Aussenhandel Politik & Gesellschaft • Politique & société Wie ein Likör die Märkte öffnet Schon bevor es eingeführt ist, hat das Cassis-de-Dijon-Prinzip Bewegung in die Schweizer Lebensmittellandschaft gebracht. Im Juli soll das Kathrin Sachsse. Was leicht bekömmlich klingt, ist eher schwer verdaulich. Hinter Cassis de Dijon (CdD) steckt weit mehr als ein süffiges Getränk. Ein Rückblick: Die deutsche Handelsgruppe Rewe wollte 1979 einen Johannisbeer-Likör aus Dijon importieren. Die deutschen Behörden verboten jedoch den Vertrieb des Crème de Cassis, da der Alkoholgehalt nicht den inländischen Vorschriften entsprach. Daraufhin entbrannte ein Rechtsstreit, der sich bis vor den europäischen Gerichtshof zog. Rewe bekam schliesslich recht. Seither besagt das Cassis-de-Dijon-Prinzip, dass aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Produkte, die dort vorschriftsgemäss hergestellt wurden, grundsätzlich überall in der EU in Verkehr gesetzt werden dürfen. Nationale Regelungen können also nur dann den freien Warenverkehr zwischen EU-Mitglied staaten behindern, wenn dies beispielsweise dem Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs dient. Was heisst das jetzt für die Schweiz? Um den Wettbewerb zu beleben und Kosten sowie Preise im Inland zu senken, schlug Bundes rätin Doris Leuthard 2006 eine Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handels hemmnisse (THG) vor. Ziel war unter anderem, dort das Cassis-de-Dijon-Prinzip zu verankern, um es künftig für den Warenimport in die Schweiz anzuwenden. Dabei entschied man sich für eine autonome, einseitige Öffnung. Das heisst, dass Produkte, die in der EG bzw. im EWR rechtsmässig in Verkehr sind, grundsätzlich auch in der Schweiz ohne vorgängige Kontrollen frei zirkulieren dürfen. Selbst dann, wenn sie die Schweizer Produkt vorschriften nicht oder nur teilweise erfüllen. Mit dem revidierten THG (und der Ausführungsverordnung über das «Inverkehr bringen von nach ausländischen technischen 34 Alimenta 06/2010 zvg dazugehörige revidierte Gesetz in Kraft treten. Ein Überblick. Beat Hodler befürchtet, dass Produkte, die aufgrund des CdD-Prinzips importiert werden können, das Qualitätsniveau von Schweizer Lebensmitteln untergraben. Vorschriften hergestellten Produkten») schuf man die Grundlage für die Einführung des CdD-Prinzips. Sonderbewilligungen für Importeure Keine Regel ohne Ausnahme: So gilt das CdD-Prinzip generell nicht für Produkte, die einer Zulassungspflicht oder einem Einfuhrverbot unterliegen. Weiter sind im Entwurf zum neuen THG Sonderbestimmungen aufgeführt – darunter zehn im Lebensmittel bereich. So können Lebensmittel nicht eingeführt werden, wenn sie keine Angaben des Produktionslandes aufweisen. Auch dürfen sie nicht mit Verfahren hergestellt werden, die in der Schweiz verboten sind: Nicht deklarierte Eier von Batteriehühnern oder Produkte mit (unbeabsichtigt) nicht deklarierten allergenen Substanzen sind nicht zugelassen. Ganz wichtig: Bei der Verabschiedung dieser Ausnahmen hat der Bundesrat darauf geachtet, dass diese überwiegenden öffentlichen Interessen hinsichtlich Gesundheit und Sicherheit ent- sprechen und keinesfalls zu Diskriminierung oder Handelsbeschränkungen führen. Vor allem soll die einseitige Anwendung des CdD-Prinzips nicht die Schweizer Lebensmittelhersteller benachteiligen. Darum sprach man diesem Bereich in der THG-Revision eine Sonderregelung zu. Diese besagt: Erzeugnisse aus dem EU-Raum, die von den Schweizer Vorschriften abweichen, benötigen für das erstmalige Inverkehrbringen eine Bewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG). In seinem Gesuch muss ein Importeur dann unter anderem Angaben zur Zusammensetzung machen und nachweisen, dass sein Produkt den technischen Vorschriften der EG bzw. (bei unvollständiger oder fehlender Harmonisierung) denjenigen eines Mitgliedstaates der EG oder des EWR entspricht und dort rechtmässig in Verkehr ist. Nach erfolgreicher Überprüfung erhält der Gesuchsteller eine