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Publishing
Aus- und Weiterbildung
Publisher 5 · 2014
Meinung
Duale Ausbildung: Alles okay?
Landauf, landab wird die duale Ausbildung in den Himmel gelobt. Immer im Vergleich
mit den Nachbarländern, immer mit dem Fokus auf den besonderen gesellschaftlichen
Wert der Berufslehre. Grund, sich zurückzulehnen? Nein.
� RALF TURTSCHI Die duale Aus-
bildung ist ein Gegenentwurf zum
akademischen Werdegang. In einer
praktischen Berufslehre werden die
Schulabgänger in ihrer weiteren persönlichen und beruflichen Entwicklung
an das Berufsleben herangeführt. Ich
möchte mich an dieser Stelle auf die
Berufe der Medienvorstufe beschränken: Polygraf und Mediamatiker.
Dual heisst, die Ausbildung ist
«zweigeteilt», die meiste Zeit verbringt
der Lehrling an seinem Arbeitsort,
unterbrochen vom Berufsschulunterricht. In den 80er-Jahren entstanden
die so genannten Einführungskurse,
in welchen grundlegende Fertigkeiten
vermittelt wurden. Heute heissen diese
Kurse ÜK, überbetriebliche Kurse, beim
Polygrafen sind es sieben Kurse, beim
Mediamatiker fünf. Zum Teil werden sie
schulintegriert, zum Teil extern geführt.
So gesehen kann man von einer Dreiteilung sprechen, denn an den einzelnen Bildungsorten sind unabhängige
Partner involviert.
Im Grossen und Ganzen hat sich
das duale Modell in der Schweizer Bildungslandschaft bewährt. Es bietet
den Jugendlichen eine gute Grundbildung, welche eine spätere Akademisierung via Berufsmaturität oder eine
Weiterbildung auf Stufe Höhere Fachschule erlaubt. Das System ist schweizweit und berufsübergreifend austariert
und anerkannt.
Die uns interessierende Frage ist nun
die, ob dieses duale System gerade in
der sich schnell ändernden Technologie
den Rhythmus beibehalten kann, oder
ob da und dort strukturelle Probleme
zu beseitigen sind und die Aus­bildung
effizienter gestaltet werden kann.
Über Verbesserungen nachzudenken, führt seit einigen Jahren regelmäs­
sig zu persönlichen Diffamierungen
und Abwehrhaltungen. Es scheinen
sich zwei unversöhnliche Lager gegen-
Der Autor
Ralf Turtschi ist gelernter
Schriftsetzer, Buchautor
und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi und
Marketingleiter bei Speck
Print AG, Baar, wo Polygrafen und Mediamatiker ausgebildet werden.
Der Autor schreibt im Publisher seit Jahren
­praxisbezogene Beiträge zu Themen rund
um Desktop-Publishing.
E-Mail: [email protected]
Schweizer Druckindustrie, ist in diesem
Gremium seit 2005 nicht mehr vertreten, weil sich in Bundesbern die
bizarre Ansicht durchgesetzt hat, nur
Arbeitgeberorganisationen dürften
mitbestimmen, welche den Gesamtarbeitsvertrag der grafischen Industrie
akzeptierten. Die Vertragspartnerschaft behindert Bildung, anstatt sie
zu fördern.
Beim Mediamatiker ist es der ITC
Berufsbildung, welcher auch für die
Informatiker zuständig ist. Die Ausbildung zum Mediamatiker wird offiziell
unterstützt vom VSD und vom Viscom.
Die Lerninhalte sind teilweise identisch, leider kochen alle ihr eigenes
Süppchen – mit unnötigen Kosten.
überzustehen. Die Lehre Polygraf EFZ
ist seit einiger Zeit ein Unruheherd,
eine Reform jagt die andere. Reformen
sind grundsätzlich ja nicht schlecht,
aber in der raschen Folge sind sie eben
auch Zeugnis von der Unfähigkeit der
Reformen, sich längerfristig zu bewähren.
Baustelle Koordination
Der Lehrvertrag wird zwischen dem
Lehrling bzw. dem gesetzlichen Vertreter und dem Betrieb abgeschlossen. Das kantonale Bildungsamt sorgt
für die Rahmenbedingungen, ob der
Betrieb in der Lage ist, auszubilden,
oder ob die nötigen Berufsbildnerkurse
absolviert wurden. Das Amt genehmigt
den Vertrag. Die Berufsschulen sind
ebenfalls kantonaler Hoheit unterstellt, das heisst, die Lehrkräfte sind
untereinander nur lose in der Lehrervereinigung grafische Berufe vernetzt. Es
besteht kein Lehrmittelzwang oder kein
Harmonisierungsdruck bezüglich Lehrplänen. Letztlich läuft alles Finanzielle
über die Bildungsdirektionen der Kantone. Zum Beispiel wurde eine eigene
Klassenbildung für den neuen Beruf
Interaction Designer weggespart, die
Zürcher Lehrlinge werden auf andere
Schulorte verteilt.
