Der Regierungsrat des Kantons Bern Le Conseil-exécutif du canton de Berne Postgasse 68 3000 Bern 8 www.rr.be.ch [email protected] Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Staatssekretariat für Migration Stabsbereich Recht Queilenweg 6 3003 Bern-Wabern 20. Mai 2015 RRB-Nr: Direktion Unser Zeichen Ihr Zeichen Klassifizierung 605/2015 Polizei- und Militärdirektion 2015.POM.123/DW Nicht klassifiziert Vernehmlassung des Bundes: Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG): Anpassung der Vorlage zur Änderung des Ausländergesetzes (Integration; 13.030) an Art. 121a BV und an fünf parlamentarische Initiativen. Stellungnahme des Kantons Bern Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Der Regierungsrat dankt für die Gelegenheit zur Stellungnahme zur genannten Teilrevision. 1 Grundsätzliches Der Regierungsrat stellt fest, dass im Ausländerrecht in den vergangenen Jahren stetig strengere Regeln für den Erwerb und Verlust eines Aufenthaltstitels sowie zum Familiennachzug eingeführt worden sind. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber seine Bemühungen verstärkt, die Integration der ausländischen Bevölkerung zu fördern. Zwingende Voraussetzung einer jeden AuG- und AsylG-Revision ist indes, dass die verfassungsmässigen Rechte der Ausländerinnen und Ausländer gewahrt bleiben. Der Regierungsrat betrachtet das Reformtempo im Ausländerrecht mit einem kritischen Auge und regt an, zunächst Erfahrungen mit dem geltenden Recht zu sammeln, bevor weitere Revisionsschritte an die Hand genommen werden. Zu der aktuellen Revisionsvorlage nimmt der Regierungsrat eine differenzierte Haltung ein. Die Bestrebungen für eine erleichterte und beschleunigte Integration von vorläufig aufgenommenen Personen werden ausdrücklich begrüsst. Sodann werden im Bereich des Erwerbs und Verlusts eines Aufenthaltstitels sowie beim Familiennachzug gewisse Lücken geschlos- Letzte Bearbeitung: 13.05.2015/Version: 3/Dok.-Nr.: 106902 / Gesctiäftsnummer: 2015.POM.123 Nictit klassifiziert Seite 1 von 4 Der Regierungsrat des Kantons Bern sen, was nachvollziehbar ist. Gewisse Massnahmen im Bereich des Familiennachzugs gehen nach Auffassung des Regierungsrats jedoch über das Ziel hinaus und werden abgelehnt. 2 Familiennachzug Einleitend ist festzustellen, dass die klare Kategonsierung und Hierarchie zwischen einer Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung mit dem vorliegenden Entwurf erheblich in Frage gestellt wird. Ein privilegierter Status bei niedergelassenen Personen wäre kaum noch auszumachen. Sodann stellt sich die Frage, ob das Entfallen des Anspruches auf Familiennachzug zu Personen mit Niederlassungsbewilligung, welche Ergänzungsleistungen (EL) beziehen, als angemessen betrachtet werden kann: Eine ausländische Person, welche nach langjähriger Arbeitnehmerschaft bspw. neben einer Invalidenrente EL bezieht, verliert damit den Anspruch, die Ehepartnerin oder den Ehepartner nachzuziehen. Der Regierungsrat erachtet eine solche Regelung als zu weit gehend. In der Praxis dürfte eine solche Norm einige Personen schwer treffen. Der erläuternde Bericht führt denn auch zutreffend verschiedene Punkte auf, die gegen die parlamentarische Initiative 08.428 sprechen. In der Praxis dürfte sich eine Berechnung des möglichen, zukünftigen EL-Bezuges der nachzuziehenden Person als schwierig erweisen, da zunächst Rentenansprüche (auch ausländische Renten) abgeklärt werden müssen und kein Berechnungswerkzeug analog der SKOS-Richtlinien vorliegt. > Der Regierungsrat beantragt, die Artikel 43 Abs. 1 Bst. d sowie 44 Abs. 1 Bst. d VEAuG zu streichen. Überdies führt Absatz 1 von Artikel 43 VE-AuG betreffend den Familiennachzug zu Personen mit Niederlassungsbewilligung im Zusammenhang mit dem erläuternden Bericht vom Februar 2015 zu Unsicherheiten: Fraglich ist, welche Person(en) mit dem in Bst. a, c, d und e erwähnten „sie" gemeint ist. Grundsätzlich wird bei Art. 43 AuG, sowie bei den verwandten Artikeln 44, 45 und 51 AuG die nachzuziehende Person angesprochen. Im erläuternden Bericht vom Februar 2015 wird auf Seite 21 betreffend Bst. d Folgendes erwähnt: „[...] dass für Personen mit Niederlassungsbewilligung der Familiennachzug ebenfalls ausgeschlossen sein soll, wenn sie Ergänzungsleistungen beanspruchen." Diese Aussage lässt dagegen darauf schliessen, dass die niedergelassene Person angesprochen ist. > Der Regierungsrat ersucht im Sinne eines Eventualantrags, diese Unklarheit zu bereinigen. Mit den vorgeschlagenen Änderungen im Art. 63 Abs. 2 AuG soll gestützt auf Pa. Iv. 08.450 das AuG so angepasst werden, dass die Behörden eine Niederlassungsbewilligung bei dauerhafter und erheblicher Sozialhilfeabhängigkeit jederzeit widerrufen können. Die vorgeschlagene Streichung von Art. 63 Abs. 2 AuG würde bedeuten, dass eine Niederlassungsbewilligung auch nach mehr als 15 Jahren widerrufen werden kann. Dieser Ansatz widerspricht dem von Bund und Kantonen angestrebten Stufenmodell mit Anreiz der Erteilung der Niederlassungsbewilligung bei guter Integration und ist deshalb abzulehnen. Der Regierungsrat vertritt die Ansicht, dass Rechtssicherheit und ein stabiler ausländerrechtlicher Status zentrale Voraussetzungen für den Integrationsprozess sind. In jedem Fall müssen Gründe und Umstände des Sozialhilfebezuges berücksichtigt werden. Ebenso sollten die reellen Chancen auf dem Arbeitsmarkt für die betroffene Person in die Be- Letzte Bearbeitung: 16.02.2015/Version: 1 /Dok.-Nr.: 52146 / Geschäftsnummer 2015.POM.123 Nicht klassifiziert Seite 2 von 4 Der Regierungsrat des Kantons Bern urteilung einfliessen. Auch das Kindeswohl muss stets im Auge behalten werden, z.B. bei Wegweisung einer Familie mit Kindern, welche in der Schweiz geboren sind und sich beinahe im Jugendalter befinden und keine andere Heimat kennen. > Der Regierungsrat beantragt die Streichung von Art. 63 Abs. 2 AuG. Zuletzt muss für die Uberprüfung des allfälligen Bezuges von EL mit einem behördlichen Mehraufwand gerechnet werden. > 3 Der Regierungsrat lehnt eine weitere Lastenverschiebung auf die Kantone ab. Er beantragt, dass der Bund die personellen und finanziellen Folgen für die Kantone offenlegt und entschädigt. Erwerbstätigkeit von vorläufig aufgenommenen Personen Der Regierungsrat begrüsst die Aufhebung der Sonderabgabe auf Erwerbseinkommen von vorläufig Aufgenommenen. Diese Änderung erleichtert die Integration dieser Personen und dürfte Minderausgaben bei der Sozialhilfe zur Folge haben. Ebenso erachtet der Regierungsrat die einheitliche Regelung der Erwerbstätigkeit von vorläufig aufgenommen Personen und die damit verbundene Stärkung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit als positiv. Er erhofft sich, dass mit der Umwandlung des Bewilligungsverfahrens in ein