Wie viel Sicherheit wollen wir und was ist sie uns wert?

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Grundlagen
Sie ist eine der wichtigsten
Fragen unserer Zeit. Sie
kennt emotionale und
rationale Aspekte. Irgendwo dazwischen liegt wohl
die Antwort. Wir müssen
uns fragen, wie viel
Sicherheit wir eigentlich
wollen und was wir bereit
sind dafür zu bezahlen.
Wie viel Sicherheit
wollen wir und
was ist sie uns wert?
VON PROF. DR. IUR. HANSJÖRG SEILER
W
o gearbeitet wird, gibt es gelegentlich Arbeitsunfälle, oft mit
schwerwiegenden Auswirkungen für die Verunfallten und ihre Angehörigen, aber auch für die Arbeitgeber und
die Versicherungen. Es ist daher ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten,
dass Sicherheitsmassnahmen getroffen
werden, um Unfälle zu vermeiden.
Allerdings haben Sicherheitsmassnahmen auch Nachteile: Sie verursachen in
der Regel Kosten, seien es direkte Kosten
von Sicherheitseinrichtungen, seien es
Prof. Dr. iur.
Hansjörg Seiler
ist Bundesrichter.
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Kosten durch reduzierte Verfügbarkeit
oder Produktivität. Wer immer verpflichtet ist, Sicherheitsmassnahmen zu treffen,
wird sich daher fragen, welche Massnahmen er noch treffen will oder muss und
auf welche man verzichtet, weil sie schlicht
zu teuer sind. Oder anders gefragt: Was ist
uns Sicherheit wert?
Manche Leute mögen diese Frage intuitiv als provokativ oder gar zynisch empfinden. Haben denn Leben und Gesundheit
nicht oberste Priorität? Müsste man nicht
alles Erdenkliche tun, um Unfälle zu vermeiden und Leben zu schützen?
Diese Fragen sind – so hart das auf den
ersten Blick scheinen mag – zu verneinen:
Trotz aller Sicherheitsmassnahmen ereignen sich immer noch Unfälle. Mit weiteren Sicherheitsmassnahmen könnten
diese reduziert werden, aber in der Regel
mit zusätzlichen Kosten. Irgendwann einmal werden die Kosten exorbitant. Trotzdem können auch die ausgeklügeltsten
und aufwändigsten Massnahmen nie eine
hundertprozentige Sicherheit gewährleisten: Das Streben nach dem Null-Risiko
ist eitles Bemühen. Wer alles tun will, um
Unfälle zu vermeiden, wird nichts anderes
mehr tun können, weil er dafür schlicht
kein Geld mehr hat.
Das ist im Privatleben selbstverständlich: Wir alle gehen täglich gewisse Risiken ein, die vermeidbar wären, aber nur
um den Preis bestimmter Kosten oder anderer Nachteile wie beispielsweise dem
Verzicht auf einen bestimmten Nutzen
oder Vorteil. Dasselbe gilt für die Gesellschaft als Ganzes.
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Auch aus rechtlicher Sicht müssen
nicht alle erdenklichen Sicherheitsmassnahmen getroffen werden. Das Gesetz
verpflichtet die Arbeitgeber, zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten alle Massnahmen zu treffen, die
nach der Erfahrung notwendig, nach dem
Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind
(Art. 82 Abs. 1 UVG). Verlangt werden
also nicht alle Sicherheitsmassnahmen,
sondern nur die angemessenen. Das entspricht dem Verhältnismässigkeitsprinzip,
welches ein genereller Grundsatz allen
staatlichen Handelns ist (Art. 5 Abs. 2
BV). Dieses besagt, dass nur geeignete
und nötige Massnahmen zu treffen sind,
die zudem ein vernünftiges Verhältnis
zwischen Aufwand und Ertrag beziehungsweise zwischen Kosten und Nutzen
aufweisen. Damit ist aber erst sehr allgemein umschrieben, was erforderlich ist.
Die Frage, wo die Grenze zwischen den
notwendigen und den nicht mehr notwendigen Massnahmen verläuft, ist damit
noch offen.
Vorschriftenbasiertes
Sicherheitsrecht
Nach Art. 83 Abs. 1 UVG erlässt der
Bundesrat nach Anhören der unmittelbar
beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen Vorschriften über
technische, medizinische und andere
Massnahmen zur Verhütung von Berufs-
unfällen und Berufskrankheiten in den
Betrieben. Gestützt darauf hat der Bundesrat eine Vielzahl von Vorschriften erlassen, namentlich die Verordnung über
die Unfallverhütung (VUV). Nach Art. 3
Abs. 1 VUV muss der Arbeitgeber zur
Wahrung der Arbeitssicherheit alle Anordnungen und Schutzmassnahmen treffen, die den Vorschriften dieser Verordnung und den für seinen Betrieb sonst
geltenden Vorschriften über die Arbeitssicherheit sowie im Übrigen den anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln entsprechen.
