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DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Die Sonne kommt raus, die Garagentüren schreien danach, geöffnet zu werden, die gut gehüteten
Schätze wollen zurück auf die
Straße. Wer Autos liebt, hat ein
Auto, das er besonders liebt. Oder
mehrere. Unsere Autoren, unsere
Layouterin, unser Art Director –
alle haben ihre Saison eröffnet.
Jeder PS WELT-Mitarbeiter ist
autoverrückt im besten Sinne:
inspiriert, euphorisiert, bestinformiert, wenn es um lärmende
und stinkende Blech-skulpturen
geht. Wer schöne Autos liebt,
macht in Zeiten des Nullzinses oft
ein gutes Geschäft oder schafft
eine hübsche Altersvorsorge. Die
Rendite sollte allerdings in Fahrspaß ausgezahlt werden, nicht in
Stolz auf Stilllegungsberichte. Autos müssen gefahren werden, gerade die Schönen.
Ihr
ULF POSCHARDT
Thomas Faehnrich
PS.: Kritik und Lob bitte wieder an
[email protected]
Der Überkäfer: Unterwegs im Krabbler
mit den Porsche-Genen, einer
Rallye-Legende aus den 70er-Jahren
Seite 19
FOTO
RUBIO / WITTERS
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ER WILL ES
Härter, lauter, schneller
EXKLUSIV IM INTERVIEW: SEBASTIAN VET TEL
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
das Ganze wird also auf jeden Fall ein Hit. Außerdem ist
neben Pagode oder Bertone immer noch Platz für ein paar
Retro-Café-Racer.
Wobei wir auch gleich bei der zweiten Gruppe wären, die
mir mittlerweile den Oldtimer-Spaß verleidet: den fashion
victims. Dazu nur ein Satz: Ein alter Elfer mit Magnus-Walker-Aufklebern ist nur bei einem Menschen auf der Welt
cool, nämlich bei Magnus Walker.
Die schamlose Glorifizierung alter Autos bringt zu guter
Letzt auch noch philosophische Probleme mit sich, die man
sonst eher bei Esoterikern und Anhängern von Homöopathie
findet. Am Ende ist einfach nichts einfallsloser als
immer nur in die Vergangenheit zu blicken und darüber zu palavern, dass früher alles besser gewesen
sei. Vor allem, wenn man kein bisschen fahren kann.
DANIEL SCHARFSCHWERDT,
Senior Designer EDE/4 Exterieur Entwurf Studio 4. Was? Zwei
Touran-Modelle im Maßstab 1:87.
Eines mit einer Karikatur von Jim
Baste, eines mit einer Karikatur von
mir auf dem Dach. Seit wann?
November 2015. Warum? Ich habe sie
von meinem Freund und Kollegen Jim
Basté, einem genialen Karikaturenzeichner, letztes Jahr zum Geburtstag
bekommen. Dahinter steckt ein Gag:
Ich habe den neuen Touran entworfen, Jim dessen Vorgänger – und man
sieht auf einem Modell, wie er den
neuen Touran mit schwarzem Tape
wieder in den Vorgänger „umgewandelt“ hat. Sehr lustig!
IMPRESSUM
Chefredakteur Stefan Aust
Redaktionsleitung Dr. Ulf Poschardt (V.i.S.d.P)
Redaktion Guido Bellberg, Stefan Anker
Artdirektion André M. Wyst
Bildredaktion Stefan A. Runne
Layout Katja Fischer
Bleibt nur eine Hoffnung: Sollten Finanz- und Flüchtlingskrise irgendwann einmal tatsächlich gelöst werden, die Zinsen
steigen und unsere Währung – welche auch immer wir dann
benutzen werden – wieder in einem Wechselverhältnis zum
Dollar stehen, das einem nicht die Tränen in die Augen treibt,
wird all das Geld, das jetzt in schönen, ungenutzten und von
Standschäden geplagten Autos steckt, wieder neu investiert
werden. Und Moden ändern sich ja sowieso in schöner Regelmäßigkeit, irgendwann werden vielleicht nur noch nagelneue
Elektroautos en vogue sein. Oder Limousinen, in denen man
durch die Stadt chauffiert wird, wer weiß. Eine wunderbare
Vorstellung, denn dann wäre es für echte Petrolheads
Zeit, wieder zuzuschlagen und maximalen Spaß zu
haben. Auf geheimen Strecken, mit selbstgebranntem
Benzin und striktem iPad-Verbot. Und bis dahin möchte
ich bitte keine Handyfotos von nur in temperierten Geheimgaragen existierenden Fahrzeugen mehr sehen. Vielen Dank.
Best of
Test
Mini Cooper S Cabrio
192 PS, 27.950 Euro. Design: cool. Fahrgefühl: knackig,
luftig, sympathisch. Motor: okay.
Geeignet für: Frauen aller Art. Preis: aua.
Mercedes E 220 d
170 PS, 47.124 Euro. Design: das Beste oder nichts.
Fahrgefühl: intelligent. Motor: sanft.
Geeignet für: Souveräne. Preis: wie üblich.
Schlussredaktion Bettina Schneuer
Range Rover 5.0 L SVAutobiography
550 PS, 173.000 Euro. Design: Trutzburg.
Fahrgefühl: überlegen. Motor: Thors Hammer.
Geeignet für: Bentley-Verächter. Preis: beinahe Bentley.
Audi A4 Avant TFSI quattro
252 PS, noch kein Preis veröffentlicht. Design: okay. Fahrgefühl:
handlich, knackig, sicher. Motor: Turbo rulez. Geeignet für:
Allrad-Feinschmecker. Preis: vermutlich eher anspruchsvoll.
Hyundai ix35 Fuel Cell
136 PS, 65.450 Euro. Design: SUV-Standard. Fahrgefühl:
unauffällig. Motor: Elektro, etwas mau. Geeignet für:
Wasserstoff-Fetischisten. Preis: absurd.
Teil 1: Jugendtraum für 800 Mark
wobei mal das eine, mal das andere die Nase vorn hat.
Auf ihren Schreibtischen sammeln sich
Versatzstücke, Meilensteine dieser Vorwärtsbewegung.
Daniel Scharfschwerdt
Manche sind Inspiration, andere Mahnung.
Wir haben einige Automobildesigner nach den liebsten
Teilen auf der Tischplatte gefragt
LUTZ FÜGENER, Designer und Professor an der Hochschule Pforzheim.
Was ist das? Drehzahlmesser von
meiner alten Ducati GTV Rennmaschine. Liegt da seit? Circa drei Jahren. Warum? Der Drehzahlmesser
erinnert mich immer an das in der
Mitte festgefahrene Projekt, die Maschine irgendwann mal auf die Straße
zu bekommen. Habe ihn alle paar
Wochen in der Hand, mache dann
wieder eine Skizze, wie die Maschine
am Ende aussehen könnte – und lege
ihn wieder hin. Aber nächstes Jahr
wird es ganz bestimmt klappen …
PETER SCHREYER, Chefdesigner
HYUNDAI & KIA. Was? Mein erstes
Auto-Modell. Seit wann? Ich war
etwa 14 Jahre alt, schätze ich. BMW
fuhr damals in der Formel 2, was mich
sehr beeindruckte, deshalb baute ich
mir mein eigenes Rennauto: aus Holz,
Aluminium-Röhrchen, dem Lenkrad
eines Bootsmodells, einer Sitzschale
aus Hirschleder und Super 8-Filmrollen für die Bremsen. Warum?
Weil das Auto ein wertvolles Erinnerungsstück ist, das mich bis heute
in allen meinen Büros begleitet.
Es ist übrigens immer noch im
Originalzustand und Erstbesitz –
also matching numbers!
Neuheiten, die uns im ersten Quartal
besonders beeindruckt haben
KALTSTARTPHASE
Automobildesigner haben das seltene Glück, dass ihr
Beides, Interesse wie Begabung, treibt sie voran,
GERNOT BRACHT, Automobil-designer, Illustrator, Karikaturist und
Dozent an der Hochschule Pforzheim.
Was? Die kleine Ausgabe einer großen Arbeit. Seit wann?
Circa 1996, Nachbau eines Semesterprojekts im Studium. Warum? Dieser
„Nachbau“ war mein Schreibtischbegleiter bei Renault wie auch bei
allen weiteren beruflichen Stationen.
Das Originalmodell, Maßstab 1:5, fand
seinen letzten Parkplatz in einer
Tonne beim Eiffelturm!
Peter Schreyer
als eher toxisch angesehen, bei besonders gefragten Modellen liegen die Preise bereits jenseits der Lächerlichkeit und
Fahrspaß ist schon lange nur noch Fremdwort.
Kein Zufall also, dass die härtesten Petrolheads in meinem
persönlichen Umfeld anfangen, sich von ihren alten Alfas,
Porsches und US-Langschiffen zu trennen und auf Youngtimer oder – größtmöglicher Tabubruch – sogar auf Motorräder umsteigen.
Alte Zweiräder scheinen sowieso das nächste große Ding zu sein. Egal, wie weit das Meer entfernt ist, auch
Hamburger Unternehmensberater und Politik-People
aus München und Mitte wären manchmal gerne Jack
Johnson. Und sehen sich vor ihrem geistigen Auge in ausgelatschten Boots und vom Barber perfekt auf lumbersexuell
getrimmt einen Espresso trinkend vor dem Shop von Deus
ex Machina. Um dann auf ein lässiges custom bike zu steigen
und breit zu grinsen. Der innere Cowboy lebt trotz allem,
Für jeden postpubertären Führerscheinneuling
gibt es Ende der 80er-Jahre nur ein Ziel:
einen eigenen Schlitten, aber schnell.
Eine Abenteuerreise zurück in die automobilen
Lehrjahre einer analogen Zeit. Persönlich
und halb erinnert von Helge Thomsen
Zeichnerischen in Kombination ein Berufsbild ergeben.
g
Lutz Fügener
Ollo /Getty Images
denschaft erfolgt und daher für sich alleine auch nicht bestehen kann – im Nachhinein positiv auflädt.
Doch das Einzige, was diese Fotos Eures Wagens beweisen,
ist, dass Ihr Facebook oder Euer iPhone lieber habt als Eure
Autos. Eure Oldtimer ähneln eher zweidimensionalen
digitalen Fabelwesen als echten Autos. Was man unter
anderem daran erkennt, dass in der Bürotiefgarage nie Euer
Sportwagen parkt, sondern immer nur das geleaste Dienstwägelchen oder der „vernünftige“ Alltagswagen. Auch vor
Restaurants, Cafés oder Eigenheimen sucht man eure schicken Gefährte meist vergeblich. Und wann hat eigentlich
jemand zuletzt einen E-Type außerhalb von einer Oldtimerveranstaltung gesehen?
Sicher, wenn draußen 35 Grad herrschen, von Kopenhagen
bis Kapstadt kein Wölkchen zu sehen ist und Ihr gerade
nichts zu tun habt, dann kann es passieren, dass Ihr übermütig werdet und in Konstanz, Kassel und Kreuzberg mit
DesignerDevotionalien
Interesse für das Objekt und ihre Begabung zum
BITTE beruhigt Euch!
Oldtimer-Investoren sind eine Plage, findet GUIDO BELLBERG
AXEL BREUN, Design Director Special
Programs, RENAULT. Was? Die hintere rechte Aluminiumfelge meiner
ersten Alpine A110-1300, Baujahr 1974;
am 24. Februar 1979 für 6700 Mark
gebraucht gekauft. Seit wann? 24.
März 1979, also vier Wochen nach
Kauf. Inzwischen nur sandgestrahlt.
Warum? Erinnerung und Mahnung,
es manchmal etwas langsamer angehen zu lassen. Umso schöner, dass
sich der Kreis 2012 schloss: Mit dem
Bau und der Präsentation des Conceptcar „A110-50“ gelang mir und
meinem Team die Wiedergeburt der
Marke Alpine, bis jetzt ohne Unfall ...
Gernot Bracht
L
eurem automobilen Schätzen vorsichtig auf die Straßen rollt.
Und euch dann fühlt wie Steve McQueen oder Kate Moss.
Am liebsten natürlich sonntags, am Mittag, weil dann nicht
so schrecklich viel los ist. Das ist verständlich, denn wenn
Frau oder Mann das Auto hauptsächlich als Investment sehen, müssen sie oder er auch angesichts möglicher Kratzerchen und letzter Streusalzmoleküle zu Recht zutiefst besorgt
sein. Besorgt sein ist aber das Gegenteil von Spaß.
Und ich verstehe auch vollkommen, dass Ihr versucht,
Euer hart verdientes Geld sinnvoll anzulegen. Aber müsst Ihr
dazu gerade Autos benutzen? Wie wäre es denn mit Wein
oder noch mehr Wohnraum?
Im Ernst: Die Oldtimer-Szene ist auf dem besten
Wege, zu einer riesigen Investitionsblase zu werden.
Die Marktsituation wird von vielen Beobachtern mittlerweile
Axel Breun
eute, im Ernst, es reicht. Ich bin es unendlich leid, fast täglich von einer Person A zu
hören, dass Person B sich vor zwei Wochen
einen „total tollen“ neuen alten 911 gekauft
hat. Und dass er oder sie gestern beim aktuell angesagten Edel-Burger der Stadt
Fotos davon auf dem Handy präsentiert hat.
Oder von Person C zu erfahren, dass er
oder sie nun ebenfalls „Fan“ alter Mercedes-Coupés sei und
sich erst vor anderthalb Monaten ein wunderbares Exemplar
„gesichert“ habe. Natürlich gefolgt von semiprofessionell
geshooteten Facebook-Bildchen, die als Beweis für die erlegte Beute dienen und Däumchen generieren sollen. Diese
Zustimmung von Online-Freunden ist so wichtig, weil sie die
eigene Kaufentscheidung – die eben selten aus wahrer Lei-
3
SONNTAG, 10. APRIL 2016
1. DIE PASTA Das Auge isst bekanntlich
mit. Bei diesen Nudeln in Form von
Schrauben, Muttern und Dübeln ganz
bestimmt. Und die Verpackung lässt
sich nach dem Essen als Schraubensortierkasten nutzen. Perfekt!
the-deli-garage.de
2. DAS MESSER Da können sie noch so
laut in das „Japanische-Messer-sind-diebesten“-Gejaule mit einstimmen: Nichts
geht über Fleischermesser, die von Fleischern für Fleischer hergestellt wurden.
Die der Traditionsfirma Dick aus der Reihe
1778 (Gründungsjahr!) sind scharf, schön
und haben einen Griff aus Pflaumenholz.
dick.de
3. DAS GROSSE GRÜNE EI Vorbild für
diese Miniküche ist der Kamado, eine
3000 Jahre alte Tonofenart aus Japan.
Es ist ein als Grill getarnter Multifunktions-Heißmacher für Pizza, Fleisch und
Dessert. Grillrost: 61 cm, Kochfläche:
2919 cm2, Höhe: 78 cm.
biggreenegg.eu
4. ÖL Dieses hochwertige Öl aus katalanischen Arbequina-Oliven wird mit aufwändig direkt mitgepresstem Rosmarin,
Peperoni oder Zitronen aromatisiert. Nur
beim Ölwechsel bitte aufpassen.
the-deli-garage.de
1.
Helge Thomsen
2
PS-Kulinarik
VON CORDULA SCHMITZ
Die Garage ist Ihr liebster Platz? Und Hunger haben
Sie auch immer? Hier die Essentials um beide
Leidenschaften zu kombinieren. Mit Style, versteht sich
4.
3.
2.
„Opel Diplomat B, Bj. 1976, TÜV 11/91, 800 Mark“: Der bildlose Einzeiler im Schleswig-Holsteiner Anzeigenblatt ist so aussagekräftig
wie das Tageshoroskop in der Bild. Wenigstens hat es für eine Festnetznummer gereicht. Mittels der Wählscheibe von Papas W48Bakelit-Telefon stelle ich eine Verbindung nach Husum her. Ja, der
Opel ist noch da.
Jetzt stehe ich mit meinem Kumpel Jan in Barbies Carport. Der
gewagte Traum vom V8 für Kleingeld zerplatzt beim Blick in die
traurig flachliegenden Scheinwerfer. Ach so, ein Diplomat mit Admiral-Karosserie. Opels Versuch, mit Produktionsende der DiplomatKarosserie diesen Namen weiterleben zu lassen. Ein Sparmodell.
Abgewürgte 140 PS aus sechs Zylindern, zu erkennen am einsamen
Zenith-Vergaser und einem spindeldürren Auspuffrohr. „Hab’ drei
Tage gebraucht, um den mattschwarzen Lack runterzukriegen“, erklärt mir Ken stolz. „Alter, das hättest du dir sparen können“, murmele ich und starre fassungslos auf die Mattel-pinke Hinterhoflackierung. „Weißt du, der kommt aus Bredstedt.“
Natürlich. Die Bredstedter Autotypen waren über die Stadtgrenze
hinaus bekannt für ihre Rockerautos. Viel Hubraum, alles mattschwarz gerollt, fette Felgen und den Kofferraum voller Dosenbier.
Ken fand das ziemlich asozial und wollte den Diplomat zurück in die
Gesellschaft holen. Das ging schief, denn das Rüsselsheimer
Flaggschiff antwortete auf die misslungene Schönheits-OP mit einem
ausgespuckten Pleuel. Probefahrt fällt also aus.
Ich kaufe die gestrandete Limousine trotzdem, hänge die geliehenen Nummernschilder von Mamas VW Polo an meine Chromstoßstangen und das vorsorglich mitgebrachte Abschleppseil hinter Jans
Ford Fiesta MK1. Der hat trotz bärenstarkem Einliter-Triebwerk
keinen Bock auf die Aktion, aber der Diplomat muss mit. Die Tachonadel kommt kaum aus der Schlafphase, als ich mich mit null Emissionen und Mindestabstand geräuschlos über die B201 ziehen lasse.
Ein erhabenes Gefühl. Mein erster richtiger Schlitten. Opel jagt Ford,
Hierarchie trotz Motorschaden.
Als es dunkel wird,
rollen wir bei Klaus in
die Doppelgarage.
