Briefe an die Herausgeber SEI TE 8 · S A M S TAG , 2 5 . A P R I L 2 0 1 5 · N R . 9 6 Fürsorgepflicht des Staates Zu „Schutzraum in Gefahr“ von Reinhard Müller (F.A.Z. vom 14. April): Die Wohnung nach Paragraph 13 Grundgesetz ist ein staatlich geschützter Raum. Das Recht auf Wohnung, das Recht auf Bleibe, das Wohnrecht, das Hausrecht, alle diese gesetzlichen Vorschriften dienen der Entfaltung der Persönlichkeit und auch dem Sicherheitsbedürfnis besonders der Alten und Behinderten. Bei der Häufigkeit der Wohnungseinbrüche, die zum Teil eine Aufklärungsquote von unter zehn Prozent haben, wird also insgesamt eine Vielzahl von demokratischen Grundrechten tangiert. Der Staat muss handeln – präventiv handeln – und kann die Einbruchsverhinderung nicht allein auf die Opfer und Betroffenen abladen. Die Verbarrikadierung der Wohnungen, Türen und Fenster, die elektronische Überwachung schafft allein keine vermehrte Sicherheit, wenn nicht auch das Risiko für den Straftäter, für den Einbrecher direkt und indirekt erhöht wird. Verbesserte Aufklärung, höhere Strafen, schnellere Urteile, mehr Polizeipräsenz, verstärkte Grenzkontrollen sind notwen- dig, um die resultierende Demokratiegefährdung aufzufangen. Es ist nicht hinzunehmen, dass man durch den Wohnortswechsel in der Bundesrepublik aufgrund der föderalen Strukturen sich unter Umständen ein sechsfach höheres Einbruchsrisiko einhandelt! Noch nie haben die Bürger so viel Steuern an den Staat bezahlt. Der Staat ist verpflichtet, seine gesetzlich niedergelegten Garantien einzuhalten. Wenn der Staat nicht dazu fähig ist, muss das Gewaltmonopol, das ihm die Bürger gegeben haben, wieder an diese zurückgehen. Ein Einbruch in eine Privatwohnung ist mehr als nur das Entwenden von Gegenständen, es ist ein Eindringen in die Privatsphäre mit zum Teil dramatischen jahrelangen Folgen für die Opfer. So reichen zinsgünstige Darlehen für bauliche Maßnahmen als halbgesetzlich vorgeschriebener Einbruchschutz bei weitem nicht aus. Die Fürsorgepflicht des Staates und auch der Länder wird von den Bürgern zu Recht eingefordert. PROFESSOR DR. DR. FELIX-RÜDIGER G. GIEBLER, FRIEDRICHSTADT Deutsch – zu elitär und bürgerlich in Frankreich Der Bericht von Michaela Wiegel „Kampf dem Elitären! – Frankreich kürzt den Deutschunterricht“ (F.A.Z. vom 16. April) ist bedeutungsvoll. Der französischen Bildungsministerin sind die Klassen mit intensivem Deutschangebot zu elitär und zu beliebt bei Eltern aus dem Bürgertum. Sie sollen eine soziale Ungleichverteilung an den Mittelschulen hervorrufen. Hier wird Sozialpolitik mit Bildungspolitik durcheinandergeworfen. Auch Latein- und Altgriechischunterricht stehen zur Disposition, sie sind ebenfalls „zu elitär“. Wenn ich „elitär“ mit „wertvoll“ gleichsetze, dann ist dieser Begriff positiv zu bewerten. Was soll am Erlernen einer Fremdsprache elitär sein? Will sich die französische Bildungspolitik mit Begriffen wie Masse und, oder Durchschnitt her- vortun? Will sie vielleicht in einem weiteren Reformschritt ernsthaft ihre (Elite-)Universitäten schließen, weil sie elitär sind? Das Wort „elitär“ erinnert mich an das deutsche Unwort eines früheren Jahres: Alternativlos! Es ist vergleichbar. Auch in Frankreich gilt bedauerlicherweise, dass die Bürokratie die Kunst ist, welche das Mögliche unmöglich macht: C’est dommage! Ich habe in der Schule neben Englisch auch zwei phantastische Fremdsprachen – Französisch und Lateinisch – gelernt