Die VUV und viele weitere Verordnungen
schreiben für manche Tätigkeiten bestimmte Sicherheitsmassnahmen vor. Diese
Vorschriften bezeichnen die bei der entsprechenden Tätigkeit anzuwendende
Sorgfalt und umschreiben damit (indirekt)
auch das zu vermeidende beziehungsweise
umgekehrt das akzeptable Risiko.
Die rechtliche Bedeutung solcher Vorschriften liegt darin, dass ihre blosse Missachtung bestraft wird, auch wenn kein Unfall eingetreten ist (Art. 112 Abs. 4 UVG),
und dass die Verantwortlichen wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung
(Art. 117/125 StGB) bestraft werden können, wenn wegen der Missachtung der
Vorschriften jemand getötet oder verletzt
worden ist. Daneben hat die Missachtung
der Vorschriften auch haftpflicht- und versicherungsrechtliche Bedeutung. Umgekehrt
liegt grundsätzlich keine strafbare Sorg-
faltswidrigkeit vor, wenn sich trotz Einhaltung der Vorschriften ein Unfall ereignet.
Das Sicherheitsrecht ist somit weitgehend vorschriftenbasiert, oder, in den
Worten des Bundesgerichts: «Das Mass
der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt
richtet sich, wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten,
in erster Linie nach diesen Vorschriften …
Sie bezeichnen einerseits das bei der entsprechenden Tätigkeit üblicherweise aufzubringende Mindestmass an Sorgfalt und
enthalten andererseits eine Entscheidung
darüber, welche Risiken gemeinhin in Betracht gezogen werden müssen (…)» (Urteil 6S.311/2005 vom 26.10.2005, E. 3.1.3).
Die gesetzliche Vorgabe angemessen
wird also auf Verordnungsstufe übersetzt
mit vorschriftsgemäss. Man spricht von
einem vorschriftenbasierten Sicherheitsrecht:
Einhaltung der Vorschriften impliziert
eine genügende Sicherheit und umgekehrt: Missachtung der Vorschriften bedeutet ungenügende Sicherheit.
Ein solches vorschriftenbasiertes Sicherheitsrecht hat Vorteile. Es schafft
Klarheit und Rechtssicherheit: Man weiss,
woran man ist. Zudem schafft es Rechtsgleichheit: Für alle Betriebe gelten die
gleichen Vorschriften. Schliesslich wird
der Vollzug vereinfacht: Die Kontrollorgane müssen nicht die Sicherheit beurteilen, sondern nur kontrollieren, ob die
Vorschriften eingehalten sind.
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Dem stehen Nachteile gegenüber: Vorschriften sind oft kompliziert, scheingenau oder lückenhaft, indem sie nicht alle
gefährlichen Situationen erfassen. Sie sind
zudem starr, unflexibel, behindern teilweise die Eigenverantwortung und sind
manchmal inkohärent. Sie schaffen zudem eine Sicherheitsillusion: Sie erwecken
den Eindruck, dass bei ihrer Einhaltung
Sicherheit garantiert sei; dieser Eindruck
täuscht: Auch wenn alle Vorschriften beachtet werden, kann es Unfälle geben.
Schliesslich schaffen sie keinen Bezug
zwischen Aufwand und Nutzen. Vielleicht
ist die Befolgung der Vorschriften sehr
aufwändig, ohne dass ein entsprechender
Gewinn an Sicherheit vorläge. Vielleicht
wären umgekehrt viel kostengünstigere
und wirksamere Sicherheitsmassnahmen
denkbar, die aber nicht vorgeschrieben
sind und deshalb nicht getroffen werden.
Die Grundphilosophie des risikobasierten Ansatzes wirkt für manche
ungewohnt: Es wird zwischen
Menschenleben und finanziellem
Aufwand abgewogen, was
bisweilen als ethisch problematisch
erachtet wird. Bild: shutterstock.com
Beispiel
Als Beispiel für vorschriftenbasiertes Sicherheitsrecht mögen die Bestimmungen
über den Schutz vor Stürzen bei Bauarbeiten dienen: Gemäss Art. 15 der Bauarbeitenverordnung (BauAV) ist ein Seitenschutz zu verwenden bei ungeschützten
Stellen mit einer Absturzhöhe von mehr
als zwei Metern. Die Anforderungen an
den Seitenschutz sind in Art. 16 BauAV
detailliert umschrieben. Nach Art. 18 BauAV ist ein Fassadengerüst zu erstellen,
wenn bei Hochbauarbeiten die Absturzhöhe von drei Metern überschritten wird.