Klaus ist CapriSchrauber und in der
Ecke oxidiert ein verstaubtes Spendertriebwerk der Konkurrenz
herum. „Kommt aus
einem Commodore,
glaub’ ich. Das passt.
Einbauen ist kein
Thema, mache ich
dauernd“, grinst Klaus.
Für einen Kasten Bier
erlösen wir den SechsDiplomatischer Hochsitz – zylinder. Als der Maauf fahrenden Autos feiert es sich froher schinenraum endlich
leer ist, sind wir voll.
Irgendwie wuchten wir das neue Aggregat dann doch in den originallimonengrünen Motorraum und drehen den Zündschlüssel. Na also,
Opel der Zuverlässige.
Bei der Probefahrt ohne Auspuff überhören wir mit Absicht das
jaulende Vierganggetriebe und das Radlager hinten rechts. Wir blubbern euphorisch zur nächsten Tanke und füllen den
wiederbelebten Patienten gerade mit verbleitem
Saft ab, da kollabiert der Kühler. Irgendjemand hat wohl vergessen, Wasser einzufüllen, aber nach zwei Flaschen Kühlerdicht
verlassen wir die neongeflutete Versorgungsstation auf eigener De-Dion-Achse.
Am nächsten Morgen stütze ich mich
mit Restalkohol am Eichentresen der
Zulassungsstelle ab und lege mit ölschlammverschmierten Händen die Papiere vor. Die dauergewellte Sachbearbeiterin guckt genervt und besteht auf
einer persönlichen Begutachtung. Ich
belüge sie überzeugend, dass mein Jugendtraum zwar optisch ein Albtraum,
technisch aber ganz weit vorne sei. Widerwillig besiegelt sie dann doch kurz vor
Feierabend meine automobile Zukunft.
Helge Thomsen MOTORAVER
4
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
5
SONNTAG, 10. APRIL 2016
FORMEL 1 DARF IHR
RLIEREN“
GESICHT NICHT VER
Leicht genervt: Sebastian Vettel
während des Qualifying zum
ersten Grand Prix der Saison in
Melbourne. Wie fast alle Fahrer
ist Vettel ein Kritiker des
neuen Ausscheidungsmodus
SEBASTIAN VETTEL IST VIERFACHER
FORMEL-1-WELTMEISTER, HESSE, FAMILIENVATER
UND DIE GROSSE HOFFNUNG ITALIENS, FERRARI
WIEDER GROSS ZU MACHEN. ER IST PETROLHEAD
UND HAT EINE KULTURPHILOSOPHISCHE ADER.
EIN GESPRÄCH ÜBER KARTFAHREN, KIMIS HUMOR
UND WARUM EIN F40 IN SEINER GARAGE STEHT.
VON ULF POSCHARDT
s war ein guter Start in die
neue Formel-1-Saison. Nahezu mühelos fliegt Sebastian Vettel in
seiner „Margarita“ an den beiden vor ihm in der ersten Startreihe
anrollenden Mercedes vorbei. Und als ob das nicht Sensation
genug wäre, lässt auch noch Kimi „Iceman“ Räikkönen die sonst
so schmerzhaft überlegenen Silberpfeilen hinter sich. Dass es am
Ende „nur“ ein dritter Platz wurde, war wohl eher einer ziemlich
exotischen Reifenstrategie geschuldet und einem störrischen linken
Vorderrad beim Boxenstopp. Und als ob das nicht verflixt genug
wäre, rutschte Vettel am Ende noch einmal von der Strecke und
überließ seinem bislang größten Rivalen Lewis Hamilton Platz
zwei. Aber Vettel hat gute Laune. Der Speed der Ferrari passte.
Auf dem Podest scherzte er mit seinem Ex-Teamkollegen Mark
Webber, mit dem ihn eine – nunja – ziemlich leidenschaftliche
Rivalität verbannt, fuckfinger, Flüche und literarisches Nachtreten inklusive. „Schade, dass du nicht mehr mein Teamkollege
bist“, grinst er den Australier an, der die Podiumsinterviews
durchführen durfte, nachdem Vettel ihn mit Champagner getauft
hatte. „Willst du mehr?“, fragt Vettel und Webber flachst zurück.
„Nein, nein, ich werde ziemlich schnell betrunken.“ Vettel trocken:
„Ich weiß – und dann singst du `Summer of 69'.“
Diese kulturelle Referenz ist bei Vettel kein Zufall. Der Hinweis
auf den wirklich schlimmen Bryan-Adams-Song ist Aufschein von
Vettels breit angelegten Referenzräumen. Noch subtiler, fast konzeptuell, war sein Gag direkt nach dem Rennen kurz vor der Siegerehrung. Da warf er Hamilton dessen Zweitplatzierten-Cappy
wuchtig in den Schoß und spielte damit auf jene Szene vor knapp
einem Jahr in Austin an, als der gerade frischgebackene Champion
Lewis Hamilton mit dieser respektlosen Geste seinen unterlegenen
Team-Kollegen Nico Rosberg auf die Zinne brachte. Vettel spürte,
dass diese Saison anders werden könnte als die Jahre zuvor mit
der etwas öden Mercedes-Dominanz.
Vettel ist ganz bei sich. Souveräner als alle anderen Teamkollegen zusammen, abgesehen vom skandinavischen Stoizismus
eines Kimi Räikkönen, scheint er dem Klein-Klein des Betriebs
entrückt. Er gibt weniger den Streber als den Elder Statesman und
Philosophen. Als solcher war er ziemlich außer sich über die sinnlosen Neuerungen beim Qualifying, die, wie die FAZ vermutete,
einen „Kampf den Schnellsten“ anzetteln sollten und in peinlichen
Riten endeten.
Das strahlen Sie aus.
Aber die Entwicklung der Formel 1 macht mir Sorgen. Die
neuen Regeln sind, ich sage mal, sehr futuristisch. Der komplette Antriebsstrang, das ist ja nicht nur der Motor, sondern
die Power Unit, wie sie heißt, ist sehr komplex. Komplex
heißt: Es ist für viele schlaue Köpfe schwer, den Motor ans
Laufen zu bringen. Das kostet sehr viel Geld. Die Autos sind
deutlich effizienter geworden, was den Verbrauch angeht. Ob
das aber ein modernes Argument ist, das die Zuschauer begeistert – oder gar die Fahrer –, das bezweifele ich. Ich glaube
es nicht. Ich bin eher ein Petrolhead, alteingesessen, und
beharre auf meiner Tradition.
Welche Tradition wäre das?
Es ist schade, dass die Autos nicht mehr so laut sind wie sie
mal waren.
Wenige Tage vor dem Saisonstart fanden in Barcelona die
letzten großen Testfahrten aller Teams auf der katalanischen
Formel-1-Strecke statt. Vettel war auch hier ein gefragter Mann.
Dutzende von Fernsehteams, Heerscharen von Fans, die Entouragen von Sponsoren und Ferrari-Kunden. Vettel aber ist die Ruhe
selbst. Zum Interview erscheint er trotz eines ordentlichen Tagesprogramms entspannt; gut gelaunt wie ein Mann, der ausgeschlafen den Dingen entgegensieht.
PS WELT: Wird es was mit dem Titel in der Formel 1
dieses Jahr?
Sebastian Vettel: 2015 hat auch dem ganzen Team sehr gut
getan, weil die Jahre davor doch ein bisschen schwer waren.
Wir konnten wieder ein bisschen aufatmen. Die frühen Erfolge, das Podium im ersten Rennen, der Sieg im zweiten Rennen haben sehr viel Druck genommen. Es war eine Saison, wo
man eigentlich keine Erwartungen hatte, aber paradoxerweise
deswegen die Erwartung hatte, dass es auf jeden Fall deutlich
besser laufen sollte als das Jahr davor. Das ist gelungen. Deswegen ist jedem hier das Ziel für 2016 schmackhaft gemacht
worden. Dafür geben wir alles. Unser Team ist auf einem
guten Weg. Natürlich ist im Moment Mercedes an der Macht.
Seit der Reglement-Umstellung haben sie einfach die Nase
vorne – aber sie sind nicht unschlagbar.
Welche der zuletzt unendlich vielen Reglement-Umstellungen meinen Sie?
Die seit 2014. Mit dem neuen Antriebsstrang und so weiter
war Mercedes von Anfang an sehr, sehr stark und lange Zeit
unschlagbar. Ich hoffe, dass sich dieses Jahr das Blatt wendet,
dass wir deutlich näher dran sind. Wenn wir näher dran sind,
haben wir die Möglichkeit, sie zu ärgern, unter Druck zu setzen. Dann ist alles offen.
Die Reglement-Umstellungen nerven viele Fans.
Kann ich verstehen. Ich stehe dem Ganzen sehr kritisch
gegenüber. Ich liebe den Sport, ich verbringe in ihm einen
Großteil meines Lebens. Ich habe sehr, sehr großes Glück. Ich
habe viele andere gesehen auf meinem Weg, die es vielleicht
Ein bisschen lauter sind sie doch wieder geworden?
Ein bisschen. Aber es ist natürlich lange noch nicht richtig
laut. Der Ton ist einfach anders. Ein Turbomotor hört sich
anders an als ein Saugmotor. Für uns Fahrer gibt’s nix Größeres, als wenn das Auto so schnell ist, wie es nur geht, so laut
ist, wie es nur geht. Und uns an unsere Grenzen bringt. Objektiv gesehen gibt es Dinge, die der Zuschauer haben möchte. Er möchte, dass es laut ist, er möchte, dass überholt wird,
er möchte, dass die Rennen spannend sind. Das hat aber jede
Sportart. Beim Fußball möchte ich auch ins Stadion gehen
und viele Tore sehen. Ich will Dramatik, vielleicht noch eine
rote Karte. Ich will mich über den Schiri aufregen, ich möchte
meine Bockwurst in der Halbzeit essen und alles gut. 90 Minuten. Dafür gibt’s nicht die Garantie. Es gibt auch Spiele, da
geht’s 0:0 aus. Müdes Gekicke.
Ist es in der Formel 1 munterer?
Seitdem ich dabei bin, seit 2007/2008, hat man sehr viel unternommen, um das Ganze aufzuwerten. Mit manchem ist
das gelungen, mit manchem nicht. Manches ist eher künstlich
gemacht, und das mag der Zuschauer auch nicht. Die Autos
sind sparsamer, okay, aber ist das attraktiv, wenn ein Rennfahrer, der dafür gebaut ist oder gemacht ist, ein Auto so
schnell wie möglich zu bewegen, am Ende der Geraden vom
Gas gehen muss, damit er mit seinem Sprit im Auto hinkommt und die Zielflagge sieht? Eigentlich nicht. Damit kann
sich kein Fan ...
... außer Claudia Roth vielleicht ...
... identifizieren. Ich bin da eher klassisch und konservativ.
Ihr ehemaliger Teamkollege Mark Webber ist sehr
glücklich in der Le-Mans-Serie. In dieser Rennserie gibt
es mehr pures Racing. Kann die Formel 1 davon lernen?
Manche Rennen sind sehr gut, andere nicht so gut. Das war
schon immer so, das war auch in den 80er-Jahren so. In
Wahrheit, wenn der Zuschauer von heute sich ein Rennen aus
dieser tollen Zeit oder vom Anfang der Nullerjahre anschaut,
er würde einschlafen. Also es passiert schon deutlich mehr
und viel und meiner Meinung nach auch genug. Aber die
Undurchsichtigkeit aufgrund des Reglements verhindert die
Getty Images/ Lars Baron
E
nicht so weit geschafft haben. Der eine hatte keine Lust mehr,
bei dem anderen hat es nicht zusammengepasst, wie auch
immer. Es ist ein Riesenprivileg, in der Formel 1 fahren zu
dürfen – und ganz besonders in so einem Team. Ich bin mir
dieses Glückes sehr bewusst.
6
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Identifikation. Die Teams sind mitschuldig, weil sie alles
zunageln im Vergleich zu früher. Das ist logisch, weil so viel
Entwicklungsarbeit und Gedankengut in jedes erfolgreiche
Auto geflossen sind, dass man das auch schützen will. Damit
wird die Technik abstrakt und unsichtbar, das ist selbst für
Technikaffine problematisch. Der Zuschauer, der das Glück
hat, an die Rennstrecke zu kommen und in die Garage zu
gehen und zu sehen, was überhaupt unter der Haube passiert, der sagt: Wahnsinn. Das gibt es ja gar nicht. Das ist ja
wie eine Rakete. Das ist wie Raketenwissenschaft. Auch der
modernste Supersportwagen ist ein Trabbi dagegen.
Wenn Sie eine Zeitreise machen könnten, gegen wen
würden Sie denn gerne mal fahren?
Das ist sehr schwer zu beantworten. Das Fahren in den 50erwar ganz anders als in den 70er-Jahren, in den 90er-Jahren
anders als heute. Die Zeit, in die ich gerne mal schlüpfen
würde, wäre Anfang der 90er-Jahre, weil die Autos noch sehr,
sehr roh waren. Aber auch extrem schnell, auch in den Kurven.
Gegen Senna zum Beispiel?
Klar, gegen Senna, Mansell, Michaels Anfangszeit. 1990 bis
1995 war eine Hochzeit.
Sie sind Hesse und haben sich sehr über den überraschenden Erfolg des SV Darmstadt gefreut. Er verkörpere für Sie die Kraft dessen, was eine Mannschaft sein
kann: elf Freunde. Das vermissen Sie in der Formel 1.
Glauben Sie, früher gab es mehr Kameradschaft unter
den Fahrern?
Absolut. Das hat auch damit zu tun, dass unser Sport sicherer geworden ist.
Auf Jürgen-Klopp-Englisch-Niveau?
Verstehen kann ich schon sehr viel. Aber ich bin auch ein
bisschen faul beim Vokabellernen.
Die Engländer zelebrieren ihre Petrolhead-Kultur sehr
originell, zum Teil anarchisch. Wie unterscheidet sie das
von den Deutschen?
Da ich mich, seit ich klein war, im Motorsport bewege, bin
ich eigentlich stets auf Leute getroffen, die ähnlich infiziert
waren wie ich. In der Formel 1 ist die Auto-Obsession für
viele ein Job mit einem regelmäßigen Gehalt, aber eben auch
WENN ES STINKT, WENN ES QUALMT,
WENN ES TROPFT: HERRLICH.
viel mehr als das. Wenn man das Gehalt auf die Stunden
herunterrechnet, können unsere Mechaniker oder Ingenieure
woanders wahrscheinlich mehr Geld verdienen. Aber darum
geht es nicht. In der Formel 1 können sich Petrolheads austoben. Die Deutschen sind dabei mit am zurückhaltendsten.
Der Engländer gibt eigentlich immer Gas.
Leidenschaft: Vettel liebt das
Motorradfahren, hier auf
einem Museumsstück, einer
Scott Flying Squirrel (fliegendes
Eichhörnchen) von 1938
Die britischen Fans laufen hier bei den Testfahrten trotz
eher winterlicher Temperaturen mit kurzen Hosen und
T-Shirts rum. Knallrot im Gesicht.
Das ist auch typisch für englische Teams. Man ist in Spanien,
deswegen trägt man kurze Hosen, auch wenn es morgens
vier Grad sind. Der Italiener ist noch mal ganz anders autoverrückt. Für den ist Ferrari eigentlich eine Religion.
Apropos England: Dass Sie den britischen Humor mögen, hat man an Ihrem Auftritt bei Top Gear gesehen.
Haben Sie das geübt?
Nein. Ich hatte natürlich ein paar Folgen gesehen. Aber ich
JENES PUNKTES, FÜR DEN DU EIER IN DER HOSE BRAUCHST.
DAS IST DER KERN DES MOTORSPORTS.
Wie übersetzt man den Begriff Petrolhead am besten
ins Deutsche?
Die beste, weil passendste, Übersetzung ist „Benzin im Blut“.
Entweder man hat eine Begeisterung für das Automobil oder
nicht. Es gibt viele Arten, diese Begeisterung auszuleben:
Motorsport ist die eine Art. Sein Auto zu tunen, zu pflegen,
stolz auf sein Auto zu sein, sind andere Arten. Unsere heutige Generation ist anders als frühere Generationen, für die
das Auto eine zentrale Rolle spielte. Was schade ist, denn als
Deutsche haben wir aus der Geschichte heraus einen starken
Ferrari steht für diese Exzellenz des Leidenschaftlichen.
Was wäre Ihr Lieblings-Ferrari aller Zeiten, wenn Ihnen
jemand sagt, so, den kriegst Du jetzt in die Garage?
F40. Der steht aber in meiner Garage (lacht).
Wirklich?
Ja. Der war immer der, der schon auf dem Spielzeugteppich
gewonnen hatte. Ich bin mir meines Glückes bewusst. Dazu
zählt unter anderem auch, dass ich mein Spielzeugauto in
Echtgröße haben kann.
BEIM KARTFAHREN GEHT ES EIGENTLICH STÄNDIG
UM DIE GEWÄHLTE LINIE UND DIE ÜBERWINDUNG
nicht nur die bis dato schnellste Runde in einem miesen
Suzuki Liana, sondern hat unterschiedlichste britische Akzente drauf. Als er beim Erzählen einer Anekdote den Akzent
von Nigel Mansell, dem Weltmeister von 1992, nachmacht
und wie der seinem Kollegen X erzählte, warum er in einer
Kurve einfach seine E*** über das Lenkrad hängt und eine
schnelle Gerade fährt, wo andere vorsichtiger die Kurven
nehmen, tobt das Top-Gear-Publikum. Vettels Jahre bei Red
Bull, einem Rennstall, der in Milton Keynes angesiedelt ist,
haben ihn den Humor und die Pointensicherheit der Briten
aufsaugen lassen. Anders als bei Michael Schumacher passten die Schwingungen gut zueinander.
Deswegen nennt sich Vettel auch Petrolhead – im vollumfänglichen Sinne dessen Bedeutung.
Ferrari und die Deutschen, das hat eine große Tradition.
Als Michael Schumacher beim Skifahren verunglückt
war, standen vor allem italienische Fans vor dem Krankenhaus in der Schweiz. Das war sehr beeindruckend.
