Ganz Großen Koalition der Braunkohlefreunde

Reiner Priggen
Mitglied des Landtags NRW
Bündnis 90/Die Grünen
Oliver Krischer
Mitglied des Deutschen Bundestages
Bündnis 90/Die Grünen
2.April 2015
Braunkohle muss endlich Beitrag zum Klimaschutz leisten –
Strukturwandel im Kraftwerkspark angehen
Es ist alles genau so wie beim Abschied von der Steinkohle. Sobald das
Unvermeidliche nur ein wenig konkret erscheint, wird eine ‚Ganz Große Koalition‘
der Veränderungsverweigerer aus CDU, SPD, IHK, RWE, IGBCE, den Landräten u. a.
Meinungsbildnern aktiv. Diese übertrifft sich seit einigen Tagen in drastischsten
Beschreibungen und Worten vom Untergang von Wirtschaft und Industrie im
Rheinland, weil Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine Abgabe für alte (!)
Kohlekraftwerke vorgeschlagen hat. Dass Sigmar Gabriel hier einen Vorschlag
macht, ist richtig und seine Aufgabe. Denn die Große Koalition in Berlin hat noch im
Dezember 2014 beschlossen, das Klimaschutzziel von minus 40% CO2-Emissionen
bis 2020 gegenüber 1990 erreichen zu wollen. Dazu muss die Bundesregierung in
den verbleibenden, knapp fünf Jahren aber noch einiges tun: 2014 sind wir erst bei
24% Emissionsreduktion und der größte Teil davon stammt darüber hinaus noch aus
dem Niedergang der DDR-Wirtschaft. Ohne substanzielle eigene Maßnahmen in
Deutschland wird Kanzlerin Merkel die Staaten der Welt beim G7-Gipfel in Elmau im
Juni und beim Klimagipfel in Paris im Dezember kaum zu mehr Klimaschutz
bewegen können.
Dabei ist klar: Alle Sektoren müssen ihren Beitrag leisten, um die deutsche
„Klimaschutzlücke“ zu schließen – auch der Stromerzeugungssektor. Konkret geht
es darum, die Emissionen der Kraftwerke in den nächsten fünf Jahren um mindestens
70 Mio. Tonnen auf maximal 290 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr zu reduzieren. Dazu muss
selbstverständlich auch die Braunkohle ihren Beitrag leisten, nicht nur weil sie die
mit Abstand klimaschädlichste Form der Stromerzeugung ist, sondern auch weil die
Emissionen aus der Braunkohle seit den 1990er Jahren nicht gesunken sind. Ganz im
Gegensatz dazu sind die Emissionen der Stromerzeugung aus der Steinkohle und
aus Gas sehr deutlich gesunken.
CO2-Emissionen der Braunkohle im Rheinland seit über 2 Jahrzehnten nicht
gesunken
Die ‚Ganz Große Koalition‘ der Braunkohlefreunde im Rheinland redet immer gerne
von Klimaschutz, verabschiedet Konzepte und druckt bunte Broschüren über ihre
Klimaschutzbemühungen – faktisch aber hat die Braunkohle im Rheinland bis heute
null Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Die Emissionen sind mit 90 Mio. Tonnen CO2
mit jährlichen Schwankungen so hoch wie ehedem. 90 Mio. Tonnen bedeuten ein
Drittel aller Emissionen NRWs und mehr als 10% aller Emissionen Deutschlands.
Klimaschutzziele in NRW, Deutschland und Europa können nicht ohne
Emissionsreduktionen in der Rheinischen Braunkohle erreicht werden. Dieser
Tatsache müssen sich auch die Freunde der Braunkohle stellen.
In den Koalitionsverträgen in Berlin und Düsseldorf, in Klimaschutzprogrammen vom
Bund bis in die Landkreise des Braunkohlereviers, in Dutzenden von Studien und
Gutachten ist diese Erkenntnis längst festgehalten. Nun ist es an der Zeit, dass sie
endlich in konkrete Politik mündet.
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Emissionsreduktionen in der Braunkohle: Es geht um das „Wie“, nicht um das
„Ob“
Man muss Sigmar Gabriel kritisieren, aber aus einem völlig anderen Grund: Er
macht zu wenig. Gabriels Klimaschutzabgabe soll die Emissionen im
Kraftwerkssektor nur um 22 Mio. Tonnen CO2 senken. Tatsächlich müssen sie aber
um mindestens 70 Mio. Tonnen gesenkt werden, um das Klimaschutzziel zu
erreichen. Alles über 22 Mio. Tonnen hinaus will der Wirtschaftsminister durch
„Business-As-Usual“ – also z. B. durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren
Energien erreichen. Aber angesichts der Tatsache, dass Gabriel inzwischen nicht
mal seine eigenen, schon viel zu geringen Ausbauziele bei den Erneuerbaren
Energien erreichen wird, ist dieses Business-As-Usual fraglich. Auch fachlich kann
man diskutieren, ob Gabriels Instrument das Richtige ist. Die Grüne
Bundestagsfraktion hat schon vor Monaten ein anderes Instrument vorgeschlagen,
den CO2-Budget-Ansatz für jedes Kraftwerk, so wie Großbritannien ihn bereits
eingeführt hat. Dieses Instrument halten wir für zielgenauer und effektiver, aber das
kann und muss man diskutieren. Was nicht geht, ist gar kein Instrument
vorzuschlagen und die Dinge laufen zu lassen. Dann muss man auch ehrlich sagen,
dass man keine Klimaschutzziele mehr will.
