Süddeutsche Zeitung WIRTSCHAFT Das Mittwochsporträt Mittwoch, 15. April 2015 Bayern Seite 18, Deutschland Seite 18 Eine verrückte Idee nungen sei, die regelmäßig über Airbnb angeboten werden, in Berlin etwa einige Tausend von 1,9 Millionen. Und von denen wiederum würden nur gut ein Zehntel mehr als 120 Tage im Jahr vermietet. Das verändere fast nichts am Wohnungsmarkt. Blecharczyk erzählt, dass er Berlin liebe und dass er oft dort unterwegs sei, ein paar Mal im Jahr. Das sei nun mal die wichtigste Stadt für Airbnb in Deutschland, weil sie so viele internationale Besucher anlocke. Blecharczyk streift gern durch die Kieze, durch Kreuzberg, Friedrichshain oder durch Mitte, und natürlich übernachtet er auch in Berlin – so wie auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos – nicht in einem Hotel. Sondern er bucht sich eine Wohnung über das eigene Portal. Ein paar Wochen später in San Francisco. In der Stadt am Golden Gate hat Airbnb seinen Sitz, im Stadtviertel South of Market, kurz: SoMa, einer einst heruntergekommenen Gegend, in die man nachts nicht ging, weil sie als zu gefährlich galt, Heimat von Gangs und Obdachlosen. Heute drängen sich in SoMa die Tech-Firmen (siehe Bericht unten). In der Brannan Street, Hausnummer 888, in einem umgebauten, beinahe 100 Jahre alten ehemaligen Lagerhaus, haben Blecharczyk und seine beiden Kompagnons vor zwei Jahren eine neue Zentrale eröffnet, die vieles aussagt über ihr Unternehmen: Rund um ein gewaltiges, an den Wänden zum Teil begrüntes Atrium spannen sich helle Etagen mit teils gläsernen Büros. Mit Luftmatratzen und Frühstück zum Milliardenkonzern: Nathan Blecharczyk und zwei Freunde gründeten Airbnb von ulrich schäfer de 4 .0 D i e St un San Francisco/Davos – Einen Plan? Nein, den hatten sie nicht. Bloß eine verrückte Idee. Und das war auch gut so. „Denn wenn wir vorher erst eine große Marktforschung gemacht hätten“, sagt Nathan Blecharczyk, „dann hätten wir unser Unternehmen gar nicht erst gegründet. Dann hätten wir niemals herausgefunden, dass es da draußen einen Markt für uns gibt.“ Die verrückte Idee: Sie entstand im Jahr 2007, als in San Francisco ein Design-Kongress stattfand und alle Hotels der Stadt ausgebucht waren. Also boten Brian Chesky und Joe Gebbia, zwei junge Designer und beide Freunde von Blecharczyk, im Internet einfach ihre Wohnung als Gastquartier an. Für die Gäste legten sie Luftmatratzen aus, dazu boten sie ein Frühstück an. Sie erwarteten, dass Leute wie sie auf diese Offerte eingehen würden, Studenten, Be- Wie das Internet der Dinge unser Leben verändert MITTWOCHSPORTRÄT rufsanfänger, Mittzwanziger ohne Geld. Stattdessen nächtigten in ihrer Wohnung: eine ältere Frau aus Boston, ein vierfacher Familienvater aus Utah und ein Inder. Sie merkten: Da draußen gibt es einen Markt – einen Markt für alternatives Übernachten fast wie zu Hause, den noch niemand erschlossen hatte. Also gründeten sie Airbnb, oder „Airbedandbreakfast“, wie das Unternehmen zunächst hieß. Blecharczyk, der Tüftler, der zu der Zeit noch an der amerikanischen Ostküste studierte, in Harvard, entwickelte die Website. Und die drei legten los. Voller Hoffnungen, voller Illusionen. Heute, acht Jahre später, ist Airbnb das bedeutsamste Unternehmen der Share Economy, es steht für eine Art des Wirtschaftens, die im Internet immer populärer wird: Teilen statt Kaufen, share statt buy, für private Angebote, die über das Netz gebündelt werden und sich via Notebook oder Smartphone bequem buchen lassen. Es ist eine Geschichte, die typisch ist