Mosaik / Passagen Sendedatum: 22.10.2014 Jonathan Crown: „Sirius“ Rezensentin: Christel Wester Redaktion: Terry Albrecht Jonathan Crown: Sirius Kiepenheuer & Witsch 288 Seiten, 18.99 Euro Internettext Ein unter Pseudonym verfasster Roman erzählt die Überlebensgeschichte eines jüdischen Hundes in der NS-Zeit: voll pechschwarzem Humor, Irrwitz und HollywoodGlamour. Der Foxterrier Levi wird 1938 in Berlin geboren und wächst im Haushalt der Familie Liliencron auf. Um ihn vor den Nazis zu schützen, tauft man ihn in Sirius um. Nach den November-Pogromen flieht er mit den Liliencrons in die USA. Hier wird er zum Hollywoodstar, landet anschließend im Zirkus und später im Führerbunker. Ausgedacht hat sich diese irrwitzige Geschichte ein deutschsprachiger Autor, dessen Identität bislang nicht bekannt ist. Anmoderation Gerade ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch ein Roman erschienen, in dem sich ein ungewöhnlicher Zeitzeuge zu Wort meldet: ein Foxterrier. 1938 wird er in Berlin geboren. Er trägt den jüdischen Namen Levi und wächst im Haushalt der ebenfalls jüdischen Familie Liliencron auf. Um ihn vor den Nazis zu schützen, tauft man ihn in Sirius um. „Sirius“ heißt nun auch der Roman, der vom Überleben des jüdischen Foxterriers in der NS-Zeit erzählt. Nach den November-Pogromen flieht er mit den Liliencrons in die USA. Hier wird er zum Hollywoodstar, landet anschließend im Zirkus und später im Führerbunker. Ausgedacht hat sich diese irrwitzige Geschichte ein deutschsprachiger Autor, dessen Identität bislang nicht bekannt ist: Er nennt sich Jonathan Crown. Christel Wester hat den Roman „Sirius“ gelesen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2014 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 1 Mosaik / Passagen Sendedatum: 22.10.2014 Jonathan Crown: „Sirius“ Beitrag Die Überlebensgeschichte eines jüdischen Hundes in der NS-Zeit in Romanform zu erzählen – das kann geschmacklos sein. Oder ein Wagnis. Auf jeden Fall aber geht das nur in Form einer Satire. Und so beginnt die Geschichte demonstrativ wie eine biedere Klamotte, die Assoziationen weckt an Heimatfilme und andere 50er-JahreSchmonzetten. Jeden Morgen, pünktlich um 10 Uhr, tritt Professor Liliencron vor sein Haus, und dann geschieht immer dasselbe: Er schöpft Luft, so als würde er in den Alpen auf einem Berggipfel stehen und das gesunde Klima einsaugen. Auch seine Kleidung sieht nach Wanderlust aus. Schiebermütze, Lodenjacke, Kniebundhose. Der wanderlustige Professor steht allerdings mitten in Berlin, in einer kleinen Seitenstraße des Kürfürstendamms, und zwar im Frühjahr 1938. Neben ihm wartet schon der Foxterrier. Er wedelt erwartungsfroh mit dem Schwanz und denkt sich „Jetzt geht’s los!“ Los geht’s sofort mit parodistischen Kunststückchen, die der kleine Foxterrier namens Levi aus dem Eff-Eff beherrscht. Die führt er unter anderem vor, wenn Professor Liliencrons Kollegen aus der Akademie zu Besuch sind. Professor Hertz ist dabei, der Nobelpreisträger für Physik, und Rafael Honigstein, der berühmte Paläontologe. In diesem mit Auszeichnungen hochdekorierten Kreis wird in letzter Zeit viel über die bedrohliche Politik gesprochen: Rassengesetze, Bücherverbrennung. Holt Professor Liliencron dann mit furioser Geste ein Exemplar von „Mein Kampf“ aus seinem Regal hervor, so richtet Foxterrier Levi sich auf und reißt die rechte Pfote hoch. Charlie Chaplin lässt grüßen. Die parodistische Hundeposse ruft denn auch bei der akademischen Runde große Heiterkeit hervor. Dem Leser jedoch bleibt das Lachen bald im Halse stecken, so gallig und pechschwarz entwickelt sich der Humor. Bereits auf Seite 16 wird die Herkunftsgeschichte des Hundes erzählt. Er stammt aus der © Westdeutscher Rundfunk Köln 2014 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 2 Mosaik / Passagen Sendedatum: 22.10.2014 Jonathan Crown: „Sirius“ Foxterrier-Zucht des jungen aufstrebenden Zoologen Isidor Reich. Im Stammbaum seiner Hunde stehen jüdische Vornamen. In alphabetischer Reihenfolge, und dazu die Wurfnummer und der Zuchtname Reich. Der erste Reich bestand aus fünf Welpen. Nun ja: Unser Romanhund Levi stammt aus dem „dritten