Geräusche des Wassers und der Luft in der freien Natur

Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
WOLFHARD WIMMENAUER
Geräusche des Wassers und der Luft in der freien Natur
Originalbeitrag erschienen in:
Friedrich-Husemann-Klinik 1993.
Buchenbach-Wiesneck: Friedrich-Husemann-Klinik e.V., 1993, S. 2 - 10
Geräusche des Wassers und der Luft in der freien Natur
Wolfhard Wimmenauer
GERÄUSCHE DER LUFT
Beobachtet man aufmerksam das Geräusch, welches der Wind beim Vorbeistreichen an Bäumen
und Büschen erzeugt, dann kann man deutliche Unterschiede wahrnehmen, die nicht nur von der
Stärke des Windes, sondern auch von der besonderen Beschaffenheit des der Luft sich bietenden
Hindernisses abhängen. An Nadelbäumen hört man ein Geräusch, das man am besten als ein
tonloses Zischen bezeichnen kann. Kahle Laubbäume und größere Büsche erzeugen ein Sausen,
das bei stärkerem Wind ins Tonhafte übergehen kann, besonders wenn lange, elastische Zweige
vorhanden sind, die zu gleichmäßigen kurzen Schwingungen angeregt werden. Viel deutlichere
Töne, die als summend, sirrend oder singend zu charakterisieren sind, treten oft an Leitungsdrähten auf. Ihre Höhe und Intensität wird, wie bei den Saiten eines Musikinstrumentes, von den
Abmessungen des schwingenden Drahtes oder Kabels und von seinem Spannungszustand
bestimmt. Sehr tiefe Töne von erschreckender Intensität können bei starkem Wind von den weitgespannten Kabeln einer großen Hochspannungsleitung ausgehen. Aber auch große Laubbäume
und Gruppen von solchen entwickeln ein Sausen, das, besonders in der Nacht, den Lauschenden
verunsichern kann. Unbefangene Beobachter haben gerade hier den deutlichen Eindruck, daß
das Geräusch aus größerer Höhe oder Entfernung stammt, als es den meßbaren Verhältnissen
entspricht; gerade im Dunkeln, wenn das Auge nicht kontrollierend tätig werden kann, ist diese
Wahrnehmung ganz eindeutig zu machen.
Laubbäume im Sommer geben bei leichtem Wind ein „flüsterndes" Geräusch, sehr deutlich zum
Beispiel die Zitterpappel oder Espe, deren Blätter an leicht biegsamen Stielen sitzen und schon bei
geringer Luftbewegung hörbar aneinanderstoßen. Zugleich erzeugen die flüchtigen Glanzlichter
der vielen bewegten Blätter den Eindruck, daß der ganze Baum zittere, wovon die Redensart
„er zittert wie Espenlaub" sich herleitet. Trockenes und starres Herbstlaub ergibt ein charakteristisches raschelndes Geräusch; leichter Wind an verschiedensten Hindernissen wird als sanftes
Wehen wahrgenommen.
Mit der Steigerung des Windes zum Sturm und Orkan verstärken sich die Geräusche. An unelastischen Hindernissen (Kanten und Spalten von Gebäuden oder Felsen) kommen pfeifende und
heulende Töne zustande, deren Auf und Ab die schnell veränderliche Windgeschwindigkeit
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anzeigt. Das schwankende Heulen erzeugt Verunsicherungen und Angst; diese Wirkung wird im
Theater und Film immer wieder als Mittel zur Herstellung unheimlicher, drohender Stimmungen
eingesetzt. — Die an den Bäumen eines Waldes oder Parks entstehenden Geräusche eines starken
Windes werden auf größere Entfernung (einige hundert Meter) hörbar und vereinigen sich zu
einem allgemeinen Brausen, das sich bis zu unregelmäßigem Tosen mit wütenden Höhepunkten
entwickeln kann. Wer selbst diesem Wind unmittelbar ausgesetzt ist, hat Schwierigkeiten, die Herkunft der verschiedenen Geräuschkomponenten zu beurteilen, denn an den Kanten der eigenen
Ohrmuscheln, am Brillengestell und selbst an den Haaren entstehen aufdringliche Geräusche, die
sich störend dem von außen kommenden Schall überlagern.