Meldeverfahren vor allem die Hürden bei ausserkantonalen Anstellungen geschlossen werden können. Des Weiteren darf angenommen werden, dass die Anstellung von Personen des Asylbereichs für Arbeitgeber attraktiver wird und so das Potential dieser Personen besser genutzt werden kann. > Im Übrigen regt der Regierungsrat an, die Voraussetzungen für den Stellenantritt anerkannter Flüchtlinge analog jener der vorläufig Aufgenommenen anzupassen (Art. 65 VZAE). Abschliessend weist der Regierungsrat darauf hin, dass nicht nur administrative Hürden die Arbeitsmarktintegration von VA/FL erschweren. Wie verschiedene Studien belegen, spielen individuelle Faktoren ebenfalls eine wichtige Rolle: ungenügende Sprachkenntnisse, eingeschränkte Grundkompetenzen, Mangel an beruflicher Qualifikation oder Nichtanerkennung der Qualifikation des Heimatlandes in der Schweiz, geringe oder keine Erfahrung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt, sowie gesundheitliche und soziale Aspekte. Bei dieser Ausgangslage ist es wichtig, nicht nur in Massnahmen zur Arbeitsmarktintegration zu investieren, sondern auch in die vorgelagerten Abklärungsarbeiten. Eine sorgfältige Standortbestimmung stellt den ersten Schritt einer langfristigen und nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt dar. Eine effektive und individualisierte Unterstützung dieser Personengruppe bei der Integration in den Arbeitsmarkt ist unerlässlich. Der Bund zahlt den Kantonen seit 2014 im Rahmen der Programmvereinbarungen zu den kantonalen Integrationsprogrammen (KIP) eine jährliche Integrationspauschale. Im Hintergrund ist nach wie vor die frühere Berechnung wirksam, die von einer einmaligen Pauschale von rund CHF 6'000.- pro Person, die als Flüchtling anerkannt oder vorläufig aufgenommen wird, ausgeht. Dieser Pauschalbetrag hat sich in der Praxis als völlig unzureichend erwiesen, das gilt umso mehr, als sich in den letzten Jahren die typischen Herkunftsländer der unter Schutz gestellten Personen verändert haben. Die Erfahrungen im Kanton Bern zeigen, dass im Durchschnitt allein für die Intensivsprachförderung mit Kosten in der Höhe von rund CHF Letzte Bearbeitung: 16.02.2015/Version: 1 / Dok.-Nr: 52146 / Geschäftsnummer: 2015.POM.123 Nicht klassifiziert Seite 3 von 4 Der Regierungsrat des Kantons Bern 8'000.- pro Person zu rechnen ist. Hinzu kommen Ausgaben für individuelle Begleitmassnahmen/ Coaching sowie spezifische Massnahmen zur Aus-, Weiter- und Nachholbildung. Zum Vergleich: Das Staatssekretariat für Migration SEM stellt im Rahmen des Pilotprojekts Resettlement für Integrationsmassnahmen CHF 20'000.- pro Person zusätzlich zur Verfügung. > Vor diesem Hintergrund erachtet der Regierungsrat eine substanzielle Erhöhung der Integrationspauschale als zwingend erforderlich. Der Regierungsrat dankt Ihnen für die Berücksichtigung seiner Anliegen. Freundliche Grüsse Im Namen des Regierungsrates Die Präsidentin arbara Egg^r^/enzer/ Der Staatsschreiber Christoph Auer Zur Kopie (per Mail) • [email protected] • [email protected] Verteiler • Volkswirtschaftsdirektion • Gesundheits- und Fürsorgedirektion • Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion • Finanzdirektion • Staatskanzlei Letzte Bearbeitung: 16.02.2015 / Version:1 / Dok.-Nr.: 52146 / Geschäftsnummer: 2015.POM. 123 Nicht klassifiziert Seite4von4
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