3. AUFFÜHRUNGSABEND S AI SO N 2014 2 015 M O N TAG 2 0 . 4 .15 2 0 U H R I SEMPEROPER DRESDEN 3. AUFFÜHRUNGSABEND Andres Mustonen Dirigent Sabine Kittel Flöte Christian Dollfuß Klarinette Antonio Rosetti (U M 17 5 0 -17 9 2) Sinfonia g-Moll Murray RWV A42 1. Vivace 2. Menuet fresco. Allegretto – Trio 3. Andante ma Allegretto 4. Finale. Capriccio. Allegro scherzante Sofia Gubaidulina (*19 31) »Warum?« für Flöte (auch Bassflöte), Klarinette (auch Bassklarinette) und Streichorchester (2014) DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG Gemeinsamer Auftrag der Musikfestivals Emilia Romagna, Ljubljana, Ravello und der Kanarischen Inseln, des Festival Pianistico di Brescia e Bergamo, der Fondazione Arena di Verona, der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Amsterdam Sinfonietta mit Unterstützung der Eduard van Breinum Stiftung PAU S E Franz Schubert (17 9 7-18 2 8) Symphonie Nr. 2 B-Dur D 125 1. Largo – Allegro vivace 2. Andante – Variationen I-V 3. Menuetto. Allegro vivace – Trio 4. Presto vivace ZUM PROGRAMM ANTONIO ROSETTI SINFONIA G-MOLL RWV A42 Schon zu Lebzeiten Antonio Rosettis gab es große Verwirrungen und Verwechslungen seine Person und seinen Namen betreffend. Ob der in Litoměřice am Zusammenfluss von Elbe und Eger gebor ene böhmische Komponist eigentlich als Anton Rös(s)ler zur Welt kam und sich einen Künstlernamen aneignete oder ob er schon immer Antonio Rosetti hieß, dazu gibt es in der Wissenschaft geteilte Meinungen. Um sich ganz der Musik widmen zu können, entsagte Rosetti dem für ihn vorgesehenen geistlichen Stand, war zunächst »Musicus des Grafen Orlow« in Russland und wurde dann in den Dienst des musikliebenden Grafen Kraft Ernst zu Oettingen-Wallerstein in Bayern aufgenommen. Dort schrieb er seine ersten Kompositionen für den Hof und für auswärtige Auftraggeber. Nicht nur über die Grenzen Süddeutschlands hinaus machte er sich in dieser Zeit einen Namen, auch international war er erfolgreich. In den Pariser »Concerts spirituels«, in deren Auftrag er einige Symphonien komponierte, waren seine Orchesterwerke fester Bestandteil, ab 1785 etablierten sich seine Stücke auch in den großen Londoner Konzertreihen. Der englische Musikhistoriker Charles Burney nannte Rosetti in einem Atemzug mit Haydn und Mozart. Der Dichter, Komponist und Gelehrte Christian Friedrich Daniel Schubart bescheinigte seinen Werken »Grazie und Schönheit« von »unendlich feiner Natur«. Rosettis Sinfonia in g-Moll von 1787, in Wallerstein verfasst, stellt den Höhepunkt seines Symphonieschaffens dar. Wie auch seine weiteren Spätwerke zeichnet sie sich – die einzige Symphonie in Moll überhaupt – durch reiche Harmonik, packende melodische Erfindung und Expressivität aus. Besetzung: Flöte, 2 Oboen, Fagott, 2 Hörner, Streicher // Dauer: ca. 17 Minuten SOFIA GUBAIDULINA »WARUM?« »Warum?« – mit dieser Frage betitelte Sofia Gubaidulina ihr 2014 in Partitur gesetztes Werk für Soloflöte, Soloklarinette und Streichorchester. Das Stück ist eine Auftragskomposition für verschiedene europäische Festivals und Institutionen, darunter auch die Sächsische Staatskapelle, der Sofia Gubaidulina in dieser Spielzeit als Capell-Compositrice eng verbunden ist. Die russische Künstlerin selbst äußerte sich ausführlich über die kompositorischen Hintergründe von »Warum?