Ein äußerstes an Schallerzeugung leisten die tropischen Wirbelstürme, die Hurrikane, wie sie zum
Beispiel recht häufig im Bereich des karibischen Meeres vorkommen. Der Bericht des Zeugen
eines solchen Ereignisses, des Obristleutnants Nickle vom 36. britischen Regiment auf der Insel
Barbados schildert die Wirkungen eines solchen Sturmes am 10. August 1831:
„Das Heulen des Orkans war so, daß keine Sprache es zu beschreiben vermag. Der Berichterstatter hatte unter einem steinernen Fensterbogen des unteren Stockwerks nach der Straße hin
Schutz gesucht und er hörte wegen des Sturms nicht das Einstürzen des Daches und des oberen
Stockwerkes desselben Hauses. Die festesten Gebäude erbebten in ihren Grundmauern, ja die
Erde selbst zitterte, als der Zerstörer über sie hinwegschritt. Kein Donner war zu hören, denn das
gräßliche Geheul des Windes, das Brausen des Ozeans, dessen mächtige Wellen alles zu zerstören drohten, was andere Elemente etwa verschonen mochten, das Geprassel der Ziegel, das
Zusammenstürzen der Häuser und Mauern und die Vereinigung von tausend anderen Tönen
bildete ein Entsetzen erregendes Geräusch. Wer fern war von dieser Schreckensszene, kann keine
Vorstellung haben von den Empfindungen, die sie erregte."
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Überwältigung und Schrecken klingen noch in diesen Worten eines gewiß beherzten und nüchternen Beobachters nach, der leicht das Opfer der Luftgewalt hätte werden können. Doch auch ein
geringerer Sturm kann schon durch seine Geräusche beunruhigen und Furcht erwecken.
Ungleichmäßig in seiner Intensität und unregelmäßig im Zeitverlauf ist er gewissermaßen auch
unzuverlässig; jederzeit kann man einer überraschenden, möglicherweise sogar bedrohlichen
Steigerung gewärtig sein. Er fordert Aufmerksamkeit und Beachtung; viele Menschen fühlen sich
bei starkem Wind in unbestimmter Weise gestört oder erregt. Wie eine Ankündigung wirkt ein
erster schwacher Windstoß nach langer Windstille; unwillkürlich blickt man auf und sucht nach
weiteren Anzeichen einer sich anbahnenden Veränderung.
„Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander. Und es geschah
schnell ein Brausen vom Himmel wie das eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da
sie saßen.”
(Apostelgeschichte 2,2)
Die gemeinsame Vision der Jünger kündigt sich durch eine Wahrnehmung an, die bildlich, aber mit
Bestimmtheit dem Rauschen des Windes verglichen wird. An mehreren Stellen der Bibel wird
ebenso das Geräusch des Windes als Bild dafür verwendet, daß übersinnliche Erlebnisse nicht nur
dem „Schauen", sondern auch dem Hören verglichen werden können. Der von der Gottheit ergriffene Hesekiel berichtet (Hesekiel 37,7): „Und ich weissagte, wie mir befohlen war; und siehe, da
rauschte es, als ich weissagte." Und an anderer Stelle (10,5): „Und man hörte die Flügel der
Cherubim rauschen bis in den äußeren Vorhof wie eine Stimme des allmächtigen Gottes, wenn er
redet."
Wieder andere Stellen nehmen Bezug auf das Geräusch des Wassers, so zum Beispiel Hesekiel
(43,3): „Und er führte mich wieder zum Tor gegen Morgen, und siehe, die Herrlichkeit des Gottes
Israels kam von Morgen und brauste, wie ein großes Wasser braust, und es ward sehr licht auf der
Erde von seiner Herrlichkeit . . ." und in der Offenbarung des Johannes (1,12-15): „ . . . ich sah . . .
einen, der war eines Menschen Sohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewand . . . und
seine Stimme (war) wie ein großes Wasserrauschen."
