DerChef aufdem Fahrrad

60 KARRIERE
WOCHENENDE 10./11./12. APRIL 2015, NR. 69
Der Chef
auf dem
Fahrrad
Führungskräfte ohne Dienstwagen sind
noch immer Exoten. Dabei fällt der
Verzicht leicht: Drei Entscheider berichten,
wie sie mit Alternativen zum Firmenauto
klarkommen. Von Anne-Sophie Lang
G
roßes Eckbüro und dickes
Auto – dass die Statussymbole der Entscheider an Bedeutung verlieren, hört
man oft. Der jungen Generation sei anderes wichtig: flexible Arbeitszeiten sowie die Balance von Arbeit
und Privatleben. Ein Dienstwagen? Wozu denn? Der ist in der Großstadt ja
nicht mal praktisch, wo Parkplätze rar
sind und man mit Fahrrad, Bus und
Bahn genauso gut vorankommt. Außerdem schadet er der Umwelt.
Dieses Denken mag modern sein – auf
den obersten Chefetagen ist sie allerdings nicht angekommen. Wer bei größeren Unternehmen nachfragt, erfährt:
Fast alle Vorstände und Geschäftsführer
fahren Firmenautos und häufig keine
kleinen, spritsparenden, sondern die
wuchtigen Modelle von Audi, BMW und
Mercedes.
Dennoch gibt es einige Manager, die
auf Alternativen zum Auto setzen. Der
Ikea-Chef Peter Agnefjäll etwa bugsiert
sein Gepäck schon mal auf dem Fahrrad
zum Flughafen. „Ich verzichte, wann
immer es möglich ist, auf das Auto und
nutze das Fahrrad“, sagt er. „Das ist gut
für meine Gesundheit und die Umwelt,
und es kostet rein gar nichts.“
Solche prominenten Beispiele sind
zwar noch rar. Was das Gros ihrer Mitarbeiter angeht, so interessieren sich Unternehmen aber längst für alternative
Mobilitätsformen. Aus guten Gründen:
So sinken etwa der Verwaltungsaufwand und die Kosten für einen Fuhrpark, wenn Mitarbeiter auf Fahrräder,
Carsharing oder auf Bus und Bahn umsteigen. Die neue griechische Regierung
weiß das; eine frühe Amtshandlung von
Alexis Tsipras war, die Dienstwagen seines Kabinetts zum Verkauf zu stellen.
Michael Schramek leitet eine Unternehmensberatung für nachhaltige Mobilität, er hat für sich selbst mal nachgerechnet: Alle beruflichen Strecken mit
dem Firmenauto zu fahren kommt ihn
im Jahr rund 30 000 Euro teurer als
sein Mobilitätsplan für dieses Jahr – viel
Bahn, etwas Fahrrad, etwas Carsharing
und ganz wenig Taxi. In seiner Rechnung berücksichtigt Schramek, dass
man in der Bahn einigermaßen produktiv arbeiten kann. Fahrradfahren hat ei-
Marketingchef
Frank Schabel:
Radeln und S-Bahn
zum Stressabbau.
nen anderen Vorteil – es hält fit und gesund. Es sind also nicht nur geringere
Kosten, derentwegen sich für Unternehmen eine Abkehr vom Auto lohnt, sondern auch leistungsfähigere Mitarbeiter.
Außerdem lockt ein flexibler Mobilitätsmix junge Talente. Und nebenbei kann
die verringerte CO2-Bilanz werbewirksam präsentiert werden.
So kommt es, dass Konzerne wie Bayer oder E-Bay mit Carsharing-Unternehmen kooperieren und Firmen wie die
Commerzbank und BMW ihren Mitarbeitern Fahrräder zur Verfügung stellen.
Und dass die Deutsche Bahn ihren Führungskräften seit 2013 die Wahl zwischen Dienstwagen und dem sogenann-
ten Mobilitätsbudget bietet – einer Bahncard 100 mit diversen Zusatzleistungen.
