2 Deutsches Ärzteblatt I Heft 6 I 7. Februar 2014 ZUR DISKUSSION Was ist ein guter Chirurg? an darf nicht beklagen, dass die Medien die Deutungshoheit über die Qualität von Chirurgen übernehmen, ohne dass sich Chirurgen mit eigenen Antworten der Diskussion und Kritik stellen. Ich präzisiere die Frage insoweit, als ich nicht die besondere Rolle des Chirurgen als Arzt anspreche und auch nicht über das Sozialverhalten des Chirurgen reflektieren will. Ich spreche darüber, welche Merkmale die „Chirurgie“ eines guten Chirurgen charakterisiert. ● Ein guter Chirurg ist innovativ. Ein Chirurg muss sich täglich weiterentwickeln. Die steten Neuerungen in seinem Umfeld verlangen ihm einen permanenten Veränderungsprozess ab. Auch die Individualität des Patienten erfordert eine individualisierte Strategie. Innovatives chirurgisches Handeln wird begünstigt durch ein individualisiertes Patientenverständnis, unvorhergesehene Herausforderungen, ungewöhnliche Phänotypen von Erkrankungen und durch technologische Entwicklungen. Das Innovative ist nie Selbstzweck. Ein Chirurg, der innovativ ist, um innovativ zu sein, wäre ein schlechter Chirurg. ● Ein guter Chirurg arbeitet funktional. Ein Patient kommt zum Chirurgen, damit dieser ein Problem löst. Die Operation dient einem konkreten Zweck und soll bestimmte Funktionen wiederherstellen, sichern oder verbessern. Ein guter Chirurg optimiert seine Handlungsweise durch manuelles Geschick, schnörkelloses Unterordnen unter dieses funktionale Ziel. M ● Ein guter Chirurg stellt ästhetische Ansprüche. Im Mittelalter waren Ethik und Ästhetik Gegensätze, wobei vielfach das Schöne mit dem Bösen verbunden wurde. Der ästhetische Selbstanspruch eines Chirurgen ist ein wichtiger Aspekt seiner Funktionalität. Wer ästhetisch arbeitet, schreckt die Assistenten nicht ab, lenkt sie nicht ab oder überfordert ihre Aufmerksamkeit. Da ein Chirurg den ganzen Tag arbeitet, würde er durch ein persönliches Umfeld, das nicht ästhetisch ist, negativ in seinem Wohlempfinden beeinflusst. Ästhetische Abläufe fordern die Hinwendung, die ein Chirurg benötigt. Gerade für die Chirurgie gilt ohnehin: Schön kann eine chirurgische Arbeit nur sein, wenn sie gut gemacht ist. ● Ein guter Chirurg arbeitet verständlich. Gut kann ein Chirurg nur sein als Bestandteil eines Teams, das ihn versteht. Die Sprache des Chirurgen ist seine Arbeit. Die Abläufe einer Operation müssen so verständlich sein, als ob sie eine Geschichte erzählen. Ein Hinund Herspringen in einem Handlungsablauf macht die Arbeit des Chirurgen für die Assistenten unvorhersehbar, unübersichtlich und wenig verständlich. Ein guter Chirurg kann allein durch seine Arbeit einen Patienten und eine Erkrankung zum Sprechen bringen. ● Ein guter Chirurg ist unaufdringlich. Jeder Mensch freut sich, wenn ihm etwas gelingt. Trotz Genugtuung über den Erfolg seiner Arbeit bleibt der gute Chirurg still und demütig. Ein aufdringliches Foto: mauritius images Die Antwort eines Chirurgen auf die beliebten Chirurgenrankings in zehn Thesen Lobpreisen seiner Qualität und seines Leistungsvolumens, ein offenes oder implizites Herabsetzen der Qualität anderer Chirurgen stellt eine Aufdringlichkeit dar, die als peinlich empfunden wird und der Konzentration bei der chirurgischen Arbeit nicht dient. Auch am OPTisch beansprucht der gute Chirurg nur den Platz, den er für seine Arbeit braucht. Er ist als Kapitän sichtbar und