Wo das Anbringen eines Seitenschutzes
nach Artikel 16 oder eines Gerüstes nach
Artikel 18 technisch nicht möglich oder zu
gefährlich ist, sind gemäss Art. 19 BauAV
Fanggerüste, Schutznetze oder Seilsicherungen zu verwenden oder gleichwertige
Schutzmassnahmen zu treffen. Die Absturzhöhe bei Abstürzen in ein Schutznetz
darf nicht mehr als sechs Meter, diejenige
bei Abstürzen in ein Fanggerüst nicht
mehr als drei Meter betragen. Bei Arbeiten an Dachrändern sind ab einer Absturzhöhe von drei Metern Massnahmen
zu treffen, um Abstürze zu verhindern.
Bei Dächern mit einer Neigung bis und
mit 60° ist gemäss Art. 29 BauAV ein
Spenglergang anzubringen. Bei Dächern
mit einer Neigung bis 10° kann der Spenglergang entfallen, wenn ein durchgehender Seitenschutz nach Artikel 16 angebracht ist und alle Arbeiten innerhalb des
Seitenschutzes ausgeführt werden können. Bei Dächern mit einer Neigung zwischen 25° und 60° ist der Seitenschutz des
Spenglerganges als Dachdeckerschutzwand auszugestalten. Bei Dächern mit
einer Neigung über 60° darf, unabhängig
von der Traufenhöhe, nur von Gerüsten
oder beweglichen Arbeitsbühnen aus gearbeitet werden. Gemäss Art. 32 BauAV
genügen allerdings bei Arbeiten, die gesamthaft pro Dach weniger als zwei Personenarbeitstage dauern, reduzierte Massnahmen: Bei Dachneigungen bis 25° und
Absturzhöhen von mehr als fünf Metern
sind Massnahmen zur Absturzsicherung
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nach Artikel 19 zu treffen. Ist dies nicht
möglich, so sind ein Geländerholm und
ein Zwischenholm anzubringen. Bei Dachneigungen zwischen 25° und 60° und Absturzhöhen von mehr als drei Metern sind
Massnahmen zur Absturzsicherung nach
Artikel 19 zu treffen. Beträgt die Dachneigung mehr als 40°, so sind zusätzlich Dachleitern zu verwenden. Bei Dachneigungen
von mehr als 60° und Absturzhöhen von
mehr als drei Metern sind bewegliche Arbeitsbühnen oder gleichwertige Vorrichtungen zu verwenden. Bei Gleitgefahr
sind solche Massnahmen bereits für Absturzhöhen von mehr als zwei Metern zu
treffen.
Verunfallt ein Bauarbeiter bei einem
Sturz von einem Dach, so wird ein Gericht
prüfen, um was für eine Art Arbeiten es
sich handelte, wie hoch die Absturzhöhe
und wie steil die Dachneigung war, ob die
Arbeiten auf dem Dach gesamthaft mehr
oder weniger als zwei Personenarbeitstage
dauerten und ob Gleitgefahr bestand; je
nachdem müssen bei einer Absturzhöhe
von zwei, drei, fünf oder sechs Metern bestimmte Sicherheitsmassnahmen getroffen worden sein. Das Gericht versucht,
anhand dieses Vorschriftendschungels herauszufinden, welche Sicherheitsmassnahmen in der betreffenden Situation hätten
getroffen werden müssen. Hat der Bauführer diese Massnahmen getroffen, wird
er freigesprochen, andernfalls verurteilt
(s. z.B. Urteil des Bundesgerichts 6B_
691/2008 vom 20.1.2009). Ob die Vorschriften als solche sinnvoll und nützlich sind,
interessiert das Gericht nicht, und schon
gar nicht, ob sie verhältnismässig sind,
also ob die Vorschriften wirklich das Risi-
ko reduzieren und ob der Aufwand, der
durch diese Vorschriften verursacht wird,
in einem angemessenen Verhältnis zum
Gewinn an Sicherheit steht.