sogenannte Allgemeinverfügung, die wiederum auch Schweizer Hersteller verwenden können. Trotz einiger Widerstände im Vorfeld liegt die Revision des TGH samt Verordnung und CdD-Prinzip gut im Fahrplan. Laut Heinz Hertig vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sind zum Verordnungsentwurf viele Anpassungsanträge eingegangen, über die der Bundesrat voraussichtlich im Mai befinden wird. Damit steht einer Einführung im Juli nichts mehr im Wege. Und um die voraussichtlich zahlreichen eingehenden Gesuche von Importeuren dann mit der nötigen Sorgfalt zu bearbeiten, ist der Aufbau einer Einheit mit rund fünf Mitarbeitern beim BAG vorgesehen. «Rahm» oder besser «Sahne»? Der Verband der Schweizer NahrungsmittelIndustrien (Fial) beurteilt die THG-Revision laut Beat Hodler, Mitglied der Geschäftslei- Aussenhandel duktvielfalt und damit die Wahlfreiheit für die Konsumenten fördern. Hier soll der Markt spielen.» So steht es auch umgekehrt den Schweizer Herstellern frei, das in der Europäischen Union geltende Recht, sprich Allgemeinver fügungen, auch für sich in der Schweiz anzuwenden. Und was die fehlende Gegenseitigkeit beim Vertrieb im Ausland betrifft: Hier könne ein Hersteller für die Einführung seines Produkts dasjenige Land aussuchen, in dem die Vorschriften denjenigen der Schweiz am ähnlichsten sind und von da an automatisch weitere Länder beliefern. Generell seien die Schweizer Erzeugnisse weitgehend kompa tibel mit denjenigen aus den EU-Ländern, versichert Hertig. Weitere Harmonisierungen angestrebt «Mit dem revidierten THG und CdD-Prinzip wird der Marktzugang in die Schweiz verbessert. Um Marktzugang in der EU zu bekommen, braucht es (bilaterale) Abkommen», stellt Hertig klar. Die Regierung baut mit der schrittweisen Anpassung des Lebensmittelrechts an EU-Normen seit Mitte der 90erJahre Handelshemmnisse ab. «Je kleiner die Unterschiede zwischen dem EU-Recht bzw. demjenigen der Mitgliedstaaten und dem schweizerischen Recht sind, umso weniger Probleme wird es bei der einseitigen Einführung des CdD-Prinzips geben», beteuert Adrian Kunz, Jurist beim BAG. Wieweit die Anforderungen an Produkte angepasst werden sollten, ohne dabei die Swissness zu opfern – hier sind die Diskussionen im vollen Gange. Gleich zeitig wird an weiteren Harmonisierungen und an Abkommen mit der EU, namentlich auch im Lebensmittelbereich, gearbeitet. Dies wird laut Kunz allerdings noch einige Zeit beanspruchen. Eines ist für Hertig schon jetzt klar: Bereits in den fünf Jahren vor seiner Einführung hat das CdD-Prinzip Bewegung in die Lebens mittellandschaft gebracht und einen Gesinnungswandel herbei geführt: «Langsam öffnet sich die Schweiz den Märkten», stellt er zu frieden fest. zvg/Emmi tung, als «eine insgesamt akzeptable Lösung». Doch infolge der einseitigen Einführung des CdD-Prinzips könnten Importerzeugnisse das bisherige Qualitätsniveau in der Schweiz hinsichtlich Zusammensetzung und Mindest gehalt untergraben, befürchtet er. Weiter von Nachteil sei das Fehlen der Gegenseitigkeit für exportierende inländische Unternehmen. Hier macht Hodler rund 20 Produkte aus, bei denen für den Vertrieb in Europa Rezeptur änderungen nötig würden. So driften bei der Mayonnaise der Speiseölanteil von mindestens 70 Prozent in der Schweiz und von mindestens 80 Prozent in Österreich deutlich auseinander. Ähnliches gilt für den Milch fettgehalt bei Rahmeis, für den Fruchtanteil bei Sorbet oder den Eigehalt bei Teigwaren. «Und was in der Schweiz als Rahm deklariert wird, heisst in Deutschland Sahne. Dies hätte wiederum Packungsänderungen zur Folge», bemängelt Hodler. Zu den aufgeführten Einwänden meint Hertig: «Mit der Einführung des CdD wollen wir den Wettbewerb im Inland sowie die Pro- Politik & Gesellschaft • Politique & société Soll Schweizer Rahmeis in die EU exportiert werden, müsste die Rezeptur angepasst werden: Eine der Folgen einer einseitigen Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips. Alimenta 06/2010 35 Commerce extérieur