Rede von VCI-Präsident Marijn Dekkers auf dem Parlamentarischen

VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE e.V.
Innovationen geben unserer Industrie in Europa
eine Zukunft
Ausführungen von Marijn E. Dekkers
Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie,
auf dem Parlamentarischen Abend des VCI
am 6. Mai 2015 in Brüssel
(Es gilt das gesprochene Wort)
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Sehr geehrte Herren Reul, Geier, Bütikofer und Theurer,
herzlichen Dank für Ihre interessante Bewertung der aktuellen politischen Themen
und die Einblicke in das Seelenleben des Europäischen Parlaments.
Zu Beginn möchte ich einen Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit und die
Innovationsfähigkeit Europas werfen.
Wir alle wissen: Der globale Wettbewerb nimmt zu. Neue Märkte. Bessere
Bildung. Aufstrebende Gesellschaften. Während bei uns die Bevölkerung altert
und schon jetzt Fachkräfte fehlen. Asien und Amerika erleben wieder kräftiges
Wachstum. Unternehmen profitieren dort von niedrigen Preisen für Energie und
Rohstoffe.
Nach einer aktuellen Studie könnte Deutschland bis zum Jahr 2050 beim
Bruttoinlandsprodukt auf Platz 10 in der Welt abrutschen.
Auch andere europäische Länder wie Frankreich oder Italien drohen, zurück zu
fallen. Wenn wir in Europa unseren Wohlstand halten wollen, müssen wir uns
anstrengen. Wir müssen uns verändern. Wir müssen besser werden als bisher.
Vor allem muss die Innovationskraft der europäischen Unternehmen gestärkt
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werden. Innovative Technologien sind unverzichtbar, wenn wir international
mithalten wollen.
Und wenn ich Europa mit anderen Regionen vergleiche, dann gibt es etwas ganz
Wichtiges, das bei uns fehlt: Wir haben keine Kultur für Innovationen. Wir haben
exzellente Universitäten, mit denen unsere Unternehmen gemeinsam forschen.
Wir machen immer noch viele Erfindungen, viele Patente – das ja. Aber bringen
wir die auch schnell genug an den Markt?
Bei uns geht es immer zuerst um die Risiken. Viele Innovationen werden sehr
kritisch gesehen und bekämpft. In der chemisch-pharmazeutischen Industrie
kennen wir diese Widerstände leider besonders gut. Wir arbeiten an Dingen, die
für das Auge unsichtbar sind: Moleküle! Die sind vielen Menschen unheimlich. In
der Regulierung wird dann das Vorsorgeprinzip absolut gesetzt.
Im Bereich der Biozide und Pflanzenschutzmittel etwa wird bei Zulassungen nur
noch die Frage potenzieller Risiken oder Gefahren betrachtet. Auf den Nutzen
dieser Produkte wird nicht geschaut. So wird technischer Fortschritt verhindert.
Der Vorschlag, die Regeln für gentechnisch veränderte Organismen den
Mitgliedsstaaten zu überlassen, entbehrt nicht nur einer wissenschaftlichen
Grundlage. Auch der Binnenmarkt wird gestört. Hier siegt eine Meinung über
Fakten. Das ist für ein aufgeklärtes Europa mehr als bedauerlich.
Meine Damen und Herren,
wir brauchen eine Regulierung mit Augenmaß. Das heißt: Innovationen müssen
auch unter Geltung des Vorsorgeprinzips möglich sein. Deshalb unterstütze ich
die Idee, dem Vorsorgeprinzip ein „Innovationsprinzip“ an die Seite zu stellen. In
die Waagschale der politischen Abwägung sollten nicht nur die Risiken, sondern
auch die Chancen gelegt werden. Die Europäische Kommission hat erkannt, dass
es Europa nicht weiterbringt, wenn kontinuierlich komplexe Vorschriften
geschaffen werden.
