Nr. 54 | 2. Juni 2015 05 KunstKulturQuartier „Loch allein kommt nicht vor“ Peter Pillers Randnotizen zum Journalismus des Alltäglichen in der Kunsthalle Nürnberg „Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist“, schrieb Kurt Tucholsky 1931 in seiner Glosse zur „Soziologischen Psychologie von Löchern“ für die Zeitschrift Die Weltbühne. „Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nichtlochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie, und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: Es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.“ Auch nach mehr als 80 Jahren sind Kurt Tucholskys Gedanken über die uns alltäglich umgebenden Löcher noch aktuell. So finden sich auch heute permanent Löcher in Gebäuden, auf Straßen oder Wiesen, in Kleidung, Schuhen und bisweilen leider auch Die Kunstvilligen und CONTEMPORARIES e.V. unterstützen die Arbeit der Kunstvilla und der Kunsthalle Nürnberg. Fördernde Mitglieder genießen viele Vorteile und sind Teil einer engagierten Gemeinschaft begeisterter Kunstfreunde. Mehr Infos zur Mitgliedschaft: kunstvilligen.de und contemporaries-nuernberg.de Kunsthalle Nürnberg Peter Piller Belegkontrolle 13. 6. bis 16. 8. 2015 Martin Dammann Zum Resultat beruhigter Tumult 10. 9. bis 8. 11. 2015 Führungen sonntags 11 Uhr Sonderveranstaltungen mittwochs 18.15 Uhr Kunstvilla Buntes Gewerbe Glanz und Elend hinter der bürgerlichen Fassade bis 4. 10. 2015 Führungen immer sonntags 15 Uhr Sonderveranstaltungen mittwochs 18.30 Uhr Kunsthaus Gisèle Freund Fotografische Szenen und Porträts bis 21. 6. 2015 Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten 23. 7. bis 6. 9. 2015 Extralife Eine Ausstellung zur Videospielkultur 10. 10. bis 22. 11. 2015 Führungen immer sonntags 14 Uhr Künstlerhaus Unschärfen 4. 6. bis 5. 7. 2015 Debütanten I & II 16. 7. bis 9. 8. 2015 20. 8. bis 13. 9. 2015 Alle Termine und weitere Infos unter www.kunstkulturquartier.de/ ausstellungen Typologie des Alltäglichen Seit Mitte der 1990er-Jahre sammelt Peter Piller Fotografien. Fündig wird er dabei in Tageszeitungen, Versicherungsarchiven oder beim Aufkauf von Konkursmasse. Nach Themen und Motiven geordnet, bilden die mehr als 7 000 Abbildungen der Dokumentar- und Gebrauchsfotografie das Ausgangsmaterial für seine Bildserien. Die wesentlichen Arbeitsschritte liegen zunächst im Sammeln, Sichten, Auswählen und Neu-Ordnen. Das Spektrum reicht von Tatorten über Ehrungen und Jubiläen bis hin zu Spatenstichen, Polizisten im Einsatz oder Vandalismus. Dabei zeigt der Künstler ein feines Gespür für die kleinen Störsignale und verborgenen „Qualitäten“ der Dokumentarfotografie. Mit seinen sprechenden Titeln lenkt er unseren Blick auf die oft unfreiwillig komischen und absurden Randnotizen des Alltags. Denn durch die neue Kombination und Verdichtung von Bildmotiven verschiebt sich auch deren Bedeutung. „Die Bilder fangen an, miteinander zu kommunizieren und man liest sie in diesem Nachbarschaftsverhältnis ganz anders“, sagt Peter Piller. In den zunächst vielleicht banal wirkenden Bildserien lassen sich Dinge entdecken, die ursprünglich von den Fotografen nicht so gemeint waren, aber nun unerwartet einen ganz anderen Blick auf die Wirklichkeit und unsere Gewohnheiten gewähren. Peter Piller ist 1968 geboren, lebt in Hamburg und hat eine Professur für „Fotografie im Feld zeitgenös- sischer Kunst“ an der Hochschule für Gestaltung in Leipzig. Die Ausstellung Belegkontrolle, die in der Kunsthalle Nürnberg vom 13. Juni bis 16. August 2015 zu sehen ist, entstand in Kooperation mit dem Fotomuseum Winterthur, dem Centre de la Photographie in Genf und der Städtischen Galerie Nordhorn. Ellen Seifermann „In Löcher blicken“, 2000–2005, courtesy capitain petzel, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn, 2015 Museumsfest zum 1. Geburtstag der Kunstvilla Fördermitglied werden! Termine in Zähnen. Die Serie In Löcher blicken des Künstlers Peter Piller zeigt in körnigen Schwarz-Weiß-Fotos Menschen, die sich um eine Öffnung im Boden gruppieren. Gemeinsam blicken sie in Löcher, in denen die Ursache der Zusammenkunft zu liegen scheint. Die besorgten bis ratlosen Blicke regen zu allerlei Mutmaßungen über den Grund dieser Treffen an. Die Aufnahmen wirken ohne nähere Informationen kurios und oft unfreiwillig witzig. Gleichzeitig erscheinen sie auch vertraut, handelt es sich doch um Fotos, wie sie uns täglich im Lokalteil deutscher Tageszeitungen begegnen. ( Ende Mai 2014 eröffnete mit der Kunstvilla im KunstKulturQuartier in Nürnberg ein neues Kunstmuseum