Trotz den sehr detaillierten Vorschriften in der BauAV gibt es weiterhin Unfälle
durch Sturz von Dächern. Dabei korrelieren aber die Unfallzahlen nicht unbedingt
mit der potenziellen Gefährlichkeit einer
Tätigkeit. Gemäss Suva-Statistik waren in
den Jahren 2003 bis 2007 total 863 Berufsunfälle durch Absturz von Dächern zu
verzeichnen, wovon 20 zu Todesfällen und
107 zu Invalidenrenten führten. Erstaunlicherweise sind dabei die Zimmerleute,
die nebst den Dachdeckern wohl am
häufigsten auf Dächern arbeiten, nur mit
144 Unfällen, einem Todesfall und fünf Invalidenrenten vertreten. Rechnet man
diesen einen Todesfall in fünf Jahren auf
die circa 16 000 in der Schweiz tätigen
Zimmerleute um, so ergibt sich ein Individual-Todesfallrisiko durch Absturz vom
Dach von ungefähr 1,25 x 10-5 pro Jahr.
Zum Vergleich: Das ist etwa fünfmal kleiner als die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit eines Schweizers, durch einen
Verkehrsunfall zu sterben.
Man könnte sich nun fragen, weshalb
es bei den Zimmerleuten trotz gefährlicher Arbeit relativ wenige Unfälle gibt.
Ist das wirklich auf die Vorschriften zurückzuführen, oder vielleicht auf andere
Faktoren wie Ausbildung, Erfahrung, Risikobewusstsein oder Berufsstolz? Nicht
bekannt, aber vermutungsweise nicht unerheblich sind umgekehrt auch die Kosten, die den Zimmereibetrieben durch die
Einhaltung der Sicherheitsvorschriften erwachsen.
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effizienz der denkbaren Sicherheitsmassnahmen.
¼ Der Vollzug kann im Einzelfall kompliziert und aufwendig sein, weil die Erstellung kompletter Risikoanalysen in der
Regel teurer ist als die Kontrolle, ob Vorschriften eingehalten sind.
¼ Darunter leidet die Rechtssicherheit,
weil die Verantwortlichen wie auch die
Behörden nicht genau wissen, welche
Massnahmen sie zu treffen haben.
¼ Ein weniger rechtliches als vielmehr
faktisches Hindernis liegt ferner darin,
dass die Juristen – und damit auch die Gerichte – traditionellerweise vorschriftenzentriert denken und in der Regel mit
Risikoüberlegungen nicht vertraut sind.
Dieses Hindernis wäre freilich mit geeigneten Ausbildungsmassnahmen abbaubar.
Vorschriften und Technologien
schaffen auch eine Sicherheitsillusion: Sie erwecken den
Eindruck, dass bei ihrer Einhaltung Sicherheit garantiert
sei. Dieser Eindruck täuscht.
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Mittelweg
Risikobasiertes
Sicherheitsrecht
Das wirft die Frage auf, ob es nicht Alternativen zu einem vorschriftenbasierten
Sicherheitsrecht geben könnte. Als solche
Alternative ist ein risikobasiertes Sicherheitsrecht denkbar. Dabei werden nicht bestimmte Massnahmen vorgeschrieben,
sondern eine bestimmte maximal zulässige Risikohöhe. Es ist den Verantwortlichen freigestellt, auf welche Weise sie
diese Risikolimite einhalten.
Die Umsetzung dieses Ansatzes erfordert einerseits empirisch/analytisch eine
quantitative Erfassung der Risiken. Die
Risiken müssen erkannt und quantifiziert
werden. Andererseits bedingt der Ansatz
normativ die Festlegung quantitativer Risikogrenzwerte. Verbreitet ist dazu ein Dreibereichsmodell:
¼ Risiken, die über einem bestimmten
(Individual-)Risikogrenzwert liegen, sind
unzulässig und müssen auf diesen Wert
reduziert werden. Dazu kann das maximal
zulässige Todesfallrisiko pro Jahr festgelegt werden (z.B. maximal 10-4/Jahr).
¼ Unterhalb dieses Grenzwerts müssen
Risiken reduziert werden, soweit dies verhältnismässig ist (ALARA-Prinzip: As low
as reasonably achievable); Massnahmen
sind zu treffen, solange deren Kosten geringer sind als die Kosten der dadurch
vermiedenen Unfälle (Kosten-/Wirksamkeitsüberlegung). Dazu muss ein Grenzkostenwert festgelegt werden, bis zu welchem zusätzliche Massnahmen noch getroffen werden müssen (z.B. maximal fünf
Mio. Franken pro gerettetes Menschenleben oder 200 000 Franken pro gerettetes
Menschenlebensjahr).
¼ Die danach noch verbleibenden Risiken
stellen das akzeptable Restrisiko dar.
