Z 6 Bilder und Zeiten Frankfurter Allgemeine Zeitung · 7. August 2010 · Nr. 181 Im Gespräch: Marc Surer Wie haben Sie den Ferrari-Job verpasst, Herr Surer? nen Erfolgszeiten als Junger Wilder nie vergessen haben – bis zum Rennleiter geschafft. So sah ich plötzlich, dass ich eine Karriere nach der Karriere aufbauen kann. Und als ich dann das Angebot erhielt, wieder zu fahren, habe ich nein gesagt. Das heißt aber nicht, dass mein Herz nicht immer noch am Fahren hängt. Deswegen fahre ich Kart, und deswegen mache ich auch ab und zu ein Einladungsrennen mit. Marc Surer ist der Mann für die Formel 1 im Fernsehsender Sky. Wir treffen den Schweizer Technik- und Taktikexperten in Hockenheim am Rande des Porsche Supercup, dem etablierten Markenrennen vor der Formel 1. Haben Sie ein Lebensziel? Mein Lebensziel ist ganz bescheiden: Ich möchte einfach das tun, was mir Spaß macht. So ist es übrigens schon jetzt. Von Susanne Roeder Und darum testen Sie auch Straßenfahrzeuge? Es gibt einfach Autos, auf die man sich freut. Nun denken Sie sicher, dass ich dabei nur die schnellen Autos toll finde. Es kann bei mir aber auch ein ganz kleines Auto sein. Zum Beispiel hatte ich Spaß mit dem Citroën C3. Das Auto liegt in der Hand und macht genau das, was ich von ihm erwarte. Wir sind gerade in Hockenheim. Hierher kamen in diesem Jahr mit 62 000 Menschen nicht einmal die Hälfte der Besucher von Silverstone, wo das Rennen zuvor stattfand. Wird Hockenheim langfristig eine Station im Formel-1-Rennbetrieb bleiben? Bernie Ecclestone wird immer einen deutschen Grand Prix wollen. Er setzt Hockenheim aber das Messer an den Hals, indem er feststellt, dass auf der ganzen Welt die Regierungen dabei helfen, den Grand Prix in ihrem Land zu finanzieren. Genauso wie sie eine Fußball-Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele mitfinanzieren. Warum also nicht auch den Motorsport, der so viele Fans anzieht und weltweit ausgestrahlt wird? Sie interessiert also alles, was vier Räder hat? Ich bin grundsätzlich ein Vier-Räder-Typ. Ich habe immer wieder aus Interesse auch Elektromobile und Solarfahrzeuge gefahren und wurde sogar in einer Kategorie Weltmeister – das war die Kategorie Netzverbundfahrzeuge, also die, die man an der Steckdose aufladen muss. Eigentlich wollten Sie aber doch studieren. Was war Ihr Berufswunsch? Konstrukteur wäre das Ziel gewesen. Ich musste mein Studium dann aber abbrechen, weil ich Geld brauchte fürs Go-Kart-Fahren. Im Selbststudium und in Abendkursen habe ich noch eine Zeitlang weitergemacht. Auch heute noch bin ich einer, der alles verstehen will, was Technik ist. Wie gefällt Ihnen der geänderte Streckenverlauf von Hockenheim? Ich bin ab und zu als Berater für den Architekten Hermann Tilke tätig. Beim Hockenheimring konnte ich leider keinen Einfluss nehmen. Man hätte sicherlich eine schönere Lösung gefunden, hätte man freie Hand gehabt. Aber es gab Widerstand gegen das dazu nötige Abholzen des Waldes. Irgendwann kam der Kompromiss heraus, den wir jetzt haben. Was ich Hockenheim ankreide, ist, dass ein Fahrer praktisch ohne Zeitverlust neben der Strecke fahren kann. Diese Auslaufzonen müssten so gemacht sein, dass man automatischen Zeitverlust hat, wenn man sie benutzt. In der Türkei hat man das gut hingekriegt. Im Vergleich zum alten Hockenheimring gibt es dennoch einen großen Vorteil: Er hat eine tolle Überholstelle – in der Haarnadelkurve. Das ist ja das, was den meisten Strecken fehlt. Besonders spannend wird’s ja immer, wenn Sie einem Boliden unter den Rock schauen. Haben Sie dabei Geheimnisse entdeckt? Es gibt immer wieder etwas Neues in der Formel 1. Im Moment ist das Hauptthema Red Bull. Da habe ich Folgendes herausgefunden: Im Rallyesport gibt es das sogenannte AntiLag, ein Antiverzögerungssystem. Dabei geht es um den Turbo. Wenn der Fahrer Gas wegnimmt, lässt man im Rallyesport das Gas ein bisschen offen und stellt nur die Zündung zurück. Das bedeutet, dass es durch den Motor immer noch Durchfluss gibt, dass er also immer noch Verbrennung hat, aber keine Leistung. Und dadurch läuft der Turbo