Klimaschutzabgabe wirkt wie Emissionshandel
Vor zehn Jahren wurde der EU-Emissionshandel eingeführt. CO2-Emissionen sollten
einen Preis bekommen. Etwa 30 Euro je Tonne war ein Preis, den die Mehrzahl der
Fachleute (auch die von RWE) als realistisch ansahen. Klar war auch, das belastet
vor allem die Braunkohle, weil hier pro erzeugter Kilowattstunde dreimal so viel
CO2 entsteht wie etwa bei Gaskraftwerken. Nun liegt der Preis für
Emissionszertifikate aber aus den unterschiedlichsten Gründen am Boden und das
Klimaschutzinstrument funktioniert nicht. Eine Perspektive, den Emissionshandel
wieder wirksam zu gestalten, ist auf EU-Ebene vor 2020 nicht zu erkennen. Die
Wirkungslosigkeit des Emissionshandels ist aber wiederum ein enormer
Wettbewerbsvorteil gerade für alte abgeschriebene Braunkohlekraftwerke, die
damit moderne und klimafreundlichere Kraftwerke aus dem Markt drängen. Eine
Belastung mit einer Klimaschutzabgabe für alte Kohlekraftwerke in Höhe von
maximal 18 € - also unter dem erwarteten Emissionshandelspreis – ist auch deshalb
gerechtfertigt. Auf den Börsenpreis für Strom hat das Auswirkungen von maximal 0,2
ct/kWh. Angesichts von historisch niedrigen Industriestrompreisen in Deutschland
ist das verkraftbar. Daraus eine Deindustrialisierung abzuleiten wie es im
Rheinischen Revier seit Tagen zu hören ist, ist mehr als albern. RWE selbst fordert
Milliarden € umfassende Kapazitätsmärkte für seine Kraftwerke, die die Strompreise
in ganz anderer Größenordnung nach oben treiben würden.
Nicht Klimaschutz sondern Missmanagement ist Ursache für Misere bei RWE
Angesichts dessen ist das Geschrei der ‚Ganz Großen Braunkohle-Koalition‘ im
Rheinischen Revier umso unverständlicher. In jedem Fall wird die
Klimaschutzabgabe nicht das Ende der Braunkohleverstromung mit sich bringen. Es
ist dümmliche Propaganda auf dem Rücken von Beschäftigten, wenn der Wegfall
von 30.000 oder gar 70.000 Arbeitsplätzen an die Wand gemalt wird, wo RWE selbst
nicht einmal mehr 10.000 Beschäftigte hat. Deren Zahl hat sich schon in den letzten
15 Jahren halbiert, obwohl die Stromerzeugung aus der Braunkohle auf dem
gleichen Niveau geblieben ist. Wenn heute bei RWE Arbeitsplätze tatsächlich
gefährdet sind, so liegt das nicht am Klimaschutz sondern an jahrelangem
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Missmanagement und der Arroganz eines Konzerns, der die Erneuerbare Zukunft
der Energiewirtschaft erst ausgelacht, dann ignoriert, schließlich bekämpft und zum
Schluss verschlafen hat. Die Milliardengewinne aus der Braunkohle im Rheinland
wurden nicht in die Zukunft investiert sondern auf Abenteuerspielplätzen im In- und
Ausland vom Müllgeschäft im Rheinland bis hin zur Wasserversorgung von London
verzockt. Geblieben ist ein gigantischer Schuldenberg, ein nicht mehr
zukunftsfähiges Geschäftsmodell und die Zweifel, ob der Konzern überhaupt noch in
der Lage ist, für seine Altlasten bei Steinkohle, Braunkohle und Atom aufzukommen.
Wenn sechs Landräte nun die Klimaschutzbemühungen für dieses Desaster und die
ungewisse Zukunft von Arbeitsplätzen verantwortlich machen wollen, ist das bigott:
Denn eigentlich müssten sie auf sich selber zeigen. Einige von ihnen tragen seit
Jahren als Mitglieder von Aufsichts- und Beratungsgremien selbst unternehmerische
Verantwortung für die Misere bei RWE.