Reich“. Aber das war auch schon das Ende. Eines Morgens brach die Gestapo die Tür auf, Isidor Reich wurde verhaftet und deportiert. Sämtliche Hunde wurden erschossen. Bis auf einen. Den kleinen Levi. Unser Romanheld ist also der einzige Überlebende vom „dritten Reich“. Die jüdische Familie Liliencron nimmt ihn bei sich auf und gibt ihm einen neuen Namen, um ihn vor Übergriffen der Nationalsozialisten zu schützen. Fortan heißt der kleine Levi also Sirius – nach dem Sternbild „Großer Hund“. So eine Pointe muss einem erst mal einfallen. Dann muss man aber auch wagen, sie aufzuschreiben und stilistisch regelrecht auszukosten. Und es bleibt nicht bei dieser einen Pointe, der Autor entfacht im Verlauf dieses Romans ein regelrechtes Feuerwerk der aberwitzigsten Scherze. Sirius verbringt den Sommer in der Charité. Und er genießt es in vollen Zügen. Die Privatstation von Prof. Sauerbruch ist ein Luxus in vielerlei Hinsicht, Essen vom Hotel Adlon, hübsche Schwestern, die jederzeit auch im Kino Karriere machen könnten, und so weiter. Noch ist nichts darüber bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym Jonathan Crown verbirgt. Es muss sich allerdings um einen deutschsprachigen Autor handeln, denn der Verlag hat keinen Übersetzer angegeben. Die Handlung spielt zur Hälfte in Hollywood. Denn der Foxterrier wird mitsamt seiner Professorenfamilie ins Exil getrieben. Mit knapper Not und nur durch die Hilfe des Schauspielers Peter Lorre bekommen die Liliencrons ein Visum für die USA. Auch Lorre ist ein jüdischer Emigrant. Bekannt geworden ist er als Kindermörder in Fritz Langs „M“. Er gehört zum illustren Bekanntenkreis der Familie, lange vor seiner Flucht ins Exil war er einmal in Liliencrons Ehefrau Rahel verliebt. Nun verschafft er dem renommierten Biologieprofessor in © Westdeutscher Rundfunk Köln 2014 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 3 Mosaik / Passagen Sendedatum: 22.10.2014 Jonathan Crown: „Sirius“ Hollywood einen Job als Chauffeur bei den Warner Brothers. Jack Warner macht einem Schauspieler den neuen Chauffeur schmackhaft: Er ist aus Berlin. Spricht kein Wort Englisch, ist also verschwiegen. Kennt keinen Menschen, ist also diskret. Er würde es nicht einmal merken, dass die junge Dame, mit der du auf dem Rücksitz rummachst, Rita Hayworth ist. Jonathan Crown spart nicht mit Anspielungen an sämtliche Unterhaltungsgenres und – helden der Leinwand. Billy Wilder, Marlene Dietrich und Fritz Lang treten auf, ebenso die Komponisten Max Reinhardt und Erich Wolfgang Korngold und viele andere mehr. Auf diese Weise schafft er in seinem Roman eine zweite Ebene. Denn nur vordergründig ist dieser Roman laut, plakativ, derb und bunt. Doch gleichzeitig wird deutlich: Herausragende Künstler und Wissenschaftler sind aus Deutschland vertrieben worden. Das kulturelle Loch, das die Nationalsozialisten gerissen haben, konnte nie mehr gefüllt werden. Das macht sich bis heute schmerzlich bemerkbar im Bereich der intelligenten Unterhaltung. Und genau darauf zielt der Roman „Sirius“ ab. Denn er ist aufgebaut wie eine Screwball- Komödie: rasant, skurril, mit viel Sprachwitz und Slapstick-Szenen, die für einen Stummfilm geschrieben sein könnten. Der Hund schlägt kurz die Augen auf, mit letzter Kraft, wie es scheint, und als er dem triefenden Blick des Führers begegnet, fällt er gleich wieder in Ohnmacht. Der Staatsstreich ist gescheitert und er war schuld. Dieser irrwitzige Roman steckt voller verblüffender Wendungen. Zuerst wird Sirius in Hollywood als Leinwandstar gefeiert. Doch dann gerät er durch eine unglückliche Verwechslung zurück nach Berlin und landet schließlich im Führerbunker. Dort fristet er ein Doppelleben: als Schoßhund Hitlers und als Spion für einen Widerstandskreis. Dem unbekannten Autor unter dem Pseudonym Jonathan Crown ist etwas Erstaunliches gelungen: eine völlig unwahrscheinliche Geschichte so glaubhaft zu erzählen, dass man ihr gebannt folgt. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2014 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, noch verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 4
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