Eine noch weitergehende Steigerung der Geräusche, die von schweren Stürmen erzeugt werden,
ist bei den verheerenden Feuerstürmen erlebt worden, die im Anschluß an die Bombardements
großer Städte im zweiten Weltkrieg vorkamen. Der Sog der aufwärts strömenden heißen Brandgase erzeugt eine intensive, zum Zentrum des Brandes hin gerichtete Windströmung, die unter
Umständen sogar noch die natürlichen Orkane übertrifft. Laute Geräusche entstehen dabei vor
allem dort, wo die Luft an Kanten und durch Öffnungen der Gebäude getrieben wird. Eine Zeugin
des Bombenangriffes auf Freiburg i. Br. am 27. 11. 1944 schildert „diesen hohen, höllischen Ton,
das schreiende, kreischende Geräusch" als den schrecklichsten der Eindrücke, die dort ertragen
werden mußten.
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GERÄUSCHE DES WASSERS
Wenden wir uns nun wieder den Empfindungen zu, die wir im eigenen Erleben haben können, so
sind es gewiß Geräusche des Wassers, die, je nach Art und Stärke, in ganz bestimmter Weise
wirken. Oft haben Dichter in Prosa oder in Versen das Rauschen des Wassers beschrieben und an
eigene Erfahrungen des Lesers appelliert; eine „Einstimmung" wird möglich dadurch, daß über die
seelische Wirkung solcher Geräusche ein Einvernehmen der Fühlenden sehr wohl besteht. Die
Sprache ist reich an Worten, die die vielen Nuancen der Wassergeräusche beschreiben. Es bedarf
keiner weiteren Erläuterung, wie ein Regenfall beschaffen ist, der als rieselnd, rauschend,
klatschend oder prasselnd bezeichnet wird und es fehlt auch nicht an leicht einsehbaren Gründen
für diese Verschiedenheit der Geräusche. Die Zahl der Tropfenfälle in der Zeit (z.B. in einer Sekunde) bestimmt, ob einzelne Tropfen für sich gehört werden oder bei zunehmendem Regen ein
beschleunigt trommelndes, schließlich fast kontinuierlich „rauschendes" Geräusch entsteht. Für
die Intensität der Geräusche, sowohl der einzelnen Tropfenfälle als auch des Rauschens ist darüberhinaus auch die Größe und das Gewicht der Tropfen maßgebend. Weiterhin bestimmt die Art
des Stoffes, auf den es regnet, entscheidend den Gesamteindruck des Geräusches. „Trommeln"
ist besonders bei Blech (Dachrinnen, Blechdach), das durch geringe Anstöße schon zu einem
kurztönenden Schwingen anzuregen ist, ein charakteristisches und oft als angenehm empfundenes Geräusch, besonders, wenn es nicht zu kräftig ist und im Schutz des trockenen Zimmers vernommen wird. Auch das dazu gehörende Rieseln und Plätschern in den Abflußrohren wird im allgemeinen nicht stören. Eigenartige, kurz klatschende Geräusche entstehen beim Fall größerer
Tropfen auf Laub, besonders auf hartes Herbstlaub am Boden; es kann sich bei dichtem, starkem
Regen zu intensivem Rauschen steigern. Wieder anders klingt der Tropfenfall auf ganz unelastischer Unterlage (Asphalt, Stein aller Art). Hier wird nur das Geräusch gehört, das beim plötzlichen
Vertreiben der Luft an der Stelle des auftreffenden Tropfens entsteht, während die Herbstblätter
durch den Stoß des Tropfens insgesamt für einen Augenblick zum Schwingen kommen und diese
ihnen eigentümliche Bewegung an die Luft weitergeben. Sanft klatschende Geräusche entstehen
auch, wenn große Regentropfen auf eine Wasserfläche fallen. Hohes Gras dämpft das Rauschen,
was bei einer Regenwanderung, die abwechselnd durch Laubwald und Wiesen führt, sehr deutlich
wahrgenommen werden kann.