50 Jahre alte Braunkohlekraftwerk weiterbetreiben und hochmoderne
Gaskraftwerke abschalten passt nicht zur „Innovationsregion Rheinisches
Revier“
Es passt nicht zu einer zukunftsfähigen Innovationregion, Kraftwerksblöcke über die
Zeit retten zu wollen, die heute schon 40 oder 50 Jahre in Betrieb sind und eigentlich
ins Museum gehören. Und nur um diese alten Kohleblöcke geht es bei der
Klimaschutzabgabe oder den anderen Instrumentenvorschlägen. Es passt nicht zur
selbst ernannten „Innovationsregion Rheinisches Revier“, wenn die ‚Ganz Große
Koalition
der
Braunkohlefreunde‘
vierzig
oder
fünfzig
Jahre
alte
Braunkohlekraftwerke weiter betreiben will, es aber achselzuckend hinnimmt, wenn
in Hürth eines der modernsten und effizientestem Gaskraftwerke der Welt zwei
Jahre nach seinem Bau wieder demontiert werden soll, weil es gegen den billigen
Braunkohlestrom keine Chance am Markt hat. Hier vermissen wir Grünen den
Aufschrei von CDU, SPD, IGBCE, IHK usw. Anscheinend misst man im Rheinland im
21. Jahrhundert immer noch mit unterschiedlichem Maß, wenn es um die
Konkurrenz zu RWE und der Braunkohle geht.
Kohlekraftwerke reichern giftiges Quecksilber an
Das Rheinische Revier ist nach wie vor einer der Hot-Spots der weltweiten
Klimazerstörung. Aber nicht nur das Klima wird durch die Braunkohleverstromung
zerstört. Auch die Gewinnung der Braunkohle verursacht Schäden riesigen
Ausmaßes, nicht nur während des Abbaus sondern auch noch für folgende
Generationen, wenn schon lange keine Braunkohle mehr gefördert wird. Alte
Kohlekraftwerke haben aber noch ein besonders Problem: Sie sind die größten
Emittenten von hochgiftigem Quecksilber, das sich in unserer Umwelt immer stärker
anreichert, weil es nicht abgebaut werden kann. Selbst die Bundesregierung äußert
inzwischen Sorge über die gefährlich hohen Quecksilberkonzentrationen in Böden
und Gewässern. Von dort gelangt das Gift über die Nahrung in den Menschen. Die
USA sind nicht für ihre hohen Umweltstandards bekannt. Aber wenn die dort
geltenden Grenzwerte für Quecksilber-Emissionen in Deutschland eingeführt
würden, müsste jedes alte Kohlekraftwerk in Deutschland geschlossen oder
nachgerüstet werden. Auch deshalb gibt es Handlungsbedarf, nicht nur wegen des
Klimaschutzes.
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Reiner Priggen
Mitglied des Landtags NRW
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Nicht die Fehler des Ruhrgebiets im Rheinischen Revier machen
Mit oder ohne Gabriel’schen Klimaschutzbeitrags - die Region befindet sich in
einem Strukturwandel. Der wird weitergehen. Allerspätestens in 30 Jahren wird es
im Rheinland keine Braunkohleförderung und –verstromung mehr geben, denn die
rot-grüne Landesregierung hat richtigerweise entschieden, den Umfang des
Tagebaus Garzweiler II zu reduzieren und keine neuen Tagebaue mehr zu
genehmigen. Die Erfahrung mit dem Strukturwandel aus dem Steinkohlebergbau im
Ruhrgebiet lehrt, sich frühzeitig und konsequent auf das Ende des Bergbaus
einzustellen. Die ‚Ganz Große Koalition der Braunkohlefreunde‘ im Rheinischen
Revier beherzigt genau das nicht und erinnert eher an ähnliche Konstellation in den
1990er Jahren im Ruhrgebiet. Der „Ewigkeitsbergbau“ war das Glaubensbekenntnis
dieser Koalition. Man versuchte im Ruhrgebiet Strukturen am Leben zu erhalten, die
längst keine Zukunft mehr hatten. Für die Unterstützung dieser unsinnigen und
schädlichen Politik durch den Bund zahlen NRW und das Ruhrgebiet bis heute und in
Zukunft durch die Ewigkeitskosten einen sehr hohen Preis. Aus heutiger Sicht hat
dem Ruhrgebiet diese Strukturpolitik geschadet, die Folgen sind vielerorts zu
besichtigen. Es wäre eine Katastrophe fürs Rheinische Revier, wenn es der ‚Ganz
Großen Koalition der Braunkohlefreunde‘ gelänge den überfälligen und
unausweichlichen Strukturwandel im Rheinischen Braunkohlerevier zu verhindern.
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