erreicht Wertschätzung durch unaufdringliche Präsenz. ● Ein guter Chirurg ist ehrlich. Ein guter Chirurg lässt seinen Eingriff nicht innovativer und wertvoller scheinen, als er ist. Er wird sein Umfeld, seine Mitarbeiter und seine Patienten nicht durch Versprechen über seine Arbeit zu manipulieren versuchen, die er dann nicht halten kann. Ein guter Chirurg sieht die Momente des Nichtgelingens oder des Nicht-ganz-Gelingens und spricht diese im Team an, selbst wenn seine Assistenten diese Abweichung von dem Optimum und dem Selbstanspruch des Chirurgen gar nicht bemerkt haben. Er lernt kontinuierlich und hinterfragt kritisch seine eigenen Ergebnisse. ● Ein guter Chirurg ist dem Langzeiterfolg verpflichtet. Ein guter Chirurg springt nicht auf jeden neuen Zug. Er will den Langzeiterfolg für seinen Patienten und nicht den schnellen Ruhm. Er will die Langzeitergebnisse einer neuen chirurgischen Strategie kennen, ehe er sein Konzept grundlegend verändert. Die Schnelligkeit des Eingriffes ist angesichts der Langzeitprognose für den Patienten nachgeord- 4 Deutsches Ärzteblatt I Heft 6 I 7. Februar 2014 net. Ein guter Chirurg wird keine chirurgische Arbeit unterlassen, wenn sie die OP-Zeit verlängert. Die Arbeit eines guten Chirurgen hat Bestand. Die „chirurgische Medaillenverleihung“ findet Jahre nach dem Eingriff statt. ● Ein guter Chirurg ist konsequent bis ins letzte Detail. Ein guter Chirurg überlässt nichts dem Zufall oder der Willkür. Gründlichkeit und Genauigkeit sind herausragende Merkmale seiner chirurgischen Tätigkeit. Bis ins letzte Detail hinein ist der Chirurg bemüht, alles stimmig zu machen. Umfassende Gründlichkeit ist eine Form, dem Patienten Respekt zu erweisen. ● Ein guter Chirurg ehrt die Natur. Die Chirurgie spielt eine wichtige Rolle bei dem Erhalt eines würdigen Menschenlebens. Chirurgie richtet sich gegen Krankheit und Siechtum. Der Mensch ist für den Chirurgen das Maß aller Dinge. Er schützt die Umwelt, indem er nur verwendet, was er benötigt. Ein Chirurg sieht sich selbst als einen Bestandteil der Natur (1). Er ergreift Maßnahmen für den Erhalt seiner geistigen und körperlichen Gesundheit sowie seiner psychosozialen Stabilität. ● Ein guter Chirurg setzt so wenig Chirurgie wie möglich ein. Weniger Chirurgie ist manchmal mehr. Wenn ein Chirurg das erkennt und umsetzt, wird er sich auf das Wesentliche beschränken und seine Arbeit mit nichts Überflüssigem befrachten. Ein guter Chirurg ist nicht ein fanatischer Diener einer imaginären Göttin namens „Chirurgie“, der er sein Leben unterordnen muss, sondern ein Mensch, der seine Meisterschaft von anderen Meistern erworben hat und diese im Dienst der Patienten mit Augenmaß einsetzt. In Alltagssituationen, im Berufsumfeld, aber auch in Berufungskommissionen kommt immer wieder die Frage auf: „Ja, ist das denn auch ein guter Chirurg?“ Nichtchirurgen suchen in dem guten Chirurgen oft das, was sie selbst sind: Ärzte, die viel Zeit im Labor verbringen; Ärzte die sich auf zeitintensive empathische Situationen mit Patienten einlassen müssen; Ärzte, die von morgens bis abends immer ansprechbar sind; Ärzte die kaufmännisch denken; Ärzte, die . . . Ich versuche, aus der einfachen Sicht eines Chirurgen etwas über Chirurgen zu sagen. Die hier formulierten Thesen sind in keinem Gremium abgestimmt. Vielleicht können sie einen Anstoß zu einem internen Diskurs geben, der Chirurgen und Ärzte ermutigt, sich