Und dass der Pharmahersteller Daiichi
Sankyo Europe rund 800 Mitarbeiter
mit individuellen Plänen versorgen will,
wie sie ihre Arbeitswege künftig gut und
grün zurücklegen können.
Allein an den dicken Karossen der
Vorstände ändert das wenig. „Die meisten Spitzenkräfte sind zu lange anders
sozialisiert worden“, sagt Michael Schramek. „Die haben da noch Schwierigkeiten.“ Das könnte sich ändern: Wenn
auch auf diesen Positionen der Nachwuchs nachrückt, dem Autos nicht
mehr wichtig sind. Einige wenige Vorbilder auf Managerpositionen hat er schon.
THOMAS WINDEL
A
n einem normalen Arbeitstag radelt Thomas Windel
rund 50 Kilometer weit.
Windel ist Abteilungsleiter im Bereich Finance bei der Commerzbank in Frankfurt am Main und
lebt in Königstein im Taunus. Sein
Arbeits- und Wohnort liegen rund
25 Kilometer voneinander entfernt. Einen Firmenwagen
braucht der 47-Jährige trotzdem
nicht. Die eigene Muskelkraft
macht das Auto überflüssig. Seit
rund zehn Jahren fährt er viel Rad
– und nimmt sogar an TriathlonWettkämpfen teil. Schließlich
überlegte er sich: Warum nicht
mit dem Fahrrad auch zur Arbeit
fahren? An vier Tagen in der Woche radelt Windel nun bis zum
Commerzbank-Hochhaus. Das ist
sein Training.
Anfangs sei er noch eine Ausnahme gewesen, sagt er. Mittlerweile
ist die Zahl der fahrradfahrenden
Pendler gewachsen. In Königstein
trifft sich an manchen Tagen morgens eine ganze Gruppe, um gemeinsam nach Frankfurt zu radeln. Banker, Anwälte. Die meisten radeln regelmäßig, auch im
Winter. „Problematisch ist das
Radfahren nur bei Glätte“, sagt
Thomas Windel. Er hat sich extra
zwei Räder angeschafft: ein Rennrad für den Sommer und ein
Crossrad für den Winter. Rund eine Dreiviertelstunde braucht er
pro Strecke. Abends etwas länger,
weil es auf dem Rückweg bergauf
geht. Dafür hilft ihm das Radeln
nach der Arbeit beim Abschalten,
anders als eine nervige Autofahrt.
Und morgens würde Windel mit
dem Wagen im Berufsverkehr ohnehin beinahe genauso lange
brauchen wie mit dem Rad.
Im Commerzbank-Gebäude an-
BOSTELMANN / BILDFOLIO für Handelsblatt
Triathlon-Training inklusive
Banker Thomas Windel: Im Büro Radler- gegen Anzughose tauschen.
gekommen, duscht Windel und
zieht sich um – tauscht Radler- gegen Anzughosen. Die Schuhe hat
er meist im Spind, die Hemden in
der Reinigung, das Sakko im Büro. Muss er später am Tag einmal
innerhalb Frankfurts zu einem
Termin – etwa zu einem anderen
Standort oder zu einem Kunden –
nutzt er eins von 50 Stadtfahrrädern, die die Bank ihren Mitarbeitern seit dem vorigen Herbst kostenlos zur Verfügung stellt. Und
weitere berufliche Reisen legt er
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ohnehin mit dem Flugzeug
zurück.
Wie viel Geld Thomas Windel
durch sein Radeln im Vergleich
zum Autofahren spart, hat er nie
genau ausgerechnet – darum geht
es ihm aber auch nicht, sondern
um den sportlichen Aspekt. Er
merkt, wie die viele Bewegung
ihm guttut, wie sie seiner Gesundheit nutzt. „Mein Arzt ist sehr zufrieden“, sagt Windel und lacht.