und würde mich deswegen niemals als elitär bezeichnen lassen. Muss ich mich als Deutscher nach der aktuellen Maßgabe einer französischen Bildungsministerin so fühlen? – Sicherlich nicht! GERHARD HINZ, GONDELSHEIM F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Narzissmus Blickkontakt mit dem Piloten Zu „Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer“ (F.A.Z. vom 20. April): Die wahre Tragik des Flüchtlingssterbens im Mittelmeer wird erst deutlich, wenn man es vor dem Hintergrund des europäischen und insbesondere des deutschen Narzissmus sieht. Man empört sich über skandalöse Arbeitsbedingungen in Bangladesch und überzüchtet die deutsche Arbeitsstättenverordnung. Man beklagt die Armut in der Dritten Welt und macht sich mit der Rente ab 63 in Deutschland beliebt. Man bedauert verschmutztes Trinkwasser in Afrika und führt in Europas Städten unnütze Umweltzonen ein. Man hat nicht genug Kräfte, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten, und stellt in Deutschland 1600 Mindestlohnkontrolleure ein. Wir subventionieren beliebige Öko- und andere Liebhabereien und fragen uns nicht, wie viele Brunnen, Schulen und Krankenhäuser wir davon in Afrika hätten bauen können. Wissen wir überhaupt noch, was wichtig ist in unserer Welt? Allein mit verschärftem Vorgehen gegen die kriminellen Schlepperbanden wird sich der – auch während europäischer Versäumnisse – über Jahrzehnte angeschwollene Verelendungsprozess in Afrika nicht stoppen lassen. Was die Welt, was vor allem Europa braucht, ist ein verbindliches Hilfsversprechen, eine Agenda 2050 für Afrika. Dort jetzt mit politischem Einsatz, Kreativität, viel Personal und natürlich auch Geld zu investieren ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit. Sondern die einzige Chance, dass uns die inzwischen eruptive Situation nicht schon bald über den Kopf wächst. Zum Beitrag von Rainer M. Holm-Hadulla „Der kalte Hass des Narzissten“ (F.A.Z. vom 13. April): Es ist gut, wenn sich Psychotherapeuten mit ihrer speziellen Kompetenz in die Diskussion um den von Andreas Lubitz herbeigeführten Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine einmischen. Selbst seit vielen Jahren als Psychoanalytiker tätig, finde ich es richtig, dass die Diagnose der „Depression“, die so schnell in der veröffentlichten Meinung kursierte, aufgegeben wird. Es stimmt, dass depressive Menschen eher nicht zu Gewalt neigen. Holm-Hadulla hat recht, die Aggression geht hier nach innen. Mich beschleicht aber ein unangenehmes Gefühl, wenn, wie in früheren Fällen auch, Experten über eine Diagnose streiten, bei jemandem, den sie selbst nie gesprochen haben und auch nicht mehr werden sprechen können. Diagnosen der Persönlichkeit sind eine wacklige Angelegenheit. Aus der Ferne erst recht. Diagnosen zu stellen bei Menschen, die man nicht kennt, bringt schnell in die Nähe der Kaffeesatzleserei. Mir erscheint praktisch hilfreicher, nicht nur die Person, sondern die Situation anzuschauen. Aus der Sozialpsychologie weiß man, dass Ausübung von Gewalt von mehreren zusammengehörigen Faktoren bestimmt wird: Es braucht einen entschlossenen Täter mitsamt technischen Möglichkeiten, ein schwaches Opfer, das nicht entkommen kann, und die Abwesenheit von anderen Menschen, die kontrollierend, also gewaltverhindernd, eingreifen könnten. Diese Faktoren reichen jedoch noch nicht. Es muss auch etwas fehlen: Blickkontakt. Dieses mikrostrukturelle Element, das die