Die Kantone befolgen unterschiedliche Zeitmodelle, um den Lehrplan
zu erfüllen, in Zürich kennt man das
GVK-Modell, nach dem die Lehrlinge das ganze erste Lehrjahr in der
Schule verbringen. In Luzern besteht
das degressive Modell, hier gibts am
Anfang der Lehre drei Schultage, im
letzten Jahr nur noch einen. In Basel
wiederum sind die Lehrlinge im ersten
Lehrjahr vier Tage in der Schule, einen
Tag im Betrieb. Diese Unterschiede
führen dazu, dass der Lehrstoff unterschiedlich gestaffelt und im Betrieb
praktisch verankert wird. Dann sind
die Klassengrössen ebenfalls evident.
Zum Beispiel können in der Gewerbeschule Chur pro Bildungsschwerpunkt
Print oder Screen bei den Polygrafen
keine eigenen Klassengrössen gebildet
werden, logischerweise mischt man die
Fachrichtungen ganz pragmatisch.
Ein schweizweit sinnvoller Lektio­
nenplan ist unter diesen Voraussetzungen illusorisch – in der Praxis ist die
Berufsschullehrerin, etwas populistisch
ausgedrückt, eine lose vernetzte Einzelkämpferin, die mit viel Arbeit und
Engagement ihre Lektionen und Lehrmittel zusammenstellt.
Eine Lehrmitteldatenbank mit Ondemand-Druck der entsprechenden
Klassensätze wäre die Lösung, wenn
nicht die Kantone bei der Finanzierung blockieren würden. Der VSD ist
daran, beim Drucktechnologen eine
Lösung in dieser Richtung aufzubauen. Die zuständigen Organisationen der Arbeitswelt bestehen heute
beim Polygrafen aus dem Viscom auf
der Arbeitgeberseite und der Gewerkschaft Syndicom, die die paritätische
Berufsbildungskommission besetzen,
welche ihrerseits für die Lerninhalte
und für Reformen zuständig zeichnet. Der Bildungsverantwortliche des
Viscom kontrolliert sich als Präsident
der so genannten Qualitätskommission
gleich selbst. Die andere Arbeitgeberorganisation, der VSD, Verband der
Bildungstechnokratie
Ein grundsätzliches Problem scheint
mir, dass es seit geraumer Zeit eine
Bildungstechnokratie gibt, welche aus
Funktionären und Funktionärinnen
besteht, die wenig Einblick in die berufliche Praxis haben. So bleiben dringend
notwendige Verbesserungen in der Bildung aus – das Althergebrachte wird
bis zum Gehtnichtmehr weitergezogen.
Es entstehen Bildungsverordnungen,
welche nicht ausdiskutiert sind und die
in der Praxis oft zu Kopfschütteln und
zu Abwehrhaltung führen.
Beim Polygrafen wird am laufenden
Band reformiert: Die Fachrichtungen
sind nicht logisch nachvollziehbar:
1999 Text und Bild; 2007 Medienproduktion und Mediengestaltung;
2014 Print und Screen. Die Überschneidungen mit Interaction Designer und
Media­
matiker verschwimmen immer
mehr.
Bildugsthemen besser auf
Lernorte verteilen
Eine der grossen Baustellen ist die koordinierte Verteilung der Lerninhalte auf
die drei Lernorte Betrieb, Schule und
ÜK. Wer im Stoffplan einiger­massen
zu Hause ist, weiss, dass jeder Betrieb
seine individuellen Stärken und Schwächen hat, je nach Geschäftsmodell und
Auftragslage. Eine Werbe­agentur mit
einer industriellen Druckerei und einer
In-house-DTP-Abteilung ausbildungsmässig über einen Leist zu schlagen,
ist reichlich naiv und unverfroren. Das
BiVo-bestimmte Lernen, nach welchem
vorbestimmte Lerninhalte in vorbestimmten Zeiträumen zu erarbeiten
sind, ist nicht praxisgerecht. Kaum ein
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Betrieb in der klein strukturierten grafischen Branche kann so ausbilden. Die
strukturelle Reform müsste hier einsetzen, indem die Frage gestellt wird:
Was kann ich an Themen im Betrieb
vermitteln, was in der Schule, was im
ÜK und was wird auf elektronischem
Weg im Selbststudium den Lehrlingen zugemutet. Heute wird überall
ein bisschen nach bestem Wissen und
Gewissen «gewerkelt». Ich habe grossen
Respekt vor allen Beteiligten, die sich
in der Ausbildung erfolgreich engagieren – ich darf mich auch dazu zählen.
Es geht hier nicht um ein Schlechtmachen der Ausbildung. Im Gegenteil, es
ist bedauerlich, dass viele Ressourcen
nicht genutzt werden und die Ausbildung viel effizienter gestaltet werden
könnte.
Wer in einer Druckerei kann das
Thema «Video» kompetent ausbilden?
Wie Fotografie oder Gestaltung ein
Thema, das prädestiniert ist, im Klassenverband unterrichtet zu werden
und nicht im Betrieb. Die Bildungsverantwortlichen sollten sich deshalb
einmal überlegen, welche Lerninhalte
wo gelernt werden sollen. Ansätze
bestehen, zum Beispiel Klassenlager,
wo konzentriert gelernt und produziert
wird. Solche Blöcke können jedoch nur
sinnvoll organisiert werden, wenn ein
Blockunterricht den tageweisen Unterricht ablösen würde.