in städtischer Trägerschaft. Die Bilanz kann sich sehen lassen. Ein Jahr Kunstvilla, das sind nicht nur inzwischen rund 250 ausgestellte und mehr als 3.500 inventarisierte Werke, sondern auch fast 400 Führungen und Veranstaltungen mit 30.000 Besuchern. Die nahezu euphorische Begeisterung über die Kunstvilla beruht indes nicht nur auf der lange in den Depots verborgenen Sammlung, sondern auch auf dem Gebäude selbst, das jüngst mit dem Denkmalpreis des Bezirks Mittelfranken prämiert wurde. Aus einem Verlust – seit 1937 fehlte eine vergleichbare Institution in der Stadt – wurde zwischenzeitlich eine Erfolgsgeschichte. gen mit Nürnberger Künstlerinnen und Künstlern erkunden, deren Werke in der Sammlung vertreten sind. Unter anderen stellen Pirko Julia Schröder, Inge Gutbrod und Fredder Wanoth ihre ganz persönlichen Lieblingsbilder vor. Alle Geburtstagsgäste können nicht nur ihre Lieblingsbilder bei einer Mitmachaktion auf Postkarten verewigen und mit nach Hause nehmen, sie dürfen auch das Lieblingsbild wählen. Dem Gewinner winkt die zur Eröffnung im Jahr 2014 entstandene Grafik Im Bereich des Möglichen von Jochen Pankrath. Vorführungen zu den restauratorischen Arbeiten am Bestand und zur Rahmung der Lieblingsbilder runden das Jubiläumsprogramm ab. Für musikalische Unterhaltung sorgt die Künstlerkombo Borgo Ensemble mit Reiner Bergmann und Franz Janetzko. Neben leiblichen Genüssen wird das Kunstvilla-Bier Der Kunst eine Schanze ausgeschenkt, das inzwischen Kultstatus erlangt hat. Alle Freunde, Förderer und Besucher sind eingeladen, bei freiem Eintritt das erfolgreiche Eröffnungsjahr mit der Kunstvilla zu feiern! Andrea Dippel Museumsfest „Mein Lieblingsbild“ Die Kunstvilla hat laufen gelernt – das muss gefeiert werden! Am Samstag, dem 13. Juni 2015, steigt deshalb zwischen 10 und 18 Uhr ein großes Museumsfest unter dem Motto „Mein Lieblingsbild“. Zum Auftakt dient die imposante und reich gegliederte Fassade der Kunstvilla den Tänzern Ingo Schweiger und Cyrena Dunbar als Bühne. Die historistische Villa wird durch einen atemberaubenden akrobatischen Vertikaltanz zum Leben erweckt. Das Innere des Hauses können Besucher bei stündlichen Führun- Am Eröffnungswochenende im Mai 2014 kamen 5 000 Besucher Foto: Annette Kradisch Frida Kahlo gesehen von Gisèle Freund Kennen Sie Frida Kahlo lächelnd oder Diego Rivera Grimassen schneidend? Gisèle Freund ist es gelungen, dem exzentrischen Ehepaar so nahe zu kommen. Ob die legendären Künstler diese Fotografien wohl zu Lebzeiten für die Öffentlichkeit freigegeben hätten? Wohl kaum. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten musste die Fotografin Gisèle Freund 1941 Südfrankreich verlassen, die Schriftstellerin Victoria Ocampo half ihr, nach Argentinien überzusiedeln. Freund reiste bis 1952 als Reporterin für die Fotoagentur Magnum durch Süd- und Mittelamerika und erreichte vermutlich im Herbst 1948 Mexiko. Das vielseitige Land faszinierte Gisèle Freund sofort und sie hielt sich dort zwei Jahre auf. In ihrer Reportage Mexico, Country of Contrasts schreibt sie „Kein anderes Land auf der Welt besteht aus einem solch gewaltsamen und dramatischen Kontrast wie Mexiko“. Als Gisèle Freund einen Fotoauftrag für eine Reportage über die Muralisten erhielt, zu denen Diego Rivera gehörte, lernte sie dessen Lebensgefährtin Frida Kahlo kennen. Aus dieser Begegnung entstand eine tiefe Freundschaft. Gisèle Freund nahm teil an ihrem alltäglichen Leben und erhielt dabei tiefe Einblicke in die mexikanische Kultur. Ganz im Stil einer Fotoreportage dokumentierte sie ihre Umgebung: das Wohnhaus, Frida Kahlo im Garten, ihre Malutensilien. Sie porträtiert Frida Kahlo mit ihrem Chirurgen Dr. Juan Farill, zeigt Diego Rivera beim Malen und mit seiner präkolumbianischen Kunstsammlung. Sie begleitete beide auf Feste in die Nachbardörfer und begeisterte sich für präcortesianische Kunst. 1953 kehrte Gisèle Freund zurück nach Paris und veröffentlichte ihre Fotografien ein Jahr darauf in ihrem Buch Mexique Précolombien. Diese Fotografien von Frida Kahlo und Diego Rivera werden in der Ausstellung Gisèle Freund, Fotografische Szenen und Porträts präsentiert. Das Gemeinschaftsprojekt der Akademie der Künste, Berlin, der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und des IMEC L’Institut Mémoires de l’édition contemporaine ist noch bis 21. Juni im Kunsthaus Nürnberg zu sehen. Anne Fritschka Oben: Selbstporträt, 1952 Links: Frida Kahlo, 1948 © IMEC, Fonds MCC, Vertrieb bpk Fotos: Gisèle Freund
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