PHARMAZIEGESCHICHTE TEIL I Wie alles begann Die ersten Arzneimittel der Welt waren vermutlich Beeren, Blätter oder Erden, die unsere Vorfahren bei Beschwerden gezielt aßen. Sie gaben ihre Erfahrungen von Generation zu Generation weiter. Doch irgendwann in vorchristlicher Zeit wurden medizinische Kenntnisse ein Herrschaftswissen weniger, speziell ausgebildeter Personen. V © www.realnews247.com or langer Zeit begannen Priester das Wissen um die Heilkraft von Pflanzen, Tieren und Mineralien zu sammeln. Diese Verknüpfung eines kirchlichen Amtes mit der Medizin und Pharmazie ist fast durchgängig in allen Kulturen zu beobachten. Die Gabe von Heilmitteln wurde daher auch immer von Gebeten, bestimmten Bräuchen und Beschwörungsformeln begleitet. Überliefert sind zum Beispiel indische Priesterbücher aus einer Zeit ab 3000 v. Chr., die Zaubersprüche und Rezepturen enthalten. Verschiedene Arzneiformen waren damals in Indien schon bekannt, Zäpfchen und Pulver zum Beispiel. Zudem wurde der Wasserqualität bereits ein großer Stellenwert eingeräumt; man unterschied zwischen Trink-, Brauch- und Abwasser. 28 Von Persien nach Europa Neben dem bereits sehr hohen Standard bei den indischen Ärztepriestern entwickelte sich eine zweite medizinische Hochkultur in Persien. Hier wurde erstmals die Herstellung von Arzneimitteln unter staatliche Aufsicht gestellt. Außerdem gab es Arzneibücher, in denen Heilpflanzen, Mineralien und tierische Drogen ausführlich beschrieben wurden. Die Heilpflanzen wurden zu Mus verarbeitet oder getrocknet und dann pulverisiert. Als Grundlage verwendete man vor allem Honiglösungen. Die Heilkunst wurde in Persien durch Magiere ausgeführt, eine Art Priester der damals vorherrschenden Religion, die durch den stetigen Kampf zwischen Gut und Böse geprägt war. Der Einfluss der persischen Gelehrten auf die Griechen war groß. Viele griechische Heilkundige ließen sich in Persien ausbilden und brachten damit auch das me- Die P·T·A in der Apotheke 35 (2006), Heft 1 PHARMAZIEGESCHICHTE TEIL I Das Auge des Osiris Die Kenntnisse der Ägypter waren durch das Einbalsamieren und Mumifizieren ihrer Leichen auf dem chirurgischen und anatomischen Sektor, aber auch in der Pharmazie, sehr weit fortgeschritten. Die medizinisch Tätigen waren wie in Indien und Persien Priester. So nutzten auch die Ägypter Geisterbeschwörungen, um die Wirkung der Heilmittel zu verstärken. In der Religion wurden der Heilkunde die Götter Isis und Osiris, also die Naturkräfte Sonne und Mond, zugeordnet. Die Hieroglyphe für Osiris erinnert an die Abkürzung Rp. Zwar steht Rp. auf den modernen Rezepten für das lateinische Recipe (zu Deutsch: nimm), aber die Form ähnelt tatsächlich dem über die Heilkunst wachenden Mond, dem Auge des Osiris. Das Spektrum des Arzneimittelschatzes und die Empfehlungen für ein gesundes Leben sind in verschiedenen Papyri überliefert, so auch in dem berühmten Papyrus Ebers. Mit Zwiebeln und Lauch wurde beispielsweise Typhus vorgebeugt. Heute ist bekannt, dass Senfölglykoside eine antibiotische Wirkung haben. Erkrankungen des Augenlides wurden damals mit einem Puder aus Zinnober und Kobalt behandelt. Auch das Wissen der Ägypter floss in die medizinische Behandlung der Griechen und Römer ein. So war die Verwendung von Achatmörsern und Salbentöpfen, Sieben, Öl- und Parfümfläschchen den Ägyptern vertraut. Sie kannten schon zwei Methoden für die Gewinnung ätherischer Öle. Zum einen zerkleinerten und pressten sie Pflanzenteile und schöpften