Der Manager ist seit fast 20 Jahren
bei der Commerzbank. Er hatte
lange einen Dienstwagen. „Als ich
anfing, war das durchaus ein Statussymbol“, sagt er. Bis 2010 fuhr
er einen VW Touareg. Aber der
stattliche Wagen verlor für ihn
nicht nur an Bedeutung, er nützte
dem Triathleten zuletzt auch
schlicht nichts mehr. Thomas
Windels ganzer Besitzerstolz gilt
heute seinem Rennrad.
KARRIERE 61
WOCHENENDE 10./11./12. APRIL 2015, NR. 69
STEFANIE KERTSCHER
Flexibel mit Carsharing
FRANK SCHABEL
Grün und günstig
K
lar gibt es Nachteile: Die
S-Bahn ist zu Stoßzeiten
rappelvoll, hat oft Verspätung. Frank Schabel kommt
abends später nach Hause als
früher, als er noch ein Auto hatte. „Man muss umdenken“, sagt
er, „und Wartezeiten akzeptieren.“ Schabel nutzt sie etwa,
um Kaffee zu trinken und
E-Mails zu lesen. Er hat sich angewöhnt, im Zweifel immer den
früheren Zug zu nehmen, um
keinen Anschluss zu verpassen.
Frank Schabel ist Marketingleiter beim Personaldienstleister
Hays. Ihm würde ein Dienstwagen zustehen; er fuhr auch lange einen – früher pendelte er allerdings auch von Heidelberg
nach Wiesbaden und brauchte
ein Familienauto. Inzwischen
radelt er morgens zum Heidelberger Bahnhof, zur Not im gelben Regencape, um die S-Bahn
zum Firmensitz nach Mannheim zu nehmen. Seinen
Dienstwagen hat Schabel vor einigen Jahren abgegeben.
Die Rate, einen Betrag im hohen dreistelligen Bereich, bekommt er nun ausbezahlt. Das
ist bei seinem Unternehmen in
der Verwaltung in einigen Fällen möglich.
Die Vorteile des Bahnfahrens
überwiegen für den 54-Jährigen
die Nachteile: Er spart Geld, tut
der Umwelt etwas Gutes und
steht nicht im Stau. „Mit dem
Zug fährt es sich einfach stressfreier“, sagt er. Das liegt allerdings auch daran, dass das
Bahnnetz dort, wo Schabel lebt,
dicht ist. „In der Pfalz oder im
Odenwald würde das nicht gehen“, sagt er. Dann würde auch
er mit dem Auto fahren.
Aber angenehmer findet Schabel es, im Zug lesen zu können
und auf dem Rad den Kopf freizubekommen. „Ich bin mit dem
Fahrrad aufgewachsen“, sagt er,
„Autos waren mir nie so wichtig.“ Seinen ersten Wagen besaß
er erst mit 31 Jahren. Falls er
heute doch mal einen braucht,
weil er größere Einkäufe oder
Wasserkisten transportieren
muss oder einen Ausflug mit
seiner Tochter unternimmt,
nutzt er Carsharing.
Dass er mit der Wahl seiner
Fortbewegungsmittel in Managerkreisen eher ein Exot ist,
wundert Schabel. „Ich finde es
manchmal den hellen Wahnsinn, dass Menschen meiner Generation erstaunt und irritiert
sind, wenn sie erfahren, dass
ich kein Auto habe“, sagt er.
Der Nachwuchs sei da anders,
ihm sei etwa wichtig, mit verschiedenen Geräten flexibel
und mobil arbeiten zu können –
aber nicht, ein dickes Auto zu
fahren. „Das hängt sicher von
der Sozialisation der Menschen
ab“, sagt Schabel. Dass Führungskräfte repräsentative Wagen fahren, sei nun einmal lange Standard gewesen.
