VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE e.V. Ausführungen von Herrn Marijn E. Dekkers, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), auf dem Parlamentarischen Abend am 16. März 2016 in Berlin (Es gilt das gesprochene Wort) ________________________________________________________________ Liebe Frau Andreae, lieber Herr Kauder, lieber Herr Heil, sehr geehrte Damen und Herren, zurzeit stehen viele äußerst drängende Themen auf der politischen Agenda. Umso mehr danke ich Ihnen, dass Sie alle heute Abend den Weg zu uns gefunden haben. Die große Zahl der Flüchtlinge stellt eine enorme Herausforderung dar. Es ist uns wichtig zu betonen, dass wir keine Form von Fremdenfeindlichkeit tolerieren. Der Wahlsonntag ist aber ein Weckruf für eine verantwortungsbewusste Politik. In Deutschland muss von den Parteien erklärt werden, wie die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge gelingen soll. Europa steht an einem Scheideweg! Aus Sicht der Wirtschaft ist es wichtig, dass die Europäische Union nicht auseinander fällt. Die europäische Wirtschaft wird ihre globale Rolle nur behalten, wenn die Europäische Union in ihrem Wesen erhalten bleibt. Es ist unbedingt notwendig, auf die Herausforderungen der Zeit gemeinsame, europäische Antworten zu finden. Auch mit Großbritannien! Die Wirtschaft braucht aber nicht nur ein stabiles Umfeld. Wir brauchen auch eine gute Wirtschafts- und Industriepolitik. Darüber wollen wir heute mit Ihnen sprechen. Mainzer Landstraße 55 60329 Frankfurt E-Mail: [email protected] Internet: www.vci.de/presse Telefon +49 69 2556 - 1496 Telefax +49 69 2556 - 1613 Mit rund 450.000 Beschäftigten steht unsere Branche beispielhaft für die gesamte deutsche Industrie. Denn wir decken einen Großteil der Wertschöpfungskette ab: Einerseits die Basischemie. Sie produziert die Grundstoffe für die Wertschöpfung in vielen Branchen. Und zum anderen stellen wir selbst viele hochinnovative Endprodukte her, von Kunststoffen über den Pflanzenschutz bis hin zu Medikamenten. Dafür investieren wir massiv in die Zukunft: Unsere jährlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung betragen mehr als 10 Milliarden Euro. Das ist weltweit Platz 4. Bei den Patent-Anmeldungen liegen wir sogar auf Platz 3. Das klingt gut. Langfristig ist der Chemie-Standort Deutschland aber gefährdet. Der globale Wettbewerbs druck ist hoch. In Schwellenländern entstehen statt neuer Werkbänke vermehrt neue Denkfabriken. Asien investiert massiv in die Forschung. Wissen Sie, wie hoch der Anteil Chinas an den weltweiten wissenschaftlichen Chemie-Veröffentlichungen ist? Fast 30 Prozent! Unser Wissensvorsprung wird immer geringer. Der Innovations-Standort Deutschland gerät unter Druck. Und auch die arabische Welt holt auf. In Saudi-Arabien entsteht gerade für 20 Milliarden Dollar ein riesiger, hochmoderner Komplex chemischer Anlagen. Dies ist eine unglaubliche Investition. Und eine Herausforderung für bisherige Produktions-Standorte wie Deutschland. Der VCI arbeitet zurzeit mit dem Institut Prognos an einer Studie über unsere Branche im Jahr 2030. Demnach wird der globale Anteil Europas an den ChemieInvestitionen weltweit massiv zurückgehen, von 32 Prozent im Jahr 2000 auf nur noch 9 Prozent im Jahr 2030. Das ist ein gewaltiger Einbruch! Das hätte Folgen für gesamte deutsche Wirtschaft. Daher ist es Zeit zu handeln, und wir haben eine klare Agenda. Über einige Themen haben wir bereits gestern und heute mit Vertretern der Fraktionen im Detail gesprochen. Nochmals vielen Dank für diese konstruktiven Gespräche. Es sind zum Teil sehr komplexe Themen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die forschenden Pharma-Unternehmen sind darauf angewiesen, dass sich ihre Investitionen in neue, innovative Medikamente am Ende auch rentieren. 2 Nur so können diese Unternehmen die wachsenden Forschungs- und Entwicklungsausgaben auch künftig finanzieren. Nur so können sie die Innovationsfähigkeit der Branche erhalten. Das klingt einfach, und es leuchtet jedem ein. Das Gesundheitssystem ist aber nicht einfach und auch die Interessen der Gesetzlichen Krankenversicherungen müssen berücksichtigt werden. Wie können wir dafür sorgen, dass das Geschäftsmodell der forschenden Pharma-Unternehmen trotzdem funktioniert? Wie können wir dafür sorgen, dass kranke Menschen auch in Zukunft die besten Therapien bekommen? Dieses Thema ist Gegenstand des Pharma-Dialogs der Bundesregierung, der kurz vor dem Abschluss steht. Die Finanzierung der Innovationen von morgen ist ein sehr wichtiges Thema. Es geht aber auch um die Zukunft des Forschungs- und Produktionsstandortes insgesamt. Wir wünschen uns, dass dieser Dialog tragfähige Lösungen hervorbringt. Für unsere Industrie, aber eben auch für Patientinnen und Patienten, die zu Recht von uns neue und bessere Behandlungsmöglichkeiten erwarten. Nun möchte ich die allgemeinen Rahmenbedingungen ansprechen, die unserer Branche am meisten Sorge bereiten: Wir brauchen wettbewerbsfähige Kosten und ein gutes Umfeld für Innovationen. Gute Industriepolitik muss immer auch die Entwicklung des gesamten Landes im Blick haben, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Welche Herausforderungen kommen auf uns zu? Welche Ziele verfolgen wir? Die Energiewende ist eine dieser Herausforderungen und ein gemeinsames Ziel. Wir dürfen dabei unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen. Leider passiert zurzeit genau das: Im EEG gibt es keine echte Kostenbremse. Im Gegenteil. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen sind davon betroffen. Auch von EU-Seite drohen steigende Energiekosten durch die geplante Reform des Emissionshandels. Hier sind Korrekturen erforderlich, und zwar deutlich, wirksam und schnell. Gute Industriepolitik bedeutet aber auch: ein gutes Umfeld für Innovationen schaffen. Denn Wachstumsträger für die Zukunft sind die forschungsintensiven Zweige. Wenn wir die Innovationsfähigkeit in Deutschland stärken wollen, dann brauchen wir: 3 Eine steuerliche Förderung von FuE für Unternehmen aller Größen. Warum gibt es in Deutschland diese Anreize immer noch nicht? KMU verlegen auch deshalb ihre Forschung ins Ausland. Gerade aber für Großunternehmen würde eine steuerliche Forschungsförderung neue Investitionen in Deutschland attraktiver machen. Genauso brauchen wir bessere Rahmenbedingungen für Investoren zur Finanzierung von Start-Ups. Das Wagniskapitalgesetz sollte noch in dieser Legislatur verabschiedet werden. Ein weiterer Punkt ist die Kooperation mit Hochschulen: Gerade für KMU sind sie oft zu kompliziert und daher nicht attraktiv. Wir brauchen einfachere Regeln. Damit Grundlagenforschung schneller zu Innovationen wird. Und schließlich: Wir brauchen gute Wissenschaftler, gute Ingenieure. Die bekommen wir durch ausgezeichnete Bildung, vor allem in den MINT-Fächern. Und ergänzt durch Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Es gibt viele konkrete Vorschläge, die Innovationsfähigkeit in Deutschland zu steigern. Ich möchte aber noch einen Schritt weiter gehen. Wie wäre es, wenn wir dafür sorgen, dass die Förderung von Innovationen zu einem grundlegenden Bestandteil guter Gesetzgebung wird? Auf EU-Ebene wird die Einführung eines Innovationsprinzips diskutiert. Es ist eine sinnvolle Ergänzung des Vorsorgeprinzips und ein guter Beitrag zu „Better Regulation“. In Deutschland schlägt der BDI einen Innovations-Check für Gesetze vor. Wir unterstützen dieses Anliegen. In beiden Fällen geht es darum, dass neue Regulierung Innovationen nicht verhindert, sondern möglich macht. Und dass Chancen und Risiken neuer Technologien ausgewogen betrachtet werden. Dafür brauchen wir, über Politik und Wirtschaft hinaus, eine positive Kultur für Innovationen. Wir brauchen gesellschaftliche Akzeptanz statt „German Angst“. Neugier und Offenheit für neue Technologien. Nicht nur für neue Smartphones aus Fernost oder dem Silicon Valley. Sondern Offenheit für Innovationen, ohne die wir die großen Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können: Nachhaltigkeit, Welternährung, Erkrankungen im Alter – um nur einige zu nennen. Innovationen, die hier aus Deutschland kommen können – wenn wir es wollen, und wenn wir Deutschland als Innovationsstandort konsequent stärken. 4 Die chemisch-pharmazeutische Industrie versteht sich dabei als Partner und Problemlöser. Mit unseren Innovationen ermöglichen wir einen schonenden Umgang mit Ressourcen. Wir sorgen für sichere Lebensmittel für die wachsende Weltbevölkerung. Und wir tragen dazu bei, die Lebensqualität der Menschen bis ins hohe Alter zu sichern. Um solche Aufgaben gemeinsam zu lösen, wollen wir konstruktiv zusammenarbeiten: mit Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Es gibt eine Reihe guter Ansätze, diesen Dialog ernsthaft und zielorientiert zum Erfolg zu führen. das Bündnis „Zukunft der Industrie“, der Branchendialog Chemie und der Pharmadialog der Bundesregierung. Wir sind offen für alle, die an einer guten Industriepolitik interessiert sind. Und wir freuen uns über jeden, der Innovationen fördern will. Lassen Sie uns diesen Dialog und diese Zusammenarbeit fortsetzen und weiter ausbauen. Für eine starke Chemie, für eine starke Industrie in Deutschland! Vielen Dank. Der VCI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von mehr als 1.650 deutschen Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. Der VCI steht für mehr als 90 Prozent der deutschen Chemie. Die Branche setzte 2015 rund 190 Milliarden Euro um und beschäftigte 447.000 Mitarbeiter. Kontakt: VCI-Pressestelle Telefon: 069 2556-1496 E-Mail: [email protected] Hinweis: Nachrichten des VCI auch auf Twitter: http://twitter.com/chemieverband 5
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