Auf jeden Fall. Die großen Erfolge, die Michael mit dem
Team zusammen hatte, prägten eine ganze Ära. Er hat Ferrari praktisch gerettet und nach einer dunklen Zeit wieder ans
Licht geführt hat. Die Leute sind ihm dafür bis heute sehr
dankbar. Aufgrund seiner Persönlichkeit – nicht nur aufgrund der Erfolge – bedeutet er den Leuten hier immer noch
sehr, sehr viel. Sein Schicksal ist tragisch. Und für viele Leute
hier bleibt es sehr hart, wenn sein Name dann fällt. Denjenigen, die mit ihm gearbeitet haben, schießen dann direkt die
Tränen in die Augen. Das hat nix mit irgendeinem Pokal,
irgendeinem Sieg oder einer Weltmeisterschaft zu tun. Das
ist viel mehr. Die Italiener und die Ferraristi haben eine
echte Beziehung zu Michael. Vielleicht hat das auch mit der
Leidenschaftlichkeit der Italiener zu tun. Ich will die Deutschen nicht kritisieren, die Kulturen sind nur ganz anders;
wenn man in ein italienisches Restaurant geht, dann ist der
Empfang ein anderer als in der deutschen Kneipe nebenan.
Marcus Jans
Diese Bilder sind heute weit weg.
Der Sport hat sich extrem gewandelt. Ich finde es generell
schade, weil ich glaube, wir haben alle was gemeinsam, was
uns verbinden sollte. Selbst wenn man sich jetzt mit dem
einen oder anderen nicht so versteht teilt man ja doch einen
Großteil seiner Interessen. Aber da man heute so abgekapselt ist, jeder ist in seinem eigenen Team eingespannt, jeder
wohnt woanders, jeder macht sein eigenes Ding. Schade
eigentlich.
Egal wie heiter und spaßig der Ton Vettels ist, mit dem er
die Welt kommentiert, in ihm arbeitet stets das Hirn eines
ernsten Konservativen. Sein Sinn für Sprache und Dialekte
ist mittlerweile berühmt-berüchtigt. Beim Chefevangelisten
der Benzinreligion, Jeremy Clarkson, verblüffte er ein urbritisches Publikum, das eigentlich am liebsten lacht, wenn
sich Deutsche (bis auf die Knochen) blamieren. Vettel fährt
Sie durften schon mit 17 den Führerschein machen.
Oder?
Stimmt. Ja. Den Autoführerschein hatte ich schon ein bisschen früher. Es war der erste Schritt in die Freiheit.
Das Kind und sein Idol: Die größte Auszeichnung für den Teenager Sebastian waren nicht die
Pokale, sondern das Foto mit
Michael Schumacher, der Vettels
Potenzial früh erkannt hatte
habe mich nicht darauf vorbereitet. Da ich zu dem Zeitpunkt
schon viele Jahre in England war, wusste ich, dass sich Engländer eigentlich ständig über sich selber lustig machen. Was
Deutschen eher nicht so liegt.
Warum eigentlich nicht?
Deutsche können einfach nicht so über sich selber lachen. Da
ist der Engländer viel entspannter. Er kann gut austeilen,
aber er kann auch sehr gut einstecken.
Sie haben Jeremy Clarkson sein Alter reingerieben,
da gäbe es bei Thomas Gottschalk wohl frostige
Stimmung.
Mir liegt das Englische. Auch dieses politisch Nicht-Korrekte
liegt mir sehr. In der vielen Zeit mit dem Team und den
Mechanikern in der Garage blödelt man halt viel rum. Es
wird viel gearbeitet, aber für mich ist ganz wichtig, dass man
sich auch gut versteht, dass man Spaß dabei hat. Wenn ich in
ein Büro gehen würde und dort nur Leute wären, die zwar
auch dort arbeiten, aber mit denen ich eigentlich nichts teile
oder nichts zu tun habe, wäre das für mich extrem langweilig. Ich muss nicht bei jedem sagen, ist mein bester
Freund. Aber dass man miteinander auskommt und auch mal
was zusammen unternimmt.
Mike Stone/ REUTERS
Ayrton Senna hatte vor seinem Tod erklärt, dass er nirgendwo so glücklich war wie zu der Zeit, als er Karts
gefahren ist.
Beim Kartfahren steht der Fahrer im Vordergrund. Beim
Material gibt’s nur kleine Unterschiede. Natürlich hat die
Formel 1 immer schon Unterschiede gehabt vom besten
zum schlechtesten Auto. Wenn jetzt alle mit dem gleichen
Auto fahren würden, dann wäre es in dem Sinne nicht mehr
die Formel 1, aber ich glaube, was uns Fahrer einfach begeistert, ist wenn wir an unser Limit gehen müssen. Und uns
dorthin pushen können. Das ist eben im Moment so ein
bisschen in der Diskussion, die der Mark wahrscheinlich
auch angesprochen hat, mit den Reifen: Dass die Reifen sehr
stark abbauen und dass man dann einfach rumrutscht. Nicht
mehr die Haftung oder den Grip hat, der einen wirklich ans
körperliche Limit bringt und auch an das persönliche Limit
bringt. Dass man sagt, ich traue mich jetzt nicht mehr,
schneller durch die Kurve zu fahren, auch wenn das Auto das
vielleicht kann. Und diesen Punkt zu überwinden – darum
geht es. Da wird das Adrenalin ausgeschüttet. Beim Kartfahren geht es eigentlich ständig um die gewählte Linie und die
Überwindung jenes Punktes, für den du Eier in der Hose
brauchst. Das ist der Kern des Motorsports und den sollte
man nicht aus dem Auge verlieren.
Sie meinen, man wusste nie, wen es als nächsten
erwischt?
Klar, so etwas schweißt zusammen. Wenn man im Raum sitzt
und kennt sich, aber die Woche drauf fehlt einer, fehlen zwei,
ist nicht lustig. Das möchte ich mir nicht vorstellen. Aber so
was schweißt zusammen. Dann kleinere oder primitivere
Gründe: Die Rennen waren schon rund um die Welt verteilt,
es gab aber nicht so viele Flugverbindungen. Also war man
zwangsweise irgendwie immer auch im selben Flieger. Es gab
nicht so viele Hotels, vor allem in der Nähe der Rennstrecke.
Also war man zwangsweise immer im selben Hotel. Man
hatte weniger Meetings, nicht so viele Sponsoren, nicht so
viele Dinge, um die man sich abseits der Rennstrecke kümmern musste. Die berühmten Bilder, als die Fahrer ausgestiegen sind, eine geraucht und vielleicht dem Fahrzeugtechniker gesagt haben, ja, es rutscht ein bisschen, aber was wollen wir machen? Wir können eh nix machen, schauen wir
mal, wie morgen das Wetter ist. So auf die Art.
Geben Sie schon Interviews auf Italienisch?
Ich verstehe die Fragen. Ein bisschen kann ich antworten.
Gut gelaunt: Mit Red Bull
wurde Vettel viermal
Weltmeister, mit Ferrari
(noch) nicht
Gehen Sie mit Kimi was trinken?
Ja, kommt auch mal vor. Kimi hat einen anderen Sinn für
Humor ...
... der ist eher Buster Keaton?
Sehr finnisch. Die Finnen sind noch viel trockener als die
Deutschen.
Sie interessieren sich für Sprachen. Da gehört die finnische sicher zu den eigenwilligsten. Sie jubeln nach
Siegen schon auf Italienisch. Warum?
xpb.cc/ action press
Viele Formel-1-Fans flüchten in die Vergangenheit: alte
Grand-Prix-Filme, die romantische Vergangenheit des
Motorsports, wo die Piloten wie mittelalterliche Ritter
über glamouröse Bühnen schreiten – mit Frauen während eines Le-Mans-Rennen Abendessen gehen, krasse Dialoge in der Boxengasse führen, rauchen, trinken.
Es war einfach eine andere Zeit. Es gibt Dinge, über die man
schmunzelt und sagt, wie blöd waren die. Blöd im Sinne von:
Wie primitiv war die Arbeitsweise? Aber zu der Zeit wusste
man es nicht besser, damals war das topmodern und das
Beste, was es gab. Vielleicht lacht man in 20 bis 30 Jahren
über uns.
Bezug zu Autos. Bei mir war das so: Kaum war ich 15 Jahre,
hatte ich den Mofaführerschein, mit 16 den Rollerführerschein und 125 er-Führerschein und mit 18 dann Auto, Motorrad. An meinem Geburtstag bin ich auf die Zulassungsstelle
und habe mir meinen Führerschein geholt.
hochzwei/ ps
Exemplarisch steht dafür Ayrton Sennas Kampf gegen
den damaligen FIA-Chef Jean-Marie Balestre...
Wir müssen einfach aufpassen, dass die Formel 1 nicht ihr
Gesicht verliert. Drei Wochen vor Saisonstart das QualifyingFormat zu ändern, allein das war schon Quark. Das ist unterm Strich einfach peinlich. Leider sind wir als Fahrer nicht
so involviert wie wir es vielleicht gerne wären. Wenn man
beim Fußball ständig das Tor vergrößern oder verkleinern
würde, das Feld größer oder länger machen würde, je nachdem, ob ich fitte Spieler oder einen tollen Torwart hätte ...
Das ginge doch auch nicht, da würde keiner mehr durchblicken. In den letzten Jahren ist in der Formel 1 sehr viel
passiert. Manches ist gut. Anderes war ein Schritt zu viel.
Nicht um zu zeigen, dass ich es ein wenig sprechen kann,
sondern aus Respekt vor der Tradition. Es ist ein italienischer Rennstall, er ist für Italien eine Religion. Nicht jeder
spricht Englisch.
Wolfgang Stahr/ laif
Auch ein F12 TdF?
Der auch. Es ist wirklich ein ganz anderer Planet. Aber
braucht es diese Raketentechnik? Braucht es das für gesunden Rennsport? Meiner Ansicht nach nicht. Es geht auch viel
einfacher, viel billiger – und damit würde es allen unterm
Strich vielleicht besser gehen. Politik war schon immer ein
großer Teil der Formel 1 ...
7
SONNTAG, 10. APRIL 2016
Dürfen Sie auch andere Ikonen gut finden, die nicht
Ferrari sind? Einen Miura, einen 911?
Das sind wunderschöne Autos. Jede Zeit hatte ihre Gesichter
und die Autos, die sie geprägt haben, da könnte ich jetzt eine
ganze Liste aufschreiben mit schönen Autos. Einerseits von
den Formen, aber auch von der Technik. Es ist ein bisschen
schade, dass heute die Formen der Sportwagen nicht mehr so
(elegant) sein können wie früher, allein aufgrund der Sicherheitsstandards. Der Porsche 911 ist natürlich eine Ikone.
Mercedes hatte auch wunderschöne Autos. Den 300 SL
Roadster zum Beispiel. Aber auch später den Pagode. Mein
Vater fuhr früher einen Pagode. Aus den Zeiten der DTM in
den 90er-Jahren erinnere ich mich gerne an den Mercedes
Evo. Aber auch ein Einser Golf Cabrio hat auch seinen Reiz.
Es kommt immer drauf an, was. Es muss nicht immer nur
Power und schnell und groß sein.
Vettel muss weiter. Mist, wir waren gerade mittendrin. Aber die
Fernsehsender drängen. Und das Fernsehthema ist das Reich von
Hypermogul Bernie Ecclestone. Es wird dann schon langsam spät,
aber Vettel bleibt nicht nur freundlich und verbindlich, sondern
schafft es, jedem Kameramann, jeder auf Angriff blondierten
Fernsehmoderatorin einen Hauch Charme und Herzlichkeit zuzuteilen, der alles viel lockerer und geschmeidiger laufen lässt. Die
Italiener nennen ihn einfach „Seb“ und stellen ihre Fragen gerne
auf Italienisch. Vettel macht das ziemlich locker und selbstbewusst. Danach ist Teammeeting, wir verabreden uns zum Abendessen im Ferrari-Zelt. Ein sehr exklusiver, ultraroter Bereich des
Formel-1-Zirkus. Während andere Teams Journalisten geradezu in
ihre hospitality locken, ist Ferrari im Erstkontakt etwas mürrisch
und megastolz.
Macht das alles aber noch viel schöner. Und besonderer. Und
das Essen ist exzellent. Hinter dem Zelt ist eine alte Küche, wie in
einer Trattoria aus der Emilia Romagna. Es gibt frischen Fisch
und leichte Pasta. Der Nachtisch macht süchtig. Spät kommt
Vettel. Wir sprechen jetzt über andere Themen.
Es hat sich herumgesprochen, dass Sie sich um das
Zusammenleben der Menschen Gedanken machen.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ist nur gut drei
Jahre älter als Sie und verändert die Welt. Wie nehmen
Sie eine Figur wie ihn wahr?
Inwieweit der damals Facebook selber ins Leben gerufen hat
oder ob es seine ehemaligen Kumpels waren, da gibt es ja
Gerüchte, keine Ahnung. Aber lassen wir es mal so stehen. Er
hat Facebook erfunden. Und damit mit Sicherheit einen
größeren Wandel herbeibeschworen als jeder es sich hätte
8
WELT AM SONNTAG
9
SONNTAG, 10. APRIL 2016
denken können. Facebook ist ein Phänomen, was dann Dinge
wie Twitter und Instagram losgetreten hat.
Die Erfindung der sozialen Netzwerke.
Erfunden oder in die Wege geleitet. Es gibt mit Sicherheit
Aspekte, die toll sind, aber ich bin kein großer Fan davon. Ich
habe nicht den Drang, mich permanent mitzuteilen. Wenn
man argumentiert, dass es toll sei, Leute wiederzufinden, die
man aus dem Blick verloren hatte, klingt das gut. Doch üblicherweise verliert man sich nicht ohne Grund aus dem
Blick. Es gibt immer einen Grund, warum ich mit denen nix
mehr zu tun habe. Wenn ich die wiedersehe aus Zufall, okay,
schön, dann kann man kurz miteinander reden; wenn sich
daraus etwas ergibt, Freundschaft, keine Ahnung was, dann
soll es so sein. Ansonsten ist es halt nicht so.
gehend auf Plastikverkleidungen. Wenn mal was nicht funktioniert, fährt man in die Werkstatt, da kommt einer und
steckt den Stöpsel rein. Ich finde das schade, weil mich Technik begeistert. Wie gesagt, ich habe Benzin im Blut. Wenn es
stinkt, wenn es qualmt, wenn es tropft: herrlich. Es gibt kein
altes englisches Motorrad, das nicht tropft. Wenn es nicht
tropft, dann ist es kaputt. Dann muss man sich wirklich Sorgen machen. Das finde ich gut – aber nicht, weil das jetzt
Vintage ist.
Okay, ich ziehe das Wort zurück.
Nein, nein, ich hab damit auch kein Problem. Alles wird gerade auf alt gemacht, ob bei Häusern, bei Fassaden oder innen
die Wände und Böden. Finde ich cool, diesen Shabby Chic.
Heinrich Franzen/Kartsport/ pa
Es gibt Menschen, die finden, durch Facebook würde
die Welt sozialer. Die Leute erfahren auch mehr über
ihre Stars und von denen.
Das ist doch alles nicht real. Was wird denn da alles gepostet? Ich habe da kein großes Bedürfnis. Nur weil ich vielleicht bekannter bin als der vermeintlich Normale, erst recht
nicht. Ich bin ein normaler Mensch wie jeder andere auf der
Straße auch. Ich bin nichts Besseres, nur weil ich schneller
Autofahren kann als andere Leute. Ich bin kein Held, ich
rette keine Leben.
Stolz: 1999 gewinnt Sebastian
Vettel mit 12 Jahren das NRWCup-Finale, ausgerechnet auf
Michael Schumachers Kartbahn
in Kerpen
Lässig: Sebastian Vettel ging
die Saison 2016 in Melbourne
optimistisch an, doch beim
ersten Rennen der Saison konnte er die Mercedes noch nicht
schlagen und wurde Dritter
2003
1991
Einstieg in
die Formel
BMW
Erste
Runden
im Kart
2007
Man kann alles photoshoppen.
Oder den Filter drüber legen. Jeder weiß ja, dass er morgens
vielleicht nicht so gut aussieht im Vergleich zu abends, wenn
er sich schick gemacht hat. Die Vorbilder, die Jugendliche
(aber nicht nur die) heute haben, leben ja davon, dass sie
sich permanent perfekt präsentieren und zeigen. Damit lasten sie dem Fan extremen Druck auf, weil er versucht, dem
nachzueifern, um perfekt zu sein. Und immer irgendwie neu.
Mir wäre das zu anstrengend.
pixathlon/ MarcaMedia/ HA
Es gibt auch eine Gegenbewegung: Während sich Teile
des Lebens digitalisieren, wird altes Eisen neu gewert-
Getty Images/ Robert Cianflone
Die versüßen Ihren Fans das Leben, mir zum Beispiel.
Mag sein, aber so sehe ich mich. Diese Generation, die ständig Bilder von sich macht, ist mir ein Rätsel. Ich war letztens
im Restaurant, und am Nachbartisch saß ein Pärchen, das
ständig Fotos gemacht hat vom Essen ...
Nicht von Ihnen?
Nein. Die haben dann diese Bilder zu ihrer Freundin oder
wem auch immer hingeschickt. Da geht viel verloren. Man
kommt nicht nach Hause und erzählt der Freundin, oh, das
Essen war aber wunderbar. Dafür fehlt mittlerweile auch die
Sprache. Es wird zweitrangig, das Geschmackserlebnis –
wenn es denn so toll war – zu beschreiben, man hat das Bild
ja schon geschickt. Die andere Person weiß bereits alles. Es
muss etwas Neues passieren. Dieser Druck, der entsteht, weil
alle sich ständig mitteilen müssen, der ist schlimm.
Wenn alles digital ist, freut man sich über jene Dinge,
die nicht digital sind.
Man begibt sich in diesen Teufelskreis, permanent seine
E-Mails zu beantworten, permanent erreichbar zu sein, permanent sich mitzuteilen. All die Plattformen, wo man diese
Fotos hinstellt, um zu zeigen, wie toll man ist und wie toll
man es ja eigentlich hat. Ist ja Quark, weil jeder weiß, dass
das Leben manchmal auch nicht so toll ist. Und dass nicht
jeden Tag die Sonne scheint, die perfekte Aussicht aus dem
Fenster da ist. Dies perfekt, das perfekt. Quark.