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Mannigfaltig und seelenwirksam sind auch die Geräusche des fließenden Wassers. Wieder verfügt
die Sprache auch hier über viele Worte, die die Besonderheit des Gehörten deutlich bezeichnen:
das Rieseln eines spärlich fließenden Brünnchens, das Murmeln des Wiesenbächleins, das
Rauschen eines Bergbaches, das Brausen eines Wasserfalls sind unmißverständliche Bezeichnungen für Geräusche, die von der Menge des bewegten Wassers, von seiner Geschwindigkeit
und seinen Bewegungsformen bestimmt sind. Das ruhig dahinströmende Wasser selbst eines
sehr großen Flusses macht kaum ein Geräusch, außer daß vielleicht leichte Wellen am Ufer ein
leises Plätschern oder Gluckern erzeugen. Starke Geräusche entstehen erst, wenn das Wasser
bei stärkerem Gefälle und in unregelmäßig gestaltetem Bett nicht mehr glatt und ungestört fließen
kann, sondern sich wirbelnd und stürzend zerteilt und schäumend wieder sammelt. Aufmerksames Hinhören bei einem nicht zu heftig fließenden Wildbach läßt deutlich drei Hauptkomponenten des Geräusches unterscheiden: ein aus vielen „platschenden" Einzelgeräuschen sich zusammensetzendes kräftiges Rauschen, das beim Fall von Wasser auf Wasser entsteht; für sich allein
gehört, hat dieses Geräusch manchmal einen fast vokalischen Beiklang, der dem „a" am nächsten
kommt. Ihm überlagert sich ein helles, zischendes Rauschen, das vom Platzen zahlloser Blasen
herrührt. Es wird, obwohl es in der Nähe sehr intensiv wirkt, nicht weit gehört. Am weitesten vernehmbar ist vielmehr ein dumpfes, tiefes Geräusch, das beim Auftreten schwerer, mehr oder weniger zusammenhängender Wassermassen auf den Untergrund erzeugt wird. Es kann bei großen
Wasserfällen, besonders bei Nacht, über viele Kilometer hinweg gehört werden; so ist der Donner
des Rheinfalls bei Schaffhausen bis zu fünfzehn Kilometer weit vernehmbar. Aber auch viel geringere Gebirgsbäche haben diese Geräuschkomponente. Bei sehr starker Strömung ist auch das
Poltern mitgeführter Steine zu hören.
Von dem im vorigen Jahrhundert noch ungezähmten Oberrhein wird berichtet, daß die vom Hochwasser am Boden des Flußbettes fortbewegten Geröllmassen sich durch ein murrendes Geräusch
bemerkbar machten. Das eigentliche Rauschen kommt bei dem sehr geringen Gefälle des
Wassers kaum zustande. Die Erscheinung ist auch an anderen, tiefen und rasch fließenden
Strömen wahrzunehmen. Die Qualität des Geräusches wird teils als sirrend bis knisternd, teils aber
auch als eher tonhaft und von der veränderlichen Wassermenge abhängig beschrieben.
Der große Alpengeologe Albert Heim hat 1873 in einem Vortrag vor der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft auf ein Phänomen aufmerksam gemacht, das zweifellos eine Realität
und keineswegs selten, aber trotzdem kaum bekannt ist. Heim berichtet:
„Auf einer Exkursion in den Alpen stellte ich Herrn G. Nordmann, Musiker in Zürich, die Frage, ob er
bestimmte Töne im Brausen der Wasserfälle und Bergströme angeben könnte, und er antwortete
mir damals, daß er zwei nicht harmonierende Tongruppen höre, deren eine wie C-Dur klinge, die
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andere eher wie F. . . . Durch das Aufschlagen des Wassers und durch den mitgerissenen Luftstrom
entstehen schwankende Geräusche — je freier das Wasser in ein Wasserbecken stürzt, desto
klarer und schöner klingen einzelne Töne. Wir hörten immer den C-Dur-Dreiklang bei längerem
Horchen sehr klar und schön hervortreten, er ist aber getrübt durch ein nicht zu dem Akkorde
gehörendes tiefes F, das gewöhnlich als Unterquinte von C gehört wird."
