SZ-Archiv: A59824496 - Der Süddeutsche Zeitung Wirtschaftsgipfel

Süddeutsche Zeitung
WIRTSCHAFT
Samstag, 4. April 2015
Samstagsessay
München Seite 26
von marc beise
und ulrich schäfer
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de
SAMSTAGSESSAY
Die Zerstörer
Die digitale Revolution erreicht die nächste Stufe: Wie wir leben, arbeiten
und denken. Alles im Umbruch. Im Silicon Valley sprechen sie von „Disruption“.
In Deutschland haben viele noch nicht begriffen, wie radikal der Wandel ist
4 .0
D i e St
un
in Lächeln zieht über sein Gesicht, good to see you again. Vor
ein paar Wochen war Travis Kalanick in München und hat erklärt,
wie er die Welt verbessern will,
weniger Autos, mehr Mobilität, weniger Abgase, mehr Arbeit – was halt so geht, wenn
man die Menschen dazu bringt, sich über
das Internet zu verbinden und Fahrdienste
zu verabreden, statt selbst zu fahren. Nun
steht er im Foyer der Davies Symphony
Hall von San Francisco, gerade hat er einen
„Tech Crunch Award“ erhalten, einen der
jährlich verliehenen Oscars der DigitalCommunity. Die Branche hat ihn zum Vorstandschef des Jahres gewählt. Ausgerechnet ihn, den radikalen Zerstörer. Das Großmaul. Den Mann von Uber, den Gesetze
nicht wirklich interessieren. Das sagt viel
aus über die Tech-Industrie, ihr Denken, ihren momentanen Zustand.
Anything goes. Es ist manchmal ein Allmachtsdenken zu spüren hier, das einen
frösteln lassen kann. Das Silicon Valley
muss man erlebt haben. Die Zerstörer aus
dem Internet der Dinge leben, um zu arbeiten, verschreiben sich ganz ihren Firmen,
die Finanziers sitzen gleich nebenan, alles
geht Hand in Hand. Was in Palo Alto, dem
Städtchen, wo Hewlett und Packard den ersten Automaten bauten und wo Steve Jobs
bis zu seinem Tod lebte, begonnen hat,
geht jetzt hoch bis San Francisco. Und es ist
kein Zufall, dass es einige hier gibt, die ihren eigenen Staat gründen wollen vor der
Küste, um außerhalb der bestehenden Gesetze arbeiten zu können.
Das Silicon Valley ist mit Konsumprodukten groß geworden, mit Handys, dem
Internet, Suchmaschinen, Online-Shops,
mit Dienstleistungen für Verbraucher. Das
war spannend, in gewisser Hinsicht auch revolutionär. Aber: Es war nur ein Anfang.
Nun aber basteln sie am nächsten großen
Ding, dem Internet der Dinge, das unser
ganzes Leben verknüpfen wird – und sich
nicht bloß an den Konsumenten, sondern
auch an alle Unternehmen richtet. Wenn
künftig Maschinen und Geräte unentwegt
miteinander kommunizieren, wenn sie riesige Datenmengen austauschen, abgleichen, überprüfen und daraus selbständig
lernen, verändert dies alles: wie wir leben,
arbeiten, wirtschaften und denken. Es hebt
die Wirtschaft auf eine andere Stufe, sie
wird schneller, produktiver, effizienter.
Aber es bedeutet auch: Der arbeitende
Mensch wird in vielen Fällen überflüssig.
In dieser neuen, von intelligenten Maschinen beherrschten Welt kommunizieren Smartphones und Sensoren, Server
und winzige Chips, Bewegungsmelder und
Ortungsdienste ständig miteinander. Da
weiß der Hochleistungsrechner, wann in einem kilometerlangen Tunnel oder einem
Hochhaus welches Bauteil der Belüftungsanlage bald defekt sein wird und deshalb
ausgetauscht werden sollte. Und es lassen
sich aus vielen Tausend Kilometern Entfernung ganze Fabriken warten und die Verkehrsströme steuern. In dieser voll vernetzten Welt springt die Heizung rechtzeitig an,
wenn man sich mit dem Auto seinem Haus
nähert; der leere Kühlschrank meldet, dass
man unterwegs noch schnell eine Pizza
oder ein Bier einkaufen sollte; die Freunde
können auf der App verfolgen, dass man in
exakt sieben Minuten da sein wird.
Wie das Internet der Dinge
unser Leben verändert
Früher galt: Ich will mitspielen.