2008
2015
Erster
GP-Sieg
(Toro Rosso)
Wechsel
zu
Ferrari
2010
Imago/ Herbert Bucco; xpb.cc/BMW Group; BMW Group ;
Alessandro Garofalo/ Reuters; Getty Images; James Gasperotti/Zuma /pa
Denken Sie darüber nach, was nach der Formel 1 sein
wird? Oder ist das noch viel zu weit weg?
Na ja. Ich werde ja auch älter. Es ist ganz wichtig, dass ich
nach der Formel-1-Karriere etwas finde, was mir genauso viel
Spaß bereitet wie das, was ich gerade tue. Abgesehen von
dem Kick, dem Adrenalinkick und der Herausforderung, im
Auto zu sitzen und zu fahren, gefällt mir generell die Arbeit
und das Leben drum herum, glaube ich: mit dem Team zu
arbeiten, zusammen etwas zu erreichen, aufzubauen. Wenn
man sich dazu entschließt, aufzuhören oder keinen Vertrag
mehr bekommt für die nächste Saison, dann muss man ir-
MIR LIEGT DAS ENGLISCHE.
AUCH DIESES POLITISCH NICHT
KORREKTE LIEGT MIR SEHR.
gendetwas machen. Man kann sich doch nicht auf die Couch
legen und sagen: Das war es jetzt. Wäre ja traurig. Ich finde
es eigentlich immer schön, wenn man etwas zu tun hat.
VETTELS VITA
schätzt. Stichwort: Vintage-Boom.
Ich habe einen Bekannten, der ist Hotelier. Sein Hotel so zu
führen wie vor 20 Jahren, das funktioniert nicht mehr. Sich
aus den ganzen sozialen Netzwerken und so weiter rauszuhalten geht zwar – aber ein Großteil des Geschäfts ginge
verloren. Ich nutze das Internet ja selber. Wenn ich nach
Paris fahre, dann gucke ich online, welches Hotel mir gefällt.
Und die Hotels leben eben davon, bei Google gut gelistet zu
werden und so weiter. Es ist heute extrem wichtig für Firmen, für Konzerne, im Internet und in den sozialen Netzwerken präsent zu sein: Wenn das nicht der Fall ist, dann
finden sie einfach nicht statt. Ich hadere damit.
Und was ist mit der Romantik des Vintage?
Das ist einfach jetzt gerade modern, weil die ganze Welt sich
da reingesteigert hat. Offline ist der neue Luxus. Okay, warum will ich es dann posten? Ich kann doch einfach offline
sein. Brauche ich ja nicht jedem mitzuteilen, dass ich mich
jetzt zurückziehe. Ist ja auch wieder ein Widerspruch in sich.
Dann ziehe ich mich doch einfach zurück und genieße den
Luxus, wenn es denn der neue Luxus ist. Was auch wieder
Quark ist, weil das Rad ja nicht neu erfunden wird. Zu sagen,
am Sonntag mach ich jetzt zu und gehe nicht ans Telefon –
das hat mir meine Großmutter schon erzählt, als ich Kind
war. Heute bekommen gewöhnliche Dinge einen Titel und
schon sind sie cool.
Cool: Beim Fotoshooting zu
seiner Motorradfahrt
Vettel im Stil eines Filmstars
Getty Images/ Mark Thompson
Glücklich: Nach dem GP von
Indien 2013 stand es fest –
Vettel war Weltmeister, zum
vierten Mal hintereinander
Marcus Jans
Ich weiß, ich nerve. Was ist mit Vintage?
Auch so ein Name. Ich liebe alte Motorräder, die alte Technik
ist cool. Dennoch geht es nicht um das Zurückgehen in der
Zeit. Ich finde auch neue Autos, neue Motorräder schön,
schade ist nur, dass man die Technik heute fast nicht mehr
greifen kann. Macht man die Haube auf, blickt man weit-
Was hatten Sie da im Blick?
Ich hatte im Auge, Maschinenbau zu studieren.
Kann es eigentlich für einen Petrolhead noch etwas
Größeres geben als Ferrari – oder ist das der Endpunkt?
Na ja, so alt bin ich dann jetzt auch noch nicht. Ganz ehrlich,
Wie sehen Sie die Zukunft der großen digitalen Player
im Moment beschäftige ich mich nicht damit, wo ich sonst
wie Facebook, Twitter oder Google ?
noch fahren könnte. Im Moment ist für mich hier alles perDas ist für mich ein sehr, sehr interessantes Thema und ich
fekt. Ich fühle mich sehr wohl, kann mich sehr mit den Leuunterhalte mich darüber sehr oft. Ich bin weder Genie
ten, vor allem der Firma identifizieren. Jemand, der Benzin
noch Wirtschaftsexperte, aber wenn man sich die Konzerim Blut hat, ist zwangsweise auch Ferrari-Fan.
ne mal anschaut, das sind ja allesamt Unternehmen, die
Irgendwann ist es dann richtig spät, und Vettel, der sich
eigentlich nix produzieren. Mir ist schon bewusst, dass
unglaublich geduldig auch Kulturpessimismus-Referate des
deren ökonomische Werte messbar sind und in gewisser
Interviews angehört hat, bricht auf. Morgen früh testet er die
Weise real, aber eigentlich ist es für mich nichts, weil nix
„Margherita“, wie er seinen Dienstwagen für diese Saison
Greifbares dabei rauskommt. Anders als bei Mercedes-Benz
nennt. Weniger nach der Pizza benannt als nach einer italiezum Beispiel, die soundsoviele Autos produzieren. Zudem
nischen Königin. Als Vettel aus dem Zelt tritt, ist es stockfinde ich bei Google die Monopolstellung ungesund. Aber
dunkel, doch die treuesten der treuen Fans harren noch aus.
vielleicht bin ich da altmodisch und
Vettel nimmt sich für sie Zeit, auch
konservativ.
wenn man jetzt sehen kann, dass er
gerne seine Ruhe hätte. Er bleibt
Sind Sie Kulturpessimist? Gucken
freundlich und die Fans können ihr
Sie in die Zukunft mit dem Gefühl:
Glück kaum fassen.
Alles wird gut – oder eher schlechNicht einmal 12 Stunden später
ter?
wiederholen sich die Szenen bevor
Das ist sehr philosophisch. Ich kann
Vettel seine ersten Hot Laps in
Sebastian Vettel wurde am 3. Juli
es vor allem an der Zukunft des Autos
Barcelona dreht. Er tritt den Fans
1987 in Heppenheim (Hessen)
analysieren. Auto aus der Steckdose
als bescheidener Superstar gegengeboren; er hat zwei Schwestern
zum Beispiel sind natürlich für jeden
über. Freundlich, aber auch höflich
und einen Bruder. Sein Vater war
interessant, weil sie nicht stinken.
distanziert. Sein Team wartet auf
Amateur-Bergrennfahrer und ließ
Aber irgendwo anders stinkt es dafür.
ihn. Kurz bevor es losgeht, sprintet
Sebastian schon mit drei Jahren
Also ist das Problem nicht gelöst,
er grinsend noch mal Richtung
Karts fahren. Vettels Talent wursondern nur verlagert. Und in WahrHerrenräume. Wenn er diese Saison
de früh erkannt und sowohl von
heit ist es nicht ökologisch, grün: Der
erfolgreich sein sollte, dann ist das
den Eltern als auch später von
Prozess zur Herstellung einer Batteauch ein Ergebnis maximaler LoSponsoren gefördert. 2007 kam
rie ist nicht grün, die Batterie zu
ckerheit. Nicht die extravagante
er in die Formel 1, von 2010 bis
entwerfen ist nicht grün, die Batterie
Lockerheit eines Lewis Hamilton,
2013 holte er vier WM-Titel hinaufzuladen kostet Strom. Für mich ist
der seine goldenen Jahre in der
tereinander. Er lebt mit seiner
ein Auto der erste Schritt in die FreiFormel 1 wie ein Popstar publikumsLebensgefährtin und der gemeinheit. Ich kann heute entscheiden, ich
wirksam und show-offy inszeniert.
samen Tochter in der Schweiz.
fahre nach Barcelona oder nach Paris
Vettels Lockerheit ist schon nach
oder London. Ich fahre dahin, wo ich
dem zweiten Rennen auf eine echte
möchte. Ich fahre los, und wenn ich
Probe gestellt. Der Motor der „Markeinen Sprit mehr habe, tanke ich auf
gherita“ übersteht nicht einmal die
und fahre direkt weiter. Natürlich
Aufwärmrunde. Er muss den Grand
sind wir im Moment noch ein bissPrix von Bahrain in der Boxengasse
chen davon entfernt, das Elektroauto in nur fünf Minuten
verfolgen. Etwas fahl erzählt er den Reportern vom Leisaufzuladen und wieder weiterfahren zu können. Es ist absehtungsabfall, dem Qualm, der fehlenden Chance. Dann lächelt
bar, dass das besser wird. Im Moment muss man realistisch
er wieder. Zehn Minuten nach dem bitteren Ausscheiden ist
bleiben und den Hype um das E-Auto hinterfragen. Die Forer gedanklich beim nächsten Grand Prix in China,
mel 1 spielt da eine gewisse Vorreiterrolle. Die ökologische
am 17. April. Ein Profi. Petrolheads in aller Welt
Note der Formel 1 darf den Kern des Sports nicht in Frage
drücken ihm die Daumen. „Seb“ ist ihr Mann.
stellen. Wenn der Fahrer nicht mehr ans Limit gehen muss
oder darf, weil er mit seinem Sprit nicht mehr hinkommt,
dann entspricht das nicht dem Wesen des Sportes, wie ich
ihn kenne und liebe.
Erster
WM-Titel
(Red Bull)
Erstes
F1-Rennen
(BMW Sauber)
holen kann. Aber anderes Thema. Was wäre denn aus
Ihnen geworden, wenn Sie nicht Rennfahrer geworden
wären?
Schwer zu sagen. Mein Werdegang hat sich früh entschieden.
Nach dem Abitur bin ich mehr oder weniger direkt in die
Formel 1 eingestiegen. Bis dahin war für mich immer ganz
klar, dass ich die Schule abschließe. Es gibt einige Kollege,
die die Schule frühzeitig abgebrochen haben. Ich habe nicht
das beste Abitur, aber ich habe eines. Mit 2,8. Ich hab mich
nie darauf verlassen, irgendwann vom Rennfahren leben zu
können. Man weiß ja nicht, ist man gut genug, schafft man
den nächsten Schritt und so weiter und so fort. Deswegen
hatte ich mich ganz normal umgeschaut nach Universitäten,
was ich wo studieren könnte.
Ferrari werden intentional nie verschrotten, deswegen
haben sie eine Ökobilanz, die bislang kein Prius ein-
10
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
REDAKTION ANDRÉ M. WYST
TEXT BETTINA SCHNEUER
Das AUTOMOBIL in der Kunst
Unsere liebsten Werke in PETERSBURGER HÄNGUNG. Subjektiv, unvollständig, fabelhaft
SONNTAG, 10. APRIL 2016
11
12
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Hanseatisch,
WELTOFFEN
13
SONNTAG, 10. APRIL 2016
Kalendarisch hat der Frühling endlich
begonnen, die Cabrio-Saison startet.
Zeit für Henryk M. Broder, Ansgar
Fulland und Guido Bellberg, sich drei
deutsche Vertreter der DACHLOSEN
FORTBEWEGUNG näher anzusehen
und stilsicher Hamburg zu erkunden
2.
FOTOS JOHANNES ARLT
3.
1.
1. Voll motiviert mit Hund – im Hamburger Dauernieselregen meditieren
Guido Bellberg, Ansgar Fulland
und Henryk M. Broder (v.l.) samt
VW Beetle, Audi S5 und BMW 6er,
kurioserweise mit Dieselmotor
2. Männer-Mittagessen mit mächtigem Sättigungsfaktor und CountryMusik von Tammy Wynette
3. Der Trucker Treff ist ein echter
Geheimtipp – außer bei Truckern
4. Das kann man schön finden, muss
man aber nicht. Die Verdecklösung des
Beetle erinnert zwar an vergangene
Zeiten, ist aber durch die simple Technik wenigstens schnell 5. Der Beetle
ist überhaupt ein flotter Geselle
4.
C
VON
ANSGAR FULLAND
abrios testen zum Frühlingsanfang. Das ist Kopfkino pur. Der Film beginnt mit einer
morgendlichen Ausfahrt im Sunbeam Alpine Roadster. Der
Ort: die Côte d’Azur. Die Außentemperatur: 24 Grad. Neben
mir die junge Grace Kelly, die mich mit Schlafzimmeraugen
anschaut. Im Kofferraum ein Weidenkorb mit Schampus für
später. Mehr wäre gar nicht nötig. „Nee – warte – viel besser!“, meint Bellberg und schildert mir seinen Traum vom
Cabriofrühling: „Wir fahren durch Hamburg, machen Halt am
Fischmarkt und gehen mittags in eine Truckerkneipe. Na???“
„Ich weiß nicht, was ich mir Schöneres vorstellen könnte“,
lüge ich, während die Traum-Grace allein und hämisch grinsend in meinem Sunbeam am Horizont verschwindet.
„Du darfst auch das rote Auto fahren“, meint Bellberg und
zwinkert verschwörerisch. Warum nicht gleich so. Fischmarkt und Ferrari hören sich viel besser an.
Vier Wochen später schaue ich aus dem Hotelfenster. Das
Riesenrad auf dem Hamburger Dom ist schemenhaft hinter
einer Nebelbank zu erkennen. Zerzauste Möwen schlafen
den Rausch der letzten Nacht an der Mole aus. Im Radio
kommt die Meldung, dass die Hamburger bitte die Fenster
geschlossen halten sollen: Es gibt einen Chemieunfall am
Hafen. Und „leichten Nieselregen“. Na denn.
Zwei Stunden später. Um die Ecke steht das rote Auto.
Und natürlich hat Bellberg mich reingelegt.
Der Rote ist ein Audi. Aber ein besonderer: das S5 Cabriolet. „S“ steht dabei wahrscheinlich für schnell oder sauschnell, denn der lippenstifttonige Beau bringt es mit seinen
sechs Zylindern auf anständige 333 PS oder 245 KW. Das ist
ausreichend zum Mitschwimmen im Hamburger Stadtverkehr und für die schnelle Wochenendtour nach Sylt.
Nach etwas Eingewöhnung gefällt mir die Farbe überraschend gut. Vielleicht sehnt man sich in Zeiten der grauen
Einheitslackierungen auch einfach mal wieder nach den
Knallerfarben der 70er- und 80er-Jahre zurück. Nichts zu
meckern also von außen. Fast nichts. Denn hinten unten
erinnert mich etwas an längst vergangene Tuning-Sünden.
Gleich vier (!) Auspuffrohre ver(un-)zieren das Heck des
schönen Cabriolets. „Tut das not?“, würde der distinguierte
Hanseat mit leichtem Kopfschütteln kommentieren.
Im Innenraum finden sich nicht nur Audifahrer sofort gut
zurecht. Die Ledersitze sind sportlich und trotzdem bequem,
das Lenkrad griffig, die Armaturen zweckmäßig. Ein paar
Knöpfe weniger hätten mir genügt, aber das ist sicherlich
auch der üppigen Ausstattung des Testwagens geschuldet.
Auf den Rücksitzen reicht der Platz für zwei Kisten Astra
oder zwei gelenkige Hobbits. Menschen egal welcher Körpergröße sind dort nur schwer vorstellbar. Ein Dilemma, das der
S5 mit zahlreichen anderen aktuellen Cabriolets teilt. Doch der
Audi ist sowieso mehr Sportwagen als Familien-Cabrio.
Wir erreichen den berühmten Fischmarkt und parken an
der Mole oder wie die Hamburger es nennen, wenn man
wegen des Wassers nicht weiterfahren kann.
Audi, BMW und The Beetle sorgen hier für mindestens so
viel Aufsehen wie die U-434, das russische U-Boot, das keine
zehn Meter entfernt liegt.
Ich möchte jetzt Fischbrötchen – Bellberg möchte einen
Vergleichstest. Erste Disziplin: das Öffnen des Daches. Dafür
brauche ich im Audi nur einen einzigen Knopf in der Mittelkonsole zu drücken. Während sich das Audidach noch origamiartig klein faltet, dröhnt es schon „Gewonnen!!!“ aus Bellbergs Beetle. So viel schneller als meines kann das Dach des
Beetle aber nicht gewesen sein.
Der BMW von Herrn Broder zickt derweil und bleibt wohl
heute geschlossen. Erst nach einigem Hin- und Her faltet
auch der Bayer mit der Haifischschnauze sein Dach ordentlich zusammen.
Apropos Haifisch. Meine Fischbrötchen müssen warten,
denn wir müssen weiter Richtung Elbtunnel. Den will ich als
echter Benzinkopf natürlich offen durchfahren. Wir sind ja
nicht im Urlaub.
Außerdem gibt es im Audi eine Sitzheizung, die ich mutig
auf medium rare stelle. Dann wird es laut. Eine Symphonie
aus Leuchtstoffröhren, Motorengeräuschen und Benzindämpfen macht die Fahrt durch die Elbröhre zu einem intensiven optisch-akustisch-olfaktorischen Erlebnis. Ich genieße, was andere lästig finden. Und ich könnte mich wirklich an den roten Flitzer gewöhnen. Er passt wie ein Handschuh, und wenn man aufs Pedal tritt, geht er nach vorn wie
ein richtiger Sportwagen. Die Geräuschkulisse aus den vier
Rohren hält sich dabei übrigens eher in Grenzen. Der S5 ist
lange nicht so krawallig, wie die Abgasanlage vermuten lässt.