Heim gibt sogar Notenbeispiele der für verschiedene Wasserfälle spezifischen Akkorde und
schließt seinen kleinen Aufsatz mit den Worten:
„Noch bleibt die Frage näher zu untersuchen, ob die gehörte Harmonie der Wasserfälle nicht am
Ende mehr in unserem Ohr als in der Erscheinung der Außenwelt ihren Grund habe. Daß alle
Menschen trotz gewiß vieler Variationen in den Formen des Gehörorganes das gleiche hören, daß
wir aber nicht bei allen Wasserfällen den ganz identischen Akkord vernehmen, spricht stark dafür,
daß wirklich das stürzende Wasser und nicht unser Ohr den Akkord gibt." —
Im Tönen der Wasserfälle erkannte die altnordische Mythologie die Harfe des Nöck (oder Nix) oder
den verzaubernden Gesang des Strom-Karls; auch heute noch kann uns das Rauschen eines
Gebirgsbaches oder das rhythmische Geräusch einer mäßigen Brandung beruhigen und sogar
einschläfern, wenn wir uns in Muße ihrem Wirken hingeben. Das aus zu großer Nähe gehörte
Brausen eines starken Wasserfalles dagegen ist buchstäblich betäubend.
Viele Variationen der zeitlichen Gliederung und Intensität bietet die Brandung des Meeres und
größerer Seen. Leichtes Plätschern, gleichmäßig wiederkehrendes Rauschen, heftiges Brausen,
Tosen und „brüllender Donner" sind die Steigerungen der Schallerscheinungen, die vom Zusammentreffen des Wassers mit der festen Erde ausgehen. Wie bei großen Wasserfällen sind auch hier
die dumpfen Untertöne am weitesten vernehmbar; empfindliche Seismographen in Mitteleuropa
zeichnen sogar noch den gewaltigen Anprall der Wogen an der irischen oder schottischen Westküste als „Bodenunruhe" auf.
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Besondere Geräusche erzeugt bei der Brandung wie auch an Wasserfällen und in Wildbächen die
eingeschluckte und schnell wieder freigegebene Luft; es ist im Einzelfall ein glucksendes
Geräusch, das sich, vervielfacht, zum Gurgeln steigert und sich schließlich mit den anderen schon
beschriebenen Geräuschqualitäten vermengt. Dazu kommt immer auch das helle Rauschen oder
Zischen der platzenden kleinen Luftblasen.
Wo die Brandung große Mengen von Steinen mitbewegt, ist nach Tyndalls Bericht (in seinem Buch
„Der Schall" von 1867) unterschiedliches zu hören:
„Wenn eine starke Flutwelle über einen mit Kieseln bedeckten Strand hinläuft, wie zu Blackgang
Chine oder Freshwater gate auf der Insel Wight, so werden die abgerundeten Steine durch den
Anprall des Wassers am Ufer heraufgeführt und beim Rückgang der Welle wieder mit hinabgerollt.
Unzählige Stöße von unregelmäßiger Stärke und Aufeinanderfolge entstehen auf diese Weise. Die
Vereinigung derselben macht auf uns den Eindruck eines Geschreis. Die Höhe des Tones hängt bis
zu einem gewissen Grade von der Größe der Kiesel ab; sie wechselt von einem Gebrüll, wenn die
Steine groß sind, bis zu einem Geschrei, von einem solchen zu einem Geräusch wie von bratendem Speck, und wenn die Kiesel so klein sind, daß sie sich dem Grand nähern, zu einem bloßen
Zischen."
Ähnlich hat Ernst Jünger in seiner Betrachtung „Steine" die Geräusche der Brandung geschildert:
„Selbst wenn die Welle bei fast ebenem Spiegel nur leise anfährt, hören wir das feine Scheuern, mit
dem sie die Steine wendet und nach sich zieht. Kommt es zur Brandung, so folgt dem Aufschlag
ein Rollen und Klirren, als schlügen Kugeln auf den Grund. Bei hartem Seegang prallen schwere
Blöcke wie bei einer Kanonade an die Riffe und Felsküsten. Jede Felsart leistet der Brandung auf
ihre Weise Widerstand. Nicht nur das Auge, sondern auch das Ohr spürt diese Unterschiede — ein
feiner Kalkschliff folgt dem Spiel der Wogen mit leichterem Klingen als der Schotter aus Urgestein."