Die Kommission nimmt das Thema Better Regulation ernst. Das halte ich für eine
sehr gute Sache! Wir brauchen für die Entscheidungen der EU-Kommission und
des Parlaments eine wissenschaftlich fundierte und vor allem unabhängige
Beratung. Hier bietet sich das Amt des Chief Scientific Advisors an. Ein
unabhängiges wissenschaftliches Gremium, das Innovationen und Technologien
auf Grundlage wissenschaftlicher Fakten beurteilt und einordnet.
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Innovative Ideen müssen nicht nur in Europa erdacht, sondern auch hier zu
marktfähigen Produkten entwickelt werden. Und zwar bevor unsere Konkurrenten
in Asien oder Amerika sie im Eiltempo auf den Markt bringen. Nur so erzeugen wir
einen Return on Investment. Nur so schaffen wir Wachstum, Arbeitsplätze und
Wohlstand.
Für mich lauten daher die entscheidenden Fragen: Wie schaffen wir in Europa mit
seiner großen Tradition der Aufklärung
eine Kultur, in der neue Technologien Wertschätzung erhalten?
eine Kultur, in der Unternehmer- und Erfindergeist beflügelt werden?
eine Kultur, in der Menschen unterstützt werden, die mit neuen Ideen etwas
auf die Beine stellen wollen?
Wenn wir dazu gemeinsame Ideen entwickeln könnten, wäre ich Ihnen besonders
dankbar!
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Meine Damen und Herren,
ich gehe kurz auf drei Themen ein, die als Wettbewerbsrahmen für die chemischpharmazeutische Industrie von großer Bedeutung sind: Handel, Energie- und
Klimapolitik.
TTIP
Die heftige Kritik an einem transatlantischen Handelsabkommen war vor allem
eins: überraschend. Die TTIP-Debatte zeigt: Es fehlt an der Überzeugung, dass
der persönliche Wohlstand von der Stärke der Wirtschaft abhängt. Deshalb
müssen wir immer wieder betonen: Deutschlands Wohlstand verdanken wir
unserer Stärke im Welthandel und der Wettbewerbsfähigkeit unserer
Unternehmen.
Die Kritik offenbart auch ein großes Misstrauen in demokratische Institutionen und
Prozesse. Und leider auch ein Misstrauen in die transatlantische Partnerschaft.
Auch hier wird wieder einseitig auf die Risiken geschaut. Politik und Industrie
haben zu lange die Deutungshoheit über das Abkommen anderen überlassen.
Dabei ist TTIP vor allem eine Chance! TTIP ist ein politisches Zukunftsprojekt von
großer Tragweite. Es ist Europas Chance, die Regeln für den zukünftigen
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Welthandel mitzugestalten. Tun wir es nicht, werden andere Weltregionen dies
bald ohne uns tun.
Ich lade an dieser Stelle ausdrücklich zum Dialog über die Ziele der ChemieIndustrie bei TTIP ein. Und ich versichere Ihnen für die chemischpharmazeutische Branche: Wir wollen durch TTIP keine Absenkung von
Standards bei der Regulierung von Chemikalien erreichen.
Für unsere Branche geht es bei TTIP vor allem um den Zollabbau, den Abbau
nicht-tarifärer Handelshemmnisse und die Belebung der Gesamtkonjunktur. Und
es geht um Verbesserungen für unsere Kunden und Patienten.
Ein Beispiel aus der Pharma-Industrie ist die regelmäßige Kontrolle von Anlagen,
in denen Medikamente produziert werden. Dabei wird die Einhaltung der
sogenannten „Guten Herstellungspraxis“ (Good Manufacturing Practice) überprüft.
Und zwar durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) und
auch durch die European Medicines Agency (EMA). Es gibt Schätzungen, nach
denen Inspektoren bis zu 40 Prozent der Betriebszeiten in der Anlage sind. Diese
Inspektionen sind für die Unternehmen sehr aufwändig.
Beide Behörden legen vergleichbar hohe Maßstäbe an – eine Vereinheitlichung
der Inspektionsprozeduren wäre daher sinnvoll und möglich. Dies würde die
Hälfte der Inspektionen überflüssig machen, ohne dass Einbußen bei der
Prüfungsqualität zu befürchten wären.