Die Koordination zwischen Schule,
Betrieb und BMS macht selbst die ÜK
zu einem Flickenteppich, den niemand
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so richtig zufriedenstellen kann. Ein
ÜK in der heutigen Form ist durch
mehrwöchige praktische Camps abzulösen, in denen projektorientiert und
praktisch gearbeitet wird. Lehrer und
ÜK-Instruktoren müssten sich Tür an
Tür programmatisch gegenseitig unterstützen. Eine teure ÜK-Infrastruktur
lässt sich nur finanzieren, weil über
den allgemeinverbindlichen Berufsbildungsfonds die Gelder «automatisch»
eingezogen werden. Es ist so wie bei
SRF, es gibt «7 Kanäle», Konsumzwang
und eine Gebührensteuer ohne Mitsprache.
Auf die Bildung bezogen muss sich
das ändern. Denn der Nutzen, die
Lerninhalte und die zeitliche Abfolge
innerhalb der unterschiedlichen Schulmodelle sind diskussionswürdig. Vier
obligatorische Kurse und drei auf freiwilliger Basis zur Auswahl würde vollauf genügen. Es kann doch nicht sein,
dass InDesign-Grundlagen ein ÜKThema sind! Das kann jeder Betrieb
selbst, und mittlerweile kann man sich
InDesign per Video bis zum Abwinken
im Internet aneignen.
Es geht nicht darum, die ÜK generell
zu verteufeln. Vielmehr bin ich der
Meinung, dass mit einer Erweiterung in
Richtung Camps die praktische Ausbildung in Form von Projektarbeiten verstärkt aus den Betrieben in Richtung
Schule/ÜK ausgelagert werden sollte.
Die Lehrlingszahlen sind rückläufig,
Lehrer und Instruktoren bangen um
ihre Jobs, vernünftige Klassengrössen
können kaum mehr aufrechterhalten
werden, der Spardruck in der Branche
ist enorm – und wir leisten uns eine
Ressourcenverschwendung sondergleichen: Privatunterricht ohne Koordination mit anderen Bildungsorten.
Sind die eigenen Hausaufgaben nicht
gemacht?
Qualifikationsverfahren
Den eidg. Fähigkeitsausweis erhält,
wer die theoretische Prüfung (zu der
die Schulnoten teilweise angerechnet
werden) sowie die praktische Prüfung
besteht.
Die ehemalige Lehrabschlussprüfung heisst seit einiger Zeit Qualifikationsverfahren (QV). Es sollte ein
Spiegelbild der beruflichen Ausbildung sein und muss die im Bildungsplan vorgesehenen Themen abbilden
können. Weil das QV nach veralteten
Kriterien und immer ähnlich abläuft
und sogar in einem Wochenkurs vorbereitet werden kann, ist es leider
kaum mehr aus­sagekräftig. Man hört,
dass sich jemand schön blöd anstellen oder Pech hoch zwei haben muss,
um durch die Prüfung zu fallen. Die
Prüfungsaufgaben widerspiegeln die
Fähigkeit der dafür verantwortlichen
Stellen, Prüfungen so aufzubereiten,
dass das EFZ seinen ihm gebührenden
Wert erhält.
Das scheint heute nicht mehr so zu
sein, weil die Aufgaben von vornherein
bekannt sind. Man weiss also, wie die
Nachsetzarbeit etwa aussehen wird
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oder dass es eine Plakatgestaltung
geben wird. Die Aufgaben bewegen
sich auf sehr tiefem Niveau: In Photo­
shop ein Auto von Rot auf Orange
umzufärben, ist wahrlich keine Hexerei
mehr, AVOR ein historisch motiviertes Unikum. Eine Arbeit zu vermassen
und nachzusetzen, fragt nichts anderes ab als Konzentrationsfähigkeit, mit
erlernten Kompetenzen hat das nichts
zu tun.
Das Qualifikationsverfahren verdient eine markante Verbesserung. Die
Lernenden können damit kaum punkten, weil jedermann sich entsprechend
vorbereiten kann. Es kann doch nicht
sein, dass ein erwachsener Quereinsteiger nach einem einjährigen Praktikum
keine Probleme hätte, das heutige QV
zu bestehen.
Es fordert zu wenig und die Lernenden haben keine Chance, ihr Können
unter Beweis zu stellen. Ein schon wiederholt gemachter Vorschlag, das QV
solle wie in der Weiterbildung oder der
BMS aus einer Diplomarbeit bestehen,
die je nach betrieblicher Ausrichtung
und Neigung aus einer selbst gewählten Arbeit bestehen würde.
Also weg von der eidgenössischen
Einheitsprüfung eines tiefen Niveaus
hin zum individuell ausgelegten Fähigkeitsbeweis. Dazu bräuchte es natürlich andere Bewertungskriterien und
Experten. Was beim Typografischen
Gestalter oder in der BMS funktioniert,
könnte man doch mindestens einmal
in Erwägung ziehen.
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