Dem kann hinzugefügt werden, daß ein besonders hartes, fast reißendes Geräusch an der Küste
des Ärmelkanals zu hören ist, wo faust- bis kopfgroße Feuersteine dicht gedrängt in der Brandung
bewegt werden. Das Geräusch ist am intensivsten, wenn das Wasser nach dem Erlahmen der
Woge wieder strandabwärts fließt; die Steine liegen dann schon teilweise an der Luft und das
Geräusch kann sich ungedämpft ausbreiten.
DER DONNER
Wie bei den Geräuschen des Windes und des Wassers, so steht auch zur Kennzeichnung der
Geräusche des Gewitters eine Mehrzahl von Worten zur Verfügung. Der Donner grummelt oder
grollt in der Ferne, er kommt rollend, rumpelnd und polternd näher, bis ein starkes Krachen und
schließlich ein Knall den Einschlag des Blitzes in nächster Nähe anzeigt. Die Aufzählung allein zeigt
schon, daß Geräusche mit tiefem Klang weiter reichen, als der helle und in der Nähe so erschreckende Knall des nahen Blitzes; kurzwelliger Schall wird in der Luft stärker gedämpft als langwelliger. Bezeichnungen, wie grollen, poltern und rumpeln weisen darauf hin, daß der hörbare
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Ablauf des Donners in leisere und lautere, ungleich lange Abschnitte gegliedert ist. Donner solcher
Art enden oft mit einem dumpfen Schlag in der Ferne, der manchmal, auch wenn er nicht übermäßig laut ist, die Fenster erzittern läßt. Dagegen ist der heftige Knall des nahe eintreffenden Blitzes
der Anfang eines sich dann abschwächenden Donners (der allerdings im Schrecken oft nicht wahrgenommen wird).
Die sehr verschiedenartigen Abläufe und Gliederungen des Donnerereignisses werden von den
Besonderheiten der Bahn des erzeugenden Blitzes und dem Standort des Beobachters bestimmt.
Am häufigsten sind Blitze in der Wolkenregion mit Längen von einigen Kilometern (maximal etwa
25 km) und solche zwischen den Wolken und der Erde, die im typischen Fall einige wenige Kilometer lang sind. Die Blitze verlaufen, wie es der Augenschein zeigt und die Photographie bestätigt,
nicht geradlinig, sondern entlang unregelmäßig geknickter bis gezackter Bahnen. Ihr Weg ist also
in zahlreiche verschieden gerichtete Teilstücke gegliedert. Dabei sind eine „grobe" Gliederung in
Abschnitte von einigen hundert Metern Länge, eine mittlere und eine „feine" Gliederung mit nur
meterlangen Abschnitten erkennbar. Die Schallabstrahlung einer geraden Blitzstrecke geschieht
vorzugsweise nach der Seite hin; etwa 80 % der Schallenergie kommen aus dem mit einem Winkel
von 60° sich öffnenden Zwischenraum eines Doppelkegels, dessen Achse die Blitzbahn ist. Deshalb kommt von einer Blitzbahn, die quer zur Hörrichtung des Beobachters verläuft, ein stärkeres
Geräusch, als von einer Bahn, die zu dem Beobachter hin- oder von ihm weggerichtet ist. Bei dem
meist gegebenen unregelmäßig geknickten Verlauf der Blitze ist deshalb auch das wahrgenommene Geräusch unterschiedlich stark und erscheint als unrhythmisches Rumpeln und Poltern.