Die EU und die USA sollten in den laufenden TTIP-Verhandlungen vereinbaren,
auch bei den zukünftigen Chemikalien-Regulierungen zusammenzuarbeiten.
Bei neuen, ungeregelten Themen kann so künftig ausgelotet werden, ob man
Ziele und Vorgaben gemeinsam erreichen kann – bevor man Fakten schafft.
Diese Zusammenarbeit bei Regulierungen ist keine Bedrohung für demokratische
Prinzipien. Am Ende entscheiden immer noch die Parlamente – und zwar völlig
frei und unabhängig voneinander.
Wir sollten daher gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir müssen offen über die
Inhalte und die Chancen von TTIP reden, aber auch die Grenzen eines
Abkommens darlegen. Wirtschaft und Politik müssen klar und offen
kommunizieren. Nur so erreichen wir Glaubwürdigkeit in den Verhandlungen und
Akzeptanz für TTIP.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
Handelsabkommen tragen unter anderem dazu bei, faire
Wettbewerbsbedingungen für alle Beteiligten zu schaffen. Ein solches „level
playing field“ brauchen wir auch in der Energiepolitik.
Energiepolitik
Die hohen Preise für Energie in Deutschland brennen uns beim VCI unter den
Nägeln. Die Preise sind Hürden für den Innovations-, Entwicklungs- und
Produktionsstandort Deutschland. Energie muss sicher und bezahlbar sein.
Gerade für die chemische Industrie ist sie ein entscheidender Standortfaktor.
Ohne „level playing field“ nehmen die Wettbewerbsnachteile für Unternehmen je
nach Standort weiter zu.
Das heißt zuerst: Wir brauchen „mehr Europa“. Der VCI begrüßt daher die
Vorschläge der Kommission zur Energie-Union, die eine sichere
Energieversorgung über die EU-Grenzen hinweg garantieren soll. Aus Sicht der
deutschen Chemie kann die Energie-Union durchaus ambitioniert sein. Sie sollte
auch zu einer besseren Koordinierung der nationalen energiepolitischen Pläne
führen.
Steigende Energiekosten belasten den Standort Europa im globalen Wettbewerb
– sei es bei Forschung, Entwicklung oder Produktion. Daher benötigen wir auch
bei Klimapolitik und Klimaschutz eine Regulierung mit Augenmaß. Weitere
einseitige Verpflichtungen der EU lösen nicht die Probleme des Weltklimas. Sie
benachteiligen aber europäische Unternehmen noch stärker als bisher.
Von der globalen Klimakonferenz in Paris erhoffen wir uns ein Ergebnis, das den
Klimaschutz weltweit stärkt und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit Europas nicht
gefährdet. Bei der Reform des europäischen Emissionshandels müssen die
steigenden Kosten für die energieintensive Industrie berücksichtigt werden. Durch
die Marktstabilitätsreserve sind jetzt bereits neue Kosten bei den Energiepreisen
in Sicht. Wir brauchen hier Instrumente zur Kompensation der Kosten.
Die energieintensive Industrie hat viel in die Energieeffizienz investiert. Die
deutsche Chemie hat ihren Energieverbrauch und den Ausstoß an
Treibhausgasen bereits halbiert. Und das bei einer Produktionssteigerung. Das
sollte bei der Formulierung weiterer Effizienzziele berücksichtigt werden. Auch
Effizienzsteigerungen haben ihre Grenzen.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
ich glaube, wir haben nun genügend Diskussionsstoff für unsere Gespräche. Über
die richtigen Wege in die Zukunft gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich hoffe
aber, dass ein gemeinsames Ziel uns alle verbindet: Mehr Wettbewerbsfähigkeit,
Innovationen und Wohlstand für Europa.
Die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland wird weiterhin ihren
Beitrag dazu leisten. Leisten Sie bitte mit Ihrer politischen Arbeit weiter Ihren
Beitrag für gute Rahmenbedingungen. Und lassen Sie uns gemeinsam überlegen,
wie wir eine Kultur für Innovationen in Europa gestalten können.
Vielen Dank!
Kontakt: VCI-Pressestelle Telefon: 069 2556-1496
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