Wie sichern wir nachhaltige Infra- strukturen bei - Deutscher Verein

September 2012
NDV
ABHANDLUNGEN
Uwe Berlit
Wie sichern wir nachhaltige Infrastrukturen bei freiwilligen kommunalen Leistungen?
Das Beispiel Engagementförderung und Bildung – Teil 11
1. Einleitung
„Wenn die Kommunen kein Geld mehr haben, muss eben
der Bund einspringen.“ Die in der
Workshopankündigung aufgeworfene
Frage nach Möglichkeiten einer Bundesfinanzierung für Infrastrukturen im
Bereich der freiwilligen kommunalen
Leistungen – Engagementförderung
und Bildung stehen nur als Beispiele –
sollte nicht derart verkürzt verstanden
werden. Diese Antwort reduzierte das
Problem einer auskömmlichen Finanzierung sinnvoller sozial- und bildungspolitischer Maßnahmen auf lokaler
Ebene auf ein bloßes Finanzierungsproblem mit bestimmter Lösungsmöglichkeit. Unterstellt wird, dass der Bund
trotz Schuldenbremse und Fiskalpakt Uwe Berlit
nicht nur aktuell, sondern dauerhaft
bereit und in der Lage sein wird, durch mehr oder minder
direkte Zuweisungen an die kommunale Ebene oder dort
tätige Institutionen/Einrichtungen kommunale Infrastruktur zu finanzieren.
Im Zeitverlauf ist dies nicht gesichert – und möglicherweise
auch nicht sinnvoll. Inzwischen mehren sich zwar die
Stimmen,2 dass es in der konkreten Ausgestaltung ein
korrekturbedürftiger Fehler der Föderalismusreformen I3
und II4 war, die Mitfinanzierungs- und Kooperationsmöglichkeiten des Bundes – gerade im Bildungsbereich – (sog.
Kooperationsverbot) deutlich zu beschränken. Der Grundgedanke der Föderalismusreform I und II, dass Aufgabenund Ausgabenverantwortung zusammenzuführen sind
und Mischfinanzierungstatbestände jeder Art im föderalen
Mehrebenensystem ein zwar begründungsfähiger, aber
auch begründungsbedürftiger Transferweg jenseits der
zweckungebundenen Mittelzuweisung bleiben müssen,
sollen demokratische Verantwortlichkeit erhalten und das
Risiko von Fehlallokationen vermindert werden, wird dadurch nicht unrichtig. Vor der Erörterung von Möglichkeiten einer Bundesförderung des bürgerschaftlichen Engagements (3., 4.) oder der (vor-)schulischen Bildung (5.)
sollen daher auch alternative Strategien zur Verbesserung
der Finanzierungsstrukturen freiwilliger kommunaler Leistungen angesprochen werden (2.).
2. D
enkbare Strategien zur
Verbesserung der Finanzierungsstrukturen freiwilliger
kommunaler Leistungen
Der Sache nach geht es um die Lösung
des Problems, wie unter den Bedingungen von Ressourcenknappheit die
Konkurrenzsituation von Infrastruktureinrichtungen oder Anlaufstellen im
Bereich der Förderung bürgerschaftlichen Engagements oder von Bildungseinrichtungen so verbessert werden
kann, dass ein (halbwegs) stetiger, je1)In gekürzter Fassung vorgetragenes, um einige Nachweise ergänztes Manuskript für
das Impulsreferat zur Podiumsdiskussion W18 auf dem 79. Deutschen Fürsorgetag
in Hannover. Die Vortragsform ist beibehalten.