Ausübung von Gewalt erheblich erschwert, versuchen alle Tötungsrituale deshalb auszuschalten, indem man Opfern etwa eine Kapuze überstreift. Beim Einstieg in ein Flugzeug wird man von Steward und Stewardess mit einem professionell-charmanten Lächeln begrüßt. Wie, wenn Pilot und Kopilot, nach Abschluss ihrer Checks im Cockpit, dort DR. HARTMUT KNIGGE, CELLE ! Von den vielen Zuschriften, die uns täglich erreichen und die uns wertvolle Anregungen für unsere Arbeit geben, können wir nur einen kleinen Teil veröffentlichen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie Kritik oder Zustimmung enthalten. Oft müssen wir kürzen, denn möglichst viele Leser sollen zu Wort kommen. Wir lesen alle Briefe sorgfältig und beachten sie, auch wenn wir sie nicht beantworten können. stünden und ihre Fluggäste mit Blick in die Augen begrüßen? Das Vertrauen der Fluggäste wäre nicht mehr „blind“, sondern hätte eine Wirkung auf die während des Fluges verantwortlichen Personen. Wir verhalten uns in vielerlei Hinsicht synchron und resonant. Man nickt sich zustimmend zu, äußert zustimmende Hörersignale, passt sehr schnell Sprechrhythmus einander an und lacht sogar oft genug im gleichen Takt. Man versichert sich gleichsam, „auf der gleichen Spur“ zu sein. Das hat pazifizierende Wirkung. Aus solcher Rhythmisierung und Synchronisation entsteht ein emotionales Feld, und das gilt auch für den Augenblick. Wo solche Verbundenheit entstanden ist, ist die Schwelle zur Gewaltausübung erhöht; die verriegelte Tür ist nicht nur technische Ermöglichung der unsäglichen Tat, sondern hat auch emotional-symbolische Bedeutung – nicht mehr am emotionalen Feld beteiligt zu sein. Alles, was dessen Aufbau fördert, hat deshalb Anti-Gewalt-Wirkung. Neben der Begrüßung durch die Piloten selbst, nicht nur durch das Kabinenpersonal, könnte auch überlegt werden, die Gruppenkohäsion der Besatzungen zu erhöhen. Ich weiß aus ein paar wenigen persönlichen Gesprächen, wie schnell Besatzungsmitglieder wechseln, und wo das so ist, nimmt Einsamkeit und Entfremdung zu. Vielleicht kann eine Arbeitsorganisation gefunden werden, dass Besatzungen längere Zeit zusammen fliegen? Noch ein Punkt: Es sind oft nicht Experten, die um ein Risiko-Mitglied wissen, sondern die anderen Mitglieder des emotionalen Umfeldes, wenn nur ein solches Feld erst entstanden ist. Wenn eine Flugzeugbesatzung sich kennt, halbwegs vertraut miteinander ist in diesem hochprofessionellen beruflichen Rahmen, könnte hier eine Chance entstehen. Dass Sicherheit nicht vollumfänglich garantiert werden kann, versteht sich von selbst. PROFESSOR DR. MICHAEL B. BUCHHOLZ, INTERNATIONAL PSYCHOANALYTIC UNIVERSITY, BERLIN Die in der Tellux-Gruppe verbundenen Produktionsgesellschaften für Film und Fernsehen trauern um Otto Erich Kress * 11. Dezember 1926 † 17. April 2015 Wir verlieren unseren Initiator, den spiritus rector, der mit leidenschaftlichem Engagement und in besonderer politischer und kirchlicher Verantwortung unsere Unternehmen in Berlin, Dresden, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und Wiesbaden motiviert und gelenkt hat. Er war bis zuletzt mit seiner journalistischen, künstlerischen und wirtschaftlichen Kompetenz als väterlicher Freund an unserer Seite. In großer Dankbarkeit! Der Trauergottesdienst findet am Donnerstag, dem 30. April 2015, um 15.00 Uhr in St. Bernhard, Königin-Luise-Str. 33, 14195 Berlin, statt. Die