DA S M AGA Z I N 17/201 5 DR AUSSEN SEIN MIT: DOR IS KNECHT Die Schriftstellerin durchquert den Steinhof am Rand von Wien und erzählt, warum sie sich gerne versteckt. Von MICHAEL HUGENTOBLER Wir sitzen im Taxi, ein Inder steuert einen schwarzen Mercedes aus Wien hinaus, einen Hügel hoch. «Sagen Sie, Frau Knecht, wann haben Sie eigentlich das letzte Mal eine Maus getötet?» «Letztes Wochenende. Zumindest habe ich es versucht.» «Welches ist denn Ihr bevorzugter Köder?» «Brekkies mit Nutella. Raten Sie mal, was die Maus gefressen hat.» «Ich habe keine Ahnung.» «Die Herdplatte.» «Die Herdplatte?» «Sie war flächendeckend angeknabbert. Die Matratze der Kinder ebenfalls – und die Knöpfe der Fernbedienung. Seltsamerweise aber nur die bunten Knöpfe, die schwarzen nicht.» Doris Knecht besitzt ein Haus auf dem Land. Es ist ihr Rückzugsort. Seit vorgestern ist sie allerdings wieder in der Stadt, denn gestern war Vernissage ihres neuen Romans. Die Mäuse sind ein wichtiger Teil des Buches, sie stehen für die Verwandlung der Protagonistin. Im Leben dieser Marian gibt es ein Vorher und ein Nachher. Im Vorher rennt sie kreischend vor den Mäusen davon, und im Nachher schaut sie den Tieren beim Sterben zu. Die Mäuse sind denn auch der brutalste Teil des Buches, wenn auch nicht der traurigste. Traurig sind die Männer: Sie sind entweder Versager oder Schurken. Beim Steinhof steigen wir aus dem Taxi, Krähen schaukeln in der Luft, ihre grauen Nackenfedern schimmern, irgendwo hämmert ein Specht. Es ist ein charakterloser Tag, der Himmel sieht aus wie ein schmutziger Gletscher. Das Wetter erinnert an jenes in Knechts Buch, ans Frieren der Marian. Der Leser folgt dieser Marian, die ins Ungewisse stürzt, von einer überteuerten Stadtwohnung mit beheizter Toilette, weichem Klopapier, Luftbefeuchter und Klimaanlage (Marians Liste des leeren Lebens ist mehrere Seiten lang) in die verlotterte Hütte ihrer toten Tante, an einen Ort, wo es fast nur noch Wald gibt. So heisst denn auch das Buch: «Wald». Früher, als sie das Haus auf dem Land noch nicht hatte, kam Doris Knecht oft hierher ins Erholungsgebiet Steinhof, wo ordentliche Kieswege und hübsche Baumreihen die Illusion von Natur vermitteln und die Stadt trotzdem nahe genug ist, dass man sie am Fuss des Hügels schimmern sieht. Knecht sagt, sie habe die Spielplätze in der Stadt nicht mehr ertragen können, darum habe sie sich zusätzlich zu ihrer Mietwohnung in der Stadt noch das Haus auf dem Land gekauft, weit weg von UBahn, S-Bahn und Flughafen. Damit ihre Kinder auf echten Wiesen spielen können. Knecht erliegt aber nicht der Selbstversorger-Sehnsucht. Sie hatte auf dem Land versucht, Tomaten zu züchten. Sie verfaulten. Sie setzte Kürbissetzlinge. Die Schnecken kamen. Sie sagt: «Da bin ich dann jeweils froh, dass ich ein Auto habe und in den Supermarkt fahren kann.» Ihre Heldin ist ein bisschen erfolgreicher im Garten, sie schafft es, einiges Gemüse anzupflanzen. Allerdings stiehlt sie dann doch vor lauter Verzweiflung das Lieblingshuhn einer Bäuerin. Doris Knecht ist in Vorarlberg zur Welt gekommen, einer ländlichen Gegend, und mit neunzehn sei sie nach Wien geflüchtet, sagt sie. Sie begann ein Studium und brach es ab, arbeitete als Putzfrau und Sekretärin, begann Kurzmeldungen für den «Standard» zu schreiben und war zehn Jahre später Chefredaktorin des Stadtmagazins «Falter». Vor fünfzehn Jahren begann sie beim «Magazin» eine Kolumne zu schreiben, die bis heute in verschiedenen Zeitungen fortgeführt wird, ein paar Hundert Geschichten über das Leben von Doris Knecht. Allerdings nicht das echte Leben, zumindest nicht zu hundert Prozent. «Die Leute glauben, mich zu kennen, aber das bin nicht ich», sagt sie. Partys seien nicht so ihre Sache, sie fühle sich in anonymen Massen nicht wohl, lebe lieber in ihrer Höhle. Oben in den Bäumen wachsen Misteln, unten geht ein älteres Paar, sie klammern sich an Walkingstöcke und tragen Kleidung wie Radrennfahrer. «Ich glaube, ich habe mit der Zeit eine soziale Phobie entwickelt», sagt sie. In der Ferne geht eine kleine Frau über ein grosses Feld, ein weisser Umhang schaut unter ihrer Jacke hervor und flattert im Wind; dann setzt sich die Frau auf eine Kinderschaukel und wippt unter dem bleiernen Himmel hin und her. «Anfangs habe ich wohl vor allem geschrieben, um Anerkennung und Lob zu bekommen, aber heute spielt das nicht mehr eine so grosse Rolle», sagt Knecht. Der kalte Wind wird immer stärker, und sie zieht sich eine blaue Mütze über die Ohren und purpurrote Handschuhe über die Finger. «Obwohl, Anerkennung schon.» Wir sind mittlerweile einen Kreis gegangen, vorbei an der ehemaligen Irrenanstalt, vorbei an der verrückten Kirche von Otto Wagner, die seinerzeit den Kaiser erzürnte, und wir sind wieder am Anfangspunkt angelangt. «Wenn Sie sich so gerne zurückziehen, warum sind Sie dann Schriftstellerin geworden?» «Weil das Schreiben das Einzige ist, was ich kann.» «Aber Schriftsteller müssen auch an Lesungen.» «Das ist dann immer lässig, aber es macht mich auch froh, wenn sie wieder vorbei sind.» «Und Sie verstecken sich wieder?» «So schreibe ich das nächste Buch.» Hinter einem langen Holzstapel dringt das Kreischen einer Säge hervor. Ein weisser Traktor mit orangen Überrollbügeln schiebt Baumstämme durch den Dreck. Wir fahren in Bus Nummer 46A den Hügel wieder hinunter, am Gasthaus Starchant und einem Hallenbad vorbei. Anfangs haben die Häuser noch Gärten, dann stehen sie immer näher beisammen und bilden schliesslich Reihen von Blocks. Wir steigen beim Brunnenmarkt aus. Der Wind ist hier unten kaum noch zu spüren, stattdessen brummt die Stadt. Es ist jetzt fast 14 Uhr, Doris Knecht will nach Hause. Sie muss kochen gehen für ihre Kinder. Doris Knecht auf dem Land, Wien aber noch in Sichtweite Bild DAV I D PAY R 9
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