Unterhalt aus fiktiven Einkünften und Nutzungsvorteilen

21. Deutscher Familiengerichtstag 2015
Arbeitskreis 2: Unterhalt aus fiktiven Einkünften und Nutzungsvorteilen
Leitung des Arbeitskreises: Richter am OLG Dr. Michael Henjes, Oldenburg
Fiktive Einkünfte sind ein Stilmittel des Unterhaltsrechts mit dem wir uns, wie der Name bereits zum
Ausdruck bringt, von der Realität verabschieden und in die Region der oft eigenen Weltanschauung
eintreten. Überlegungen dazu, wie der Unterhalt zu berechnen wäre, wenn nicht das tatsächliche Einkommen sondern das mögliche maßgeblich wird, finden sich immer dort, wo gegen unterhaltsrechtliche Obliegenheiten verstoßen wird. Dabei ist der Verstoß gegen eine Erwerbsobliegenheit nur das
Einfallstor für den Eintritt in die Fiktion. Im Anschluss muss diese auch konsequent zu Ende gedacht
werden: Welches Einkommen kann in welcher Höhe erzielt werden? Welche Kosten entstehen und
welche sonstigen Auswirkungen sind zu beachten? Dies sind Fragen, die in der gerichtlichen Praxis
oftmals nicht vollständig beantwortet werden. Auf den ersten Blick erscheint es einfach, sich seine
fiktive Welt aufzubauen; wohl zu Ende gedacht ist die Fiktion aber erst dann, wenn auch alle damit
einhergehenden Umstände berücksichtigt werden.
Die Fiktion ist stets mit großen Unsicherheiten behaftet. Dies wird vielleicht am deutlichsten bei der
Frage des angemessenen Lebensbedarfs nach § 1578b Abs. 1 BGB, der nicht selten auf der Grundlage eines gänzlich fiktiven Lebensabschnitts bemessen wird. Nicht belastbare Tatsachen sondern
Prognosen auf einer oftmals „dünnen“ oder gar selbst fiktiven Grundlage bestimmen die Bemessung.
Im Ergebnis führt die Fiktion letztlich dazu, dass der Unterhalt regelmäßig an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbei festgesetzt wird. Für den Unterhaltsberechtigten bedeutet dies, dass er nicht über
die liquiden Mittel verfügen kann, wie sie zur Deckung seines Bedarfs erforderlich wären. Für den
Unterhaltspflichtigen wird eine das tatsächliche Einkommen übersteigende Leistungsfähigkeit fingiert,
was häufig dazu führt, dass der festgesetzte Unterhalt nicht aufgebracht werden kann.
Die Frage der liquiden Mittel steht auch bei der Bewertung von Nutzungsvorteilen im Mittelpunkt. Zu
den in der Praxis häufig auftretenden Nutzungsvorteilen gehören der Wohnvorteil und die Sachzuwendung „Dienstwagen“. Die Bewertung dieser Vorteile bereitet in objektiver Hinsicht bereits einige
Schwierigkeiten und bedarf vielfach noch einer Korrektur auf der subjektiven Ebene. Ein Autoverkäufer, der jeden Tag mit einem Audi A6 nach Hause fährt, erhält einen Nutzungsvorteil, der sich völlig
seinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen löst, wie sie durch das tatsächliche Einkommen vorgegeben werden. Wird beispielsweise der Bedarf des Unterhaltsberechtigten durch diese nahezu „aufgedrängte Bereicherung“ beeinflusst, können Schieflagen entstehen, die es zu bereinigen gilt. Entsprechendes gilt für den Wohnvorteil: Der objektive Wohnvorteil bemisst sich nach dem objektiven
Mietwert der Immobilie. In dieser Beschreibung findet sich das Wort „objektiv“ so häufig, dass man an
der Einstellung des so ermittelten Betrages in die Unterhaltsberechnung nicht mehr zweifeln mag.
Allerdings kann sich auch hier die Problematik aufdrängen, dass ein Unterhaltsberechtigter oder pflichtiger nach seinem tatsächlichen Einkommen eine derartige Immobilie gar nicht anmieten könnte
und eine Verwertungsobliegenheit aus unterschiedlichen Gründen nicht besteht. In diesen Fällen
muss der objektive Wert durch die subjektiven Parameter angepasst werden. Streng genommen lebt
man dann wieder in einer fiktiven Welt und so schließt sich der Kreis der beiden Teilbereiche des
Themas.
Vor diesen Hintergründen wird sich der Arbeitskreis damit zu befassen haben, wie die fiktive Welt des
Unterhaltsrechts die wahren Relationen der Beteiligten eines Unterhaltsverfahrens im Blick behält.
21. Deutscher Familiengerichtstag 2015
Wie findet eine Bewertung der gängigen Nutzungsvorteile statt und welche Kriterien beeinflussen deren Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten? Wie kann die Nichteinhaltung von unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten durch die richtige und vollständige Bemessung von Einkünften aus fiktiven
Erwerbsmöglichkeiten ausgefüllt werden?
Ziel des Arbeitskreises ist es, die dogmatische Stellung der jeweiligen Problematik herauszuarbeiten,
Kriterien zu ermitteln und Berechnungswege aufzuzeigen, um zu sachgerechten, praxistauglichen Lösungen zu gelangen.