Eine risikobasierte Strategie wird in
verschiedensten Gebieten angewendet, so
in manchen Bereichen technischer Risiken
(Störfallverordnung, Strahlenschutz, Aviatik), aber auch in anderen Regulierungsbereichen (Versicherungs- und Finanz-
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marktaufsicht). In der Arbeitssicherheit
ist diese Regelungsstrategie ansatzweise
im Instrument der Spezialisten der Arbeitssicherheit (Art. 11a ff. VUV) eingeführt.
Der risikobasierte Ansatz stellt einen
Paradigmenwechsel dar: Die Frage lautet
nicht: «Was für Sicherheitsmassnahmen
muss ich treffen?», sondern: «Wie hohe
Risiken sind akzeptabel?» oder «Wie viel
Sicherheit wollen wir (uns leisten)?». Gefragt wird also nicht nach dem Mittel, sondern nach dem anzustrebenden Ziel. Dabei wird nicht die Illusion gepflegt, mit
einer Einhaltung von Vorschriften werde
völlige Sicherheit geschaffen. Risiken
werden vielmehr bewusst in Kauf genommen, aber optimal begrenzt. Genau diese
Grundphilosophie wirkt für manche Leute
ungewohnt: Es wird zwischen Menschenleben und finanziellem Aufwand abgewogen, was bisweilen als ethisch problematisch erachtet wird. In Tat und Wahrheit ist
eine solche Abwägung aber in jedem Fall
unvermeidlich. Sie geschieht implizit auch
bei einem vorschriftenbasierten Sicherheitsrecht, nur ist man sich dessen vielfach
nicht bewusst. Der risikobasierte Ansatz
ist in diesem Sinne nicht anders, sondern
einfach ehrlicher und transparenter.
Erfolgt die Risikobegrenzung mittels
Kosten-/Wirksamkeitsüberlegungen, hat der
risikobasierte Ansatz zudem zumindest
theoretisch den grossen Vorteil, dass er zu
einer optimalen Sicherheitseffizienz führt:
Sicherheitsmassnahmen, die mit grossem
Aufwand einen geringen Gewinn an Sicherheit bringen, werden unterlassen; dafür werden Massnahmen getroffen, die
mit geringerem Aufwand mehr Sicherheit
bringen. Insgesamt kann so das gleiche
Sicherheitsniveau mit weniger Aufwand
oder mit gleichem Aufwand ein höheres
Sicherheitsniveau erreicht werden.
Die praktische Umsetzung eines risikobasierten Ansatzes birgt freilich verschiedene Probleme:
¼ Oft fehlen die erforderlichen Daten
über die Höhe der Risiken und die Kosten-
Die Ersetzung eines vorschriftenbasierten
durch einen rein risikobasierten Ansatz ist
aus den genannten Gründen nur ratsam,
wenn der Mehraufwand im Vollzug aufgewogen wird durch grössere Effizienz
der Sicherheitsmassnahmen. Nicht zu
empfehlen ist ein kumulativer Ansatz, in
welchem den Adressaten sowohl die Einhaltung von Vorschriften als auch die
Durchführung (aufwendiger) Risikostudien vorgeschrieben wird; denn eine solche Strategie kumuliert die Nachteile beider Strategien, ohne deren Vorteile zu
erzielen.
Als realistischer Mittelweg erscheint
ein indirekt risikobasierter Ansatz. Die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen werden zwar nach wie vor durch verbindliche
Vorschriften festgelegt, aber diese Vorschriften sind ihrerseits risikobasiert:
Strengere Vorschriften gelten dort, wo
hohe Risiken bestehen. Demgegenüber
sind im ALARA-Bereich nur Massnahmen vorzuschreiben, die auf ihre Kostenwirksamkeit hin überprüft worden sind;
Vorschriften, welche kostenunwirksame
Massnahmen vorschreiben, sind aufzuheben und dafür solche zu erlassen, welche
kostenwirksame Massnahmen vorschreiben. Im Bereich des akzeptablen Risikos
sind Vorschriften nicht am Platz. Vorgeschriebene Sicherheitsmassnahmen können zudem durch andere Massnahmen ersetzt werden, wenn nachgewiesen wird,
dass damit ein gleiches Sicherheitsniveau
eingehalten ist.
Fazit
In der Verantwortung stehen damit in erster Linie die Regulierungsbehörden: Die
zu regulierenden Bereiche sind systematisch auf ihre Risiken hin zu überprüfen,
und zwar in beide Richtungen: Wo liegen
Schwachstellen und sind strengere Vorschriften angebracht? Und wo sind bestehende Vorschriften überflüssig und können aufgehoben werden?
Auf diese Weise kann eine Optimierung zwischen Kosten von Unfällen, Kosten von Sicherheitsmassnahmen und Vollzugspraktikabilität angestrebt werden. ž
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