Wir erreichen die angekündigte Truckerkneipe und parken
unsere Flotte zwischen haushohen Volvos mit Kirmesbeleuchtung. Im roten Cabriolet falle ich hier ziemlich auf. Als
Ausgleich bestelle ich einen „Truckerteller“. Dazu singt Tammy Wynette „Stand by Your Man“. Herr Broder, Bellberg und
ich schunkeln gedankenverloren ein wenig mit, während wir
wieder auf Temperatur kommen.
Frühling in Hamburg im offenen Auto bei Nieselregen
und Nebel? Das geht mit dem richtigen fahrbaren Untersatz.
Mit dem Audi S5 Cabrio bin ich schnell warm geworden.
Sogar bei 8 Grad.
Audi S5 Cabrio
Leistung: 333 PS, Hubraum: 3 l, 0-100 km/h: 5,4 s,
Vmax: 250 km/h, Grundpreis: 66.090 €
J
VON
HENRYK M. BRODER
eder Topf findet einen Deckel, jede
Braut einen Bräutigam und jeder Fahrer ein Auto, das zu ihm
passt. Markenartikel haben ein Image. Orte ebenso. Sylt
zieht ein ganz anderes Publikum an als Borkum, Leute, die in
Baden-Baden kuren, wissen nicht einmal, wo Bad Oeynhausen liegt. Ist das schlimm? Spricht es gegen die Gesellschaft? Muss da nicht dringend im Dienste der sozialen Gerechtigkeit „umfairteilt“ werden? Nein! Im Gegenteil. Man
könnte von einer gesunden Diversität sprechen. Oder wie
man in Köln sagt: „Jeder Jeck ist anders!“
Was mich angeht, ich mag es gerne einfach und praktisch.
Mein Ideal ist das Bauhaus. Nicht jene Konkurrenz von
Hornbach, sondern die Architekturschule, die 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet wurde. Klare Linien, rechte
Winkel, keine Schnörkel. Keep it simple, stupid!
Mein erstes Auto war ein Opel Kadett A, ein Geschenk
meines Vaters zum bestandenen Abitur. Seitdem habe ich
eine Vorliebe für kantige Konstruktionen. Die Autos, die ich
mir später gekauft habe, sahen alle wie Schuhkartons auf
Rädern aus. Der Suzuki Wagon R+, der Toyota Yaris Verso,
der Materia von Daihatsu. Nicht besonders stylish, aber
bequem, geräumig und pflegeleicht. Diese Minivans sind wie
Schweizer Armeemesser. Sie stecken voller Überraschungen.
Im Wagon R+ war es ein unter dem Beifahrersitz versteckter Einkaufskorb. Beim Yaris Verso konnte man die Rücksitze
komplett im Boden versenken. Und der Materia ist ein eckiges Raumwunder, außen klein, innen riesig. Mein nächstes
Auto wird der Cube von Nissan sein, obwohl er in Deutschland mangels Nachfrage nicht mehr angeboten wird.
Dabei bin ich kein Minimalist oder Purist. Ich bin nur ein
Kleinbürgerkind, dem anerzogen wurde, dass man es nicht
übertreiben soll. Meine Lieblingsmärchen sind bis heute
„Des Kaisers neue Kleider“ und „Der Fischer und seine
Frau“. Menschen, die den Hals nicht vollkriegen, sind mir
ebenso suspekt wie vorgebliche Feinschmecker, die sich an
kleinen Portionen auf großen Tellern berauschen. Und bevor
ich es vergesse: Ich mag auch keine Designer-Hotels, die von
Architekten eingerichtet wurden, die in den eigenen vier
Wänden dem Gelsenkirchener Barock huldigen.
Ich hole deswegen so weit aus, um zu erklären, warum ich
mich eine Weile dagegen gewehrt habe, einen BMW 640d zu
fahren. Erstens kostet das Auto fast 90.000 Euro, also so viel wie
zehn Fiat Panda, zweitens ist es ein Cabriolet, und drittens kann
man darin weder ein Billy-Regal von IKEA noch einen jener
„Türkenkoffer“ transportieren, mit denen ich so gerne verreise.
5.
14
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
DIE WEDER VIEL GEPÄCK NOCH
DIE SCHWIEGERELTERN
TRANSPORTIEREN MÜSSEN
los. Sitzt man aber erst einmal drin, möchte man den Hut
vor den Konstrukteuren ziehen. Alles ist so übersichtlich
angeordnet, dass die Gebrauchsanweisung im Handschuhfach bleiben kann. Learning by Doing. Man fährt los, und das
Einzige, worauf man achten muss, ist die Geschwindigkeitsanzeige. Weil sich 100 km/h wie 50 anfühlen, können nur
charakterfeste Fahrer der Versuchung widerstehen, auf das
Gaspedal zu treten. Dabei haben sie die Wahl zwischen einem „Sport“- und einem „Comfort“-Modus. Ich habe beide
ausprobiert – und keinen Unterschied festgestellt. Aber das
mag an mir und meiner betont defensiven Fahrweise liegen.
In zwei Tagen gebe ich den 640d wieder ab. Er hat mich
um einige Erfahrungen reicher gemacht – und um ein
Vorurteil ärmer: Ein Cabriolet kann sehr praktisch sein.
Wie sollte man sonst einen Besen von Aldi, der 4 Euro 95
gekostet hat, nach Hause transportieren, wenn nicht in
einem 90.000 Euro teuren Cabriolet?
Das hat doch Stil, oder?
BMW 640d
Leistung: 313 PS, Hubraum: 3 l, 0-100 km/h: 5,5 s,
Vmax: 250 km/h, Grundpreis: 92.250 €
BMW hat es derzeit nicht so leicht.
Man ist zwar gerade noch Marktführer
bei den Premiumherstellern, aber man
riecht auch vom Mercedes schon das
Mundwasser, so dicht ist der mittlerweile dran. Zu allem Überfluss sind
die strategischen Ideen, die CEO Harald Krüger zum 100. Geburtstag der
Marke öffentlich gemacht hatte, nicht
bei allen Analysten gnädig aufgenommen worden. Wir wissen nicht, was der
BMW-Chef in dieser Lage zur Entspannung tut, aber PS WELT, das Fachblatt für Adrenalin- und Endorphinausschüttung, rät dringend zu einer
Runde mit dem neuen M2.
Der löst zwar kein einziges der aktuellen Problemchen. Aber dafür benötigt man nur zwei, drei Kurven, um
festzustellen, dass dieses Auto so etwas
wie die Essenz aus 100 Jahren BMW
darstellt. Den Designern ist es gelungen, den Wagen gleichzeitig seriös und
aggressiv aussehen zu lassen, und die
Ingenieure haben es geschafft, ihn
alltags- und rennstreckentauglich abzustimmen – da kommt der M2 sogar
dem Porsche-Ideal nahe.
In Laguna Seca konnte ich diesen
Wagen fahren, auf der Rennstrecke in
Kalifornien mit der berühmtesten aller
Kurven: Corkscrew. Sie heißt so, weil
sie entfernt an die Windungen eines
Korkenziehers erinnert, und es geht
dort während der Links-Rechts-Kombination so dermaßen steil bergab, dass
man beim ersten Mal einen gehörigen
Schreck bekommt.
Der BMW aber, der liegt selbst hier
völlig souverän, er zieht mit Verve
durch die Kurven, und wenn man einen
Fahrfehler macht, was bei ambitioniertem Tempo auf dieser Strecke unvermeidlich ist, dann scheint er kurz und
trocken aufzulachen, schwenkt leicht
mit dem Heck und regelt die Sache.
Klar, ESP hat der Wagen, man kann es
auch ganz abschalten, aber in der mittleren Position lässt er eben leichte
Drifts zu und gibt seinem Fahrer das
Gefühl, ein toller Hecht zu sein.
Die Bremsen funktionieren großartig, der Dreiliter-Doppelturbo zieht
und zieht und zieht, und der M2 macht
binnen Minuten den M235i vergessen –
der weiterhin im Programm bleibt, der
sich hervorragend fährt, der aber immer die Frage aufwarf, wie es denn
wäre, wenn es einen M2 gäbe.
Jetzt weiß man es, und die Sache hat
sich gelohnt. Im Vergleich zur Konkurrenz ist der kompakte BMW zwar der
Teuerste, aber mit Sicherheit überlegen
sie in Affalterbach (AMG) und Ingolstadt/Neckarsulm (quattro GmbH), was
sie dem M2 entgegensetzen können.
PS WELT-Prognose: Wenig, denn
Mercedes und Audi müssen auf Frontantriebsplattformen arbeiten (die sie
zu Allradautos umwandeln), nur der
BMW hat die Antriebsachse da, wo
man sie als Sportwagen eben hat. In
Sachen Agilität muss er jedenfalls außer Porsche keinen Gegner fürchten.
Diese Erkenntnisse kann man gewinnen nach drei Runden Laguna
Seca, auch nach einer halben Stunde
auf einsamer Landstraße. Endorphinund Adrenalinspiegel sind austariert,
man fühlt sich leicht, was die Zukunft
von BMW angeht.
Stefan Anker
Leistung: 313 PS, Hubraum: 3,0 l, 0-100 km/h:
4,5 s, Vmax: 250 km/h, Preis: 56.700 €
1.
Wir haben Hunger. Auf zur Truckerkneipe. Die anderen
schaufeln riesige Portionen Gyros in sich hinein. Das passt
natürlich nicht zu meinem sportlichen Image (auch wenn ich
die Turnschuhe mittlerweile ausgezogen habe, weil ich sonst
immer Kupplung und Bremse gleichzeitig trete). Ich ziehe
den Bauch ein und bestelle eine stilsichere Erbsensuppe.
Mein Käfer ist ein Schaltwagen. Ein echter. Mit drei Pedalen und einem Knüppel. Ein herrliches Gefühl, das mich
großzügig über die falsche Platzierung des Antriebs an der
Vorderachse hinwegsehen lässt. Überhaupt schafft das Beetlemobil ein Kunststück, das nur wenigen Fahrzeugen gelingt:
immer, wenn ich gerade etwas entdeckt habe, was mir nicht
gefällt, kommt dieses Auto mit einer Überraschung um die
Ecke, die mich sofort wieder versöhnlich stimmt. Als ich etwa
bemerke, dass die Frontscheinwerfer mit albernen LED-Wimpern und sogar einer Art Augenlid versehen sind, und mich
voller Abscheu dem Heck zuwende, entdecke ich dort einen
charmanten Entenbürzel-Spoiler und eine coole Rückfahr-
kamera, die sich hinter dem VW-Emblem versteckt. Und als
ich mich über den lächerlichen Startknopf aufrege, fällt mein
Blick auf die „Fender“-Schriftzüge auf den Lautsprecherabdeckungen. Kein Gitarrist kann diesem Auto böse sein.
Dann fällt mir auf, dass der Motor bei ordentlicher Drehzahl
einen richtig netten Sound entwickelt. Und so geht es in
einer Tour; dieses Auto kaschiert seine Schwächen geschickt
mit seinen Stärken. Noch etwas Wein, mein Schatz?
Frauenauto hin oder her, dank Benzinmotor, manueller
Schaltung und guter Sitzposition kann ich mit den anderen im
Stadtverkehr mühelos mithalten. Ich habe aber immer noch
kein Wort mit einem Ureinwohner gewechselt. Vielleicht sind
Fischmärkte und Truckerkneipen einfach nicht kommunikativ
genug. Am Auto kann es jedenfalls nicht gelegen haben.
The Beetle Cabriolet
Leistung: 105 PS, Hubraum: 1,2 l, 0-100 km/h: 11,7 s,
Vmax: 178 km/h , Grundpreis: 23.800 €
2.
3.
Mr. Las Vegas
ZU BESUCH bei einem mehr als erstaunlichen Auto-Liebhaber
4.
5.
1. Man on a mission: Henryk M. Broder
mit BMW und Basecap 2. Der Audi S5
sieht auch in rot und mit geschlossenem Verdeck ausgesprochen exzellent
aus 3. Rückfahrtkameras, die neuen
Freunde. Wo bei BMW und VW
die Embleme umklappen, nutzt Audi
eine simplere, aber ebenso gut
funktionierende Lösung 4. Mehr
Eleganz geht nicht: „Black Panel
Technologie“ von BMW 5. Bellberg
kontrolliert den Fahrweg und
schafft es – dank Rückfahrtkamera
und Handy – endlich, ein Foto des
Fotografen zu schießen
Der M2 stürzt sich in die
Corkscrew Corner von Laguna
Seca, seine Farbe ist nach
einer anderen US-Rennstrecke
benannt: Long Beach-Blau
Stefan Anker
MÄNNER MEINES ALTERS SEIN,
anche Dinge stimmen einfach nicht: Das hier ist kein Frühling. Und Hamburg ist nicht
die Cabrio-Hauptstadt Deutschlands. Außerdem ist mein
Beetle kein Frauenauto, sondern ein Frauen-gefallen-Auto. So
wie Motten zum Licht und Männer zu Zwölfzylindern schwärmen, so zieht mein Cabrio die Blicke der Damen auf sich. In
meiner Fantasie. Und die guten Menschen von Volkswagen
haben mich bestmöglich unterstützt: Mein Auto ist strahlend
Hellblau, eine Farbe, die an Baby-Strampler erinnert und hat
vorne ovale Scheinwerferaugen und hinten feine Rundungen.
Soviel Kindchenschema gibt es sonst nur bei wesentlich teureren Oldtimern. Öffnet man das Dach, erinnert es dank freundlicher Innenausstattung sogar ein wenig an eine Säuglingstrage. Kuschelig und unwiderstehlich. So die Theorie. Ich
hatte extra meine Basketballstiefel geputzt und das Hemd
zerzaust, um dem Image des Wagens gerecht zu werden und
mich von den beiden Midlife-Crisis-geplagten Kollegen abzugrenzen. Allerdings rufe ich nur hämisches Lachen hervor.
Blanker Neid. Mit ihren Schlachtschiffen sind sie gegen meine
Sympathie-Granate chancenlos. Aber irgendwie auch nicht,
jedenfalls wenn man die Interaktionshäufigkeit mit den Hamburgern betrachtet: Bis jetzt hat kein Fahrer Kontakt mit den
Einheimischen aufnehmen können.
Das läuft nicht gut, aber jetzt kommt eine weitere Sonderprüfung. Die erste hatte ich gefühlt gewonnen: Es ging darum, in einem völlig fremden Auto den Fischmarkt als Navigationsziel einzugeben. Das war dank Touchscreen und guter
Software viel einfacher als in anderen Fahrzeugen. Da ich
mich bereits vor dem Test angeschnallt hatte, konnte ich
sofort losbrausen und mir einen satten Vorsprung erarbeiten. Den ich sofort wieder verlor, weil ich nicht wusste, was
eine Fischauktionshalle ist. Also hielt ich an, um ortskundige
Passanten zu suchen, was dazu führte, dass Ansgar Fulland
grinsend an mir vorbeizog. Immerhin konnte ich durch entschlossenes Einparken wieder in Führung gehen.
Jetzt sollen wir die voll elektrischen Dächer möglichst
schnell öffnen. Der Schiedsrichter gibt das Zeichen und es
passiert: nichts. Bei keinem Auto. Wo sind die verdammten
Schalter? Endlich entdecke ich an der Oberkante der Windschutzscheibe drei Knöpfe. Zwei bringen völlig uninteressante Lämpchen zum Leuchten, der dritte setzt das Dach in
Bewegung. Ich gewinne mit deutlichem Abstand. Fulland ist
mindestens zehn Sekunden langsamer. Und Broder, nun ja,
der bekommt nur die beiden hinteren Zipfel seines Daches
auf. Wir lachen ihn aus, weisen den Schiedsrichter nachdrücklich auf Broders Unkorrektheit hin und fordern sofortige Disqualifikation. Aber der unfaire Referee gibt ihm noch
eine zweite Chance. Dann eine dritte. Zipfel auf, Zipfel zu.
Immer abwechselnd. Mir wird langweilig und ich fange an,
Fotos vom Fotografen zu machen; sozusagen eine Metaebene
zu eröffnen. Die ich noch ausbauen kann, als es mir gelingt,
den Fotografen, der gerade meine Rückwärtskamera fotografiert, mit meiner Rückwärtskamera zu filmen und das Ganze
zu fotografieren. Metametaebene. Punkt für den Beetle.
Schnelle Runden in Laguna Seca – der M2 IST DIE ESSENZ der Marke BMW
Jacob Kepler(2)
DIE ZIELGRUPPE DÜRFTEN
KORKENZIEHER als Therapie
VON
GUIDO BELLBERG
ayne Newton riecht, wie
ein Rolls-Royce-Sammler
in Las Vegas riechen
sollte. Nach Moschus,
wie wir es bei Omar Sharif vermuten. Oder Burt
Reynolds. Waynes Moschusduft ruht auf einer
Brust mit dicken Haaren, die sich durch die obere Partie von
Newtons auberginefarbenen Hemd durchdrücken. Sein Kopfhaar wiederum trägt die Farbe jetblack. Ein sattes, dunkles
Schwarz, wie wir es von Gerhard Schröder kennen. Waynes
Gesicht ist Mitte vierzig. Sein Körper wiederum um die
Fünfzig, nur Wayne selbst ist 74 Jahre alt. Mehr Las Vegas
kann ein Mann nicht sein. Wayne trägt die Zweitnamen
„Mr. Las Vegas“ und „Mr. Entertainment“ und den Drittnamen „The Midnight Idol“. Adelsnamen in Nevada, und die
verlangen nach einem Rolls-Royce unter dem Hintern.
Wir sind verabredet, um Waynes Rolls-Sammlung anzuschauen. Am Morgen empfängt uns Newton im Promotion
Center seiner riesigen Villa, für die man Besichtigungstouren
buchen kann. Wer „MTV-Cribs“ mochte, diese Serie über
wahnsinnige Häuser von Stars mit mannshohen Pizza-Kühl-
W
schränken und diamantbesetzten Betten, der wird Waynes
„Casa de Shenandoah“ oder „Casa Wow“, wie es in Las-VegasSprache heißt, ebenso mögen. Wayne möchte aber zunächst
seine Promotion-T-Shirts vorführen. Diese tragen eine Rose
und das Wort „Danke Schoen“ in Strass und gehen zurück auf
jenen Hit, der Waynes Karriere startete – „Danke Schoen“ aus
dem Jahr 1963. Damit ist er berühmt geworden, und seit Ferrari-Liebhaber Ferris Bueller in „Ferris macht blau“ Waynes
alten Hit nachsang, ist Wayne im Entertainment-Gedächtnis
der meisten Amerikaner verankert. Schon als Schüler hatte
der Mann seine eigene TV-Show, zog mit seinem Bruder von
Phoenix nach Las Vegas, das Rat Pack passte ein wenig auf die
Teenager auf, bald sang Wayne mit Johnny Cash und Elvis.