für das Silicon Valley. Eine Geschichte, die zeigt, dass längst nicht alle Tech-Unternehmen aus Kalifornien eine gradlinige Erfolgsstory hinlegen, sondern manchmal ein längerer Atem notwendig ist. Und so wäre auch aus der verrückten Luftmatratzen-Idee von 2007 nie etwas geworden, wenn Blecharczyk und seine beiden Freunde nicht so hartnäckig und verrückt gewesen wären. Anfangs nämlich glaubte außer ihnen fast niemand an ihre Idee. Die Kunden nicht, die einen weiten Bogen um die Website machten. Ein paar Hundert Dollar verdienten die beiden Designer aus San Francisco im Monat, nicht mehr. Blecharczyks Kommilitonen an der Harvard University zog es zu den Banken, hin zum großen Geld, während er sich mit dem Unternehmen abmühte; sie lächelten mitleidig. Und die Investoren, bei denen Blecharczyk, Gebbia und Chesky ihre Geschäftsidee präsentierten, schüttelten nur den Kopf: Nein, das werde nicht funktionieren. Nein, dafür hätten sie leider kein Geld übrig. Kein Risikokapital. Nichts. Auch ein erster Erfolg, ein paar Tausend Übernachtungen während des Nominierungspartei- tags für Barack Obama im Jahr 2008 in Chicago, plus ein paar Fernsehbeiträge, erwies sich als flüchtig. Schon kurz danach herrschte wieder Ruhe auf der Website von Airbnb. „Nach einem Jahr waren wir ziemlich niedergeschlagen“, hat Blecharczyk dem Stern über diese Zeit mal gesagt. Dies scheint eine Ewigkeit her zu sein. Die drei Gründer sind auf dem Papier mittlerweile Milliardäre, und das mit Anfang 30. Ihr Unternehmen wird, noch ehe es überhaupt an die Börse gegangen ist, mit zehn Milliarden Dollar bewertet. Die drei Freunde haben eine globale Marke geschaffen, präsent in 192 Ländern. Und sie werden mittlerweile auch dorthin eingeladen, wo sich eigentlich vor allem die Chefs etablierter Konzerne treffen: zum Weltwirtschaftsforum in Davos etwa. Und so sitzt Blecharcyk, dieser schlaksige, gut aussehende Kerl Anfang 30, im Januar in einem der schicken Hotels in Davos, im Belvedere, und erzählt bei Kaffee und Croissant, wie alles begann. Wie sie nach dem frustrierenden Start doch noch jemanden fanden, der ihnen half: den Gründer von Y Combinator, einer dieser Start-up-Fabriken im Silicon Valley, die jungen Unternehmern dabei helfen, die Dinge zu ordnen, ein Netzwerk aufzubauen und die Kontakte zu den Investoren zu knüpfen. Das Treffen in Davos ist ein erstes Kennenlernen, ein erstes Betasten, und Blecharczyk tritt dabei ganz ähnlich auf wie, nun ja, jemand, der sich als idealer Schwiegersohn präsentieren will: lächelnd, höflich, stets freundlich im Ton. Er ist kein Großmaul, so wie Travis Kalanick, der Chef der Mitfahrdienstes Uber. Keiner also, der seine Konkurrenten als „Arschlöcher“ bezeichnet. Blecharczyk möchte nicht provozieren, sondern seine Gesprächspartner überzeugen – auch wenn Airbnb mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie Uber. Denn in etlichen Städten ist Airbnb, trotz aller Sympathie bei den Kunden, nicht gerade willkommen. So stoßen sich zum Beispiel in New York die Behörden daran, dass jene Menschen, die über Airbnb ihre Wohnungen vermieten, oft keine Steuern bezahlen. In Berlin stört die Behörden, dass viele Anbieter bei Airbnb ihre Wohnungen als Ferienwohnung offerieren, obwohl sie dafür keine Genehmigung haben. Nachbarn klagen in vielen Städten, dass ganze Viertel umkippen, und Hotelbetreiber ärgert vielerorts, dass sie die Gesetze einhalten müssen, während die wilden Vermieter von Airbnb dies nicht tun. Wenn Blecharczyk auf Reisen ist, bucht er eine Wohnung über das eigene