Alternative Modelle auf der Kreisebene

Reformkongress am 16. Januar 2016 in Cottbus
Bericht aus der Arbeitsgruppe C „Alternative Modelle auf der Kreisebene“
Impulsreferate:
„Das Modell der kommunalen Verwaltungsregionen“
Prof. Dr. Utz Schliesky,
Direktor des Landtages Schleswig-Holstein, Lorenz-von-Stein-Institut an der
Christian-Albrechts-Universität Kiel
„Landkreise – Bewährtes bewahren“
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke,
Deutscher Landkreistag, Vizepräsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft
Moderator:
Herr Stephan Breiding
Präsentationen des Impulsreferenten in der Arbeitsgruppe
Seite 2 von 13
Seite 3 von 13
Seite 4 von 13
Seite 5 von 13
Seite 6 von 13
Seite 7 von 13
Seite 8 von 13
Zusammenfassung der Diskussion aus der Arbeitsgruppe
Allgemeine Ausführungen
Der Ablauf der Arbeitsgruppensitzung gliederte sich in die beiden nacheinander gehaltenen Impulsreferate von Prof. Schliesky und Prof. Henneke und eine anschließende Diskussion mit dem Auditorium.
Ausführungen von Prof. Schliesky
1. Alternativmodell:
Herr Prof. Schliesky wies in seinem Eingangsstatement darauf hin, dass er ein Alternativmodell unter
Berücksichtigung der Prämissen des vorliegenden Leitbildentwurfs darstellen wolle. Es handele sich um
ein theoretisches Modell, dass bisher noch in keinem Bundesland umgesetzt worden sei. Ausgangspunkt sei die Verfassungsrechtslage, nach der im Rahmen der Entwicklung eines Leitbildes zu dem
vorgeschlagenen Modell (hier Kreisneugliederung unter Einkreisung) auch schonendere Alternativen
abgewogen werden müssten. Dies gebiete sich aus dem Grundsatz des Verhältnismäßigkeitsprinzips
als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Verfassungsrechtlich seien Kreise unverzichtbar; dies würde von
ihm nicht in Frage gestellt. Er gehe aufgrund des vorliegenden Leitbildentwurfs ferner davon aus, dass
eine umfassende Funktionalreform wesentliche Reformgrundlage sei.
Prof. Schliesky stellte sodann anhand einer PowerPoint-Präsentation das Alternativmodell eines kommunal getragenen Verwaltungsverbandes ohne Gebietshoheit vor, den er zwischen einem Zweckverband und einer Verwaltungsgemeinschaft ansiedelte. Dieser Verwaltungsverband müsse nicht über
eigenes Personal verfügen, es könne auch von den Mitgliedern des Verbandes „gestellt“ werden. Organe eines solchen kommunalen Verwaltungsverbandes, der in Schleswig-Holstein entwickelt, aber aus
politischen Gründen tatsächlich nicht umgesetzt worden sei, könnten ein Vorstand und eine Haushaltsversammlung sein. In dem Vorstand würden die Landräte der beteiligten Landkreise und Oberbürgermeister der kreisfreien Städte Sitz und Stimme haben. Im Ergebnis würden diese kommunalen Verwaltungsverbände, auch kommunale Dienstleistungszentren (DLZ) genannt, Verwaltungsleistungen der
beteiligten Landkreise so bündeln wie ein Amt die Verwaltungsleistungen auf Gemeindeebene bündeln
würde. Vorstellbar wäre die Errichtung von vier oder fünf solcher kommunaler Dienstleistungszentren,
verteilt in den Regionen des Landes, um die Verwaltungsarbeit der Landkreise effizienter zu gestalten.