weiter. Dieses System hat Red Bull offensichtlich kopiert, um ihren Diffusor mit dem Auspuff am Leben zu halten. Das ist das große Geheimnis, warum sie in der Qualifikation immer noch mal zulegen können. Im Rennen können sie das aber nicht einsetzen, weil es ziemlich viel Sprit verbraucht. Und es gibt ja keine Tankstopps im Rennen mehr – in der Regel fahren die Teams mit 150 Kilo Benzin an Bord. Können die historischen Strecken gegen die Neuentwürfe aus der Retorte bestehen? Es missfällt mir, wenn es gegen Traditionsstrecken geht. Eine solche Rennstrecke rauszunehmen, ist, als ob man im Tennis Wimbledon streichen würde. Natürlich müssen auch alle Strecken ihre Leistungen erbringen. Sonst kommen die Piloten nicht mehr. Für die Show muss man bezahlen, das ganze Land profitiert ja. Wer kannte denn Bahrain, bevor die Formel 1 da fuhr? Aber die Traditionsstrecken müssen bleiben. Wenn man die Leute fragt, welches Rennen sie kennen, dann heißt es Monaco oder Monza – keiner sagt Bahrain. Aber ist der Stadtkurs in Monte Carlo nicht irre? Die Mischung, die Abwechslung macht’s. Es gibt ja die Tendenz, wieder in die Stadt zu gehen. Da lernen die Fahrer, dass es neben der Ideallinie in die Mauer führt. Kleinste Fehler bedeuten in der Stadt einen Crash. Ständig gibt es Änderungen im Reglement der Formel 1. Warum muss das sein? Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits sollen die Autos nicht zu schnell werden. Denn die Ingenieure sind meist cleverer als die Regelmacher und finden immer wieder etwas Neues, zum Beispiel den Doppeldiffusor. Zum zweiten geht es um Chancengleichheit. Man versucht, Auswüchse zu verhindern. Dass nicht ein Rennstall einen riesigen Vorteil hat, den die anderen mangels Geld nicht kopieren können. Das derzeitige Punktesystem finde ich aber extrem. Es macht auch den Vergleich mit der Vergangenheit unmöglich. Zu meiner aktiven Rennfahrerzeit, in der es nur bis Platz sechs Punkte gab, hätte ich dieses System natürlich auch gerne gehabt. Denn wie oft wurde ich Siebter oder Achter . . . Warum sind Rennfahrer so egoistisch? Der Grund dafür ist der unbedingte Wille, Erfolg zu haben. Ich bin sicher, dass die Formel 1 selbst dann genügend Piloten hätte, wenn es gar kein Geld gäbe. Nehmen Sie den Porsche Supercup, ein heißbegehrter Markencup, der viel Geld kostet, bei dem die Fahrer selbst aber wirklich nicht reich werden. Da geht’s um Sport, Prestige und Sieg. Seit vierzehn Jahren kommentieren Sie die Formel 1. Wird das nicht mal langweilig? Im Gegenteil. Ich finde sie immer spannender. Es gab langweilige Jahre, speziell als Michael Schumacher mehr oder weniger jedes Rennen gewann. Wo man eigentlich nach dem Start schon wusste, wer’s gewinnt. Im Moment aber erleben wir die beste Formel 1 aller Illustration Burkhard Neie/xix Zeiten: mit verschiedenen Siegern und verschiedenen Teams, die gewinnen können. So ausgeglichen war es noch nie. Das Kommentieren ist also das Spannendste, was man machen kann, wenn man nicht selbst fährt. Rennfahren ist das eine, als Kommentator sauber, intelligent und verständlich zu sprechen das andere . . . Ich liebe es, etwas zu erklären. Die Technik ist mein Steckenpferd. Als ich zum ersten Mal in der Schule einen Vortrag halten musste, habe ich erklärt, wie ein Viertaktmotor funktioniert. Damals bescheinigte mir der Lehrer, ich hätte Talent zum Unterrichten. Also wollte ich Lehrer werden. Doch es kam anders. Zur Person 쐽 Marc Surer wird am 18. September 1951 in Füllinsdorf im Baslerland geboren. Schon früh begeistert er sich gegen den Widerstand seines Vaters für den Autorennsport. Er wird ein hervorragender Rennfahrer, fährt aber leider meistens in zweitklassigen Teams. 쐽 Nach einem fürchterlichen Rallyeunfall im Jahr 1986 nimmt Surers Mutter das Risiko auf sich, ihren im Koma liegenden Sohn vielleicht zu verlieren, rettet durch ihr Veto aber sein Bein vor der Amputation. 쐽 Neben seinem heutigen Hauptberuf als Kommentator für die Formel 1 schreibt Surer Kolumnen, testet Autos und betreibt eine Pferdefarm. 