2)S. dazu BT-Drucks. 17/785 (Antrag Die Linke „Kooperationsverbot in der Bildung
unverzüglich aufheben“), 17/1984 (Antrag Bündnis 90/Die Grünen „Gemeinsam für
gute Schulen und Hochschulen sorgen – Kooperationsverbot von Bund und Ländern
in der Bildung abschaffen), 17/6094 (Antrag Die Linke „Bildungsverantwortung gemeinsam wahrnehmen“), 17/8455 (Antrag SPD „Kooperativen Bildungsföderalismus
mit einem neuen Grundgesetzartikel stärken“; dazu auch BT-Prot. 17/155, 18497 ff.),
17/8902 (Antrag Bündnis 90/Die Grünen „Kooperation ermöglichen – gemeinsam
Verantwortung für die großen Herausforderungen in Bildung und Wissenschaft
übernehmen“), BR-Drucks. 43/12 (Antrag des Landes Schleswig-Holstein für eine
Entschließung des Bundesrates zum Bildungsföderalismus), 63/12 (Antrag der Freien
und Hansestadt Hamburg für eine Entschließung des Bundesrates zum Bildungsföderalismus); s.a. die öffentliche Anhörung zum Thema „Verfassungsrechtliche Grenzen und Perspektiven einer besseren Zusammenarbeit von Bund und Ländern in
Bildung und Wissenschaft“ am 19. März 2012 im Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technologiefolgenabschätzung des Deutschen Bundestages und die hierzu vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Prenzel, Marquardt,
Wieland, Keidel, Füssel, Klug, Löwer und Thöse.
3)Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22 …) vom 28. August 2006, BGBl. I
S. 2034; dazu etwa Claassen u.a.: Föderalismusreform, München 2007; Butzer u.a.:
Föderalismusreformgesetz, Baden-Baden 2007; Meyer: Die Föderalismusreform
2006. Konzeption, Kommentar, Kritik, Berlin 2008; Ennuschat/Ulrich, VBlBW 2007,
121; Häde, ZG 2009, 1; Schnapp, Jura 2008, 241; Selmer, NVwZ 2007, 872; Ekardt/
Buscher, DÖV 2007, 89.
4)Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91c …) vom 29. Juli 2009, BGBl. I
S. 2248; dazu etwa Häde, AöR N.F. 135 (2010), 541; Seckelmann, DÖV 2009, 747.
Prof. Dr. Uwe Berlit ist Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
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denfalls aber auskömmlicher Anteil am endlichen Finanzkuchen der öffentlichen Hand gesichert werden kann.
Hierfür sind verschiedene Strategien denkbar, von denen
eine Förderung durch den Bund nur eine ist. Vor einer
Annäherung an das Problem, wie durch eine Verfassungsänderung zielgerichtet Mitteltransfers von der Bundes- auf
die Landes- oder kommunale Ebene organisiert werden
können, sollen exemplarisch einige Strategien skizziert
werden.5
2.1Vergesetzlichung
Eine Strategie ist, für die (bislang) freiwilligen Aufgaben
direkte Finanzierungsansprüche bzw. – für die Nutzer –
Leistungsansprüche durch Gesetz zu schaffen und so das
Infrastruktur- und Leistungsangebot zu verstetigen. Auch
jenseits direkter Förderungs- oder Leistungsansprüche ist
denkbar, dass durch Bundesgesetz bestimmte „Standards/
Standardkorridore“ festgeschrieben werden.
Diese Strategie soll indes hier weitgehend ausgeblendet
bleiben. Denn dem Workshop geht es um die Sicherung
kommunaler Infrastruktur bei „freiwilligen kommunalen
Leistungen“, die diesen Status durch Vergesetzlichung
gerade verlieren. Auch bei derart zu Pflichtaufgaben gemachten Aufgaben kann die Wahrnehmungsintensität
zudem erheblich variieren, so dass sich – wenn auch abgemildert – die Verstetigungsfrage weiterhin stellt. Bei Aufgaben, die nach ihrer Bedeutung eine Verfassungsänderung zur Ermöglichung einer Bundesmitfinanzierung
rechtfertigen (sollen), mag indes eine gewisse Verstetigung durch Gesetz naheliegen und vorrangig zu prüfen
sein.
Auch bei einer auf Standardvorgaben beschränkten Vergesetzlichung bleibt ein Spannungsverhältnis zur „Freiwilligkeit“, die neben dem „Ob“ auch die Gestaltungsfreiheit bzgl. des „Wie“ der Aufgabenbewältigung vo­
raussetzt. Diese Strategie löst vor allem nicht das Problem, dass Engagementförderung und Bildung nicht die
einzigen Leistungsbereiche mit teils freiwilligen kommunalen Leistungen sind. Die Verbesserung der Konkurrenzstellung für diesen Bereich geht bei gegebener Mittelausstattung notwendig zulasten anderer Bereiche, ohne dass
im Zeitpunkt der Vergesetzlichung eine rationale Abwägung gefordert ist, ob diese Bereiche tatsächlich weniger
wichtig und förderungswürdig sind. Jede bessere Absicherung bestimmter, bestehender Politiken/Angebote
erhöht unter den obwaltenden Umständen die „Markteintrittsbarrieren“ für neue, objektiv ggf. bessere/dringlichere Angebote.
