Süddeutsche Zeitung WIRTSCHAFT Interview Samstag, 4. April 2015 Bayern, Deutschland, München Seite 25 „Das gefährdet die Identität des Menschen“ Der Nobelpreisträger Robert Shiller über die Gefahren der digitalen Revolution, künstliche Intelligenz und die Jobs von heute, die morgen niemand mehr braucht Professor Shiller, die New Economy galt vor 15 Jahren als Beginn einer neuen Ära der Wirtschaft. Erreichen wir nun – mit der Verarbeitung von Daten in Rechenzentren, dem sogenannten Cloud Computing, mit Smartphones und der totalen Vernetzung – erneut ein Stadium, in dem sich die Mechanismen der Wirtschaft fundamental ändern? In der Tat erleben wir eine fundamentale Entwicklung. Aber die Stimmung heute ist anders. Ende der 90er-Jahre befanden wir uns mitten in einem Goldrausch. Es war entscheidend, als Erster seinen Claim abzustecken. Damals war es dumm, als Unternehmer auf Gewinne aus zu sein, sondern das oberste Ziel war es, den Marktanteil so schnell wie möglich zu vergrößern – und die Produkte notfalls zu verschenken. Dennoch wurden viele Unternehmen damals extrem hoch an der Börse bewertet. Und heute? Heute gibt es keine Goldrausch-Mentalität mehr. Vor 15 Jahren war jeder darauf aus, in Aktien wie Amazon oder Ebay zu investieren, um ganz schnell reich zu werden. Heute fragen viele Menschen sich, ob das Internet nicht ihren Job verdrängt. Die Menschen sprechen nicht so offen darüber, aber im Verborgenen ist die Angst vorhanden. Zugleich ist die Ungleichheit in der Gesellschaft erheblich gewachsen. Welche Folgen hat das? Weil die Menschen sich so sehr sorgen, sparen sie mehr. Und das bringt die Wirtschaft nach unten. Machen Sie persönlich sich deswegen auch Sorgen? Ja. Der Fortschritt in der Computertechnologie ist derart schnell geworden, dass man wirklich Angst haben muss. Was vor Kurzem noch Science-Fiction war, ist heute Realität. Wir reden gerade zum Beispiel auf Skype miteinander. Seit wann gibt es das? Seit zehn Jahren? Ja. Ungefähr. In den USA gab es in den 60er-Jahren die Zeichentrickserie „The Jetsons“. Da hatten die Menschen ein Telefon mit Bildschirm. Heute habe ich ein Smartphone, auf dem ich Sie beim Telefonieren sehe. Oder ich kann meinem Smartphone eine Frage stellen – und es antwortet mir. Mit anderen Worten: Die Veränderungen, die wir im aktuellen Internetboom erleben, beeinflussen die Wirtschaft noch sehr viel dramatischer als vor 15 Jahren? Ja. Heute, mit all der künstlichen Intelligenz, erleben wir Dinge, die sich Ende der 90er niemand vorstellen konnte. Früher haben Menschen sich durch ihr Wissen definiert. Wer viel wusste, der war interessant. Heute braucht man nicht mehr so viele interessante Menschen, weil es ja das Internet gibt, wo man jede Frage beantwortet bekommt – und zwar oft sehr viel besser. Schauen Sie sich Ihr Geschäft an, das Geschäft der Tageszeitungen – das ist durch das Internet völlig anders geworden. Oder mein Beruf als Professor: Heute gibt es für alles Online-Kurse. Werden Sie als Professor irgendwann nicht mehr gebraucht? Es werden in jedem Fall künftig weniger Professoren gebraucht. In einem meiner un R obert Shiller hat als Ökonom ein erstaunliches Gespür für die großen Wenden unserer Zeit: Im Jahr 2000 veröffentlichte er, exakt auf dem Höhepunkt der ersten Internetblase, der New Economy, sein warnendes Buch „Irrationaler Überschwang“ – und erwies sich damit als Crash-Prophet. 