쐽 Surer lebt in der Schweiz und in Spanien. Sebastian Vettel betont immer wieder, wie wichtig für ihn sein Vater als Förderer von Kindesbeinen an war. Bei Ihrer Rennfahrerkarriere war der Vater eigentlich der größte Gegner. Macht Sie das rückblickend zornig? Es wäre für mich deutlich mehr drin gewesen, wenn ich früher die Möglichkeit gehabt hätte, im Rennfahrzeug zu sitzen. Ich habe erst sehr spät angefangen, Go-Kart zu fahren, nämlich mit neunzehn Jahren. Zu Hause hatte ich keinen Rückhalt und musste erst mein eigenes Geld verdienen, um meiner Leidenschaft nachgehen zu können. Die Zeiten haben sich aber auch geändert. Heute ist es normal, dass alle extrem jung anfangen, egal in welcher Sportart. Als Fahrer hatten Sie oft sehr schlechte Autos. Trotzdem wollte Ferrari Sie engagieren. Es gab zwei gute Momente für mich als Rennfahrer. Der eine war, nachdem ich mir 1982 zum zweiten Mal die Füße gebrochen hatte. Ich kam zurück und habe ein Auto fürs Rennen qualifiziert, das vorher niemand qualifizieren konnte – der Arrows war ziemlich schlecht in diesem Jahr, und damals durften von durchschnittlich dreißig Autos nur 24 im Grand Prix starten. Im Rennen von Zolder, in dem Gilles Villeneuve tödlich verunglückt ist, bin ich mit dem Arrows Siebter geworden. Das hat Enzo Ferrari beeindruckt. Und da er für den toten Villeneuve Ersatz brauchte, ließ er über einen Mittelsmann anfragen, ob ich frei wäre und für Ferrari fahren könnte. Und wieso wurde nichts aus diesem Traum eines jeden Rennfahrers? Ich ging zu meinem Teamchef Jackie Oliver und sagte: „Ich könnte für Ferrari fahren. Darf ich gehen?“ Sein Angebot an Ferrari lautete: „Wir fahren diese blöden Pirelli-Reifen. Wenn ihr mir einen Goodyear-Vertrag“ – diese Reifen hatte Ferrari – „als Gegenleistung gebt, gebe ich euch den Fahrer.“ Darauf sagte Enzo: „Mit mir handelt man nicht.“ Das war leider Gottes meine Ferrari-Geschichte. Wenn Sie in einem Boliden von heute sitzen, juckt es Sie dann mal wieder? Ich hatte das Glück, dass ich mich nach meiner aktiven Karriere, die ja 1986 abrupt durch einen schweren Rallye-Unfall beendet wurde, fragen musste, was ich danach machen sollte. Da kam einerseits das Fernsehen, andererseits habe ich es bei BMW – die mich seit mei- Man könnte Sie für einen Hellseher halten: Den Sieg von Ferrari und speziell Alonso in Hockenheim haben Sie bereits am Samstag prognostiziert, obwohl Vettel die Pole-Position hatte. Was macht Sie bei Voraussagen so sicher? Ich kannte die Forschritte im Ferrari, der auf jeder Strecke sehr gut liegt, und Hockenheim ist eine leichte Strecke – mit Gerade, also Speed, und mit Haarnadelkurve für Überholmanöver. Und Alonso ist einfach ein sehr guter Fahrer, sofern der Stier nicht mit ihm durchgeht. Kein Formel-1-Gespräch ohne das Thema Michael Schumacher. Wie sehen Sie sein Comeback? Seine Rückkehr ist das Beste, was der Formel 1 passieren konnte. Wir hatten Einschaltquoten, die im Schnitt fünfzig Prozent höher lagen als im letzten Jahr. Und obwohl Schumacher dann nicht so zugeschlagen hat, wie die Fans es erwartet haben, sind sie auf diesem Niveau geblieben. Denn die Zuschauer sehen ja: Mensch, die Formel 1 ist höchst spannend! Und es gibt ja auch noch einen Vettel, der die deutsche Flagge hochhält. Schon deshalb hat Schumacher der Formel 1 einen Gefallen getan, und man muss ihm dankbar sein, dass er sich da durchbeißt. Für Michael persönlich droht es allerdings zum Flop zu werden. Ich habe zwar nicht erwartet, dass er gleich Rennen gewinnt. Aber ich habe unterschätzt, dass sein Ruf so schnell leidet. Vitaly Petrov hat zu mir gesagt: „Als Junge habe ich Michael Schumacher im Fernsehen bewundert. Und jetzt überhole ich ihn schon.“ Das tut mir weh. Denn ich kannte die Legende und habe mit ihm gefiebert, als er zum ersten Mal im Ferrari Weltmeister wurde. Und Sie selbst? Sie sind nur Netzverbundfahrzeuge-Weltmeister geworden. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Ich habe überlebt, Kollegen haben nicht überlebt. Ich habe einen sehr schweren Unfall überlebt. Seither habe ich ein geschenktes Leben.
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