An dieser Strategie richtig ist, dass Haushaltsprobleme
nicht nur ein Ausgaben-, sondern vor allem auch ein
Einnahmeproblem sind. Ein Verzicht auf eine Netto-Neuverschuldung kann auch durch eine systematische Einnahmepolitik bewirkt werden (die indes Länder und
Kommunen selbst kaum beeinflussen können), bei der
allen Ebenen auch ohne Kreditaufnahme eine aufgabengerechte Finanzausstattung zukommt. Auf einen aufgabengerechten Ausbau des kommunalen Finanzausgleichs
– und dem vorgelagert des Länderfinanzausgleichs – ist
in den nächsten Jahren als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung freiwilliger kommunaler Leistungen
umso mehr zu achten, als wegen der finanzwirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre (Schuldenbremse/Fiskalpakt; Neuordnung des bundesstaatlichen
Finanzausgleichs; Konsequenzen des demografischen
Wandels; in den ostdeutschen Ländern: Auslaufen des
Solidarpakts II) die Länder versucht sein werden/müssen,
stärker als bisher ihre finanzwirtschaftlichen Probleme
auf die Kommunen abzuwälzen. Realpolitisch wird aber
eine Verschärfung der Verteilungskämpfe auch zwischen
den Ebenen anstehen.
Die „politischen Streuverluste“ einer Strategie der Einnahmeerhöhung sind hoch: Es kann nicht gesichert werden,
dass zusätzliche Mittel bei der Bildung/der Engagementförderung auch ankommen. Selbst Bedarfsansätze im
bundesstaatlichen Finanzausgleich änderten hieran nichts.
Sie steuerten lediglich die Bemessung der Mittelzuweisung, stellten eine politikfeldbezogene Verwendung aber
nicht sicher.
2.3Exklusive Einnahmequellen
Es könnten auch die Erträge bestimmter Einnahmequellen
(z.B. PKW-Maut oder Kulturabgabe/„Bettensteuer“ 7)
rechtlich oder politisch für bestimmte Ausgabenbereiche
reserviert werden.
Voraussetzung wäre eine Einnahmequelle, die ihrerseits
halbwegs stetig ist und durch die Einnahmen generiert
werden können, die für das Ausgabenvolumen hinreichend auskömmlich sind. Schon dies ist schwer vorstellbar.
Eine nachhaltige Sicherung sozialer Infrastruktur i.w.S. erschwert zudem, dass Auf- und Ausgabenotwendigkeiten
und Ergiebigkeit der potenziellen Einnahmemöglichkeiten
– jedenfalls auf der kommunalen Ebene – in aller Regel
auseinanderfallen: Die ärmsten, steuerschwächsten Kommunen haben oft die höchsten Ausgabenbedarfe.
Haupteinwand ist aber der Gesamtdeckungsgrundsatz der
allgemeinen Haushalte.
2.2Allgemein verbesserte Mittelausstattung
Weiterhin kommt in Betracht, für alle Ebenen – und damit
auch die kommunale – den Finanzrahmen zu vergrößern
oder doch auf eine Verringerung der verfügbaren Mittel zu
verzichten – in der (nicht gewissen/nicht gesicherten) Erwartung eines proportionalen Anstiegs auch bei den für
Bildung und Engagementförderung zur Verfügung stehenden Mitteln. In einem weiteren Sinne gehört dazu auch
der Verzicht auf unsinnige, kontraproduktive Ausgaben
(z.B. Betreuungsgeld6).
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5)Zu einigen Ansätzen s.a. – ohne weitere Einzelnachweise – Wieland: Bildungsföderalismus. Gutachten im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2011.
6)Nur zur Abschätzung der Dimensionen: Die Kosten für das Betreuungsgeld werden
im Endausbaustadium auf ca. 1,5 Mrd. € geschätzt. Bei einem durchaus realistischen
Jahresbudget von (bis zu) 50.000,– €/jährlich, mit dem im Jahr 2009 fast ¾ aller
Freiwilligenagenturen auskommen mussten (s. Backhaus-Maul/Speck: Freiwilligenagenturen in Deutschland. Potenziale auf kommunaler Ebene, NDV 2011, 302
[305]), könnten mit diesem Betrag rechnerisch 3.000 Freiwilligenagenturen 10 Jahre
lang finanziert werden.