Newton ist eine dieser typischen, autosammelnden Sängerlegenden der USA. Patriot, Teilzeit-Republikaner, der
seine Entertainment-Freunde, wie es in Vegas üblich ist,
nicht nach deren politischem Programm beurteilt. Eher
danach, ob sie die Buddy-Regeln von Vegas einhalten können. In Waynes Buddy-System hatte etwa John Wayne einen festen Platz. „Er sagte, was er meinte. Und umgekehrt.
Eine Seltenheit.“ Noch ein Konservativer: Ronald Reagan,
der beinahe Waynes Herz brach, als Reagans PR-Berater
vorschlug, die Wahlparty nicht bei Wayne zu veranstalten.
„Doch Ronald wollte bei mir feiern. Wir waren Buddys,
auch wenn es damals nicht so gut lief bei mir.“ Damit meint
Wayne übrigens die Zeit, als er bei der Mafia auf der Todesliste stand und ein anderer Buddy ihm aus der Misere half.
„Frank Sinatra rief an und fragte, was da los sei. Ich sagte
ihm, Frank, ich stehe auf Platz sechs der Liste, und die auf
Platz eins bis fünf sind schon tot. Ich blieb wochenlang im
Hotel und trug eine Waffe, meinem bevorzugten Kellner gab
ich auch eine“, sagt Wayne. Nach ein paar Wochen hatte
Frank offenbar ganze Buddy-Arbeit geleistet – und Wayne
war nicht mehr auf Platz sechs. Newton könnte direkt aus
dem Film „Casino“ entsprungen sein. Und das gilt auch für
seine Autos. Ein Rolls jagt den nächsten.
Auf dem Weg zu Waynes Sammlung über dieses Monstergrundstück passieren wir ein Heer kapriziöser, hysterischer Kapuzineraffen, die wir aus „Hangover 2“ kennen, dazu
Pfauen, Kamele, Waynes altes Privatflugzeug, arabische
Rennpferde, die in ihrem eigenen Swimmingpool baden
können, wenn sie verschwitzt vom Rennen kommen.
Waynes Lieblingspferd kostete 800.000 Dollar, und ab
und an knabbert es Waynes Ohr.
Dann öffnet sich die Zaubergarage, in der Waynes gesammelte Rolls aufgereiht wie Gucci-Sonnenbrillen auf einem roten Teppich nebeneinanderstehen. Die Autos sprechen selbst. Sie stecken voller Geschichten von Entertainment-Dramen in Vegas, von den glamourösen Abstürzlern,
den Showbusiness-Toten, voller Biografien von Menschen
mit vielen Diamanten, Pelzen und ohne Stoppschild im Leben. Warum so viele Rolls-Royce und nur ganz am Ende des
Teppichs ein einziger elender
Hummer? „Ich sah den ersten
Rolls, als ich vier Jahre alt war.
Und verliebte mich“, sagt Wayne
mit etwas glasigen Augen.
Wir fangen mit dem unspektakulärsten an. Wayne kaufte ihn
in den 60er-Jahren auf einer
Tour durch England. „Es waren
die Zeiten, als ein Rolls-Royce
den Beinamen ,lahme Schnecke’
trug, weil Sportwagen in Mode
kamen.“ Wayne importierte also
die erste mattschwarze Schnecke mit eingebauter Make-upStation auf dem Rücksitz und Regenschirmhalter mit Platz
für zehn Regenschirme. Sieht aus, als ob Emma Peel gleich
aussteigen würde. Wir laufen auf dem Teppich gleich weiter
zum spießigsten Modell. Hinten in der Ecke ruht ein Rolls
von 1979. Mattsilber, unauffällig, helle Ledersitze. Das Auto
hat die Aura einer Umkleidekabine im Luxus-Freibad, doch
es gehörte tatsächlich Liberace, dem Sonnenkönig unter den
Vegas-Entertainern. Dessen alter Rolls spricht jedoch eine
andere Sprache. „Als ich den Wagen nach Liberaces Tod
kaufte, war ich nicht überrascht“, sagt Wayne. „Ich kannte
Liberace so. Er hatte etwas Spießiges und Diamanten doch
lieber nur am Finger und an seiner Uhr, nicht am Auto. Er
hatte sehr konservative Züge. Und wenn er nachts um halb
drei auftrat, tat er immer so, als ob er kein einziges Lied von
anderen Sängern kennen würde. Nur seine eigenen Lieder.“
Wir bleiben etwas andächtig vor dem rabenschwarzen
1987er-Modell stehen. Sargartig, elegant. Die Limousine für
den Mann, der von außen nicht gesehen werden will. Drinnen: morbide Innenausstattung, saharasandfarbener Teppich. Man liegt beinahe im Fahrersitz, wenn man einsteigt.
Es riecht nach Kautabak. Neben dem Lenkrad ein harter
Mobiltelefonknochen, so wie die Telefone in den 80er-Jahren
aussahen. „Dieses Auto gehörte Johnny. Johnny Cash”, sagt
Wayne und hustet nach dem Wort Cash. Newton kaufte das
Auto aus dem Sotheby’s-Katalog, und der Sohn von Cash gab
sein Okay, nachdem er Waynes Namen gehört hatte. „Das
VON ANNE PHILIPPI
Auto verbindet mich mit Johnny. Auch er war Native American, so wie ich, und unsere Körper funktionieren gut in
einem Rolls. Wir haben lange Beine und einen kurzen Oberkörper. Wir sind beide Sitzzwerge“, sagt Wayne, doch wer
glaubt, das wäre schon sein schwärzester Rolls, der irrt.
Da geht noch mehr, und Waynes Fingerkuppen berühren
jetzt den 1978er-Rolls, bei dem das schwarze Blech auf dunkelstes Holz trifft, carpathian elm, Englische Ulme. „Eine
Kombination, die die Autodesigner damals beinahe um den
Verstand brachte und die schlimmsten Kräche innerhalb der
Mike Stotts/Splash News
M
Aber meine Kollegen bestanden darauf. „Das ist genau das
richtige Auto für Dich“, sagte Kollege Bellberg. „Denk daran,
wie stolz deine Mutter wäre, wenn sie Dich in diesem Ding
sehen könnte.“ Kollege Fulland, der einen Porsche Cayman
von einem 911 Carrera am Sound des Motors unterscheiden
kann, meinte: „Stell dich nicht so blöd an. Nur die Lumpe
sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat.“ Das war von
Goethe. Ich wollte kein Lump sein.
Dennoch was es eine irre Idee, bei Nieselregen und Temperaturen knapp über null Grad mit drei Cabrios durch Hamburg zu cruisen. Vom Fischmarkt über die Elbchaussee nach
Altona, dann durch den A7-Tunnel rüber nach Süden, nach
Altenwerder zum Autohof gleichen Namens. Vor dem Eingang
zum Trucker-Treff von Bärbel Uliczka hinter dem Hauptdeich
waren noch drei Parkplätze frei. Drinnen belegten wir einen
der großen Holztische und mussten uns nur noch zwischen
der „Erbsensuppe mit Bockwurst und frischem Brötchen“ und
dem „Gyros mit Tsatsiki, Pommes und Krautsalat“ entscheiden. Nach dem Mahl rollten wir über die Köhlbrandbrücke
und durch den Containerhafen zurück in den Norden.
Vom Wetter abgesehen war es das reine Fahrvergnügen.
Der 640d ist lang, breit und schwer, fährt sich aber leicht
wie ein Kleinwagen. Dabei ist er keine Limousine, kein
Sportwagen und kein Auto für den Alltag, hat aber von allem
etwas. Die Zielgruppe dürften Männer meines Alters sein, die
weder viel Gepäck noch die Schwiegereltern transportieren
müssen. Sie sollten freilich auch keine Probleme mit dem
Rücken haben, denn das Ein- und Aussteigen ist nicht mühe-
15
SONNTAG, 10. APRIL 2016
Der 74-jährige, aber viel viel
jünger aussehende Entertainer
Wayne Newton zeigte PS WELTAutorin Anne Philippi seine Casa
de Shenandoah. Sie liegt auf
einem 21 Hektar großen Grundstück, was unter anderem seine
Rolls-Sammlung beherbergt
Rolls-Firma auslöste”, erklärt Wayne, und wir müssen also
davon ausgehen, dass eine schwärzere, eine dunklere Seele
als die von Johnny Cash sich diesen Rolls ausgedacht und
gekauft hatte. „Sie könnten recht haben. Der frühere Besitzer hieß Steve McQueen.“
Steve und Ali MacGraw seien an einem Nachmittag in den
70er-Jahren am Rodeo Drive entlang gelaufen und beim
Rolls-Royce-Laden stehen geblieben. Steve sei hineingegangen und habe in einer unfassbar aufwendigen Aktion dieses
Auto bestellt. Monate später habe Rolls-Royce den Wagen
liefern lassen. „Dann öffnet Steve die Haustür und sagt, er
hätte nie einen Rolls-Royce bestellt. Er trank zu dieser Zeit
die McQueen-übliche Anzahl Margaritas. Er hatte die Bestellung vergessen“ , erinnert sich Wayne. Aber später habe
McQueen den Wagen dann doch noch genommen.
Wayne steigt jetzt in seinen neuen Lexus, denn seine RollsRoyce-Kinder dürfen nur alle zwei Wochen gefahren werden.
Maximal. Sein Favorit? Ganz klar, der von Johnny. Johnny
Cash. In dem wird Wayne „sehr ruhig“, und die Welten aus
iPhones und Vegas-Lärm verschwinden. „In dieser Zeit habe
ich meine Rolls-Gespräche mit Johnny. Es geht ihm
übrigens gut, falls es Sie interessiert.“
16
FOTOGRAFEN MUIR VIDLER,
JULIANE WERNER,
FRANCESCO MERLINI
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Wie wichtig ist Ihnen ein Auto? Ich brauche es 15 Minuten am Tag: Fünf ins Büro, fünf nach
Hause, fünf, wenn ich abends ausgehe – zurück nehme ich auch mal ein Taxi. Ihr Vater Carl Hahn
war VW-Chef. Und das aus größter Leidenschaft! Jede Woche stand ein neues Test-Modell vor
unserer Haustür. Sonntags klappte er die Kühlerhaube auf und dann wurden meine drei Brüder
und ich abgefragt: Wo sitzt der Vergaser, wo der Zylinderkopf? In Autos von Verehrern mit einem
Reifenprofil unter drei Millimetern durfte ich nie einsteigen. Ist Ihre Autowahl erblich vorbestimmt? Der e-up! ist als kleinster VW das ideale Großstadtauto. Mit meinen Kindern fahre ich
Range Rover, in Kitzbühel Audi. Die Marke ist wichtig, aber auch, dass ich mich optimal fortbewegen kann. Meine Führerscheinprüfung war – zusammen mit den Geburten der Kinder – mein
glücklichster Tag. Das Gefühl, in meinem roten Golf-Cabrio plötzlich überall hinfahren zu können,
wo ich wollte, das war totale Freiheit. Fühlen Sie sich von der Automobilindustrie angesprochen? Früher fiel in Ehen mit zwei Autos auf: Der Mann hatte als Kaufentscheider meist einen
größeren, neueren Wagen als die Frau. Dann steckten Männer ihre Frauen in diese Riesenpanzer,
in Trophäenautos wie den SUV, den sie kaum fahren konnten. Heute fahren Frauen längst emanzipiert und oft natürlich besser als die Männer. Das scheint nur die Werbung noch nicht ganz verstanden zu haben, die zeigt Frauen immer noch gern beim Shopping und bei Familienausflügen.
17
SONNTAG, 10. APRIL 2016
Tamara von Schenk
Pia Hahn Marocco
Produktdesignerin in London
Geschäftsführerin von Osborne & Partners, Londoner Beraterfirma für Tech-Konzerne
Warum fahren Sie ein so auffälliges Auto? In meiner Familie fahren alle alte Autos, mein
Vater fuhr auch Rennen. Es geht nicht um Auffälligkeit, ich fühle mich wohl in meinem
Karmann Ghia: seine Simplizität, nichts Computergesteuertes. Ich fahre ihn seit 16 Jahren jeden
Tag. Welche Signale sendet man darin aus? Es fasziniert mich immer wieder, wenn kleine
Jungs, selbst Zweijährige schon, aufgeregt mit ihrem Finger auf mein Auto zeigen. Weil sie sehen,
dass es etwas Besonderes ist. Die roten Sitze sind eher untypisch. Ich habe ihn etwas „umgebastelt“. Ihr schönstes Erlebnis auf dem roten Leder? Das Herumgealbere meiner Kinder, wenn
ich sie von der Schule abhole. Die werden hinten reingequetscht, oben drauf noch Flint, unser
Riesenhund. Etwas, das nur im Auto geht, außer es zu fahren? Autofahren kann etwas Meditatives haben. Wie Zeichnen. Ich flüchte manchmal regelrecht ins Auto, um meine Ruhe zu haben.
Oder bleibe noch eine Weile sitzen, wenn ich irgendwo angekommen bin, trinke meinen Cappuccino, der zwischen Handbremse und Sitz klemmt, und streite mich am Handy mit meiner Mutter.
Anna Jill Lüpertz
Frauenbewegung
Galeristin in Berlin
Kindheitserinnerung an Autos? Mein Vater fuhr Rolls-Royce mit Chauffeur. Ich habe meinen
Führerschein erst mit 30 gemacht. Meine Buchhalterin hat mir Einparken beigebracht – kann
ich wie ’ne Eins. Diesen BMW Z3 hat mein Vater mir mal geliehen und nie zurückbekommen.
Ist eh ein Frauenauto. Der Sound? Warm, tief, laut. Er springt an und du spürst die geballte
Kraft unter der Motorhaube. Ich fahre leidenschaftlich gern, vor allem auf Landstraßen. Dann
packe ich meinen Mann ein und
wir fahren an den See. Fahren ist
etwas Sinnliches, sich in die
Kurven zu legen, dabei sitzt man
fast auf dem Boden. Es gibt
Autos, die muss man treten,
meines muss man bremsen. Man
fühlt sich, als ob man die Welt
verändern könnte. Ich liebe es
auch, zu schalten. Aktives Handeln. Nirgends sonst ist die
Wirkung einer Aktion schneller
spürbar. Autonomes Fahren
fände ich langweilig.
Freiheit, Entspannung, Intimität sind ihnen
wichtig – COOLNESS IST PERIPHER. Was Frauen von
Autos wollen: Dagmar von Taube hat sieben befragt
Wie ist es, die Chauffeurin
Ihres Ehemanns zu sein? Ich
finde es toll, wenn ich etwas
kann, was mein Mann nicht
kann. Er übernimmt dafür das
Spaßprogramm: CDs wechseln,
Schokobons auspacken und
zufüttern, Geschichten erzählen. Ein Auto ist ein romantischer Ort. Man ist sich
nah, aber schaut nach vorn, man stiert sich nicht an. Man hat etwas zu tun, das entspannt das
Gespräch. Man kann auch schweigen. Also keine Fahrstil-Polizei? Im Gegenteil, Boris ist beeindruckt, wenn ich bei 180 km/h einhändig lenke. Manchmal fahre ich auch im halben Schneidersitz – im Autoassistent-Modus. Wie würden Sie Ihr Auto beschreiben? Erwachsen. Ich
fahre mit ihm und Freundinnen aber auch mal durch eine Berliner Nacht. Es steht Frauen, man
wird ernst genommen. Der A7 ist eine schnelle Lady. Ich mag den Duft, die Ordnung, dass alles
perfekt an seinem Platz ist. Das sortiert auch die Dinge in meinem Kopf. Meinem Mann und
mir war wichtig, dass es lange Strecken fahren kann, wir fliegen nicht gern. Wir sind halt noch
richtige Auto-Kinder. Ich habe vier Schwestern, mein Vater besaß einen alten Mercedes, mit
dem fuhren wir oft nach Italien. Auf der Fahrt haben wir Kanon gesungen, „Ich-sehe-was-wasdu-nicht-siehst“ gespielt oder mit Grimassen Autofahrer erschreckt. Die Familie war zusammen, das war schön. Manchmal schliefen wir Kinder auf der Rückbank, dann konnte man in die
Sterne kucken. Als wir ihn verkauften, war es, als hätte man ein Stück Zuhause verloren.
Kaja Wiedeking-Radczun
Berliner Juristin
Sara Schumann
Elena Prinzessin von Hessen
Model und Unternehmerin in Berlin
Künstlerin in Mailand
Warum keinen Ferrari? Ich hätte gern einen! Zu groß für mich, es gibt leider noch keinen handlichen Ferrari. Als Deutsche fahre ich selbstverständlich ein deutsches Auto: Der BMW 525 ist ein
Geschenk meines Mannes. Er hat auch die weißen Ledersitze ausgesucht; die Armaturen sind weißmetallic. Er ist Syrer, und Syrer sind große Ästheten. Wie überleben Sie als regelbewusste Deutsche auf Italiens Straßen? Es ist eine Fantasie der Deutschen, dass alle Italiener Verkehrs-Machos
seien. Wir Deutschen fahren viel aggressiver. Der Italiener liebt sein Auto, ob zerbeult oder mondän. Er führt es aus wie eine Frau, kutschiert es mit Stolz um die Piazza. Und an der Ampel wird
heftig geflirtet. In Italien sind Frauen nicht unbedingt Autobesitzerin, man fällt auf am Steuer. Ich
mag das, wenn Männer auf diese Weise zu einem aufschauen. Und dann: Stiletto aufs Gas! Ich
fahre gern schnell. Von Mailand aus ist man sofort in den Bergen, in Rom oder Neapel. Früher fuhr
ich mit Perücke und Riesensonnenbrille wie Peggy Guggenheim – aus Schutz vor Blitzern. Den
Dingen davonzufahren, die fliegenden Landschaften, das inspiriert mich als Malerin. Wenn ein
Maserati im Rückspiegel auftaucht, dann fahre ich allerdings lieber rechts ran.