Heute gilt: Ich spiele –
und kicke den anderen raus
ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV
Kompromisslose Unternehmer wie den
Uber-Gründer gibt es viele im Großraum
San Francisco, sowohl in der Stadt selbst,
die vor neuem Wohlstand fast platzt, als
auch nach Süden raus in dieser dicht besiedelten Ebene, die als Silicon Valley weltberühmt geworden ist. Kalanick, der Junge
aus Kalifornien, noch nicht 40 Jahre alt,
mit einem geschätzten Vermögen von fünf
Milliarden Dollar oder mehr, womit er auf
der Liste der Top 100 der reichsten US-Amerikaner wäre, steht für das Valley – in all seiner Faszination, aber auch seinen Widersprüchen. Er hat weltweit Taxifahrer und
Kommunen das Fürchten gelehrt und ist
vor allem in ordnungsliebenden Gesellschaften wie Deutschland hoch umstritten,
weil man über die Uber-App schnell ein Taxi bestellen kann, das aber kein Taxi ist,
sondern ein Privatmensch mit Privatauto.
Uber ist der derzeit öffentlichkeitswirksamste Teil einer neuen Ökonomie, in der
alles, wirklich alles miteinander vernetzt
wird: das Smartphone mit dem Auto, mit
dem Haus oder mit dem Kühlschrank, die
Maschine mit der Maschine, die eine Fabrik mit der anderen – und der Mensch mit
allem: mit seiner digitalen Uhr, dem Fitnessarmband, mit all seinen Freunden, die
ständig wissen können, wo man sich gerade aufhält und was man macht. Im Silicon
Valley nennen sie diese Welt des überall verfügbaren Netzes, in dem Geräte und Maschinen ständig miteinander kommunizieren und Daten austauschen, kurz und prägnant: Internet der Dinge. Oder auch: „Internet of everything“ – das Internet für alles. In Deutschland hat man einen eigenen
Begriff erfunden, man redet von der Industrie 4.0, was aber nicht treffend ist, weil es
ja nicht bloß darum geht, Maschinen und
Fabriken zu vernetzen – sondern unser ganzes Leben, unser ganzes Sein.
Mitmachen im Internet der Dinge sollen
alle, das ist die Bedingung, denn dadurch
potenzieren sich die Potenziale – aber jemand muss die Basis schaffen, die „Plattformen“ bauen, auf denen die User sich tummeln. Je mehr mitmachen, desto erfolgreicher ist der, der die Plattform administriert. Google ist so groß geworden, Facebook, viele andere. Ökonomen alter Schule
sprechen von Skaleneffekten: selber Einsatz, immer mehr Nutzer, dann ist das eine
Lizenz zum Gelddrucken.
Man muss freilich die eine, die zündende Idee haben. Kalanick hatte sie, als er sich
mal wieder über Taxifahrer ärgerte. Er beschloss, sie aus dem Markt zu fegen. Heute
würde er das so nicht mehr bestätigen, er
weiß um sein Image als Rambo des Silicon
Valley, aber er ist auch noch nicht so glattgeschliffen wie andere hier. Mit Kalanick ist
es wie mit einer Urlaubsregion, die man
noch fast unberührt kennenlernt, ehe sie
dem Massentourismus anheimfällt. Man
Alles wird schneller: Die Digitalisierung verändert sämtliche Geschäftsmodelle
Alles wird brutaler: Die künstliche Intelligenz macht den Menschen oft überflüssig
Alles wird vernetzt: Die Maschinen reden ständig miteinander – und lernen dazu
muss sie früh erkunden, um sie „echt“ zu erleben. Kalanick ist noch echt, gerade noch
so. Man spürt diesen unbändigen Willen,
der Beste zu sein, ein Geschäftsmodell zu erfinden, das ein anderes zerstört.
Im Valley haben sie dafür ein Wort; kein
Gespräch, wirklich keines, in dem es nicht
fällt: Disruption. Den Gedanken dahinter,
dass in der Wirtschaft Altes durch Neues
verdrängt wird, kennt man von Joseph
Schumpeters „schöpferischer Zerstörung“.
Aber der Wandel, den der Ökonom vor gut
hundert Jahren beschrieben hat, war noch
allmählich, da wuchsen und zerfielen Firmen über Jahrzehnte, jetzt geht alles ganz
schnell, manchmal innerhalb von ein paar
Monaten. Disruption bedeutet: Alles, wirklich alles ändert sich, und zwar rasend
schnell. Disruption bedeutet: Der bisherige
Faden reißt und es wird ein anderer, besserer gesponnen. Das alte Geschäftsmodell
verschwindet in einer Branche nach der an-
deren und wird durch ein neues ersetzt.