7)Zur Zulässigkeit s. Tolkmitt/Berlit, LKV 2010, 385; Petry, BB 2010, 2860; Rutemöller,
DStZ 2011, 246; Wegner, BayVBl. 2011, 261; Patt, SächsVBl. 2012, 25; aus der Rspr.
OVG Weimar, LKV 2011, 472; OVG Koblenz, DVBl. 2011, 1039.
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2.4Gesonderte Einheiten; Fondslösung
Einen strukturähnlichen Lösungsansatz bildet die Aufgabenübertragung an gesonderte Einheiten mit exklusiven,
jedenfalls aber hinreichenden Einnahmequellen, z.B. Sondervermögen oder Fondslösungen.8
Dieser Ansatz birgt massive Probleme demokratischer Verantwortlichkeit und stößt an die Grenzen der Übertragbarkeit zentraler Staatsaufgaben. Im Bereich der freiwilligen
kommunalen Aufgaben kann es nur um eine punktuelle,
temporäre und ergänzende Finanzierung gehen, die kurzfristig Finanzlöcher stopfen, aber strukturelle Unterfinanzierungsprobleme nicht lösen kann. Gerade wenn es um
Probleme geht, bei der es um die vernetzte Zusammenführung verschiedener Dimensionen auf kommunaler Ebene
geht („Bildungspolitik ist Integrations-, Sozial- und Wirtschaftspolitik“), ist die Verselbstständigung einzelner Teilaspekte problematisch, weil es die Kooperations- und Koordinationsprobleme erhöht.
Auch Fondslösungen sind im Übrigen an die grundgesetzliche Verwaltungs- und die daran geknüpfte Finanzierungszuständigkeit gebunden. Fonds als Finanzierungsinstrumente sind nicht geeignet, die grundgesetzliche Aufgabenverteilung „auszuhebeln“.
2.5Exklusive Mittelanteilsbindung
Denkbar ist auch, gar in Abänderung geltenden Haushaltsrechts mit indikatorengebundenen Mittelzuweisungen an
bestimmte Politikbereiche oder der verpflichtenden „Reservierung“ benannter Haushaltsanteile für bestimmte
Politikbereiche (z.B. Bildung, Förderung bürgerschaftlichen
Engagements etc.) zu arbeiten. Ein Beispiel ist die politische Festlegung auf dem sog. „Bildungsgipfel“ in Dresden
2008, bis zum Jahre 2015 die Ausgaben für Bildung und
Forschung auf 10 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu
erhöhen.9 Mit Abstrichen weist auch die sog. „freie Förderung“ nach § 16 f SGB II in diese Richtung.
Probleme solcher „Selbstverpflichtungen“ sind die rechtliche Bindungswirkung, die Messbarkeit, die Ebenenverantwortung für die Erreichung dieser Ziele (bei ebenenverteilter Finanzierungszuständigkeit) und die regionalen Differenzen bei der Zielerreichung. Selbst wenn durch Verfassungs- und Gesetzesänderungen die Voraussetzungen für
eine „exklusive“ Mittelanteilsbindung in den Haushalten
geschaffen werden sollten – ein unter Demokratiegesichtspunkten problematisches Unterfangen –, bewirkte dies
lediglich eine Veränderung der Rahmenbedingungen für
den Verteilungskampf: Er wäre nur noch innerhalb der
verschiedenen Politikbereiche, nicht mehr politikfeldübergreifend zu führen.
2.6„Konzentration“ des Leistungsangebots
Eine Verstetigung der Mittel für Infrastruktur bei freiwilligen kommunalen Leistungen kann auch durch eine Konzentration des Leistungsangebotes bewirkt werden, bei
der weniger Angebote gemacht, diese aber dann mit den
vorhandenen Mitteln stetiger und auskömmlich finanziert
werden. Daneben tritt als Strategie zum Erhalt der Infrastruktur eine interne Absenkung der Qualität, der Kosten
NDV
oder der Leistungstiefe, die neben die Daueraufgabe der
Ausschöpfung qualitätsneutraler Rationalisierungsreserven
tritt, oder die Erhöhung der Einnahmen durch eine (Steigerung der) Kostenbeteiligung der „Kunden“.
