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| Gesellschaft |
DIE FURCHE • 15 | 9. April 2015
15
Harald Kubiena, Plastischer Chirurg und Begründer der Initiative „Dem Alter begegnen“, über die Sehnsucht nach ewiger Jugend,
die Suche nach neuen Körperbildern und den gemeinsamen Blick auf die Schätze des Alters – jenseits aller Pensionsdramatik.
„Alte Menschen mit neuen Augen sehen“
| Das Gespräch führte
Doris Helmberger
D
ie Demographie lässt keine Zweifel offen: Wir werden immer älter. Doch statt
uns über diese neue Langlebigkeit zu freuen, verstärkt sich in der
westlichen Welt der Jugendkult:
Alter(n) wird als Zumutung empfunden, individuell wie gesamtgesellschaftlich. Die Initiative „Dem
Alter begegnen“ arbeitet demgegenüber an einer ganzheitlichen
und positiven Sicht auf das Altwerden. Ins Leben gerufen wurde sie
von Harald Kubiena, Experte für
Integrative Wiederherstellende
Chirurgie am Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien. Im FURCHE-Interview erklärt der 43-jährige Arzt und dreifache Vater, wie
sich Altern heute neu denken lässt.
Foto: Shutterstock
DIE FURCHE:
In der alternden
Gesellschaft grassiert der Jugendkult. Oscar Wilde
hat ihm im Roman
„Das Bildnis des
Dorian Gray“ ein
Denkmal gesetzt.
machen wir also aus diesem Geschenk, dass immer mehr Menschen auf ein längeres Leben in Gesundheit und Selbstbestimmung
hoffen können? Das ist die Frage.
DIE FURCHE: Sie bieten auf Ihrer
Homepage „ganzheitliche Kompetenz in der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper – zwischen Selbstbestimmung
und Selbstunterwerfung unter die
Imperative von Schönheit und Jugendlichkeit“ an. Was heißt das?
Kubiena: Dazu muss man mit einer schwierigen Frage beginnen:
Haben wir einen Körper oder sind
wir ein Körper? Im Bebrüten dieser Frage steckt auch ein Teil der
Antwort. Die Frage ist: Wer unterwirft da wen? Wer ist der Herr
in diesem Körperhaus? Wer bildet den Körper, wer sind also die
„Bodybuilder“? Und wer gibt die
Richtung einer Veränderung vor?
Wir sind von einer Flut von Bildern
umgeben, von Images. Doch wenn
wir den Körper dermaßen an diesen Bildern ausrichten, dann muss
man fragen, was das eigentliche
Selbst hinter diesem Körper noch
wert ist. Viele der Menschen, die
zu mir kommen und über die Veränderung ihres Körpers nachdenken, sind sich dieses Dilemmas
bewusst. Wir versuchen dann im
Gespräch oder bei Bedarf mit Körper- und Psychotherapeuten eine
gemeinsame Antwort zu finden.
DIE FURCHE: Die medialen Altersbilder, die uns derzeit geliefert werden, zeigen entweder geglättete
Stars oder gebrechliche Körper
in Pflegebetten. Bilder von glücklichen „Lebenssatten“ sind rar. Sie
wollen neue Alternsbilder entwerfen. Wie kann das gelingen?
Kubiena: Wir können uns der Bil-
Foto: © Andrea Peller
Vor 120 Jahren hat Oscar Wilde im Roman „Das Bildnis
des Dorian Gray“ der Sehnsucht
nach ewiger Jugend – und ihren Abgründen – ein Denkmal gesetzt. Heute scheint der Stoff aktueller denn je,
das Stück „Dorian Gray“ ist ein Kassenmagnet im Akademietheater.
Mit wieviel Jugendsehnsucht werden Sie als Plastischer Chirurg täglich konfrontiert, Herr Kubiena?
Harald Kubiena: Die Menschen,
die zu mir kommen, haben diese Sehnsucht natürlich: schön zu
sein, jung zu sein, verwandelt zu
werden – im Idealfall zum Guten
hin. Wobei ich mir nicht sicher bin,
ob sich alte Menschen tatsächlich
nach der Jugendlichkeit zurücksehnen, die sie selbst erlebt haben.
Ich jedenfalls sehne mich nicht
nach meiner jugendlichen Jugendlichkeit zurück. Insofern ist diese
Sehnsucht immer selektiv.