Seite 9 von 13
2. Alternativmodell:
Prof. Schliesky stellte sodann ein zweites Alternativmodell dar. Er führte aus, man könne die Einrichtung
solcher DLZ nicht nur von oben her, sondern auch von unten her betrachten. So könne man einen
Schritt zurückgehen und die bisherigen kommunalen Verwaltungseinheiten in reduzierter Form beispielsweise unter Einführung einer Regelmindesteinwohnerzahl von ca. 50.000 Einwohnern zu Landkreisen umgestalten, die vergleichbar von Ämtern die kreisangehörigen Gemeinden, die nicht mehr über
eine eigene Verwaltung verfügen, verwalten. Man käme dann vielleicht auf ca. 50 kommunale Verwaltungseinheiten, aber natürlich sei die Zahl von 50.000 Einwohnern pro Verwaltungseinheit nur gegriffen,
sie könne auch darunter liegen.
Abschließend empfahl Prof. Schliesky die Kombination beider Betrachtungsweisen. Die beiden vorgestellten Modelle, die Umgestaltung von Ämtern zu Kreisen sowie die überkreislichen DLZ seien kombinierbar.
3. Alternativmodell im Lichte des Leitbildentwurfes
In einem zweiten Teil seines Impulsreferates legte Prof. Schliesky dann die Messlatte des Leitbildentwurfs und die dort formulierten Ziele an das theoretisch entwickelte Modell an. Er kam zu dem Ergebnis,
dass die von der Landesregierung verfolgten Ziele einer umfassenden Funktionalreform und einer Reaktion auf die demografische Entwicklung sowie zurückgehender kommunaler Finanzmittel schonender
mit dem von ihm vertretenen Modell erreicht werden könnten. Er wies in diesem Zusammenhang insbesondere darauf hin, dass die Trennung von kommunaler Verwaltung und bürgerschaftlichdemokratischer Mitwirkung verfassungsrechtlich unproblematisch sei und ferner, dass in seinem Modell
die bestehenden kommunalen kreisangehörigen Gebietskörperschaften und auch die kreisfreien Städte
in ihrem Status erhalten werden könnten und dass das entwickelte Modell leitbildgerecht sei. Die Kritik
aus dem Auditorium, dass in seinem Modell die Bedeutung der ehrenamtlichen Tätigkeit kleiner und die
der hauptamtlichen Tätigkeit größer würde und deshalb das gewählte Modell kein milderes Mittel zu
einer Kreisgebietsreform sei, wies Herr Prof. Schliesky gerade wegen des weitgehenden Erhalts gewachsener kommunaler Gebietsstrukturen zurück.
Ausführungen von Prof. Henneke
Prof. Henneke kritisierte den Ansatz von Prof. Schliesky, obgleich er dessen rechtlichen Umsetzbarkeit
nicht in Abrede stellte. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Landkreise im „klassischen Sinne“ im
Aufbau der Bundesrepublik Deutschland ohne Zweifel bewährt hätten. Darüber hinaus verwies er darauf, dass tatsächlich der kommunale Anteil an den Staatseinnahmen ausweislich der Bundesstatistik
Seite 10 von 13
auch in 2014/2015 kontinuierlich bei steigenden Ausgaben zurückgegangen sei. Es bestehe auch aus
demografischer und finanzieller Sicht unbestrittener Maßen ein Reformbedarf.
Die Einkreisung der kreisfreien Städte mit Ausnahme der Landeshauptstadt halte er für unumgänglich.
Er plädiere in Brandenburg für eine flächen- und einwohnermäßigen Vergrößerung der Landkreise.
Diese sollte maßvoll sein; ob der in Mecklenburg-Vorpommern gewählte Größenmaßstab für die Landkreise auf Brandenburg übertragbar sei, wage er vorsichtig zu bezweifeln. Prof. Henneke wies auch
darauf hin, dass der Kontakt zur Kreisverwaltung im Sinne einer räumlichen Bürgernähe nicht entscheidend sei. Der Bürger käme selten in Kontakt durch „Bescheid“; wichtiger sei das Agieren des Landkreises in der Fläche, also die flächendeckende Leistungserbringung im Raum (Netzstrukturen, Abfallentsorgung, Krankenhäuser etc.).