Diese Ansätze sollen nicht vertieft werden. Es ist zwar eine
Daueraufgabe, über Effektivität und Effizienz der Aufgabenerfüllung nachzudenken. Die qualitätsneutralen Rationalisierungsreserven sind in den letzten Jahren indes überwiegend bereits ausgeschöpft worden, und die realen
Ausweichstrategien („Lohndumping“; Selbstausbeutung
bei freien Trägern) sollten von der Not nicht zur Tugend
gemacht werden. Sie bedeuten das Gegenteil von „Nachhaltigkeit“, die auch eine qualitative Dimension aufweist.
In seiner Entscheidung zur Jugendhilfeförderung in Dresden hat das Bundesverwaltungsgericht10 im Wissen um die
Konsequenzen einer Verlagerung des „Dumping-Problems“ auf die (freien) Träger einen gewissen Riegel vorgeschoben und die politische Verantwortung für die Infrastrukturausstattung an die kommunalen Entscheidungsträger zurückgegeben.
2.7Gemeinschaftsaufgaben; Finanzhilfen
Die Diskussion konzentriert sich darauf, an der Aufgabenbzw. Finanzierungsverantwortung selbst einzusetzen. Eine
(partielle) Verlagerung der Aufgabenverantwortung auf
den Bund ist politisch wenig wahrscheinlich. Die Gemeinsamkeit in der politischen Verantwortung für eine gute
Bildungsinfrastruktur und eine Förderung des bürgerschaftlichen Engagements soll vielmehr durch eine ebenenübergreifende Gemeinschaftsfinanzierung zum Ausdruck gebracht werden, bei der auch an die Einbeziehung
privater „Investoren“ gedacht werden kann.
Dies bedeutet, die Föderalismusreform I und II partiell
rückgängig zu machen. Der Abbau der Mischfinanzierungen war eines der ausdrücklichen Reformziele.11 Nach
dieser Strategie sind wieder Gemeinschaftsaufgaben- oder
Mischfinanzierungstatbestände in das Grundgesetz einzufügen, die eine verstärkte Mitfinanzierung des Bundes an
(auch) kommunalen Aufgaben ermöglichen (oder bestehende Förderungen aus der Grauzone konsentierten
Rechtsbruchs herausholen).12 Nur erwähnt werden soll als
Zusatzproblem, ob in diesem Zusammenhang auch unmittelbare Finanzbeziehungen zwischen Bund und den einzelnen Kommunen ermöglicht werden sollen.
Mischfinanzierungstatbestände sind nicht der Königsweg.
Sie entsprechen zwar der fachlichen Forderung auch des
Deutschen Vereins nach einer Gesamtstrategie zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, bei der alle –
8) Siehe Wieland (Fußn. 5), S. 45 ff.
9) Dazu Wixforth: Qualifizierungsinitiative für Deutschland und der Streit um die
Höhe der öffentlichen Bildungsausgaben, in: Jahrbuch für öffentliche Finanzen
2011, Berlin 2011, S. 437–458; s.a. ders.: Bildungsausgaben höher als angenommen. Zur systematischen Untererfassung der öffentlichen Versorgungsaufwendungen im Bildungsbereich, WD 2008, 609–615.
10) BVerwGE 134, 206.
11) BT-Drucks. 16/813; s.a. Häde, JZ 2006, 930 (935); krit. zu den noch beibehaltenen
Mischfinanzierungstatbeständen R. Breuer: Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung – eine Crux des Bundesstaates, in: FS Krause, 2006, S. 325.
12) Zu entsprechenden Ansätzen s. bereits Seckelmannn: „Renaissance“ der Gemeinschaftsaufgaben nach der Föderalismusreform II?, DÖV 2009, 747.
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NDV
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staatlichen und nichtstaatlichen – Akteure an der Entwicklung einer neuen „Kultur der Freiwilligkeit“ und eines
Rahmens zusammenwirken, in dem sich die lebendige
Bürgergesellschaft entfalten und weiterentwickeln kann.13
Ungeachtet ihrer realpolitischen Unvermeidlichkeit widersprechen Mischfinanzierungstatbestände aber dem Grundsatz einer gegliederten Kompetenzordnung, die im Inte­
resse demokratischer Transparenz von einer grundsätzlich
exklusiven Gestaltungs-, Gewährleistungs- und Durchführungsverantwortlichkeit ausgeht.14 Die Ebenenzuordnung
für die Durchführungs- und Finanzierungszuständigkeit
hat vor allem Auswirkungen auf die Art und Weise der
Aufgabendurchführung15 und deren Inhalte.