DIE FURCHE: Sie selbst haben die Initiative „Dem Alter begegnen“ ins
Leben gerufen, die eine „Neudefinition von alt werden“ entwickeln
will. Worum geht es Ihnen genau?
Kubiena: Wir wollen mit unserer
Initiative deutlich machen, dass
wir alle diesem Alterungsprozess
unterworfen sind – und dass die
Frage nur darin besteht, ob wir im
Fluss des Lebens mit dem Strom
oder gegen den Strom des Alterns
schwimmen. Wir können uns dem
gemeinsamen wie individuellen
Älterwerden nicht entziehen. Was
Bin das ich?
„
In Westafrika erlebe ich großen
Respekt vor älteren Menschen. Sie sind
dort vielleicht auch deshalb so eine
Kostbarkeit, weil sie so selten sind.
derflut nicht entziehen, aber wir
wollen einladen, alte Menschen
mit neuen Augen zu sehen. Es
kann auch ganz heilsam sein, eine
andere Sinnesperspektive einzunehmen – etwa die körperliche Berührung oder auch die Wahrnehmung von Beziehungsfarbwelten.
Ich glaube, dass es da sehenswerte
Bilder gibt, die man nicht unbedingt mit den Augen sieht.
DIE FURCHE: Leopold Rosenmayr,
mittlerweile 90-jähriger Doyen der
Alternsforschung, hat Ende Jänner im Interview mit dem „PresseSpectrum“ gesagt: „Man müsste
den Mut haben, den Menschen zu
sagen: Das Älterwerden ist kein
Vergnügen“. Er selbst habe die Beschwerlichkeit des körperlichen
Daseins unter- bzw. die geistige
Leistungsfähigkeit überschätzt …
Kubiena: Auch ich habe niemanden gefunden, der es als schön
bezeichnet, den Alterungsprozess
“
H. Kubiena
arbeitet als Plastischer, Ästhetischer und Rekonstruktiver Chirurg
am KH Göttlicher
Heiland in Wien und
betreibt Praxen in
Wien und Mariazell.
Hier findet von 23.
bis 25. 4. die zweite
Veranstaltung der
Initiative „Dem Alter begegnen“ statt
(www.demalterbegegnen.at).
am eigenen Körper mitzuerleben
oder sich dabei zu beobachten, wie
soziale Bindungen verschwinden
und geliebte Menschen wegsterben. Worum es aber geht, ist, das
Potenzial zu heben, das von diesen Gebrechlichkeiten verschüttet
ist. Das kann schon darin bestehen,
dass eine 25-jährige Krankenschwester einer 95-jährigen Frau
einen roten Lippenstift aufträgt
und ihr dadurch zu ungeahnter Vitalität verhilft. Insgesamt geht es
darum, die Vereinzelung im Alter
aufzubrechen und ein neues „Wir“
hineinzubringen. Das erleichtert
nicht nur den Alternsprozess, dadurch entsteht auch ein Pool an
wertvollem Erfahrungswissen, den
auch Junge anzapfen können.
DIE FURCHE: Gibt es dafür Beispiele?
Kubiena: Ja, aus der Bedürftigkeit
alter Menschen im Umgang mit
den Verrichtungen des Alltags einerseits und der Neugier junger
Softwareentwickler andererseits
sind etwa am „Austrian Institute of
Technology“ (AIT) altersgerechte
Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben („Ambient Assisted Living“) entstanden. Solche
Win-Win-Situationen zu entwickeln, ist eine der Aufgaben unserer Initiative.
DIE FURCHE: Sie fahren zusätzlich
auch vier Mal jährlich zu Operationseinsätzen in Krisengebiete
und Entwicklungsländer. Hat das
Ihren Blick auf das Altern verändert?
Kubiena: Natürlich. Wenn ich aus
Westafrika komme, wo Kinder auf
Grund von Gesichtserkrankungen
ausgestoßen werden oder das Erstgebärendenalter bei unter 15 Jahren liegt, erscheinen mir unsere
„Probleme“ als Chancen. Zugleich
erlebe ich in anderen Kulturkreisen großen Respekt vor den Älteren – also vor jenen Menschen,
die durch alle Täler durchgegangen
und als Troubleshooter ihres Lebens herausgekommen sind. Diese Alten sind dort vielleicht auch
deshalb eine Kostbarkeit, weil sie
so selten sind. Bei uns, wo es eine
Fülle an Alten gibt, verstellt das
Gedränge rund um Themen wie
Pensionssicherung und Pflegenotstand die Sicht auf diese Schätze.