Auch das Festhalten an dem 1993 eingeführten Sektoralprinzip als Orientierungsprinzip für die Kreisneugliederung halte er für richtig. Das Festhalten der Landkreisstrukturen im „klassischen Sinne“ begründete Herr Prof. Henneke vor allem damit, dass die Landkreise in der Bundesrepublik und auch in
den neuen Bundesländern und speziell in Brandenburg historisch gewachsen seien. Sie stünden für
das wichtige Prinzip der Einheit der Verwaltung, wonach in einem gewachsenen, identitätsstiftenden
Territorium der Landrat als Bündelungsbehörde mit seiner Verwaltung kommunale Dienstleistungen aus
einer Hand anbiete. Der Landkreis nehme die Gesamtverantwortung für einen territorialen Raum wahr.
Komplexe Aufgaben müssten beim Landkreis kommunalisiert und gebündelt werden. Er nannte als
Beispiel dafür, dass Landkreise aufgrund ihrer besonderen Orts- und Sachnähe in der Lage wären,
solche Aufgaben effektiv und effizient wahrzunehmen. Herr Prof. Henneke warnte im Ergebnis vor drei
Entwicklungen:
-
Mit dem von Herrn Prof. Schliesky entwickelten Modell wäre eine Atomisierung der Verwaltung
verbunden, in dem man sie von dem Territorium entkopple.
-
Mit der Umsetzung des Modells würde das Land Brandenburg mit allen bisher verfolgten und durch
die erstmalige Kreisneugliederung 1993 umgesetzten Prinzipien brechen.
-
Schließlich solle – wenn eben möglich – auf die Zerlegung von Landkreisen verzichtet werden,
denn die allgemeine Lebenserfahrung besage, dass es einfacher sei, aus zwei eins zu machen als
aus eins zwei. Folge einer Zerschneidung von Landkreisen sei immer auch eine Zerlegung wahrgenommener Aufgaben und die Zerstörung bzw. Neuausrichtung gewachsener kommunaler Strukturen.
Seite 11 von 13
Ausführungen aus dem Auditorium und Diskussion mit den Professoren
1. zu den vorgetragenen Alternativmodellen
Ergänzend zu den von den Impulsreferaten vorgetragenen Modellen wurde in der nachfolgenden Diskussion auch das Modell vorgetragen, auf eine flächendeckende Verwaltungs- oder Gebietsreform insgesamt zu verzichten und auf die Möglichkeiten der kommunalen Zusammenarbeit zu setzen. Auch
könne daran gedacht werden, die Landkreise gesetzlich zur Zusammenarbeit zu verpflichten. In diesem
Zusammenhang setzten sich einzelne Disputanten auch kritisch mit dem Leitbildentwurf auseinander,
dem es an einer kritischen Analyse und der Betrachtung von Alternativmodellen fehle. Kritisch wurde zu
dem von Prof. Schliesky entworfenen Modell (DLZ) hervorgehoben, dass es:
-
Verantwortlichkeiten verwische,
-
an mangelnder demokratischer Legitimation leide und
-
im eigentlichen Sinne nicht bürgernah sei.
Die Modellausführungen von Prof. Henneke wurden insoweit in Frage gestellt, als dass die angeblich
historisch gewachsenen Strukturen der derzeitigen Landkreise in Brandenburg bezweifelt wurden.