Der Bund ist zudem kein altruistischer Akteur auf der sozial-, engagement- und bildungspolitischen Bühne. Die Einbindung eines weiteren/zusätzlichen Akteurs als Finanzier
ist stets auch mit inhaltlicher Einflussnahme verbunden. Im
Anwendungsbereich einer Gemeinschaftsaufgabe ist die
im Ansatz klare Trennung der bundesstaatlichen Kompetenzbereiche bewusst aufgehoben und wird ersetzt durch
„spezielle Formen und Verfahren des Zusammenwirkens
von Bund und Ländern im Aufgabenbereich der Länder,
die ‚quer’ zur Kompetenzordnung im Übrigen steht“.16
Der Bundeseinfluss kann bei Zuschussfinanzierungen überproportional hoch sein und zudem die verfassungsrechtlichen Grenzen demokratischer Verantwortlichkeit verwischen.
Ein über Förderung vermittelter inhaltlicher Einfluss des
Bundes oder eine Steuerung durch diesen kann fachlich
sinnvoll sein. Zwingend ist dies nicht. Die verfassungsrechtlich problematische17 „Demokratieerklärung“, die im
Rahmen des Bundesprogramms gegen Rechts seit Anfang
letzten Jahres abverlangt wird, ist nur ein sinnfälliges Beispiel unerwarteter und unerwünschter Nebeneffekte. Für
eine Ausgestaltung der ebenenübergreifenden Kooperationsbeziehungen, die auf der Grundlage einer „Kultur der
Kooperation“ eine allein an „der Sache“ orientierte, von
(institutionellen oder politischen) Eigeninteressen freie Zusammenarbeit garantiert oder doch fördert, fehlen jenseits
des moralischen Appells noch operationalisierbare Vorschläge. Die auch legitimationspolitischen und demokratietheoretischen Schwierigkeiten erhöhen sich, wenn neben den finanzierenden staatlichen Einheiten auch Vertreter der Zivilgesellschaft „auf Augenhöhe“18 – d.h. wohl
auch: mit gleichen Entscheidungsrechten – eingebunden
werden sollen. Die bei Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungstatbeständen üblichen Planungs-, Abstimmungs-, Entscheidungs- und Evaluations-/Monitoringverfahren und -institutionen19 sind jedenfalls nicht Prototypen
eines herrschafts- und interessefreien Diskurses.
Die Einbindung des Bundes in die Finanzierung kommunaler Leistungen durch Förderung von Modellversuchen,
Anschubfinanzierungen etc. ist zudem Teil des Problems,
diese von Anbeginn endlichen Finanzierungsstrukturen auf
Dauer zu stellen. Die Versuchung ist groß, unter dem
Deckmantel von Modell- und Anschubfinanzierungen
auch – erwartbare – Dauerfinanzierungen abzuwickeln
und darauf zu hoffen, dass der Konsens erhalten bleibt,
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solche „Grauzonen“ föderaler Finanzverflechtungen auch
zu dulden. Das Risiko jedenfalls ist hoch, dass der Bund im
Zeitverlauf seine Prioritäten anders setzt, er sich aus der
Finanzierung zurückzieht und – bei sinnvollen oder bewährten Infrastrukturen – der Druck auf Länder und Kommunen wächst, diese zulasten anderer, gleichermaßen
sinnvoller Maßnahmen (vollständig) zu finanzieren.
2.8Zwischenbewertung
Die nur grob skizzierten Strategien können überwiegend
einzeln oder auch gekoppelt verfolgt werden. Ihr potenzieller Nutzen hängt davon ab, um die dauerhafte Finanzierung welcher Aufgaben es geht. Ein Methoden- und
Maßnahmenmix ist die politisch wahrscheinlich wirkkräftigste Strategie. Es ändert aber nichts daran, dass im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes die Konkurrenz um die knappen öffentlichen Mittel letztlich nur politisch durch die hierfür demokratisch legitimierten Einheiten entschieden werden muss und diese legitimiert sind,
andere Prioritäten zu setzen als fachpolitische Expertinnen
und Experten.