Deshalb schlage ich vor, dass wir
einander die Räuberleiter machen
und drüberschauen. Aber das geht
eben nur gemeinsam.
BUCHTIPP
Die Zukunft der reifen „Lebens-Veteranen“
J
edes Jahr erhöht sich die Lebenserwartung – bei Männern um 109, bei Frauen
um 80 Tage. Heute 60-jährige Männer
können damit rechnen, 82 Jahre alt zu werden, Frauen dürfen sogar mit 85,5 Jahren
spekulieren. Doch dieser Methusalem-Effekt ist teuer – und das österreichische Umlagesystem längst nicht mehr gedeckt: Jeder
dritte Euro, den der österreichische Staat einnimmt, fließt schon derzeit ins Pensionssystem. Jedes Jahr wird es eine Milliarde mehr.
Das ist die schlechte Nachricht. Die gute
formuliert Hubert C. Ehalt in dem von ihm
herausgegebenen Sammelband „Herausforderung Alter(n)“ so: „Menschen, die das Arbeitsleben verlassen und in den Ruhestand
treten, haben noch einen Lebenshorizont;
sie können noch machen – aktiv gestalten
– , was sie sich immer gewünscht haben“,
schreibt er mit Rückgriff auf Arthur E. Imhofs Klassiker „Die gewonnenen Jahre“.
„
Die Frage ist, ob sie diesen Lebenshorizont auch nutzen können – und was mit jenen hochbetagten Über-75-Jährigen ist, die
häufig fremder Hilfe bedürfen und deren Anzahl sich bis 2050 verdoppeln wird. Im Buch
„Herausforderung Alter(n)“ legen namhafte
Expertinnen und Experten den Fokus auf all
diese Fragen. Der Wiener Sozialgerontologe
Franz Kolland und die Präsidentin der Seniorenuniversität Bern, Ruth Meyer-Schweizer, beschreiben etwa die Ambivalenz von
Alternstheorien: Der Ansatz des „aktiven
Alterns“ soll zwar dem Menschen ermöglichen, seine Potenziale auszuschöpfen und
Alle Aufforderungen, aktiv zu bleiben oder
zu werden, hallen ins Leere. Von der Seele ist
ja ohnehin keine Rede mehr, so sehr sie dies
auch bräuchte. (L. Rosenmayr)
“
an der Gesellschaft teilnehmen zu können
– zugleich könnte er aber auch zu Kontrolle und Überforderung führen. Ähnliches gilt
für das Konzept des „erfolgreichen Alterns“,
das ein möglichst langes Leben bei geringer
Gebrechlichkeit als Ziel definiert. Ihm haftet
nicht nur das Etikett des Nützlichkeitsdenkens an, es stellt sich auch die Frage, ob der
biologische Alternsprozess überhaupt beeinflusst werden kann.
„Aktives Altern“ als Überforderung?
„Alle Aufforderungen, aktiv zu bleiben
oder zu werden, müssten unter dem Gesichtspunkt realer Zumutbarkeit für den alt
gewordenen Organismus geprüft und auf
ihn abgestimmt werden“, betont Alternsforscher Leopold Rosenmayr in seinem spannenden Beitrag. „Die allgemeinen Appelle,
aktiv zu werden, hallen ins Leere. Von der
Seele ist ja ohnehin keine Rede mehr, so sehr
sie dies auch bräuchte.“ Was fehle, sei eine
bewusste und auch liebevolle „Unterstützungskultur“ für die „Veteranen des Lebens“
– sowie eine „Spiritualität des Alternsprozesses“, die auch die Überstiegshoffnung ins
Jenseits mithineinnehme. Er selbst entwirft
die Vision einer „Welt-Alternskultur“, die
den Abschied vom eigenen „Größenselbst“
ebenso beinhaltet wie die „Ichumarbeitung“
nach Freud oder den Kampf gegen den Wiederholungszwang nach Buddha. Am wichtigsten, so Rosenmayr, sei aber die „Güte zu
sich selbst“, die auch die Güte gegenüber anderen erleichtere: „Das kann das Alter weit
und groß machen.“
(dh)
Herausforderung Alter(n)
Entwicklungen, Probleme, Lösungsdiskurse
Von Hubert Christian Ehalt (Hg.), Verlag Bibliothek der Provinz 2014. 261 Seiten, geb., € 20,00