Das Hotel durch die Ferienwohnung bei
AirBnB, der Mittelständler durch die App,
die Bank durch das Fintech-Unternehmen.
Bei Schumpeter war das Ganze eine Beobachtung, die Akteure selbst machten
sich über „Zerstörung“ keine Gedanken,
sie wollten „schöpfen“. Sie waren ins Gelingen verliebt, waren Erfinder, Schumpeter
schrieb von der „Freude am Gestalten“. Bei
Kalanick und den Seinen ist die Stoßrichtung schärfer. Es geht nicht nur darum, besser zu sein als andere, eine Idee zu haben,
ins Gelingen verliebt zu sein, sondern es
geht darum, eben disruptiv zu sein, etwas
anderes zu zerstören. Nicht: Ich will mitspielen. Sondern: Ich spiele und kicke den
anderen raus. Beim Wollen bleibt es nicht:
Für den Zweiten und Dritten ist am Markt
oft kein Platz mehr.
Kalanick hatte das noch drauf, als er
schon groß und bekannt war und das ist
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sein Fehler, er sprach von dem Arschloch
namens Taxi, das er fertigmachen werde –
eine Attitüde, die seinen Ruf prägt und den
Geschäften schadet. Heute hat er einen ehemaligen Obama-Pressemann als Berater,
der spült ihn weich. Wenn man aber reinfährt ins Valley, trifft man noch viele, die
disruptiv sein wollen und das auch sagen.
Ortstermin im Computermuseum in
Mountain View, Google ist gleich um die
Ecke, aber auch das Forschungslabor von
BMW. Beim D-Day, dem Demo-Day, werben Gründer, deren Geschäft schon läuft,
um die nächsten Finanziers, die nicht nur
das erste große Geld geben, das hatten sie
schon, sondern die nächste Dimension, damit man das Geschäft ganz groß aufziehen
kann. Sie präsentieren sich auf der Bühne
und stellen ihr Produkt vor. Aber eigentlich
sagen sie: Ich bin der Gründer, der CEO, das
sind meine Zahlen, und ich bin besser als alle anderen – folgt mir.
In dieser Welt der künstlichen Intelligenz kann man sich auch eine Baustelle vorstellen, wie sie die Software-Entwickler
von Autodesk in San Francisco beschreiben: Der Bauplan ist komplett digitalisiert;
alle Materialien werden von der Software
voll automatisch und just-in-time bestellt
– oder in einem riesigen 3-D-Drucker direkt auf der Baustelle gefertigt: pass- und
minutengenau. Das übliche BaustellenChaos verschwindet, die Bauzeit verringert
sich dramatisch und die Zahl der Bauarbeiter natürlich auch.
Die Zerstörer im Silicon Valley haben viele solcher Visionen. Auch das selbstfahrende Auto, gesteuert von Sensoren und riesigen Datenmengen, zählt dazu, am besten
natürlich das Elektroauto, das sich an einer
dezentralen Ladestation aus dem SmartGrid, dem intelligenten Stromnetz, speist
oder Strom abgibt, wenn anderswo der Verbrauch hoch ist.
Das selbstfahrende Auto bildet in unserer mobilen Gesellschaft vielleicht die
höchste Stufe der digitalen Vernetzung,
auch deshalb arbeiten sie bei Google, Apple
und Tesla so verbissen daran. Was wird,
wenn auch diese Vision Realität wird? Was,
wenn künftig nicht mehr der Uber-Fahrer
oder der Paketbote des Online-Lieferdienstes kommt? Sondern eine vollautomatisches, führerloses Gefährt? Dann hätten
die Zerstörer auch einen Teil jener Jobs zerstört, die sie neu geschaffen haben. Und am
Ende hätten viele Zerstörer sich selbst vielleicht überflüssig gemacht.
Und so bleibt als Erkenntnis vor allem eines: Die Welt, in der wir leben und arbeiten,
wird künftig sehr anders sein. Faszinierend
anders. Und beängstigend anders.
Die digitale Revolution ist auch das zentrale Thema beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ (19. bis 21. November) in Berlin. Mehr Infos
und Anmeldung: www.sz-wirtschaftsgipfel.de
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