Die EZB macht den Euro weich

Februar 2015
Artikel Andreas Beck
Die EZB macht den Euro weich
Im März 2015 wird die Europäische Zentralbank (EZB) mit dem Erwerb von Anleihen
(überwiegend Staatsanleihen) beginnen. EZB-Präsident Mario Draghi begründet das
umstrittene Kaufprogramm mit der Deflationsgefahr in der Eurozone. Sind die
Deflationssorgen wirklich berechtigt oder vorgeschoben? Als in der Vergangenheit der
Ölpreis stieg und die Inflationsraten nach oben gingen, erklärten die Notenbanker, dies spiele
keine Rolle – und verwiesen auf die Kerninflationsrate. Diese lässt die Veränderungen der
Energiepreise außen vor. Sieht man sich die derzeitige Kerninflationsrate an, spricht sie nicht
für Deflation. Insofern hat die extrem expansive Geldpolitik der EZB andere Gründe.
Zwar warnen auch manche Ökonomen vor den Gefahren einer Deflation. Doch die
Volkswirtschaftslehre ist voll von Thesen, die nicht bewiesen sind. Sie werden ständig
widerlegt, aber trotzdem nicht über Bord geworfen. Eine dieser Thesen betrifft Deflation. Wir
haben in bestimmten Bereichen seit längerer Zeit eine radikale Deflation, beispielsweise bei
elektronischen Geräten – aber von Kaufzurückhaltung keine Spur. Es gibt keinen
empirischen Beleg dafür, dass sich das Kaufverhalten der Verbraucher ändert, falls wir eine
zeitlang sinkende Preise haben sollten.
Die Politik der EZB ist dennoch nachvollziehbar. Sie ist nicht im Interesse aller Euroländer,
sondern insbesondere im Interesse der Eurostaaten mit ernsthaften Schwierigkeiten. Das
sind zum Beispiel Länder mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und entsprechenden sozialen
Problemen. In Demokratien ist das ein untragbarer Zustand, nicht nur aus dem Blickwinkel
einer verlorenen Generation, sondern auch wegen des daraus möglicherweise
resultierenden Wählerverhaltens. Insofern sind gewisse Maßnahmen unerlässlich. Eigentlich
müssten die betreffenden Regierungen handeln, was jedoch nicht im nötigen Ausmaß
geschieht. Aus Sicht der betroffenen Länder ist das Anleihen-Kaufprogramm der EZB daher
eine Möglichkeit, die dramatische Lage zu verbessern.
Die Wahl in Griechenland ist ein Beispiel dafür, wie stark sich das Wählerverhalten durch
soziale Probleme ändern kann. Da der Anteil Griechenlands an der Wirtschaftsleistung der
Eurozone bei nicht einmal drei Prozent liegt, spielt das Land für den Euro keine große Rolle.
Aber wenn der Front National in Frankreich oder Podemos in Spanien weiter erstarken,
bekommen wir in Europa bedenkliche politische Verhältnisse.
Aus der Sicht Deutschlands, Österreich, der Niederlande, kurz gesagt der Euro-Nordländer,
ist das EZB-Programm allerdings bedenklich. Das Problem ist, dass der EuroWährungsraum sehr heterogen ist. Das macht eine Argumentation und Geldpolitik der EZB,
die alle Länder zufriedenstellt, unmöglich. Letzten Endes gibt es nur zwei Möglichkeiten. Die
eine Möglichkeit wäre, dass sich alle Länder darauf einigen, eine schwache Währung zu
haben. Eine starke Währung nützt einer starken Wirtschaft, ist aber für eine schwache
Wirtschaft ein Problem. Eine starke Wirtschaft wie Deutschland verkraftet eine schwache
Währung.
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-2Akzeptieren wir eine schwache Währung, sollten wir allerdings unsere Politik in Deutschland
ändern. Dann brauchen wir stärker steigende Löhne, Steuerentlastungen, Budget- und
Verschuldungsniveaus wie die Euro-Südstaaten, um einen homogenen Währungsraum zu
erreichen. Erreicht man das, kann die EZB eine Geldpolitik für alle machen. Wenn
Deutschland spart und die anderen Länder nicht, ist das komplett sinnlos und geht letzten
Endes auf Deutschlands Kosten.