Schabel dagegen hält es mit den
jungen Leuten: Das Statussymbol Dienstwagen bedeutet ihm
nichts. „Wenn ich über meinen
Wagen und nicht über meine
Person wirken würde“, sagt er,
„dann hätte ich für mein Verständnis etwas falsch gemacht.“
BOSTELMANN / BILDFOLIO für Handelsblatt
BOSTELMANN / BILDFOLIO für Handelsblatt
E
twa zweimal pro Woche
muss Stefanie Kertscher zu
Firmenkunden fahren, mal
30, mal 40, mal 60 Kilometer pro
Strecke. Kertscher ist Direktorin
der Berlitz-Sprachschule in Mannheim. Zusätzlich zu ihren Führungsaufgaben berät sie Firmenkunden in Sachen Sprachkurse.
Für diese Fahrten lohnt sich kein
Firmenwagen, entschied ihr Arbeitgeber. Stattdessen zahlt ihr
das Unternehmen die Nutzung
des Carsharingverbunds Stadtmobil und hält so den eigenen Fuhrpark klein, genauso wie die Kosten, die an ihm hängen. Stadtmobil verlangt von Kunden einen
Grundbetrag von 33 Euro im Monat, die eigentlichen Nutzungskosten hängen von Fahrzeugklasse,
Uhrzeit und gefahrenen Kilometern ab.
Stefanie Kertscher findet das Konzept gut. Sie war gerade 23 Jahre
alt, als sie bei ihrem vorherigen
Arbeitgeber im Vertrieb anfing –
mit einem Mini als Dienstwagen.
Das Firmenauto war damals für
sie noch eine tolle Sache, zumal
sie die Einzige in ihrem Freundeskreis war, die eines fahren durfte;
darauf war sie stolz. Aber nach
und nach setzte eine gewisse Entzauberung ein: Schließlich bekommt man auch einen Dienstwagen nicht völlig umsonst, sondern
muss Steuern dafür zahlen, wenn
man ihn privat nutzen will. Außerdem fühlte Kertscher sich verpflichtet, den Wagen vorsichtiger
zu behandeln als ein eigenes Auto. Mit der Zeit wurde ihr der Fir-
Filialleiterin Stefanie Kertscher: Entzauberung des Dienstwagens.
menwagen immer weniger wichtig. In ihrem neuen Job vermisst
sie ihn nicht.
Das Carsharing, das sie heute
nutzt, ist für die 27-Jährige praktisch: Im Umkreis von einem Kilometer um ihr Büro herum finden
sich immer um die zehn Fahrzeuge, die sie nutzen kann. Ihre Mitarbeiter übernehmen die Buchung für sie, Berlitz zahlt.
Ein paar Schritte von Kertschers
Büro entfernt parkt häufig ein
blauer Ford Fiesta. Ihn fährt sie
am liebsten. Dazu hält sie ihre Zugangskarte an das Lesegerät hinter der Windschutzscheibe. Dann
gibt sie in einen Bordcomputer
im Handschuhfach eine PIN ein
und kann den Schlüssel entnehmen. Dann noch kurz checken,
ob mit dem Auto alles in Ordnung
ist, Sitz und Spiegel einstellen –
klar, alles etwas aufwendiger als
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im eigenen Auto.
Aber das Carsharing hat dafür
auch viele Vorteile: Kertscher
kann sich aussuchen, welchen
Wagen sie an welchem Tag fahren
möchte – etwa einen größeren,
wenn sie mal viele Bücher zu einem Kundentermin mitnehmen
muss – und sie weiß, dass sie ihn
nachher um die Ecke wieder abstellen kann. „Mit dem eigenen
Auto müsste ich deutlich weiter
weg parken“, sagt sie. Gleichzeitig
ist die Berlitz-Direktorin froh,
überhaupt mit dem Auto unterwegs sein zu können – und nicht
auf die Bahn angewiesen zu sein:
„Das wäre mir zu unflexibel“, sagt
sie. „Dann sitzt man im Termin,
der geht länger als geplant, aber
der Zug wartet leider nicht.“ Bei
Stadtmobil kann sie in solchen
Fällen meist einfach anrufen.
Dann gilt die Reservierung länger.