Übung im Handels- und Gesellschaftsrecht FS 2015 Fall 9 – Lösung

Übung im Handels- und Gesellschaftsrecht
FS 2015
Fall 9 – Lösung
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Variante 1:
I.
Anspruch M gegen die „A und B Lebensmittelhandel-GmbH“ EUR 18.000 aus § 433 II
BGB
(-), wegen § 11 I GmbHG.
II.
Anspruch des M gegen die Vor-GmbH auf EUR 18.000 aus § 433 II BGB?
1. Rechtsfähigkeit der Gesellschaft: Vor-GmbH als Trägerin von Rechten und Pflichten; sie
ist eine rechtfähige Personengesellschaft (Gesamthandsgesellschaft) sui generis.
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2. Wirksamer Vertragsschluss zwischen Vor-GmbH und M
a) Abschluss-TB durch C und M (Einigung über Kaufsache und –preis)
b) Wirksame Vertretung der Vor-GmbH durch C, § 164 I BGB?
-
Offenkundigkeit? Erfasst wird sowohl Handeln für Vor-GmbH als auch für (fälschlich
schon so bezeichnete) GmbH (unternehmensbezogenes Geschäft!); Ausnahme: das Geschäft soll nach Willen beider Parteien erst später wirksam werden, wenn GmbH eingetragen ist. Eine solche aufschiebende Bedingung ist aber im Zweifel nicht anzunehmen.
Hier hat C ausdrücklich für die Vor-GmbH gehandelt („i.G.“).
-
Vertretungsmacht des C? Problem: Umfang der Vertretungsmacht – Vorbelastungsverbot (d.h. Vertretungsmacht ist auf gründungsnotwendige Geschäfte beschränkt) oder
§§ 35, 37 GmbHG entsprechend? – Seit BGHZ 80, 129: Bei Zustimmung der Mitgesellschafter liegt unbeschränkte Vertretungsmacht vor, anderenfalls beschränkt sie sich auf
die gründungsnotwendigen Geschäfte; hier handelte C mit Zustimmung von A und B;
Vertretungsmacht liegt also vor.
3. Ergebnis: M hat Zahlungsanspruch iHv. 18.000 EUR gegen Vor-GmbH
III.
Anspruch M gegen A, B und C auf EUR 18.000 aus § 11 II GmbHG?
1. Begriff des Handelnden: Die Handelndenhaftung hat Druckfunktion (in Hinblick auf die
Eintragung, s. § 78 GmbHG) und Sicherungsfunktion (für die Gläubiger). Beides spricht
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für einen engen Handelndenbegriff, der nur den Geschäftsführer (auch den bloß faktischen) erfasst, nicht aber die Gesellschafter. Denn Gesellschafter sind für die Anmeldung
nicht
verantwortlich,
und
sie
haften
bereits
aufgrund
der
Verlustdeckungs-
/Unterbilanzhaftung. – Hier ist also nur der C Handelnder (nicht A und B)
2. Handeln im Namen der Gesellschaft, d.h. Auftreten im Namen der noch nicht entstandenen GmbH, also Vor-GmbH, was nach den Regeln des unternehmensbezogenen Geschäfts
auch die Falschbezeichnung der Vor-GmbH als „GmbH“ mitumfasst (Grund für die Haftung ist nämlich die Garantie eines Schuldners, für den Fall, dass die GmbH nicht entsteht,
BGHZ 65, 378, 381; 76, 320, 323). Merkmal ist hier erfüllt, denn C hat den Vertrag ausdrücklich namens der Vor-GmbH („GmbH i.G.“) geschlossen.