Die zweite Möglichkeit wäre, dass die Länder, die eine andere Notenbankpolitik wollen, aus
dem Euro-Währungsraum austreten. Denn ein freiwilliger Austritt ist ja möglich. Das müsste,
wie jetzt die Loslösung des Schweizer Frankens vom Euro, über Nacht geschehen, also
überraschend. Politisch ist das sicherlich nicht sinnvoll, aber ökonomisch naheliegend.
Der große Konstruktionsfehler der Währungsunion besteht darin, dass man nicht bindend
festgelegt hat, was mit Staaten passiert, die sich nicht an die Regeln halten. Dieser
Konstruktionsfehler ist bis heute nicht behoben, wobei man auch zugeben muss, dass eine
Lösung schwierig ist. Aber er bedeutet für einige Länder eine Alternativlosigkeit, die im
Grunde unerträglich ist.
Dabei ist nicht einmal klar, ob die EZB mit ihrer Politik kurzfristig etwas erreichen kann. Wir
wissen nicht, warum Quantitative Easing in Japan gescheitert ist und ob QE verantwortlich
ist, dass die US-Wirtschaft wieder in Schwung gekommen ist. Vielleicht hat das ganz andere
Gründe, etwa den Fracking-Boom oder die demografische Entwicklung in Amerika. Tatsache
ist, dass es einen knallharten Interessenskonflikt zwischen Gläubigern und Schuldnern gibt.
Die Zinsen auf null zu senken ist das Schönste, was man für Schuldner tun kann. Je stärker
eine Notenbank ihre Interessen an den Schuldnern ausrichtet, weil sie unter allen Umständen
vermeiden will, dass es Insolvenzen gibt, umso mehr nähern wir uns einer Welt, in der es
keinen Unterschied mehr macht, ob man Vermögen oder Schulden hat.
Bundesbank und Bundesregierung sind gegen das QE-Programm der EZB, können es aber
nicht verhindern. Unsere Demokratie basiert auf Gewaltenteilung. EZB und die Gremien der
Rettungsfonds befinden sich bereits jenseits der Demokratie, sie sind nicht verpflichtet,
Parlamente zu konsultieren. Nun wird aber offenbar auch noch die unabhängige
Gerichtsbarkeit abgeschafft. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH)
begründete seine Entscheidung, die EZB dürfe grundsätzlich Staatsanleihen kaufen, mehr
oder weniger damit, dass Gerichte die EZB möglichst wenig kontrollieren sollten, weil ihnen
die Erfahrung auf diesem Gebiet fehle.
Halten sich die Gerichte – einschließlich das Bundesverfassungsgericht – an die Empfehlung
des EuGH-Generalanwalts, gibt es auch kein juristisches Korrektiv mehr. Dabei ist die große
Frage, ob das Handeln der EZB im Einklang mit den Verträgen steht und noch rechtskonform
ist. Wenn es das nicht ist, müssten die Gerichte einschreiten. Es kann nicht sein, dass etwas
Zentrales wie die Währungspolitik jenseits der Rechtsordnung agiert.
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-3Theoretisch wäre denkbar, dass Deutschland dem Beispiel der Schweiz folgt, das ja durch
die Bindung des Franken an den Euro eine Art informelles Mitglied der Eurozone war – und
aus dem Euro aussteigt, weil die Währungspolitik nicht zum hiesigen Wirtschaftsraum passt.
Man müsste in diesem Fall aber Länder wie die Niederlande und Finnland ebenfalls einladen,
die Eurozone zu verlassen. Die neue Währung dieser Länder würde sich dann sofort
aufwerten. Sie würden die Weichwährung Euro wieder durch eine harte Währung ersetzen.
Parteien wie die AfD in Deutschland, der Front National in Frankreich oder Podemos in
Spanien haben mächtig Auftrieb. Damit dürften die Interessenkonflikte in der Eurozone weiter
zunehmen, die Heterogenität immer größer werden. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass
es den Euro in der heutigen Form in zehn Jahren noch geben wird. Vermutlich werden wir
künftig wieder mehr nationale Währungen sehen, aber auch eine Währungsvereinbarung wie
Bretton Woods. Die Wechselkurse werden also in bestimmten Bandbreiten schwanken
dürfen.
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