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Es bedarf nun weiter das immer offenkundige Mißverhältnis zwischen der Dauer des Blitzes und
der des Donners einer Erklärung. Während ein von einem einzigen Blitz verursachter Donner bis zu
dreißig Sekunden lang gehört wird, beträgt die Dauer des Blitzereignisses nur kleine Bruchteile
einer Sekunde - für unser Wahrnehmungsvermögen buchstäblich nur einen Augenblick. Wann
das Geräusch des Donners beim Beobachter ankommt, hängt von der Entfernung der Blitzbahn
und ihrer räumlichen Erstreckung in bezug auf diesen ab. Immer wird das Geräusch zuerst gehört,
welches von dem nächstgelegenen Abschnitt der Blitzbahn ausgeht. Dies kann, wenn die Blitzbahn in den Wolken und „quer" zum Beobachter verläuft, ein Punkt in deren Mitte sein; auf den
ersten von dort kommenden Einsatz des Donners folgen dann Geräusche, die von den weiter nach
links und nach rechts sich erstreckenden Enden der Bahn stammen. Läuft der Blitz auf den Beobachter zu oder von ihm weg, so wird das erste Geräusch von dem ihm zunächst liegenden Ende
der Blitzbahn herkommen. In dieser Situation werden besonders langdauernde Donner gehört; ein
Donner von zwanzig Sekunden Länge läßt dann, da der Schall 330 Meter in der Sekunde zurücklegt, die Länge der Blitzbahn auf wenigstens sechs Kilometer berechnen. Die Gliederung des
Schallereignisses in laute und weniger laute Abschnitte hängt, wie schon oben ausgeführt, von der
Orientierung der Teilstücke der Blitzbahn relativ zum Beobachter ab. Mit zunehmender Entfernung
wird das Geräusch des Donners leiser und dunkler, weil die „hellen" (kurzwelligen) Komponenten
des Schalles von der Luft stärker absorbiert werden, als die langwelligen. Oft endet ein langdauernder Donner mit einem einzelnen dumpfen Schlag in der Ferne; dies kann ein von den Wolken zur
Erde gerichteter entferntester Ast der Blitzbahn bewirken, der, anders als die ungefähr horizontal
verlaufende Strecke in den Wolken, in einer zur Schallabstrahlung auf den Beobachter hin günstigen Lage ist. Es ist nun leicht einzusehen, daß ein und dasselbe Donnerereignis, von verschiedenen Standorten her gehört, nach Länge, Gliederung und Intensität ganz unterschiedlich wahrgenommen werden muß. Der dumpfe Schlag, den der eine Beobachter am Ende des Donners hört,
ist am Ort des Blitzeinschlages der erste heftige Knall, dem der übrige Donner nachfolgt. Noch
anders gliedert sich dasselbe Donnern für den querab stehenden Beobachter. Es ist deshalb
berechtigt, zu sagen, daß ein Donner von jedem Ort her anders gehört wird. Darin liegt zunächst
eine Analogie zu dem selbstverständlichen Phänomen, da ein und derselbe Gegenstand, aus verschiedenen Richtungen gesehen, auch ganz unterschiedlich aussieht. Die Analogie findet aber
ihre Grenze darin, daß der Donner, anders als der gesehene Gegenstand, nicht an Ort und Stelle
bleibt, sondern, von der Blitzbahn ausgehend, sich beständig weiter ausbreitet und schließlich verklingt. Es ist also nicht nur der zeitliche Ablauf eines Donnerereignisses an jedem Ort ein anderer,
sondern es ist auch seine räumliche Gestalt, das Schallwellengebilde, in jedem Zeitpunkt ein anderes. Jeder Beobachter erlebt so seinen eigenen und einzigartigen Donner mit bestimmter Dauer,
Gliederung und Stärke. Je nach seinem Standort wird er von dem Donnerereignis in verschiedener
Art betroffen und je nach seiner Bereitschaft wird er den Donner auf seine Weise wahrnehmen und
empfinden.
In gleicher Weise wie das Rauschen des Wassers und das Brausen des Windes ist auch der
Donner ein vielfach gebrauchtes Bild für besondere Eindrücke, die bei Visionen die - als Schau
beschriebenen - Hauptinhalte gewissermaßen begleiten:
„Oben aber über den Tieren war es gestaltet wie ein Himmel, wie ein Kristall, schrecklich, gerade
oben über ihnen ausgebreitet, daß unter dem Himmel ihre Flügel einer gerade gegen den anderen
standen, und eines jeglichen Leib bedeckten zwei Flügel. Und ich hörte die Flügel rauschen wie
große Wasser und wie ein Getön des Allmächtigen, wenn sie gingen und wie ein Getümmel in
einem Heer. Wenn sie aber stillstanden, so ließen sie die Flügel nieder. Und wenn sie stillstanden
und die Flügel niederließen, so donnerte es in dem Himmel über ihnen."
(Hesekiel, 1,3)
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