3. Ausschluss wegen BGH NJW 2004, 2519 (bestätigt durch BGH ZIP 2011, 1762 [Rn. 12])?
Die Haftung nach § 11 II könnte aber ausgeschlossen sein, weil C mit Zustimmung von A
und B, also mit Vertretungsmacht gehandelt hat (s.o. II 2 b). Der BGH hat nämlich zur Parallelnorm im Aktienrecht (§ 41 Abs. 1 S. 2 AktG) entschieden, dass die Handelndenhaftung nur noch den Fall betreffen soll, dass die Gesellschafter k e i n Einverständnis zur
Geschäftsaufnahme erteilt hätten. In Hinblick auf die dann eingreifende Verlustdeckungshaftung der Gründer bedürfe es nämlich keiner zusätzlichen Sicherung durch die Handelndenhaftung mehr. – Der Fall ist im Ergebnis richtig entschieden, weil sich die Organmitglieder gegenseitig in Anspruch genommen haben und die Handelndenhaftung hierfür nicht gedacht ist, zumal alle Organmitglieder Haftungsadressaten ist. Die Begründung
ist aber sehr zweifelhaft, weil sie zum einen die Druckfunktion der Haftung vernachlässigt
und zum anderen nicht mit Art. 8 der PublRL (Fassung von 2009 = RL 2009/101/EG) vereinbar ist, der eine Handelnden-haftung im Zeitpunkt vor der Gründung allgemein bei Kapitalgesellschaften vorsieht. Außerdem bleibt unverständlich, weshalb es für eine – schon
aus § 179 BGB folgende – falsus-procurator-Haftung überhaupt einen Bedarf geben soll. –
In der Entscheidung BGH ZIP 2011, 1762 hat der Senat seine Auffassung (für die GmbH)
zwar bekräftigt; aber auch hier liegt aber ein bloßes obiter dictum vor, weil der Fall eine
wirtschaftliche Neugründung betrifft, bei der die Haftung aus § 11 II GmbHG richtigerweise mit deren Offenlegung endet (und die war erfolgt), so dass die Haftung im Ergebnis
ausscheiden musste.
IV.
Anspruch des M gegen die Gesellschafter A und B auf EUR 18.000?
Gründerhaftung seit BGHZ 80, 129 (Aufgabe des Vorbelastungsverbot) und BGHZ 134,
333 = NJW 1997, 1507: Anteilige, summenmäßig unbeschränkte Innen-Haftung der Gründer
gegenüber der Vor-GmbH für deren Verbindlichkeiten. Die unbeschränkte Innenhaftung
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soll Gleichlauf der Haftungsverhältnisse in der Vor-GmbH einerseits und der GmbH andererseits gewährleisten und einen Gläubigerwettlauf verhindern. – Eine Außenhaftung
nur in Ausnahmefällen: insbesondere bei Vermögenslosigkeit der Vor-GmbH, bei der
Einmann Vor-GmbH oder bei Vorhandensein nur eines Gläubigers. I.E. auch bei der sog.
unechten Vor-GmbH (BGH ZIP 2002, 2309, dazu Var. 5).
Hier liegt kein solcher Ausnahmefall vor, daher keine Haftung von A und B unmittelbar
gegenüber dem M.
Variante 2:
Anspruch des M gegen die GmbH auf EUR 18.000 gem. § 433 II BGB?
1. Übergang der Schuld auf GmbH? - Vor-GmbH und die spätere GmbH sind identisch (vgl.
§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG; auch Personengesellschaften können in Kapitalgesellschaften
umgewandelt werden, § 214 UmwG). – Keine Hemmung durch Vorbelastungsverbot;
denn dieses existiert nicht mehr (s.o.).
2. Ergebnis: GmbH haftet.
Anspruch gegen A und B auf EUR 18.000 aus Verlustdeckungshaftung
1. Grundlage: Unterbilanzhaftung als Fortsetzung der Verlustdeckungshaftung, gerichtet auf
Zahlung der Differenz zwischen der Stammkapitalziffer und dem Nettovermögen der
GmbH (Differenz Aktiva und Passiva) zum Zeitpunkt der Eintragung (nicht: der Anmeldung), sog. Differenzhaftung (analog § 9 GmbHG), einschl. Ausfallhaftung für Mitgesellschafter gem. § 24 GmbHG (BGHZ 80, 129, 140 ff.).
2. Aber: Die Binnenhaftung ist auf Ausgleich einer Unterbilanz gerichtet (was Verluste voraussetzt, die hier gar nicht feststehen).
3. Ergebnis: Keine Haftung von A und B (erst recht nicht unmittelbar gegenüber M).
Anspruch aus § 11 II GmbHG gegen C?
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Erlöschen der Haftung nach § 11 II GmbHG mit der Eintragung für Geschäfte, die von der
(erweiterten) Vertretungsmacht gedeckt waren, soweit sie auf die GmbH übergegangen
sind (BGHZ 80, 182, 185). Sowohl die Sicherungsfunktion (bezogen auf den Fall des
Nichtentstehens – Garantie eines Schuldners) als auch die Druckfunktion haben sich nämlich durch die Eintragung erledigt.
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Keine Haftung des C
Variante 3:
I.
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Anspruch des M gegen die GmbH auf Zahlung von EUR 18.000 aus § 433 II BGB?
Anspruch gegeben (s.o.); GmbH aber zahlungsunfähig.
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II.
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Anspruch gegen C aus § 11 II GmbHG
erlischt mit der Eintragung der Gesellschaft (s.o.).
III.
Anspruch gegen A und B
1. § 13 Abs. 2 GmbH ab Eintragung.