«: »Eine wichtige Rolle in diesem Werk spielt die Frage nach der Ursache von Schmerz. In diesem Sinn führt die gesamte Entwicklung des Werkes zum Drama der Intervallbeziehungen, insbesondere zur Unvereinbarkeit der Intervalle große Sekunde und kleine Sekunde. Im Wesentlichen ist das Werk ein Drama, das aus dieser Unvereinbarkeit entsteht. Diese beiden ›Intervallpersonen‹ entstehen aus dem Klang eines vibrierenden Unisono. Beide beeinflussen die gesamte klangliche Entwicklung des Werkes und beide nehmen teil an der ›Konvergenz‹ der Klangmassen im Unisono, diesem fundamentalen Zustand der Materialwelt, der Anfang und Ende in sich vereint. Das Werk weist eine Variationsform auf. Allerdings geht es dabei nicht um Variationen über ein Thema, sondern um Variationen über bestimmte Ereignisse: die Formulierung einer Frage oder das Drama ihrer Wiederkehr oder die gesamte Veränderung der Klangsituation, aus der solche Fragen entstehen. Und schließlich führt die Entwicklung dieser Ereignisse zu einer maximalen Spannung des Klangzustands. Diese Spannung erweist sich am Ende als Kehrseite der maximalen Statik – des vibrierenden Unisono, mit dem das Werk begann.« Die beiden Solisten spielen je zwei Instrumente im Wechsel und führen ein kontrastreiches, intensives, mitunter gegenläufiges »Gespräch« mit den 20 Streichern des Orchesters, deren Ensembleklang in einigen Passagen in lauter Einzelstimmen aufgefächert ist. In der ersten Hälfte scheint die gesuchte Antwort fast gefunden: Drei volle, leuchtende Dur-Dreiklänge verleihen dem Werk ein friedliches Moment. Doch die Suche wird wieder aufgenommen, ohne einen Abschluss zu finden. Besetzung: Flöte (auch Bassflöte), Klarinette (auch Bassklarinette), Streicher Dauer: ca. 30 Minuten FRANZ SCHUBERT SYMPHONIE NR. 2 B-DUR D 125 Als Franz Schubert die Arbeit an seinen frühen Symphonien aufnahm, geschah dies unter dem Eindruck der maßstabsetzenden Werke Haydns, Mozarts und Beethovens. Die ersten drei seiner Symphonien waren mit einiger Wahrscheinlichkeit für das k.k. Stadtkonvikt in Wien bestimmt, das Schubert selbst als Schüler besucht hatte. 1813 verließ er das Konvikt, die zwischen Dezember 1814 und März 1815 geschriebene Symphonie Nr. 2 widmete er dem langjährigen Direktor Innocenz Lang. Uraufgeführt wurde das Werk vermutlich durch eben jenes Konviktorchester, die erste bestätigte öffentliche Aufführung fand jedoch erst Jahrzehnte später am 20. Oktober 1877 in London statt, initiiert vom englischen Musikschriftsteller und Schubert-Forscher George Grove. Ein britisches MusikJournal schrieb zu dieser eigentlichen Uraufführung, die Symphonie sei »zweifellos von allen, die sie hörten, mit Interesse aufgenommen (worden) – seien es Verehrer Schuberts oder Personen, die noch darüber streiten, welcher Platz auf der Rangliste der musikalischen Genies ihm nun genau zuzuordnen ist«. Der Einfluss der Vorbilder Schuberts ist hörbar, und doch stellt der junge Komponist in diesem Werk seinen eigenen Stil heraus. Der erste Satz mit seiner langsamen Einleitung fällt durch seine Ausdehnung und die an eine Durchführung erinnernde Verarbeitung des Hauptthemas schon in der Exposition auf. Es folgen ein liedhaft lyrisches Andante in Variationsform und ein Menuett, das aufgrund des raschen Tempos eher den Charakter eines Scherzos besitzt. Den Schluss bildet ein voranpreschendes Presto, das zusammen mit dem Anfangssatz die Binnensätze lebhaft einrahmt. Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher // Dauer: ca. 30 Minuten C L A R A - M I CH A L S T EI N AU SOFIA GUBAIDULINA C A P E L L - C O M P O S I T R I C E 2 014 / 2 015 D E R S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N S ie gilt als eine der großen »Stimmen« in der zeitgenössischen Musik: Sofia Gubaidulina, in dieser Saison Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle und im September vergangenen Jahres auch prominenter Gast der Schostakowitsch-Tage in Gohrisch. Ihre Ausnahmestellung ist an den unzähligen Kompositionsaufträgen durch namhafte Institutionen, an den vielen Einspielungen ihrer Musik durch renommierte Künstler und an der schier endlosen Reihe von Ehrungen ablesbar – eine beeindruckende Karriere, die sich auch durch die äußeren Widerstände und Restriktionen in den Anfangsjahren ihres Schaffens nicht aufhalten ließ. Die sowjetische Kritik begegnete der jungen Sofia Gubaidulina mit Skepsis, Musikfunktionäre tadelten ihre Musik, weil ihr die gesellschaftliche Relevanz fehle. Dies bedeutete nicht nur lange Zeit Ruhm hinter vorgehaltener Hand, sondern auch Diffamierungen, Ausreise- und Aufführungsverbote. Offizielle Anerkennung und öffentliches Interesse blieben der am 24. Oktober 1931 in Tschistopol in der Tatarischen Republik geborenen Künstlerin vorerst versagt. Der internationale Durchbruch gelang ihr 1981 mit der Uraufführung ihres ersten Violinkonzerts »Offertorium« in Wien durch Gidon Kremer. 2011 wurde die Komponistin anlässlich ihres 80. Geburtstags rund um den Globus geehrt: von Moskau bis New York einschließl ich eines mehrtägigen Festivals in Hannover. Typisch für Sofia Gubaidulina ist, dass es in ihren Werken fast immer etwas gibt, das über das rein Musikalische hinausgeht: einen dichterischen Text, ein Ritual, eine instrumentale »Aktion«. In ihre Partituren flossen Elemente östlicher Philosophie ein, sie vertonte alt-ägyptische und persische Dichter, aber auch Lyrik des 20. Jahrhunderts. Ihre tiefe Verbundenheit mit der deutschen Kultur wirkt sich ebenso auf ihr Schaffen aus wie ihre Religiosität – das Komponieren ist für sie ein sakraler Akt. Eine besondere Affinität besitzt sie zur Musik Bachs, was sich in ihrem Sinn für musikalische Formen und Proportionen, in ihrer Vorliebe für Zahlenspiele und -symbolik spiegelt. »Den größten Einfluss auf meine Arbeit«, bekennt Sofia Gubaidulina indes, »hatten Dmitri Schost akowitsch und Anton Webern. Obwohl dieser Einfluss in meiner Musik scheinbar keine Spuren hinterlassen hat, ist es doch so, dass mich diese beiden Komponisten das Wichtigste gelehrt haben: ich selbst zu sein.« DIRIGENT Andres Mustonen ist eine Künstlerpersönlichkeit »der genialischen Sorte«, schrieb die »Welt« über Andres Mustonen, und dies aus gutem Grund: In allem, was der estnische Dirigent und Geiger auf dem Podium tut, spiegelt sich seine ganz eigene künstlerische Perspektive und Denkweise, sei es bei seinen Mahler- oder Schostako witsch-Dirigaten, sei es bei seinen Interpretationen der Wiener Klassik. Die geistliche Musik und die Symphonik stehen im Zentrum seiner dirigentischen Aktivitäten, die geprägt sind nicht zuletzt durch sein Engagement für die Komponisten der Gegenwart. Andres Mustonen studierte an der Musikakademie in Tallinn, umso »unakademischer« aber verlief seine Karriere: In jungen Jahren verschrieb er sich der Avantgarde, ehe er die Alte Musik für sich entdeckte und 1972 das Ensemble »Hortus Musicus« ins Leben rief. Wandte er sich mit seinen Musikern zunächst den Werken vom Mittelalter bis zur Renaissance zu, so schließt das Repertoire heute traditionelle indische, arabische oder jüdische Musik genauso mit ein wie zeitgenössische Kompositionen. Als Dirigent arbeitet Andres Mustonen mit den renommierten Orchestern zusammen, daneben ist er nach wie vor auch als Solist und Kammermusiker im weltweiten Musikleben präsent und tritt u.a. mit dem von ihm gegründeten »Art Jazz Quartet« auf. Vor zwei Tagen dirigierte er in einem Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle in der Frauenkirche die Uraufführung von Sofia Gubaidulinas neuestem Werk »O komm, Heiliger Geist«. SOLISTEN Sabine Kittel Flöte erhielt ihre künstlerische Ausbildung in Dresden bei Johannes Walter und in München bei Paul Meisen, Meisterkurse bei Aurèle Nicolet ergänzten ihre musikalischen Studien. Seit 2000 gehört sie als Solo-Flötistin der Sächsischen Staatskapelle Dresden an, zuvor wirkte sie in derselben Position bei der Dresdner Philharmonie. Sie ging u.a. als Gewinnerin aus dem Carl-Mariavon-Weber-Wettbewerb in München hervor (1991) und wurde mit zweiten Preisen beim Internatio nalen Musikwettbewerb in Budapest (1994) und beim ARD-Wettbewerb in München (1995) ausgezeichnet, zudem ist sie Trägerin des Brüder-BuschPreises (1995). 2008 gründete die Flötistin das »Ensemble Bento«, mit dem sie in der vergangenen Saison auch in den Kammerabenden der Staatskapelle zu erleben war. Als Solistin und Kammermusikerin konzertiert Sabine Kittel in verschiedenen Besetzungen in Europa und Japan. Christian Dollfuß Klarinette absolvierte sein Studium an der Folkwang Hochschule in Essen bei Hans Gutmann, daneben studierte er Kammermusik bei Vladimir Mendelssohn mit dem »Trio Contrasts«. Mit diesem Ensemble nahm er auch eine CD mit Kammermusik des 20. Jahrhunderts auf, darunter Werke von Berg, Krenek und von Einem. Der gebürtige Bochumer spielte als Soloklarinettist im Folkwang Kammerorchester und war bei den Duisburger Philharmonikern und im Gürzenich-Orchester Köln engagiert, ehe er 1998 als Solo-Bassklarinettist in die Sächsische Staatskapelle verpflichtet wurde. Neben seiner Orchestertätigkeit ist er ein gefragter Kammermusikpartner, der mit dem »Trio Contrasts«, dem »Kapellquintett Dresden« und Künstlern wie Myung-Whun Chung, Kit Armstrong oder Paul Rivinius auftritt. Seit 2000 lehrt er als Dozent an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. VORSCHAU 7. Kammerabend M I T T WO C H 2 9. 4 .15 2 0 U H R S E M P ER O P E R D R E S D E N Mitwirkende Dresdner Kapellquintett Jörg Faßmann Violine u.a. Werke von Sofia Gubaidulina, Paul Taffanel, Jürgen Knauer, Maurice Ravel und Franz Berwald 9. Symphoniekonzert S O N N TAG 17. 5 .15 2 0 U H R M O N TAG 18 . 5 .15 2 0 U H R S E M P ER O P E R D R E S D E N Christian Thielemann Dirigent Christian Gerhaher Bariton Richard Wagner »Blick’ ich umher in diesem edlen Kreise« aus »Tannhäuser« Franz Schubert »Der Jäger ruhte hingegossen« aus »Alfonso und Estrella« D 732 Richard Wagner »Wie duftet doch der Flieder« aus »Die Meistersinger von Nürnberg« Franz Schubert »Sei mir gegrüßt, o Sonne« aus »Alfonso und Estrella« D 732 Anton Bruckner Symphonie Nr. 4 Es-Dur »Romantische« Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden Gegründet 1854 als TonkünstlerVerein zu Dresden Verantwortlich: Friedwart Christian Dittmann, Ulrike Scobel und Christoph Bechstein IMPRESSUM Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2014 | 2015 H E R AU S G E B E R Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © April 2015 R E DA K T I O N Dr. Torsten Blaich, Clara-Michal Steinau B I L D N AC H W E I S Priska Ketterer (Sofia Gubaidulina); Arno Saar / Hortus Musicus (Andres Mustonen); Frank Höhler (Sabine Kittel); Matthias Creutziger (Christian Dollfuß). TEXT Der Einführungstext von Clara-Michal Steinau ist ein Originalbeitrag für dieses Heft. G E S TA LT U N G U N D S AT Z schech.net Strategie. Kommunikation. Design. DRUCK Union Druckerei Dresden GmbH Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E
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