Portal Geht es Airbnb also darum, gezielt die Gesetze zu brechen? Nein, nein, beschwichtigt Blecharczyk und setzt sein Schwiegersohn-Lächeln auf. Man rede dort, wo es Schwierigkeiten gebe, längst mit den lokalen Behörden. Man wolle die Politiker vor Ort von den Vorteilen von Airbnb überzeugen. In Hamburg etwa sei man sehr offen für Diskussionen, in Amsterdam sowieso. Und überhaupt: Airbnb sei doch eine gute Sache, „weil wir Menschen, die das Geld benötigen, ein zusätzliches Einkommen verschaffen. Wir schaffen viele kleine MicroEntrepreneure und stärken deren Selbstvertrauen, wenn sie von ihren Gästen positive Bewertungen bekommen.“ Aber vertreibt Airbnb nicht die einfachen Mieter? Trägt das Unternehmen nicht mit dazu bei, dass zum Beispiel in den Szene-Gegenden in Berlin die Mieten noch schneller steigen und die Gentrifizierung weiter voranschreitet? Nein, versichert Blecharczyk lächelnd. Er könnte jetzt, wie Kalanick, über all die unwissenden Kritiker schimpfen. Stattdessen rechnet er nüchtern vor, dass es ja nur ein verschwindend kleiner Teil von Woh- Künftig werden auch Essen, Transport und andere Dienste rund ums Reisen angeboten „Nach einem Jahr waren wir ziemlich niedergeschlagen“, hat Nathan Blecharczyk einmal über die Anfänge von Airbnb gesagt. Heute ist der Amerikaner Multimillionär. Über sein Übernachtungsportal vermieten Privatleute Zimmer an Fremde. FOTO: DPA SoMa - die Verlängerung des Silicon Valley Früher haben sich viele nachts in diese Gegend nicht getraut, sie galt mal als „No-GoArea“: als ein Viertel, in das man nicht geht. South of Market – so nennen die Menschen in San Francisco dieses Viertel. Oder abgekürzt: SoMa. Diese Abkürzung erinnert ein wenig an eine berühmte Gegend in New York, an SoHo, einer Abkürzung für South of Houston Street. Auch im Fall von SoMa ist der Name abgeleitet von einem Straßennamen – und zwar von jener langen Straße namens Market Street, die die Halbinsel von San Francisco in ihrem nordöstlichen Teil diagonal durchzieht. Die Market Street bildete bis in die 90er Jahre hinein eine natürliche Grenze: zwischen dem schönen, herausgeputzten Teil von San Francisco, der nördlich der Straße liegt – und der Gegend südlich, wo viele Häuser heruntergekommen und die Obdachlosen zahlreich waren. Dann zogen zunächst die Künstler nach SoMa, auch die Lebenskünstler, ein Konferenzzentrum wurde errichte und das San Francisco Museum oft Modern Art. Später folgten viele Menschen mit Geld und mit ihnen ausgefallene Restaurants. Heute ist dieses Viertel, in dem auch zahlreiche Internet-Unternehmen zu Hause sind, darunter Airbnb, ähnlich hipp, wie es in Berlin mal der Prenzlauer Berg war und Friedrichshain heute noch immer ist. Immer mehr Menschen, immer mehr Hotels, immer mehr Hightechfirmen drängen in diese Gegend, deren Häuser nach dem großen Beben des Jahres 1906 fast völlig zerstört waren. Was früher Brachland war, vielleicht ein Parkplatz, oder eine Ruine beherbergte, wird deshalb nun bebaut. Überall drehen sich die Kräne, überall wachsen neue, gewaltige Hochhäuser in den Himmel: manche mit schicken Appartements, andere mit edlen Büros – alle aber in jedem Fall mit sehr hohen Mieten. „Diese Gegend wird immer teurer. Sie verändert sich dramatisch“, sagt Torsten Kolind, ein Däne, der sich hier, im Backsteinkeller einer ehemaligen Fleischverpackungsfabrik, mit seinem Start-up Younoodle niedergelassen hat. Er betreibt eine riesige Datenbank, in der sich die Adressen von Zehntausenden von anderen Start-ups finden. Kolind weiß daher genau, wo in