2005 warnte er vor dem Platzen der Immobilienblase in den USA. Und nun, zur dritten Auflage, treibt ihn die Sorge vor der nächsten Internetblase um. Ein Gespräch über die Risiken der digitalen Revolution. Geführt via Skype. de 4 .0 D i e St interview: ulrich schäfer Die digitale Revolution erreicht eine neue Stufe: Das Internet der Dinge vernetzt alles miteinander – Smartphones, Häuser, Maschinen und Menschen. Branche um Branche wird davon erfasst, und das verändert die Gesetze des Wirtschaftens. In der neuen Serie „Die Stunde 4.0“ beschreiben Marc Beise und Ulrich Schäfer, wie sich diese neue Phase der digitalen Revolution vom Silicon Valley aus ausbreitet und unser Leben und Arbeiten verändert. Jeden Samstag und Mittwoch im SZWirtschaftsteil. Lesen Sie heute hierzu auch den Essay auf der nächsten Seite. letzten Online-Kurse hatten sich sage und schreibe 200 000 Studenten angemeldet. Am Ende haben nicht alle teilgenommen. Aber dennoch haben über 8000 Studenten bei mir eine Prüfung ablegt. So etwas war vor ein paar Jahren völlig unvorstellbar. Diese rasante Veränderung durch die Digitalisierung betrifft jede Branche. Nimmt man das Leitbild der schöpferischen Zerstörung des Ökonomen Joseph Schumpeter, dann ist das doch eigentlich positiv: Denn am Ende ist die Wirtschaft dann besser und innovativer – und auch unser Leben wird dadurch besser. Das wäre eine sehr positive Sicht der Dinge. Ich dagegen rede über die Risiken und Unsicherheiten, die heute größer sind als früher. Die entscheidende Frage ist doch: Wie gehe ich als Individuum mit diesen Risiken und Unsicherheiten um? Werde ich einer der Gewinner sein? Oder einer der Verlierer? Warum sind die Risiken heute größer? Früher war es doch so: Wer einen bestimmten Beruf gewählt hat, zum Beispiel Lehrer oder Übersetzer, der konnte davon ausgehen, dass er diesen Beruf sein ganzes Leben lang ausüben kann. Man musste sich keine Sorgen machen. Aber braucht man in 20 Jahren all diese Lehrer und Übersetzer noch? Oder gibt es stattdessen dafür digitale Maschinen? Wenn erlerntes Wissen massenhaft entwertet wird, gefährdet das die Identität des Menschen. Denn sein ganzes Selbstwertgefühl beruht ja darauf, dass er etwas kann. Dieses Selbstwertgefühl ist nun gefährdet. Was bedeutet dies für die Gesellschaft? Schon 1948 hat Norbert Wiener in seinem Buch „Cybernetics“ geschrieben: „Ich weiß nicht, was gefährlicher ist: der Computer oder die Atombombe?“ Der Computer, warnte er, ersetze das menschliche Gehirn, und das sei insbesondere bedrohlich für Menschen mit begrenzten Talenten. 1948 waren Computer allerdings noch nicht besonders beeindruckend, heute ist ihre Macht sehr viel größer. Das Cloud Computing ist gefährlicher als die Atombombe? Atombomben werden, so dürfen wir hoffen, zu unseren Lebzeiten niemals eingesetzt. Aber wir erleben eine gewaltige ökonomische Veränderung durch das Internet, und für manche Menschen geht es dabei wirklich um die Frage, ob sie überleben können. Vielleicht ist das Internet also wirklich gefährlicher als die Atombombe. Andererseits entstehen durch das Internet neue Jobs. Heute kann jeder für Uber fahren. Übersehen Sie nicht, dass das Internet auch viele Chancen bietet? DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de Natürlich können wir uns ein wundervolles Schumpetersches Szenario vorstellen. Es gibt viele aufregende neue Unternehmen. Uber, AirBnB oder Ebay verändern unser Leben. Andererseits: Uber-Fahrer werden nicht gut bezahlt. Und wenn es selbstfahrende Autos gibt, braucht man sie vielleicht irgendwann gar nicht mehr. Ihr Pessimismus klingt ganz anders als das, was man aus dem Silicon Valley hört. Zum Beispiel meint Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt, dass sich jedes Problem lösen lässt, wenn man nur alle Menschen ans Breitband-Netz anschließt. Vielleicht ist das Internet gefährlicher als die Atombombe.