Bei der „Verstetigung“ der Finanzierung kommunaler Infrastrukturen in den Bereichen Bildung/bürgerschaftliches
Engagement geht es zudem nicht um ein „Alles-oderNichts“. Es kann nur um eine Gestaltung der Rahmenbedingungen haushaltswirtschaftlicher Entscheidungen gehen, die eine nachhaltige, auskömmliche Mittelausstattung wahrscheinlicher machen. Zu entscheiden ist dann
auch, auf welchem (absoluten/relativen) Finanzie­rungs­(an­
teils)­niveau die „Verstetigung“ erfolgen soll.
Auf den ersten Blick ist das Ziel einer nachhaltigen (kommunalen) Infrastruktur unmittelbar einsichtig und uneingeschränkt unterstützungswürdig. Sachliche Richtigkeit
und politische Vernunft sind notwendige, aber nicht hin13) Siehe dazu Deutscher Verein: Forderungen des Deutschen Vereins zur Weiterentwicklung der Freiwilligendienste, 14. März 2012.
14) Siehe auch BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433, 2434/04 –,
BVerfGE 119, 331 (Der Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung
verpflichtet den zuständigen Verwaltungsträger, seine Aufgaben grundsätzlich
durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen
Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen); s.a. H.-G. Petersen: Mischfinanzierungen im deutschen Länderfinanzausgleich. Zur Problematik von Gemeinschaftsaufgaben, Finanzhilfen und Geldleistungsgesetzen, Aachen 2000.
15) Aus umgekehrter Perspektive s. Hengstenberg: Zum Verhältnis von Sozialstaatsprinzip und Autonomieprinzip im Bundesstaat, in: Junkernheinrich/Scheller/Woisin
(Hrsg.): Zwischen Reformidee und Funktionsanspruch. Konzeptionen und Positionen zur deutschen Finanzverfassung, Berlin 2007, S. 313.
16) Siekmann, in: Sachs (Hrsg.): GG, 6. Aufl., Art. 91a Rdnr. 11.
17) Siehe nunmehr VG Dresden, Urteil vom 25. April 2012 – 1 K 1755/11 – (Die von
Zuwendungsempfängern im Rahmen des Bundesprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ geforderte „Einverständniserklärung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, die sog. Extremismusklausel oder Demokratieerklärung, ist rechtswidrig).
18) Siehe Deutscher Verein (Fußn. 13).
19) Exemplarisch hierfür die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), die auf der
Grundlage des Art. 91b Abs. 2 GG durch Verwaltungsabkommen (Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung einer Gemeinsamen
Wissenschaftskonferenz [GWK-Abkommen] vom 19. September 2007, Bundesanzeiger 2007, 7787) errichtet worden ist und mit besonderer Geschäftsordnung,
Büro und Generalsekretär eine kleine, an der Spitze politisch hochrangig besetzte
„Koordinationsbürokratie“ für die Bereiche Wissenschaft, Bildung sowie Forschung und Entwicklung mit einem Finanzvolumen allein für die Forschungsförderung von 7,3 Mrd. € (2010) bildet (dazu GWK: Gemeinsame Forschungsförderung
des Bundes und der Länder. Finanzströme 2010, Bonn, Dezember 2011). Zivilgesellschaftliche Akteure und Vertreter betroffener Institutionen sind hier nicht an
zentraler, steuernder Stelle einbezogen.
September 2012
reichende Bedingung für die nachhaltige Sicherung kommunaler Infrastruktur. Jede Maßnahme zur Verbesserung
der Konkurrenzsituation dieses Bereichs muss zudem angeben, welcher „demokratische Preis“ für die Verstetigung gezahlt werden soll und noch vertreten werden
kann. Denn unter Bedingungen der Knappheit von Ressourcen ist es demokratisch legitim, dass im Bereich des
„Gestaltbaren“ (= der freiwilligen kommunalen Leistungen) die Prioritäten regelmäßig (nach dem Jährlichkeitsprinzip des Haushalts also i.d.R. jährlich) neu bewertet und
gesetzt werden. Jede „nachhaltige Sicherung“ einer bestimmten kommunalen Infrastruktur impliziert eine – in
der Demokratie problematische – „Versteinerung“ des
bestehenden Angebotes und vernachlässigt die Befugnis
und Notwendigkeit einer kontinuierlichen Rejustierung
NDV
kommunaler Infrastruktur. Ein Teil des Problems liegt im
Wesen des Sozialstaates, sich permanent auszudifferenzieren, ohne zur systematischen Aufgabenkritik in der Lage
zu sein.