der kalifornischen Tech-Bran- DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de che sich etwas bewegt. Hier, in SoMa, tut sich besonders viel: Das Viertel hat sich zur nördlichen Verlängerung des Silicon Valley entwickelt. SoMa ist in den Augen vieler Gründer sehr viel reizvoller als die gesichtslosen Städte weiter südlich, als Mountain View oder Menlo Park, als Paolo Alto oder Los Gatos. Klar, hier ist man mitten im prallen Leben, Restaurants und Cafés gibt es in Hülle und Fülle, Geschäfte, Kultur. Verteilt auf wenige Straßenblocks fände man hier Hunderte von Start-ups, erzählt Kolind beim Mittagessen im Szene-Restaurant Marlowe. Man entdeckt auch einige der ganz großen Namen darunter, vor allem Firmen, die erst in den letzten Jahren groß geworden sind: Zynga oder Uber, Dropbox oder Pinterest. Wer hier arbeitet, der muss nicht einen der umstrittenen private Busse nehmen, mit denen Google und Co. ihre Mitarbeiter jeden Tag ins Valley kutschieren, der spart sich die langen Fahrten, Stau oft inklusive – sondern kann mit dem Rad ins Büro kommen. Oder ist in nur zehn oder 15 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln da. USC Viele Zimmer sind so eingerichtet wie besondere Unterkünfte, die Airbnb rund um die Welt anbietet, mit tiefen Sofas und ausladenden Ohrensesseln, mit orangefarbenen Hockern, gelben Schränken oder braunen Küchentheken. Im Raum „Milan“, benannt wie die anderen nach Städten rund um die Welt, steht sogar ein Bett. In einer Ecke findet sich auch eine Luftmatratze – eine augenzwinkernde Erinnerung an die Anfangszeiten des Unternehmens. Nur der Konferenzraum ist nicht so licht und hell. Ein fensterloser, runder Raum mit schwarzen Wänden. In der Mitte ein runder Tisch, darum schwarze Stühle mit hohen Rücklehnen. Der Raum ist dem „War Room“, der Krisenzentrale in dem Hollywood-Film „Dr. Strangelove“ von Stanley Kubrick nachempfunden, in dem es um einen Nuklearkrieg geht. Die Menschen, die hier arbeiten, sind meist Ende 20, Anfang 30. So wie die Gründer. Sie kommen, wie auch Blecharczyk, gern mit dem Fahrrad. Und sie bieten fast alle auch ihre Wohnungen bei Airbnb an. Das sei sehr wichtig, sagt Blecharczyk, weil sie so ein Gefühl für das Geschäft bekämen, für die Wünsche der Kunden – und für das, was man besser machen könne. Auch er selbst bietet seine Wohnung in San Francisco über das eigene Portal an. „Ich hatte verdammt viele Gäste in den letzten Monaten“, sagt er und fügt stolz hinzu, dass auch er ziemlich viele gute Bewertungen bekommen habe. Wie also wird es weitergehen mit Airbnb? Wird das Unternehmen weiter expandieren? Ja, klar, sagt Blecharczyk. Auch in andere Bereiche? Ähnlich wie Amazon, das mit Büchern angefangen habe und nun ein großes Warenhaus sei? „Wir bleiben im Reisegeschäft. Das bietet uns Möglichkeiten genug“, sagt Blecharczyk. So habe Airbnb viele Länder noch bei Weitem nicht erschlossen. Und neben dem Wohnen würden künftig auch Essen, Transport und andere Dienste rund ums Reisen eine Rolle spielen. Der Markt für Übernachtungen liege weltweit bei ein paar Hundert Milliarden Dollar, in der gesamten Tourismusindustrie gehe es dagegen um Billionen. Klingt, als hätten Blecharczyk und seine Kumpels hierfür nicht bloß eine Idee, sondern einen konkreten Plan. Die digitale Revolution ist auch das Thema beim diesjährigen Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung (19. bis 21. November) in Berlin. Infos und Anmeldung: www.sz-wirtschaftsgipfel.de A59911293 uschaefer
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