Urnenbeisetzung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt im engsten Familienkreis. Der Tod unseres Vaters in Buchenwald, der Verlust der Heimat am Kyffhäuser und ihr steter Kampf ums Überleben haben ihr Dasein 70 Jahre lang geprägt. In Schönem suchte sie innere Ruhe. Giesela Erche-Wiersdorff geb. Wiersdorff Diplom-Übersetzerin * 19. Mai 1931 in Voigtstedt in der Goldenen Aue † 20. April 2015 im Maximilianstift in Maxdorf Wir trauern um Gilla, unsere Schwester, Schwägerin und Tante Dietlind Fredebold, geb. Wiersdorff und Dr. Walter Fredebold und Familien Dr. Walter-Wielant Wiersdorff und Ursula Wiersdorff, geb. Weinknecht und Familien Dietlind Fredebold, Am Pfingsberg 67, 40882 Ratingen Dr. W.-W. Wiersdorff, Blockfeldstraße 15, 67112 Mutterstadt Wir blicken Dir nach und wissen Dich ganz nah O TTO ERICH K RESS * 11. 12. 1926 † 17. 4. 2015 In Liebe und Dankbarkeit Christa Kress Dr. Celina Kress und André Rehse mit Jack und May Nadina und Andreas von Studnitz Traueranzeigen und Nachrufe Der Trauergottesdienst findet am Donnerstag, 30. April 2015, um 15.00 Uhr in der Kirche St. Bernhard, Königin-Luise-Straße 33, 14195 Berlin-Dahlem, statt. Die Urnenbeisetzung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt im engsten Familienkreis. Ihre Spende hilft unheilbar kranken Kindern! www.kinderhospiz-bethel.de Auskünfte und Beratung unter: Telefon (069) 75 91-22 79 Telefax (069) 75 91-80 89 23 · E-Mail: [email protected] Alle Anzeigen und Informationen auf www.lebenswege.faz.net Suizidhilfe In seinem Artikel „Wissen sie, was sie tun? – Strafrechtslehrer setzen sich für freie Sterbehilfe ein“ (F.A.Z. vom 18. April) reflektiert Oliver Tolmein die „Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe“, die in derselben Zeitung ein paar Tage vorher (F.A.Z. vom 15. April) vorgestellt worden war. Er bemängelt in der Resolution eine mangelnde Differenziertheit der Argumentation. Leider ist auch Tolmein unzulässig verallgemeinernd, wenn er über die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) als Organisation spricht, die „sich auch für eine begrenzte Freigabe der Tötung auf Verlangen“ einsetze. Es ist nicht richtig, dass sich die DGHS für eine begrenzte Freigabe der Tötung auf Verlangen einsetzt. Diese Handlung, umgangssprachlich „aktive direkte Sterbehilfe“, ist nach Strafgesetzbuch Paragraph 216 verboten und wird mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug geahndet. Die DGHS setzt sich nicht für eine Lockerung oder Ausnahmeregelungen dieses Paragraphen ein. Die amtierende Präsidentin der DGHS, Elke Baezner, wirbt für das Schweizer Modell, angepasst an deutsche Verhältnisse, das heißt, dass Ärzte in der (nicht verbotenen) Suizidhilfe tätig sein können und es berufsrechtlich dürfen. Patienten sollen neben einer bestmöglichen Palliativ- und Hospizversorgung die Wahlfreiheit und die Möglichkeit zum ärztlich begleiteten Suizid haben dürfen. Eine Verschärfung des Strafrechts durch einen Paragraphen 217 als „Verbot der gewerbsmäßigen, organisierten und geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung“ würde diese Wahlfreiheit einschränken und Vereine sowie tätige Ärzte kriminalisieren. Die DGHS lehnt jede strafgesetzliche Verschärfung ab und wirbt für eine Änderung im Arznei- und Betäubungsmittelgesetz, um die Verwendung geeigneter Wirkstoffe für die Suizidhilfe zu ermöglichen. WEGA WETZEL, DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS), BERLIN
© Copyright 2024 ExpyDoc