2. zur interkommunalen Zusammenarbeit
Die beiden Referenten vertraten übereinstimmend die Auffassung, dass die Möglichkeiten und die Erweiterung kommunaler Zusammenarbeit kein Ersatz für eine Verwaltungsstruktur- oder Gebietsreform
seien. Außerdem sei verfassungsrechtlich zu beachten, dass die kommunale Kooperationshoheit Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung sei, weshalb ein gesetzlich angeordneter Kooperationszwang nur
schwer zu begründen sei. Aus dem Auditorium wurde dies mit den Erfahrungen im Bereich der Zweckverbände bestätigt. Demnach seien Zweckverbände schwerfällige Gebilde, die in ihren Entscheidungen
nur unzureichend demokratisch legitimiert seien und intransparent weit weg vom Bürger agieren würden. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle von Zweckverbänden sei ausgesprochen schwierig. Außerdem
hätten Landkreise anders als Zweckverbände auch eine Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion. Schließlich stelle sich die Frage, warum erfolgreiche Landkreise freiwillig kooperieren sollten. Dem wurde im
Verlauf der Diskussion nicht widersprochen. Auch bezogen auf die Wahrnehmung unterschiedlicher
Aufgaben von benachbarten Gebietskörperschaften im Wege öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen
wurde kritisch angemerkt, wie schwierig dies in der Abstimmung, Steuerung und schnellen Entscheidungsfindung sei. Ein Teilnehmer der Veranstaltung lobte den innovativen Ansatz des von Herrn Prof.
Schliesky vertretenen Modells und betonte, dass dies insbesondere auch den eingenommenen BlickSeite 12 von 13
winkel von unten nach oben und vom Bürger zur Verwaltung beträfe. Man müsse mit der Verwaltung an
den Bürger heran, wo er entsprechende Ansprüche habe und im Rahmen der Funktionalreform müsse
man zugleich beantworten, was von dem Bürger weiter weg wahrgenommen werden könne. Der Staat
müsse nicht vom Staat her, sondern vom Bürger her betrachtet werden. Außerdem benötige der Bürger
auch einen örtlichen Ansprechpartner, bei dem er seine Sorgen abladen könne.
3. zum E-Government
Prof. Schliesky griff den Einwurf aus dem Auditorium auf, statt alternativer Modelle verstärkt auf die
Möglichkeiten des E-Government zu setzen. Er wies ergänzend darauf hin, dass natürlich die behandelten Modelle nicht isoliert von der Entwicklung bürgernaher Verwaltungsdienstleistungen betrachtet werden könnten. So müsse man Verwaltungsdienstleistungen und Aufgabenübertragungen mehr an notwendigen Geschäftsprozessen orientieren. Zuzugeben sei auch, dass durch die Möglichkeiten bürgernaher Front- und Backoffice Strukturen das Territorialprinzip in immer größerer Auflösung begriffen sei.
Gerade das von ihm vorgeschlagene Modell der kommunalen Verwaltungsverbände käme wohl wegen
des Erhalts der kommunalen Gebietsstrukturen und der gleichzeitigen Effektuierung der Verwaltung
einer bürgernahen Aufgabenwahrnehmung am nächsten. Die Trennung von kommunaler Verwaltung
und gebietlicher Selbständigkeit habe sich im Übrigen bewährt. Es gebe vielleicht bei der Einführung
seines Modells einen Aufschrei, aber wohl nicht vom Bürger – Strukturen und Gebiete bleiben erhalten
–, sondern eher vom Verwaltungspersonal. Zwischen dem von Herrn Prof. Henneke vertretenen Grundsatz der Einheit der Verwaltung und einer wegen der Aufgabenunterschiede gebotenen Differenzierung
müsse man einen Mittelweg finden. Auch in Schleswig-Holstein gäbe es bis heute noch Ämter.
Resümee
Übereinstimmend vertraten beide Referenten die Auffassung, dass eine Vergrößerung der Kreise an
Grenzen von Einwohnerzahl, Fläche und bürgerschaftlicher Mitwirkungsmöglichkeiten stoßen würde.
Diese Grenze sei schwerlich exakt messbar. Während Prof. Schliesky pointiert die These vertrat, dass
Kreisgebietsreformen Kinder des 20. Jahrhunderts seien und man solche Reformen eher vermeiden
sollte, forderte Prof. Henneke dazu auf, den begonnen Weg der Kreisneugliederung entschlossen fortzuschreiten.
Seite 13 von 13