den Marktgesetzen der Medien zu widersetzen, um nicht selbst zu Produkten dieses Marktes zu werden. Ab und an gibt es wirklich Eingriffe, die man als Chirurg als perfekt erlebt und bei denen man das Gefühl hat, diesen zehn Thesen ei▄ nigermaßen genügt zu haben. Prof. Dr. med. Christian Friedrich Vahl Herz-, Thorax-, Gefäßchirurgie, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Sprecher des chirurgischen Ordinarienkonventes der deutschen Universitätskliniken, Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie LITERATUR 1. Vahl C-F: Chirurgische Lebenswege: Prof. Dr. med. Fritz Kümmerle. Zeitschrift für HerzThorax- und Gefäßchirurgie 2008; 22: 63–4. 2. Wabner S: Die 10 Design-Regeln von Dieter Rams (Braun) und wie Apple sich inspirieren läßt. www.kunstundso.com/ . . ./die-10-design-regeln. FRAGE DER WOCHE AN . . . Dr. med. Mathias Wesser, Präsident der Ärztekammer Thüringen Wie beurteilen Sie die das neue Krankenhausgesetz in Thüringen, mit dem den Kliniken − wie in einigen anderen Bundesländern auch − bereits Vorgaben zur Strukturqualität gemacht werden? Wesser: Grundsätzlich ist es positiv, dass in unserem Bundesland nach zehn Jahren endlich ein neues Krankenhausgesetz verabschiedet worden ist und damit die Thüringer Krankenhauslandschaft Bestand hat. Weiterhin begrüße ich sehr, dass auf unsere Anregung hin das Verbot von „Zuweisung gegen Entgelt“ in das Krankenhausgesetz aufgenommen wurde und somit die Berufsrechtswidrigkeit klar unterstützt wird. Als Schlagwort der Gegenwart – auch im Koalitionsvertrag – zeigt sich der Begriff „Qualität“. Dem ist auch im Thüringer Krankenhausgesetz Rechnung getragen worden. Insofern sehe ich Vorgaben zur Strukturqualität nicht prinzipiell als schlecht an, sondern es entspricht wohl eher heutigen Anforderungen. Schließlich müssen wir den Erfordernissen moderner Medizin in unserem Qualitätsanspruch gerecht werden. Wichtig ist mir bei der Diskussion um Qualität vor allem, dass wir den Vorrang von medizinischen Aspekten vor den wirtschaftlichen betonen – drei Stellen in einem Bereich kosten natürlich mehr als zwei, können aber für eine bessere Strukturqualität sorgen. Bei den Vorgaben für die Strukturqualität, die im jetzigen Krankenhausgesetz noch nicht enthalten sind und erst noch durch Rechtsverordnung erlassen werden müssen, sollten wir aber maßvoll vorgehen und uns zwischen folgenden Polen bewegen: Zum einen kann nicht jedes Krankenhaus alle medizinischen Leistungen eines Maximalversorgers anbieten, wie beispielsweise eine Stroke-Unit. Zum anderen ist es von unserer Seite und der der Thüringer Landesregierung gewollt, weiterhin eine flächendeckende stationäre Versorgung in unserem Bundesland vorzuhalten, damit die Menschen eben nicht nur noch in Zentren, fernab ihres Wohnortes, behandelt werden können. Die Gefahr, dass Akteure im Gesundheitswesen die noch zu beschließenden Vorgaben zur Strukturqualität nutzen wollen, um kleine Fachabteilungen sterben zu lassen, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber hier sehe ich auch unsere Aufgabe als Ärztekammer, künftig diesen Prozess der Strukturvorgaben offensiv zu begleiten, um im Sinne der Patienten, der Sicherheit ärztlicher Berufsausübung und auch im Sinne der wirtschaftlichen Stabilität der Krankenhäuser für eine qualitativ hochwertige Versorgung in Thüringen zu sorgen. JF
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