2. Unterbilanzhaftung der Gesellschafter - Pflicht gegenüber der Gesellschaft, die bei Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister bereits eingetretenen Verluste auszugleichen
und das Stammkapital wieder aufzufüllen (s.o.).
Grundsätzlich jedoch kein unmittelbarer Anspruch: BGHZ 134, 333: Gefahr des Gläubigerwettlaufs und ungleicher Befriedigungschancen der Gläubiger
Ausnahme: Vermögenslosigkeit der Vor-Gesellschaft (Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt); den Fall der vermögenslos zusammenbrechenden
GmbH (nach Eintragung!) hat der BGH – in Hinblick auf § 13 Abs. 2 GmbHG – anders
entschieden: BGH NJW 2005, 2775. Das ist allerdings nicht unzweifelhaft; denn auch in
diesem Fall kann der Zweck der Binnenhaftung, eine möglichst gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu erreichen, nicht mehr erfüllt werden.
3. Mittelbare Haftung (Pfändung von Ansprüchen der GmbH gegen die Gesellschafter,
§§ 829, 835 ZPO).
a) Einlageverpflichtung schulden A und B noch je EUR 6.250 (insgesamt 12.500). Zur
Wirksamkeit einer Pfändung, die auf Einziehung dieser Forderungen gerichtet ist, s.
BGH WM 1992, 1274.
b) Unterbilanzhaftung (s. 2.): Da durch Vorbelastungen Unterbilanz bzw. Verluste entstanden sind, müssen A und B hierfür aufgrund der Unterbilanz einstehen. D.h. sie
schulden aus Unterbilanzhaftung zusätzlich jeder noch 2.750 EUR (insgesamt 5.500).
Variante 4:
I. Anspruch gegen C aus § 11 Abs. 2 GmbHG
II. Anspruch gegen A und B aus Verlustdeckungshaftung
1. Entstehung von Verlusten aus Vorbelastungen (s.o.)
2. Unmittelbare Außenhaftung? Grds. nein (s.o.), ist Vor-GmbH aber vermögenslos (Hauptindiz: Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckender
Masse), hat sie insbesondere keinen Geschäftsführer mehr oder sind weitere Gläubiger
nicht vorhanden, kann ebenso wie bei der Einmann-Vor-GmbH dem Gläubiger der unmittelbare Zugriff gestattet werden (BGHZ 134, 333, 341). – Allerdings handelt es sich methodisch um eine Durchgriffshaftung, also nicht um die anloge Anwendung des § 128 HGB.
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Folglich bleibt die Haftung anteilig (s. Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006,
§ 11 Rn. 83), ist also keine gesamtschuldnerische Haftung. Die Gesellschafter schulden also
zwar unmittelbar, aber nur in Höhe ihrer Beteiligungsquote (hier also iHv. 50% der jeweiligen Forderung, also 9.000 EUR).
3. Die Haftung tritt unter Durchgriffsaspekten ein und ist deshalb (nach wie vor) keine gesamtschuldnerische Haftung, sondern eine quotale Haftung (bezogen auf die Beteiligung
des Gesellschafters an der GmbH) – str.
Variante 5:
I. Ansprüche gegen die Gesellschaft?
1. Rechtsnatur der Gesellschaft: Welche Auswirkungen hat die Aufgabe der Eintragungsabsicht? BGH ZIP 2002, 2309: Wenn die Gesellschafter die Eintragungsabsicht aufgeben,
wandelt sich die Gesellschaft – rückwirkend – entweder in eine OHG um (sofern Handelsgewerbe iSv. § 1 HGB betrieben wird) oder in GbR (in den übrigen Fällen). Denn der
Grund für eine privilegierte Haftung – GmbH-Gründung! – entfällt dann rückwirkend.
Die Aufgabe der Absicht kann jedenfalls angenommen werden, wenn ein halbes Jahr
nach Errichtung (Vertragsschluss) noch kein Eintragungsantrag gestellt worden sei oder
auf Zwischenverfügungen des Registergerichts nicht reagiert worden ist.
2. Begründung der Ansprüche durch Vertragsschluss (s.o.)
II. Ansprüche gegen A und B?
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Unbeschränkte Außenhaftung der Gesellschafter nach § 128 HGB (bei der GbR wegen der
Akzessorietätstheorie §128 HGB analog); so BGH ZIP 2002, 2309; aA OLG Bremen ZIP
2000, 2201 (als Vorinstanz).
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Allgemeine Voraussetzungen des § 128 HGB, insbes. noch Gesellschaftsverbindlichkeit
und Gesellschaftereigenschaft.
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A und B haften