Politik & Gesellschaft • Politique & société La liqueur qui ouvre les marchés Alors qu’il attend encore son introduction, le principe du Cassis de Dijon a déjà imprimé un mouvement dans le paysage alimentaire suisse. En juillet, la révision de la loi correspondante entrera en vigueur. Kathrin Sachsse. Les apparences sont trom peuses: sous sa robe accueillante, le Cassis de Dijon (CdD) ne s’avère pas toujours très digeste. Retour en arrière: en 1979, le groupe commercial allemand Rewe souhaitait im porter de la crème de cassis de Dijon. Pas question, pour les autorités allemandes, la teneur en alcool ne correspondant pas aux prescriptions légales allemandes. Le litige, porté devant la Cour européenne de justice, a finalement donné raison à Rewe. Depuis lors, le principe dit du «Cassis de Dijon» veut que les produits provenant d’un autre pays membre et qui y ont été fabriqués selon les prescriptions légales en vigueur dans ce pays peuvent également être commerciali sés dans le reste de l’UE. Les réglementations nationales ne peuvent empêcher le libre com merce de marchandises entre les États mem bres de l’UE que si cela sert par exemple à la protection de la santé publique ou à l’intégrité du trafic commercial. produits selon des procédures interdites en Suisse notamment, comme les œufs de poules en batterie non déclarés ou les produits conte nant des substances allergènes (involontaire ment) non déclarées. Par ailleurs, les produits provenant de l’UE dont les prescriptions divergent de celles en vigueur chez nous re quièrent une autorisation de l’Office fédéral de la santé publique lors de leur première im portation. Compte tenu de l’avancement des travaux dans le cadre de la LETC, la loi devrait entrer en vigueur au mois de juillet. Manque de réciprocité En 2006 la conseillère fédérale Doris Leuthard a proposé une révision de la loi fédérale sur les entraves techniques au commerce (LETC) afin d’y introduire le principe du Cassis de Dijon, dans le but d’animer la concurrence et de faire baisser les prix dans le pays. Il s’agit d’une ouverture autonome, unilatérale, servant à permettre la libre circulation sans contrôle préalable des produits qui sont commercia lisés légalement dans la CE ou l’EEE, même s’ils ne satisfont pas ou que partiellement les prescriptions techniques suisses. Le principe comprend bien entendu des exceptions: ne pourront pas être importés les produits soumis à une réglementation d’auto risation ou à une interdiction, ceux ne com portant pas d’indication du pays d’origine ou 36 Alimenta 06/2010 zvg Abaisser les prix Tout a commencé avec une liqueur: le principe du «Cassis de Dijon» dit que les produits provenant d’un autre État membre de l’UE et fabriqués selon les prescriptions en vigueur peuvent être commercialisés dans toute l’UE. La Fédération des industries alimentaires suisses (Fial) trouve dans la révision de la LETC une «solution acceptable dans l’en semble», bien que l’importation de produits tombant sous le principe du CdD pourrait re mettre en cause le niveau de qualité prévalant en Suisse. En outre, l’absence de réciprocité est une carence du projet, et nombre de produits suisses devront subir un changement de recette pour pouvoir trouver un accès au marché européen. Selon le Secrétariat d’État à l’économie, l’introduction du CdD devrait accroître d’une part la compétitivité dans le pays et d’autre part la diversité des produits. Quant aux entreprises suisses, elles pourront dans l’en semble bénéficier des mêmes avantages que ceux offerts aux entreprises étrangères. La révision de la LETC et le principe du CdD vont donc améliorer l’accès au marché en Suisse. L’adaptation du droit sur les denrées alimentaires aux normes UE en cours depuis les années 90 réduit les entraves au commerce, et le rapprochement des législations tend à diminuer avec le temps les problèmes ren contrés en raison de la non-réciprocité du principe du CdD.
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