Kinder in Armutslagen

Vertiefung zum Beitrag „Kinder in Armutslagen. Auswirkungen auf ihre Entwicklung und Bildungschancen“ von
Katharina Micheel in kindergarten heute, Ausgabe 4/2015, Seite 8-13:
Unterstützung von Kindern und Familien, die in Armut leben oder davon bedroht sind
Kinder und Familien zu unterstützen, die in Armut leben oder davon bedroht sind, ist eine komplexe
Aufgabe. Drei Werkzeuge können Ihnen dabei helfen.
Die Risikolage von betroffenen Kindern erkennen und einschätzen: Das Wissen darüber
beziehungsweise ein Gefühl dafür, wie sich Risikolagen bei Kindern äußern können, ist
Voraussetzung, diese einzuordnen und die pädagogische Arbeit entsprechend zu gestalten. Während
von einer Familie bereits aus Unterlagen bekannt sein kann, dass diese ihren Lebensunterhalt
ausschließlich aus Transferleistungen (z. B. Hartz IV) bestreitet, ist verdeckte Armut ein
vergleichsweise weit verbreitetes Phänomen. Zudem ist die Kindertageseinrichtung häufig die erste
außerbehördliche Institution, in der sich Familien als arm offenbaren. Das kann zum Beispiel dann
passieren, wenn die Kosten für den nächsten Ausflug eingesammelt werden und die Familie
Schwierigkeiten hat, diesen Betrag zu zahlen. Es gibt keine eindeutigen Anzeichen, anhand derer eine
Armutslage festgestellt werden kann. Bestimmte Merkmale sind jedoch statistisch häufiger mit einem
Armutsrisiko verbunden, das in erhöhter Form bestehen kann, wenn:
 Kinder bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, insbesondere dann, wenn noch
weitere Geschwisterkinder vorhanden sind.
 Eltern beispielsweise mehrere Minijobs kombinieren, nicht Vollzeit erwerbstätig oder länger
arbeitslos sind.
 Kinder unregelmäßig in die Kita kommen, ihnen besondere Kleidungsstücke wie beispielsweise
die Matschhose fehlen, ihre Körperhygiene mangelhaft ist oder sie generell unzureichend
ausgestattet sind.
Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass nur diese Kinder von Armut bedroht oder
betroffen sein können. Überschuldung, die äußerlich nur schwer erkennbar ist, stellt ebenfalls ein
großes Armutsrisiko dar. So ist immer der Einzelfall abzuwägen und eine Klärung mit Rücksicht auf
das Kind und dessen Privatsphäre (Datenschutz) in Gesprächen mit der Leitung oder im Team zu
suchen.
Betroffenen Kindern und ihren Familien mit Offenheit und Wertschätzung begegnen:
Sichtweisen auf Armut können sich stark unterscheiden. Hat man selbst Armut im Lebenslauf
erfahren, wird man diese sehr wahrscheinlich anders bewerten und sich betroffenen Personen
gegenüber anders verhalten als jemand ohne diese Erfahrung im Lebenslauf. Im Umgang mit dem
Thema Armut ist eine Haltung hilfreich, die den eigenen sozialen Hintergrund kritisch reflektiert und
eine Auseinandersetzung mit Vorurteilen zulässt. Das fällt naturgemäß niemandem leicht. Umso
wichtiger ist es, das Ganze nicht nur als einmaliges Innehalten, sondern vielmehr als fortwährenden
Prozess zu begreifen. Pädagogische Fachkräfte können sich beispielsweise fragen: Wie ist mein
persönlicher Hintergrund, meine Lebenslage, und was bedeutet das für meinen Umgang mit den
betroffenen Kindern und ihren Familien? In welchem Verhältnis stehen meine persönliche Haltung und
mein professionelles Handeln zum Thema Armut? Welche Erfahrungen konnte ich persönlich, aber
auch in meiner Rolle als Fachkraft bereits mit Menschen in Armutslagen sammeln? Das ist nur eine
Auswahl an Fragen, die den Reflexionsprozess begleiten können. Daneben ist eine wohlwollende und
wertschätzende Zusammenarbeit mit den Eltern im Sinne einer Bildungs- und
Erziehungspartnerschaft von zentraler Bedeutung. Darunter fällt beispielsweise, auf Augenhöhe mit
ihnen zu sprechen, ihre Teilhabe in der Kita zu ermöglichen sowie ihnen Hilfestellungen durch
Institutionen im Sozialraum zu vermitteln. In der Regel erschließen sich die Familien dann
Informationen, Angebote und Ressourcen mithilfe der Institutionen.
Mögliche Auswirkungen ökonomischer Risikolagen auf die kindliche Entwicklung mitdenken:
Zum einen ergeben sich hieraus Grundsätze für die frühpädagogische Arbeit mit von Armut
betroffenen Kindern, zum anderen wird noch einmal deutlich, dass die Einrichtungen wichtige
„Chancen-Eröffner“ sein können. Dafür zu sorgen, dass Kinder in Armutslagen im Kitaalltag keine
Nachteile wegen ihrer Lebenssituation erfahren, ist ein bedeutungsvolles Element für Inklusion. Die
umfassende Teilhabe aller Kinder an den tagtäglichen Aktivitäten ist wesentlich. Dies kann
beispielsweise über kostenfreie Angebote, die Bereitstellung eines Kleiderfundus oder
Ausleihmöglichkeiten von Materialien geschehen. Auch bei Ausflügen, kulturellen Aktivitäten,
Bewegungsangeboten oder Sprachförderung erleben und erfahren die Kinder Neues und Anderes.
Inklusion bedeutet aber auch, auf eine förderliche und sozial ausgewogene Zusammensetzung der
Gruppen zu achten.
Katharina Micheel