnetzdatei genutzt, für den Mobilteil ein vorrekrutiertes Dual-Frame-CATI-Panel. Letzteres 11 Panel musste genutzt werden, weil Mobilfunkstichproben bislang nur für bundesweite Befragungen vorliegen. Auf der genannten Basis wurden 1.973 Interviews realisiert. Um eine hinreichende Informationsdichte für Schleswig zu erhalten, die Region, in der nach bisheriger Kenntnis die dänische Minderheit hauptsächlich verbreitet ist, wurde ein Oversampling in den Kreisen Flensburg, Schleswig, Nordfriesland, dem nördlichen Rand des Kreises Dithmarschen und die nördliche Hälfte des Kreises Rendsburg-Eckernförde durchgeführt. Dieses Oversampling konnte allein für die vorhandenen Festnetznummern durchgeführt werden, da eine so feingliedrige Zuordnung von Mobilfunknummern nicht möglich ist. Mit dem Oversampling wurden nochmals 527 Interviews in dem genannten Gebiet, also nördlich der Linie Tönning-Rendsburg-Kiel, realisiert. Insgesamt wurden so im Zeitraum vom 5. Januar bis zum 30. Januar 2015 2.500 Interviews realisiert. Zur Erreichung dieser Interviewzahl wurden, bereinigt um stichprobenneutrale Ausfälle, 11.685 Anwahlversuche unternommen. Aus diesen konnten 21,4 % Interviews realisiert werden (Ipsos 2015, 9). Der Fragebogen eröffnet mit einem Screening auf Zugehörigkeit zur dänischen Minderheit. Wenn diese Zugehörigkeit bei der befragten Person oder einer anderen Person aus dem Haushalt gegeben war, dann wurden Fragen zur Anzahl der Minderheitsangehörigen im Haushalt, zur Nutzung dänischer Schulen, zum Wahlverhalten (Wahlbeteiligung, Recall Bundestagswahl 2013, Landtagswahl 2012) und zur Mitgliedschaft in Minderheitsorganisationen gestellt. Der Fragebogen endet mit wenigen Fragen zur Haushaltgröße und zur Parteiidentifikation (Ipsos 2015, 16-25). Der Datensatz enthält Gewichtungsvariablen zum Ausgleich der Dual-Frame-Vorgehensweise sowie als Ausgleich für das Oversampling in der genannten Region. Alle Analysen wurden mit einem Gewicht berechnet, das beide Effekte ausgleicht (Ipsos 2015, 10-11). 8 Zusammenfassung Die dänische Minderheit in Deutschland ist größer und weiter verbreitet als gedacht. Diese Erkenntnisse können als zentrale Ergebnisse der Untersuchung festgehalten werden. Die beträchtliche Verbreitung der Minderheit auch über das bisher angenommene Verbreitungsgebiet hinaus bis in den Landesteil Holstein und sogar noch weiter nach Süden, bis in die Hansestadt Hamburg, ist so bisher nicht vermutet worden. Die Zugehörigkeit von Familien zur Minderheit teilt 12 sich in drei Gruppen, 26 % gehört seit einer Generation der Minderheit an, 41 % seit zwei Generationen und 28 % länger. Der SSW spielt für die Angehörigen der Minderheit eine wichtige Rolle als Mittel der Interessenvertretung im Parteiensystem, es gibt aber auch viele Minderheitsangehörige, die andere Parteien wählen. Insgesamt 16 % der von uns befragten Personen, die sich selbst als der dänischen Minderheit zugehörig beschreiben und die in Schleswig-Holstein leben, gaben an, dass sie weder den SSW wählen, noch eigene Kinder auf einer dänischen Schule haben, noch in einer Minderheitsorganisation oder einem Minderheitsverein Mitglied sind. Gleichwohl gibt es bei diesen Personen Gründe, sich der Minderheit zugehörig zu fühlen. Den Bonn-Kopenhagener Erklärungen zufolge ist das Bekenntnis zur dänischen Minderheit frei. Das bedeutet letztlich: Zur Minderheit gehört, wer sich der Minderheit zugehörig fühlt. Gründe dafür müssen nicht angegeben und dürfen erst recht nicht von staatlicher Seite erfragt werden. Unsere Daten zeigen, dass dieser Grundsatz gelebt wird. Angehöriger der dänischen Minderheit ist man nicht nur, wenn man sein Kind in eine dänische Schule schickt, die Partei der Minderheit wählt oder in Minderheitenvereinen organisiert ist. Es kann offenbar vielerlei Gründe und Wege geben, sich als Mitglied der dänischen Minderheit im Norden Deutschlands zu verstehen. Diese Situation dürfte auch einer der zentralen Gründe dafür sein, dass die bisherigen Schätzungen der Größe der Minderheit durch die Minderheitenorganisationen und -vereine eher konservativ sind, die tatsächliche Größe der dänischen Minderheit also unterschätzen. 13 9 Literaturverzeichnis Bundesrepublik Deutschland (BRD) (1955): "Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland" [Anm. des Verfassers: Bonner Erklärungen über die allgemeinen Rechte der dänischen Minderheit]. Edinger, Florian (2014): „Verfassungsmäßigkeit der Befreiung des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) von der Fünf-Prozent-Klausel. Zum Urteil des SchleswigHolsteinischen Landesverfassungsgerichts vom 13. September 2013“. In: ZParl, 45. Jg., H. 2, S. 467-489. Ipsos Public Affairs (2015): "Wahlabsicht dänischer Minderheiten. Methodenbericht". URL: http://www.wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/sowi/politik/methoden/Methbericht_IPSOS _DDG_SH_20150209_.pdf (zuletzt abgerufen am 25.3.2015). Schaefer-Rolffs, Adrian (2014): "Minority Politics in Practice: Protection and Empowerment in the Danish-German Border Region". In: Federica Prina (ed.): Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe. Special Issue - National Minorities between Protection and Empowerment. Flensburg, S. 80-103. Schaefer-Rolffs, Adrian; Schnapp, Kai-Uwe (2014a): "Special politics for minority political participation in the Danish-German border region". In: International Journal on Minority and Group Rights 21 (1), S. 48-71. Schaefer-Rolffs, Adrian; Schnapp, Kai-Uwe (2014b): "Die Umsetzung des Minderheitenschutzes durch politische Partizipation im dänisch-deutschen Grenzland“. In: Europäisches Journal für Minderheitenfragen 2-2014, S. 115-139. Statistikamt Nord (2014): Statistische Berichte Kennziffer: A I 2 - vj 4/13 SH: Bevölkerung der Gemeinden in Schleswig-Holstein 4. Quartal 2013 Fortschreibung auf Basis des Zensus 2011. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein. URL: http://www.statistik-nord.de/uploads/tx_standocuments/A_I_2_vj134_Zensus_SH.xlsx (zuletzt abgerufen am 25.3.2015) 14
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