Karen Boros
Immobilien-Unternehmerin aus Berlin
Sie sind Kunstsammlerin, Botschafterin der Art Basel, eine Frau mit
gestalterischem Interesse. Warum ein so handfestes Auto? Beim Auto
ist das Ziel: das Ziel. Früher war ein Auto eine große Sache. Wenn mein
Vater mit einem neuen Mercedes nach Hause kam, dann war das ein
aufregender Tag. Das hieß: Die nächste Reise stand an, die großen Koffer zu packen, sich schön zu
kleiden, dann ging’s nach Frankreich oder in die Eifel. Ich selbst brauche nur Motor und vier Räder,
mit denen ich meine täglichen To-do-Listen abkurven kann. Ich mag das Intime, mag es, entre
nous mit meinem Smart MHD zu sein. Mein Sohn fährt oft mit. Man sitzt eng wie in einer Raumkapsel. Toll zum Unterhalten. Bewahrt so eine kleine Kiste auch etwas Kindliches? Etwas Spielerisches: Als führe man Autoscooter. Auch durch das Perspektivische, alles draußen erscheint größer.
Man nimmt sich selbst nicht so ernst. Manchmal singe ich laut. David Bowie eignet sich gut für
Landpartien. Wir planen immer, wollen wissen, was uns erwartet. Losfahren, irgendwo anhalten,
dieses Ur-Erlebnis – man müsste sich öfter treiben lassen. Warum nicht in Pink? Farbe gibt zu viel
Bedeutung. Ich kenne keine Frau, die diese Lippenstift-Autos mag; Männer fahren sie auch nicht.
Eine Amelia Earhart hätte niemand mit Pink assoziiert. Es ist halt noch nicht alles Fortschritt.
Wann brauchen Sie ein Auto? Ich bin Chefin eines Eine-Frau-Saftbetriebs: „Eleri Juice
Cleanse“. Meine Biosäfte mixe ich in meiner Küche, mein Jaguar ist mein Lieferwagen. Ich beliefere zum Beispiel MDC Cosmetic. Lieferwagen? Ich bin Kanadierin aus British Columbia. In
unserer Straße dort wohnte mal ein sehr schicker, älterer Mann. Der fuhr Jaguar. Seitdem ist es
mein Traumauto. Es fühlt sich immer wie ein kleines Rendezvous an, in dieses schöne Auto zu
steigen. Ich bin Mutter, Ehefrau, Unternehmerin. Mein Jaguar X308 gibt mir das Gefühl, da ist
noch etwas anderes in mir. Stil-Accessoire oder echtes Autointeresse? Es ist Liebe! Sicherheit.
Klar, auch Style. 300 PS! Auf der Lauer liegen, sprinten wie ein Raubtier, um die Ecke schleichen.
Es ist die Gelassenheit. Der Geruch des Leders. Sofa. Die Aufforderung, sich gut zu kleiden.
Mein hangout, Freiheitszelle und das perfekte Familienauto. Im Sommer fahren wir in die Toskana. Sind Sie ein Kratzerhypochonder? Ehrlich: ja. Ich habe auch immer Tücher im Auto gegen
die Schokohände meines Sohnes. Nicht, dass ich hysterisch wäre – aber bei hellen Sitzen! Ich
putze den Wagen selbst, fahre ihn in die Waschanlage, sauge ihn aus. Ein sauberes Auto macht
mich glücklich wie ein frisch bezogenes Bett. Warum kein Ökoauto? Ein Laster braucht jeder.
An den Marktständen der Kleinstadt Strand wird der vorbeiziehende
Rolls-Royce Dawn noch lange
Gesprächsthema bleiben
18
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
Rolls-Royce Dawn aber, diesem 5 Meter 29 langen Koloss,
herrschen auch in der zweiten Reihe erstklassige Platzverhältnisse. Gleichzeitig ist man dem Fahrer näher, als es sich
Chauffeur und Arbeitgeber gewöhnlich sind: Der Dawn ist
weniger der Rolls, mit dem man sich ins Büro bringen lässt,
in dieses Auto lädt man seine Freunde ein.
atürlich, das machen wir.“ Alex Innes
hat es gewöhnlich mit ganz anderen
Leuten zu tun, aber hier in Südafrika
sucht er auch den Kontrast zu seinem
Job als Designer bei Rolls-Royce. Hier
will er den Dawn, das neue Luxuscabrio, in dem wir sitzen, durch den
Berufsverkehr einer Kleinstadt steuern, vorbei am Busbahnhof, an Marktständen – und an Menschen, die sich so ein Auto niemals leisten können.
N
19
SONNTAG, 10. APRIL 2016
Diese Nonchalance gehört zum Umgang mit einem RollsRoyce, weil er von allem im Überfluss hat. Fahrkomfort,
Verarbeitungsniveau, Materialauswahl, Motorleistung, über
nichts braucht der Mensch am Steuer im Ansatz nachzudenken. Als Symbol für diese Haltung ist der Verzicht auf einen
Drehzahlmesser im Armaturenbrett zu werten. Statt dessen
baut Rolls-Royce eine „Power
Reserve“-Anzeige ein. Meistens pendelt deren Zeiger um
Rolls-Royce-Designer Alex Innes kann
die 90-Prozent-Marke, man
sich am Dawn und an dessen Luxusgondelt also mit 60 bis 120 der
details nicht sattsehen, mochte aber
570 PS durch die Gegend und
auch das Shooting am Busbahnhof
nutzt den Zwölfzylinder-Doppelturbo unter der Haube
niemals aus.
Was den Besitzer eines solchen Autos wirklich mit seinem Wagen verbindet, das
entsteht in der Abteilung, für
die Alex Innes zuständig ist:
Bespoke design. Fast keiner
der knapp 4000 Rolls-Royce,
die pro Jahr gebaut werden, ist
ein Auto von der Stange. Eigentlich hat jeder Kunde Sonderwünsche, beim Topmodell
Phantom sind es tatsächlich
100 Pozent, aber auch die kleineren Modelle Ghost (Limousine), Wraith (Coupé) und
jetzt auch der Dawn werden in
ihrer großen Mehrheit individuell ausgestattet. Innes erzählt von einem amerikanischen Yachtensammler, der
seinen neuen Rolls-Royce
Durch deren Haare zaust allerdings selbst im Rolls-Royce
der Wind, da nimmt die Natur keine Rücksicht auf menschengemachte Luxusprodukte. Aber wir wollen nicht hadern. Hadern ist uncool, wenn man in einem 330.000-EuroAuto sitzt und gerade nicht weiß, ob das Meer rechts von der
Küstenstraße der Atlantik oder der Indische Ozean ist.
Cappuccino 911
Club 9 in Kapstadt, EINE FUSION aus Showroom,
Werkstatt und Gastronomie, setzt Maßstäbe
beim Präsentieren von Classic Sportscars
Das popkulturelle Herz von Capetown
ist der CBD: Im Central Business District kreuzen Models, Banker, Backpacker und bärtige Surfertypen. Während Tafelberg und aufgebrezelte Waterfront den Touristen gehören, werden
links und rechts der Long Street beim
Sauvignon Blanc aus Boschendal die
Deals gemacht. Im ständigen WettTEXT RALF NIEMCZYK
FOTOS STEFAN ANKER
bewerb der angesagten Straßen hat die
Bree Street enorm zugelegt. Was nicht
zuletzt an ungewöhnlichen bis einzigartigen Konzepten liegt, die man eher in
Los Angeles vermuten würde.
Wie Club 9, eine Edelschrauberbude
mit angeschlossenem Café-Restaurant.
Die perfekte Mittagspause für Petrolheads, bei der seltene Sammlerstücke
hinter Glas präsentiert werden. Ende
2015 hat sich der gebürtige Hamburger
Dirk Molsen seinen Traum erfüllt. Während Frau und Sohn das Gastronomische erledigen, kümmert sich der
Porsche-Aficionado um den PS-Nachschub. Seit er denken kann, gehört sein
Herz Motoren aller Art. „Noch als Schüler hatte ich angefangen, aus den Müllcontainern von Werkstätten Autoteile
herauszusammeln. Die habe ich dann
im Garten hergerichtet und weiterverkauft“, erzählt er. „Danach habe ich auf
eigenes Risiko Autos aus den USA im-
Mit dem CABRIOLET DAWN wird
die britische Luxusmarke ein wenig
zugänglicher. Aber nicht zu sehr
Fußball-WM 2010 kippen lassen. Eigentlich keine gute Zeit, ein ambitioniertes Sportwagen-Projekt zu eröffnen.
Während an der Bar Junganwälte eine
Schönheit im Minirock zutexten, werden nebenan edle Radkappen poliert.
„Wir machen als gesellschaftlicher
Treffpunkt rare Klassiker öffentlich
zugänglich. Von Investments in diesem
Segment verstehen wir viel …“, so die
Webseite.
„Ich habe zwanzig Jahre lang in Südafrika Clips für die Autoindustrie produziert, da lernt man das Denken in
längerfristigen Zyklen“, sagt Molsen.
„Unsere Gäste sind Petrolheads auf
Urlaub, dazu die Business-Szene der
Stadt. Und alle Autosammler der Region – inklusive Johannisburg und Durban.“ Sein persönlicher Liebling? „Der
965 Turbo 3,6 Liter und der 964 RS,
Euro spec.“ kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Ferrari“, schiebt er
nach, „sind nicht so mein Ding, aber ich
nehme sie mit rein, da sie cool aus-
Im Club 9 von Dirk Molsen kann man einfach nur einen
Kaffee trinken – oder den Oldtimer seines Lebens kaufen.
Wer hin will: Kapstadt, Bree Street/Ecke Strand Street
portiert. Mit 23 kam der erste selbst
verdiente 911er.“ Nach Südafrika zog er
1989 – „eigentlich wollte ich hier nur
sechs Monate lang studieren!“ Ein benzingeschwängertes Leben, das im Club
9 seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.
Das einstige Boomland Südafrika ist
in der Krise. Fallende Rohstoffpreise,
Streiks und Dürren, dazu der Dauerzwist in der Regierungspartei ANC
haben die Aufbruchsstimmung rund um
Stefan Anker(3); James Lipman/ Rolls Royce(2)
Ich hatte einen
ROLLS in Afrika
sehen, gerade habe ich einen 348 TS.“
Für Molsen gibt es nur ein wahres Supercar: „Das ist und bleibt der Elfer aus
den 70-er, 80er-Jahren – und ganz besonders die frühen 90er aus Zuffenhausen: die mit 911 auf dem
Deckel!“
HÄNGT SIE
HÖHER!
Wer mit dem Handy am Ohr Auto fährt, verdient viel härtere
Strafen als 60 Euro Bußgeld und einen Punkt. Warum?
Weil Telefonierer zeigen, dass ihnen Autofahren nicht wichtig ist
Von L. Ynch-Justiz
Neulich an der Ampel:
Rot, gelb, grün und –
nichts. Nur diese verräterische Kopfhaltung,
die man durch die Heckscheibe so gut erkennt:
leicht schräg nach
oben, die linke Hand
am Ohr. Handy-Alarm.
Ich hupe, vorne
kommt Bewegung in
die Sache. Rechte
Hand an den Schaltknüppel, linke
Hand ans Lenkrad, der Kopf knickt weiter ab – das Telefon klemmt jetzt zwischen Ohr und Schulter. Leicht ruckelnd setzt
sich das Auto in Bewegung, und ich schwöre: Wenn in diesem Moment jemand mit einem Klemmbrett an meine Seitenscheibe träte
und eine Petition dabei hätte, die die Todesstrafe fürs Handytelefonieren im Auto forderte – ich würde mehrfach unterschreiben, mit
allen falschen Namen, die mir einfielen.
Weil diese Handy-Narren millionenfach den Beweis antreten, dass
der Mensch sich eben nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren kann. Nicht mal Frauen können das, und wenn es ihnen noch so
oft nachgesagt wird. Es geht einfach nicht, Multitasking ist die Mär
des 21. Jahrhunderts. Vergesst es, macht die Dinge nacheinander, und
vor allem: Telefoniert nicht beim Fahren. Checkt auch keine Mails,
schreibt keine SMS, surft nicht im Netz. Weil ihr Unfälle damit verursacht, weil ihr Leid über die Menschen bringt, vor allem aber: Weil
euch euer Auto so scheißegal ist, dass es weh tut.
Ein Handy ist nur ein Ding, ein Auto aber ist Teil eurer Persönlichkeit. Es verdient eure ganze Aufmerksamkeit. Interessiert euch für
die Geräusche, die es macht. Spürt die Beschleunigung, arbeitet an
eurer Kurventechnik, lernt den Respekt vor der Bremse. Aber ignoriert das Auto nicht, um Gottes Willen.
Tut auch nicht so, als sei das Fahren an sich nicht wichtig. Das ist
es nämlich doch, sonst würdet ihr zu Fuß gehen (dabei kann man
super telefonieren). Das Fahren mit hohen Geschwindigkeiten fordert zudem höchste Konzentration: Da außer Profisportlern kein
Mensch schneller als 35 km/h rennen kann, ist auch das Herumeiern
in einer 30er-Zone ein unphysiologisch hohes Tempo für Körper und
Geist. Ihr müsst da aufpassen und sollt nicht telefonieren!
Für alle, die diesen einfachen Zusammenhang nicht begreifen,
fordere ich: vierteilen oder verbrennen, das Fallbeil, den Strick oder
den Schwedentrunk. In minderschweren Fällen tut es auch eine
stundenlange Folter. Mit Klingeltönen.
pa/ dpa
Obwohl wir uns durch die Kap-Region bewegen, wo es bis
auf den Linksverkehr vielerorts aussieht wie in Kalifornien,
haben wir es hier in dem Ort Strand nahe Kapstadt unverkennbar mit Afrika zu tun. Die Leute kommen von der Arbeit, kaufen noch etwas ein und versuchen dann, einen Platz
in einem der vielen Minivans zu ergattern, die sie nach Hause bringen. Vor allem: Alle Gesichter, die sich dem Dawn
zuwenden, sind schwarz. Und keines strahlt Ärger oder Unverständnis darüber aus, dass wir eine exotische Kulisse
suchen, einen Gegensatz zu unserem Überfluss-Gefährt.
Im Gegenteil: Wo immer wir auf unserer Fahrt bemerkt
werden, recken sich schwarze Daumen in die Höhe, blitzen
weiße Zähne. Müde Handwerker, die auf der Ladefläche eines
Pick-ups sitzen, werden wieder wach, wenn sie unser goldfarbenes Cabriolet bemerken. Ist es das, was Firmenchef
Torsten Müller-Ötvös meinte, als er vom Dawn als dem „sozialsten“ aller Rolls-Royce sprach?
Nein, eher zeigt sich hier das Phänomen, dass ein RollsRoyce „jenseits des Neides“ operiert, eine Formulierung, die
„TMÖ“ ebenfalls gern verwendet. Das Soziale am Dawn sind
die vier Sitze und die Möglichkeit, sie auch wirklich zu nutzen, was bei viersitzigen Cabrios sonst nicht die Regel ist. Im
Stefan Anker
VON STEFAN ANKER
passend zum Stil seiner Boote haben wollte. Damit sich Innes etwas darunter vorstellen konnte, schickte der Mann ein
Flugticket und lud den Designer zu sich nach Neufundland
ein. „Es waren sicher 500 Meilen bis zur nächsten Stadt“,
erzählt Innes, „der Mann lebte da einsam und exklusiv wie
ein James-Bond-Schurke.“ Und wollte sich das ganze Wochenende nur über Design unterhalten.
Auch für Rolls-Royce-Chef Müller-Ötvös besteht ein großer Reiz seines Berufes darin, interessante Menschen kennen
zu lernen. In den sieben Jahren seiner Amtszeit seien die
Kunden jünger und globaler geworden. „Unser Kunde ist
extrem gut ausgebildet, kosmopolitisch und im Durchschnitt
nur noch 45 Jahre alt. Rein rechnerisch kommt auf jeden
60-Jährigen ein 30-Jähriger, der eines unserer Autos kauft.“
Ist es da ein Wunder, dass Rolls-Royce nun auch ein SUV
entwickelt? Auch das wird gut gehen, kein Zweifel, denn die
Zielgruppe der extrem Reichen, für die selbst der Erwerb
eines Phantom kaum ein Fünfzigstel ihres flüssigen Vermögens verschlingt, wächst jedes Jahr um drei Prozent.
Inzwischen haben wir das Verdeck des Dawn kurz geschlossen, und ja, es fühlt sich tatsächlich an, als sei der
Dawn das leiseste Cabrio der Welt. Man kann das gerade
nicht überprüfen, aber man ertappt sich dabei, dass man es
glauben will. Für Alex Innes zählt natürlich die Optik noch
etwas mehr. „Geschlossen sieht er aus wie ein Hot-Rod“, sagt
der Designer. Innes ist vor gut sieben Jahren zu Rolls-Royce
gestoßen, direkt von der Hochschule in Coventry, jetzt ist er
30 und fragt sich manchmal, was da noch kommen soll. Vor
allem, wenn er an seinen Studienfreund denkt, der jetzt für
einen Massenhersteller gestaltet. „Wir arbeiten beide gerade
an einem Getränkehalter fürs Auto. Seine Herausforderung
ist, die Kunststoffkosten um 30 Cent pro Stück zu senken –
während ich überlege, ob wir das Teil komplett aus Stahl
oder komplett aus Aluminium machen.“
Rolls-Royce Dawn: 6,6 l, 570 PS, 250 km/h, 329.630 €
ÜBERKÄFER
Unterwegs im Krabbler mit
Porsche-Genen, einer RALLYE-LEGENDE
aus den 70er-Jahren
S
oll ich mal driften?“,
tönt es von links. Ich
muss grinsen und
blicke in Richtung
Pilotensitz. Gerd
grinst nicht. Er hebt fragend eine Augenbraue, während er erklärt: „Da vorn
ist eine lang gezogene Kurve. Da kann
man schön im dritten Gang mit 110
quer durchfahren.“ Ehe ich antworten
kann, springt die Ampel auf grün. Mein
„Nee, lass mal“ geht im Wimmern der
Hinterreifen und im Röhren des Vierzylinders unter. Wir steuern viel zu
schnell auf eine viel zu nasse Kurve zu.