“ Ich bin nicht pessimistisch. Es geht nur darum, die Risiken und Unsicherheiten in einer völlig digitalisierten Welt anzuerkennen. Die Menschen sind unsicher, welchen Platz sie in dieser Welt einnehmen werden. Ich erlebe diese Unsicherheit auch bei meinen Studenten. Sie fragen: Welcher Beruf ist eigentlich noch sicher? Und keiner kann ihnen das beantworten. Wie sollten wir mit dieser wachsenden Unsicherheit umgehen? Als Finanzwissenschaftler sage ich: Wenn man nicht weiß, was die Zukunft bringt, dann muss man sich gegen mögliche Risiken versichern. Wenn in einer Familie Vater oder Mutter schwer krank werden, wenn ein Haus niederbrennt oder jemand seinen Job verliert, sind das oft die entscheidenden Gründe für eine wachsende Ungleichheit. Und gegen all diese Risiken gibt es Versicherungen. Versicherungen sind das entscheidende Mittel, um etwas gegen die wachsende Ungleichheit zu tun. Was heißt das für die digitale Welt? Natürlich erhöht die Internet-Revolution unseren Wohlstand, aber dieser neue Wohlstand wird nicht gleichmäßig verteilt. Die Ungleichheit in unserer Gesellschaft wächst zum Beispiel dann, wenn ein bestimmter Beruf, eine bestimmte fachliche Qualifikation durch die Digitalisierung einfach verschwindet und die Ausbildung von Menschen komplett entwertet wird. Wer als junger Mensch einen Beruf wählt, der sollte deshalb die Möglich- keit erhalten, sich dagegen zu versichern, dass er diesen Beruf nicht mehr ausüben kann, weil er nicht mehr gebraucht wird. Was ist der Unterschied zu einer klassischen Arbeitslosenversicherung? Die Arbeitslosenversicherung wirkt kurzfristig. Sie greift, wenn jemand seine Stelle verloren hat und zahlt so lange, bis er wieder eine neue gefunden hat. Aber die Digitalisierung führt dazu, dass Menschen vielleicht ihr ganzes Leben lang keinen neuen Job mehr finden werden. Dagegen brauchen wir eine neue Versicherung. Sie würde ähnlich wirken wie die Berufsunfähigkeitsversicherung für alle jene, die nach einem schweren Arbeitsunfall nicht mehr arbeiten können, weil sie zum Beispiel einen Arm oder ein Bein verloren haben. Diese Versicherung wäre also eine Antwort darauf, dass wir in riskanteren Zeiten leben als vor ein paar Jahrzehnten? Die Idee, sich gegen die Risiken des Lebens zu versichern, ist nicht neu. Gustav Schmöller hat 1905 in seinem Buch „Charakterbilder“ geschrieben, dass eine der wichtigsten Ideen des späten 19. Jahrhunderts die Versicherung war. Daraus haben sich auch die Sozialversicherungen entwickelt, gerade Deutschland war ja bei der Arbeitslosen-, Unfall- oder Krankenversicherung ein echter Pionier. Die USA waren viel langsamer, sie haben das viele Jahrzehnte nicht übernommen, eine richtige Krankenversicherung haben wir erst vor zwei Jahren bekommen. Sollte diese Versicherung privat oder staatlich organisiert sein? Das sollte eine private Versicherung sein. Dafür braucht man nicht den Staat. Vor 15 Jahren ist der Internetboom abrupt abgebrochen und die Börsenblase geplatzt. Erwarten Sie das jetzt wieder? Ich bin einerseits besorgt, weil die Aktienkurse in den USA so hoch sind – und auch die Anleihekurse in den USA und in Europa. Aber es kann sein, dass der Markt noch für lange Zeit so hoch bleibt. Ich befrage regelmäßig Experten über ihr Vertrauen in die Aktienmärkte und bilde daraus den „Stock Market Confidence“-Index. Dieser Index ist in den USA recht hoch. Das heißt: Die Menschen machen sich keine großen Sorgen über einen Crash. Aber wenn man sich die gewaltigen Börsenwerte von Google, Alibaba oder Facebook anschaut, ist doch offensichtlich, dass es irrationale Übertreibungen gibt. Wir hatten in den letzten 15 Jahren zwei Crashs an den Aktienmärkten, und natürlich gibt es auch jetzt ein gewisses Risiko. Aber letztlich kann auch ich nicht voraussagen, wann solch ein Crash kommt. A59823907 uschaefer
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