Davon sind die Probleme der Reaktionszeiten für Träger zu
unterscheiden, wenn Haushalte nicht rechtzeitig verabschiedet bzw. genehmigt werden und auf der Basis vorläufiger Bewilligungsbescheide oder ungewisser Förderungshoffungen gearbeitet werden muss. Diese praktischen
Probleme, die durch Doppelhaushalte oder Verpflichtungsermächtigungen gemildert werden können, können hier
nicht vertieft werden.
(wird fortgesetzt)
Friedrich Putz
Hinweis zu dem Beitrag „Die Darlehensbestimmung in § 42 a SGB II“ im NDV 7/2012
In seinem Aufsatz „Die Darlehensbestimmung in § 42 a
SGB II – (k)eine Erledigung früherer Problemstellungen?“
in NDV 7/2012, S. 343 ff., führt Dr. Manfred Hammel zu
dem Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 8. Dezember 2011 – S 8 AS 349/11 ER – u. a. aus:
„Das Sozialgericht Marburg vertrat – in bewusster Ablehnung der vom Sozialgericht Berlin vertretenen Standpunkte – in einem ähnlich gelagerten Fall allerdings die
Auffassung, eine nach § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II wegen
eines Kautionsdarlehens über mehrere Monate hinweg
verfügte Absenkung des Regelbedarfs wäre durchaus mit
dem Ansparkonzept des SGB II zu vereinbaren, denn:...“
Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Entscheidungsgründe des SG Marburg behauptet Hammel
dann: „Das LSG Hessen bestätigte mit Beschluss vom 26.
Januar 2012 diese erstinstanzliche Entscheidung.“
Das trifft nicht zu. Das Hessische LSG hat in dem genannten Beschluss (Az: L 6 AS 676/11 B ER) überhaupt nicht
darüber entschieden, ob die Beschwerde begründet ist,
sondern nur deren Unzulässigkeit festgestellt. Das ist
bereits aus folgendem Tenor der Entscheidung zu ersehen: „I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den
Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 8. Dezember
2011 wird als unzulässig verworfen.“
Die Unzulässigkeit der Beschwerde wird vom LSG damit
begründet, dass der Beschwerdewert 750,– € nicht übersteigt und daher in der Hauptsache die Berufung nicht
zulässig wäre. Die „beiden Punkte“, die nach Ansicht
von Hammel „von ausschlaggebender Bedeutung“ dafür
waren, dass das LSG die erstinstanzliche Entscheidung
angeblich bestätigt hat, werden in dem Beschluss des
LSG nur im Rahmen der (vom LSG verneinten) Frage behandelt, ob eine „erweiternde Auslegung des Rechtsschutzbegehrens“ der Antragstellerin geboten ist und
der Beschwerdewert daher evtl. doch mehr als 750,– €
beträgt. Eine Bestätigung der Entscheidung des SG Marburg kann aus diesen Ausführungen des LSG nicht entnommen werden.
Die Berichtigung ist erforderlich, da die Gefahr besteht,
dass Betroffene bzw. diese vertretende Rechtsanwälte
oder Beratungsstellen auf die Richtigkeit der Behauptung
vertrauen, das Hessische LSG habe die – für Leistungsberechtigte ungünstige – Entscheidung des SG Marburg
bestätigt, und dadurch davon abgehalten werden, gegen
die Tilgung von Mietkautionen durch Aufrechnung Widerspruch und Klage zu erheben sowie einstweiligen
Rechtsschutz zu beantragen.
(Zur Tilgung von Mietkautionen durch Aufrechnung nach
§ 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II s. näher Putz, F.: Bei Darlehen
für eine Mietkaution an Hartz-IV-Empfänger: Ist die gesetzlich vorgesehene Tilgung durch Aufrechnung verfassungswidrig?, in „Soziale Sicherheit“ 5/2012, S. 194.)
(Prof. em. Friedrich Putz hat an der Verwaltungsfachhochschule in Wiesbaden, Abt. Kassel, Sozialrecht gelehrt.)
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