Meine Fingernägel krallen sich tief in
den Recarositz und mein letztes Stündchen beginnt zu schlagen. In einem 44
Jahre alten Auto, das einen Tacho bis
200 km/h besitzt. Einem Käfer. Dreieinhalb Sekunden später habe ich
Gerds Drift unerwartet unbeschadet
überstanden. Wir bollern mit 50 über
die Straße. „Ich bin ja eigentlich Limousinen-Fan“, klärt Gerd mich auf.
Während ich meine Fingernägel vorsichtig aus dem Kunstleder der Sitze
ziehe, höre ich erstaunt, dass Gerd es
sonst gediegen mag. Sein Lieblingsauto
in der eigenen kleinen Sammlung ist
ein Mercedes Strich-Acht als Langversion. Ein überlanges Diplomatenauto und der behäbige Gegenentwurf
zum Überkäfer.
Gerd Bovermann ist Benzinkopf von
Berufs wegen. Zusammen mit seinem
Geschäftspartner Manfred Schütters
betreibt er eine Oldtimerwerkstatt in
Essen. Irgendwo zwischen der immer
verstopften A52 und einem Getränkehandel haben die beiden sich ein Refugium geschaffen, wie es versteckter
nicht sein könnte. Trotz Navi entdecke
ich den Werkstatteingang erst nach
dreißig Minuten und einem telefonischen Hilferuf. Firmenschild? Fehlanzeige. Die Eingangstür versteckt sich
hinter einem großen grauen Container.
„Das ist uns so lieber“, meint Gerd,
„wir haben da schon mal ziemlich seltene Autos drinstehen. Und die Kunden
kommen eh auf Empfehlung.“
Mit alten Autos kennt der Essener
sich seit seiner Lehrzeit als Karosserie-
bauer aus. Schon damals schraubte
Jung-Gerd hauptsächlich an Alteisen.
Blechteile hat er gefertigt für „Kammandschia“, wie wir im Pott sagen, für
Käfer Cabrio und Porsche und und
und. Wie man Blech in Form bringt,
führte er mir in seiner Werkstatt vor.
Kanten, stauchen, dann noch ein bisschen strecken. Fertig ist ein Karosserieteil. „Damit reparieren wir einen
Scheibenrahmen“, sinniert Gerd, während sich unter seinen Riesenhänden
das nächste Blech formt wie Pizzateig.
Der Blechzauberer, der Käfer und ich
sind derweil in einem Wald kurz vor
Hattingen angekommen. Das Ruhrgebiet ist hier saftig und grün. Regen
tropft von den Bäumen. Die Ruhr
schlängelt sich bleigrau zwischen
Strommasten, Industriekultur und
Fachwerkhäusern. Die Straßen sind
eng; „ZONG!“ macht der Käfer beim
TEXT ANSGAR FULLAND
FOTOS THOMAS FAEHNRICH
Der Rallye-Käfer kann auch Autobahn. Mit über 190 km/h Spitze sorgt der Krabbler für Überraschungen
auf der linken Spur
Durchfahren der Schlaglöcher. Hat das
Ding überhaupt Stoßdämpfer? „Das ist
ein Rallye-Käfer“, erläutert Gerd und
lässt den Krabbler genüsslich über eine
weitere Serie Schlaglöcher donnern.
Ich sitze also nicht in irgendeinem
Tuning-Opfer der Siebziger. Ich sitze in
einer Ikone der Käfergeschichte. Einem
der seltensten VW Käfer überhaupt.
Den „Rallye-Käfer“ baute Porsche (!)
Salzburg als ernst zu nehmendes Wettbewerbsfahrzeug Anfang der Siebziger
und schuf damit eine Legende. Fünfzig
Stück gab es. Heute gibt es noch sechs.
Weltweit. „Vielleicht auch acht oder
zehn“, spekuliert Gerd. „Das weiß keiner so genau. Die wurden immer weggeschmissen, wenn sie kaputt waren.“
Und kaputt gingen die Sportkäfer
schnell. „Mehr als ein Rennen haben
Nur fast original: Nach dem Ableben des Originalmotors röhrt heute ein
optimierter „Typ4“-Vierzylinder mit 132 PS im Salzburg-Käfer
die 1,6-Liter-Vierzylindermotoren nicht
gehalten. Mit 126 PS waren sie am absoluten Limit des damals Machbaren.“
Als Gerd den kleinen Österreicher
vor einigen Jahren leblos aus einer
Scheune zog, gab es den Originalmotor
in Teilen dazu. Der Vierzylinder war
nicht mehr zu retten. Diagnose: mehrfacher Riss im Motorblock durch akuten Eisbach. Bei Rallyes keine Seltenheit und tödlich für eine heißgemachte
Maschine. Das Getriebe fehlte ganz.
Keine wirkliche Herausforderung für
einen Schrauber aus der Kruppstadt
Essen. Gerd „optimierte“ den deutschösterreichischen Volkssportler mit den
Porsche-Genen daher ein wenig. Dessen neues Herz ist ein Typ4-Motor, wie
er auch im Bus oder dem Volksporsche
914 zum Einsatz kam. In der Gerd-undManfred-Version bringt er heute entspannte 132 PS. Und zwar bei sagenhaft
geringen 3200 Umdrehungen und einem Fahrzeuggewicht von 890 Kilo.
Doch nackte Zahlen werden dem
Krabbler nicht gerecht. Diesen RallyeKäfer muss man fahren, spüren und
hören. Das Röhren, Kreischen und
Wimmern der gequälten Pneus gehört
dazu. Gerd am Momo-Sportvolant
zirkelt knapp an den Füßen des Fotografen vorbei. Die Hinterreifen suchen
jubelnd und hilflos Halt auf dem
Asphalt. Jetzt erwische ich Gerd beim
Grinsen. Ob er noch Hobbys habe,
außer Schrauben, Käfer und StrichAcht, frage ich mal pro forma. „Mein
Beruf ist mein Hobby“ kommt zwischen zwei Gasstößen, bevor der Käfer
zum ersten Mal am heutigen Tage einer
Serie Schlaglöcher ... ausweicht. Dabei
hatte ich mich gerade daran gewöhnt.
Ganz klar: Der Überkäfer
macht süchtig.
20
DAS AUTOMAGAZIN DER WELT AM SONNTAG
r war der Fast-and-Furious seiner
Zunft: Ritchie Blackmore, Mitbegründer der Hardrockbands Deep
Purple und Rainbow, war immer sehr
schnell, wild und unberechenbar. Ein
Gitarren-Gott, der seine Fender Stratocaster regelmäßig zu Kleinholz verarbeitete, mit Riffs und Soli Generationen von Gitarristen prägte. Blackmore hat mehrere Hymnen an die Geschwindigkeit mitkomponiert. „Highway Star“
von Deep Purple: Eight cylinders all mine, alright, hold tight,
I'm a highway star. Oder später bei Rainbow, „Death Alley
Driver“ mit einem Gitarren-Intro wie ein aufheulender Motor: Livin’ at high speed. Blackmore trat 1997 zum letzten Mal
mit Rainbow auf, gründete danach mit seiner späteren Ehefrau Candice Night die Gruppe Blackmore’s Night und spielt
seitdem Renaissance-Rock, vor allem in deutschen Burgen
und Schlössern. Im Sommer nimmt der 70-jährige Engländer
eine Auszeit vom Mittelalter – und gibt mit seiner neu formierten Band Rainbow zwei Konzerte: auf der Loreley (17. Juni) und in Bietigheim-Bissingen (18. Juni). Grund genug, um
mit ihm über das Spannungsfeld zwischen Geschwindigkeit
und Entschleunigung und über sein erstes Auto zu sprechen.
E
den Wagen repariert – nur nimmt er dafür jedes Mal unglaublich viel Geld. Dass der sich nicht schämt! Wenn du
einen Mercedes fährst, denken alle, dass sie dich über den
Tisch ziehen können, weil du sehr viel Geld haben musst.
Was bei Ihnen ja nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Mir geht es ums Prinzip. Ich finde das schlimm – der Mercedes-Konzern sollte sich mal darum kümmern, dass bestimmte Werkstätten so viel Geld für Reparaturen verlangen.
In den letzten Jahren gingen Sie regelmäßig mit Blackmore’s Night in Deutschland auf Tournee, spielten Musik aus dem Mittelalter – meistens in Burgen und
Schlössern. Die Helikopter sind passé, wie reisen Sie
heute durch Deutschland – im Bus oder im Auto?
Manchmal fahre ich im Bus mit der Band, oft haben meine
Frau und ich einen Fahrer. Manchmal fahre ich auch selbst.
Wir leben in einer Welt mit unglaublich viel Lärm, akustischer Umweltverschmutzung. Da habe ich gerne mal meine
Ruhe. Heute ist der gesamte Alltag sehr viel lauter geworden,
als er damals war. Alle sind ständig per Kopfhörer mit ihren
Smartphones verbunden, starren gleichzeitig auf die Displays. Jeder ist ständig auf Social Media und checkt, ob das
gepostete Foto von seinem Frühstück gerade viral geht. Irre!
Sie haben doch selbst eine Facebook-Seite.
Das machen andere für mich, meine Frau zum Beispiel. Ich
schaue mir das oft auch gar nicht an. Ich lebe nun schon
lange genug, um mich mit diesem Zeug nicht mehr beschäftigen zu müssen.
Im Sommer werden Sie doch noch einmal laut: Sie haben junge Musiker um sich gescharrt und geben drei
Konzerte unter dem Namen Ihrer alten Hardrockband
et für meinen Geschmack eigentlich ein bisschen zu prätentiös ist. Ich mag lieber den gotischen oder den barocken Stil.
Hamburg.
Da würde ich das Schloss Tremsbüttel nahe Ahrensburg
nehmen, liegt etwa 30 Kilometer nordöstlich von Hamburg.
München.
Von München aus würde ich mich auf den Weg zum Schloss
Eggersberg im Altmühltal machen.
Stuttgart.
Da buche ich das Schloss Haigerloch, südlich von Stuttgart.
Nürnberg.
Von Nürnberg würde ich auch nach Schloss Eggersberg fahren, ist nur eine Stunde entfernt, südlich gelegen.
VON MARTIN SCHOLZ
PS WELT: Mister Blackmore, wie kommt es, dass Sie
erst mit 39 Jahren Ihren Führerschein gemacht haben?
RITCHIE BLACKMORE: Weil mir das vorher einfach egal
war. Ich mache immer Dinge, die andere Leute so nicht machen würden. Liegt wohl daran, dass ich schon immer eine
schwierige, manche sagen auch: renitente Person war. Zur
Hölle mit dem, was andere über mich sagen.
Mit 39 waren Sie ein Weltstar. Mit Deep Purple wurden
Sie in Privatjets oder Helikoptern geflogen oder vom
Chauffeur zu Auftritten gefahren. Angenehmes Leben?
Die Helikopter und Jets haben wir während der großen Tourneen von Deep Purple benutzt, als wir vor 100.000 und mehr
Menschen spielten. Hat schon Spaß gemacht.Wenn ich heute
Konzerte gebe, ist das ein viel kleinerer Rahmen. Manchmal
habe ich noch einen Fahrer – aber ich fahre auch gerne selbst.
Brad Elterman/ FilmMagic/ Getty Images
Erinnern Sie sich an das erste Auto, das Sie sich nach
bestandener Führerschein-Prüfung gekauft haben?
Sicher. Ich wollte unbedingt einen deutschen Wagen. Ich
habe Deutschland schon immer geliebt, hatte eine Zeit lang
in Hamburg gelebt. Vor allem faszinieren mich deutsche
Schlösser und Burgen. Also, ich kaufte mir einen Mercedes.
Das ist mehr als 20 Jahre her – und ich besitze ihn heute
noch. Viele meiner Bekannten ziehen mich manchmal auf:
„Ritchie, du musst dir mal endlich einen anderen Wagen
kaufen.“ Will ich aber nicht. Leider ist es auf Long Island, wo
ich mit meiner Familie lebe, schwierig, jemanden zu finden,
der so einen alten Mercedes noch repariert.
Was ist an diesem alten Mercedes so besonders?
Mein Mercedes ist wie ein alter Freund. Er ist ein 300 SE. Ich
mag ihn sehr, auch wenn er längst nicht mehr so läuft, wie
man es von einem Auto eigentlich erwarten darf. Die Leute
halten mich für verrückt, dass ich ihn noch nicht verschrottet
habe. „Du kannst ihn ja oft nicht mal mehr starten“, lästern
sie dann, „kauf dir endlich einen neuen.“ Ich halte immer
dagegen: „Ist schon okay so. Ich habe mich daran gewöhnt.“
Ist aber blöd, wenn ein Auto nicht mehr anspringt, oder?
Mit Fingerspitzengefühl geht immer was. Eine Zeit lang bin
ich mit meinem Mercedes nur noch kurze Strecken gefahren
– nur so weit, dass ich notfalls zu Fuß nach Hause gehen
konnte, wenn der Wagen mal wieder liegen geblieben war.
Wie weit haben Sie sich mit Ihrem Auto denn noch rausgewagt?
Vier oder fünf Kilometer. Wenn ich weiter weg fahren muss,
nehme ich mit meiner Frau Candice und unseren Kindern
den Familienwagen, einen Ford SUV. Mit dem Mercedes ist
halt jede Fahrt ein Vabanquespiel, weil ich nie weiß, auf welche Weise ich nach Hause kommen werde (lacht).
Haben Sie sich das Autoreparieren jetzt selbst beigebracht, wenn es kaum passende Mechaniker gibt?
Nein. Es gibt in der Gegend zwar einen Mechaniker, der mir
Wenn ich selbst am Steuer sitze, wähle ich meist bewusst
längere Strecken aus. Ich möchte beim Fahren etwas von der
Gegend sehen, auf der Autobahn geht das nicht.
Haben Sie Lieblingsrouten in Deutschland?
Ich fahre am liebsten auf Landstraßen, die durch deutsche
Dörfer führen. Die Gegend um Nürnberg mag ich besonders.
Ich komme gerne langsam beim nächsten Auftrittsort an. Auf
der Autobahn ist das Panorama doch immer das gleiche.
Und: I don’t like the Stau! Wenn ich auf der Autobahn festsitze, dann kommt mir das immer wie eine Ewigkeit vor.
Hören Sie Musik beim Fahren?
Klar, ich habe immer CDs mit mittelalterlicher Musik dabei.
Kein Hochgeschwindigkeits-Rock?
Nee, nicht im Auto. Wenn ich einen Fahrer habe und Renaissance-Musik auflege, wird der allerdings verrückt (lacht).
Manchmal will ich beim Fahren auch gar nichts hören. Einfach nur Stille. Ich schätze die Stille sehr, auch im Auto.
Mit Deep Purple hatten Sie sich seinerzeit gebrüstet, die
lauteste Band der Welt zu sein.
Rainbow – eines davon auf der Loreley. Haben Sie
sich schon eine Route dorthin ausgesucht?
Noch nicht, die Rheinstraße ist natürlich sehr schön
zu befahren. Da könnte ich stundenlang aus dem Fenster schauen. In den meisten Schlössern am Rhein habe
ich schon übernachtet.
Sie kennen sich mit deutschen Burgen und
Schlössern vermutlich besser aus als ich.
Das sagen mir viele Deutsche (lacht). Deutsche Burgen und
Schlösser sind seit 40 Jahren meine Leidenschaft. Ich sollte
mal einen Reiseführer schreiben. Ich habe mich schon für
Schlösser interessiert, als wir noch mit Deep Purple auf Tournee in Deutschland waren. So oft es ging, habe ich mich nach
Schlössern in der Gegend umgesehen und dort übernachtet.
Sie sind das menschliche Navigationsgerät für Burgen
und Schlösser?
Ja, hehehe.
Machen wir ein Spiel: Ich nenne Ihnen eine deutsche
Großstadt, und Sie sagen mir, welches Schloss Sie in
der Nähe empfehlen können.
Yeah. Legen Sie los.
Köln.
Mal überlegen, von Köln aus würde ich wohl weiter nach
Norden fahren ins Schlosshotel Hugenpoet bei Essen. In
Essen habe ich immer die Grugahalle geliebt – klasse Akustik, großartiges Rock’n’Roll-Publikum. Obwohl das Hugenpo-
Fin Costello/ Redferns/ Getty
Er schrieb „Highway Star“, die ultimative
Geschwindigkeitshymne. Ein Benzingespräch mit
DEEP-PURPLE-LEGENDE Ritchie Blackmore
Images
„I don’t like the Stau“
Mercedes und Helikopter: Mit Rainbow und
Deep Purple (kl. Foto) genoss Ritchie
Blackmore (unten, 2.v.l.) das Rockstar-Leben
Und Berlin?
Berlin ist ein Problem, es gibt dort kaum Schlösser. In vergangenen Jahren habe ich das Schloss Cecilienhof empfohlen.
Mit „Highway Star“ haben Sie den ultimativen RockSong über Autos und Geschwindigkeit komponiert. Und
so spielen Sie in dem Song ja auch Gitarre – als wollten
Sie die Schallmauer durchbrechen ...
Ja, das macht auch Spaß. Bloß: Geschwindigkeit ist nicht
alles. Es kam mir bei meinen Soli nie nur auf das Tempo an,
immer auch auf die Melodie, die Phrasierung.
Schnelles Fahren macht also auch keinen Spaß?
Nachdem ich meinen Führerschein hatte, bin ich schon gerne schnell gefahren. Aber nach einer Weile schaltest du runter. Wenn ich selbst fahre, fahre ich eher langsam, egal ob in
Deutschland oder in Amerika. Ist eine Vorsichtsmaßnahme: Es gibt zu viele Idioten auf den Straßen.
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