dann das oben schwimmende ätherische Öl ab. Die zweite Möglichkeit war das Durchkneten gemahlener Pflanzenteile mit heißen Fetten. In der ägyptischen Heilkunde bediente man sich zudem zahlreicher Arzneiformen: Mixturen, Pillen, Pastillen und Abkochungen waren genauso gängig wie Arzneistäbchen, Pulver, Zäpfchen, Inhalationen und Globuli. Im Fokus: die Lebensweise Eine weitere vorchristliche Kultur findet sich in Israel. Interessanterweise wurde bei den Hebräern die Heilkunst nicht durch Priester allein durchgeführt, sondern es gab das Berufsbild des Heilkundigen. Jüdischen Ärzten war auch das Operieren erlaubt. Sehr viel Wert legten die Hebräer auf die Lebensweise des Einzelnen: Vor allem Ernährungsregeln, die bis heute in die Regeln der koscheren Küche einfließen, wurden entwickelt. Zudem ver- Die P·T·A in der Apotheke 35 (2006), Heft 1 setzte man die Mahlzeiten mit Gewürzen, Honig, Wein und Essig. Im Alten Testament lässt die Erwähnung zahlreicher Arzneipflanzen Rückschlüsse auf den reichen Arzneimittelschatz zu. Die bekannteste Arzneipflanze der Bibel ist wohl das Manna, das Brot der Wüste. Die Wurzeln der europäischen Pharmazie Griechenland, als die Wiege Europas, war zugleich die Wiege der europäischen Pharmazie. Hippokrates von Kós (466 bis 377 v. Chr.) ist vermutlich der berühmteste griechische Heilkundler. Wie alle anderen berühmten Ärzte Griechenlands gehörte er dem Militär an. Er studierte in Persien und wurde später ein wichtiger Lehrer in seinem Heimatland. Die beiden Schutzheiligen der Pharmazie und Medizin, Cosmas und Damian, sollen seine Schüler gewesen sein. Auf Hippokrates geht die Anamnese zurück. Der Herstellung von Arzneimitteln wies er nur eine untergeordnete Rolle zu. Die von ihm vertretene Therapierichtung würde man heute als ganzheitlich beschreiben. © The Egyptian Museum, Cairo dizinische und pharmazeutische Wissen mit nach Europa. Dioskurides übersetzte zum Beispiel die Schriften des persischen Gelehrten Abu Mansur Mowafik ins Griechische. Die alkoholische Gärung war zu dieser Zeit schon seit längerem bekannt. Deshalb konnten bereits Auszüge, Extrakte und Lösungen hergestellt werden. Vor allem in Babylon wurden auf diese Weise zahlreiche Arzneimittel bereitet. Aber auch andere Arzneiformen waren den Babyloniern nicht fremd. Sie verwendeten Alaun zum Blutstillen, mischten Harze in Massageöle und wussten auch schon Klistiere herzustellen. Die Rezepturen sind auf Keilschrifttäfelchen notiert. Der zweite berühmte griechische Arzt war Theophrastos zu Eresos (ca. 372 bis 287 v. Chr.), griechischer Philosoph und Naturforscher. Der Schüler des Aristoteles und Leiter der peripatetischen Schule machte sich als Botaniker einen Namen. Er entwickelte eine Systematik für die Bestimmung der Pflanzen und beschrieb die damals bekannten Wirkungen und Giftwirkungen. Pedanios Dioskurides, der dritte im Bunde, der um die Mitte des ersten Jahrhunderts lebte, stellte in 23 Bänden das gesamte pharmazeutische Wissen seiner Zeit zusammen. Vor allem gab er eine Synonymliste heraus und beschrieb Verfälschungen. Als Student und später als Arzt im römischen Heer besuchte er Alexandria und viele andere Orte in Asien. Bis in das 16. Jahrhundert basierte die gesamte Phytopharmazie auf den Schriften und Erkenntnissen Dioskurides. 29 PHARMAZIEGESCHICHTE TEIL I Die erste bekannte Arzneimittelprüfung am Menschen führten vermutlich die Griechen durch. An Sklaven wurde getestet, wie das weltberühmte Allheilmittel Theriak wirkt. Theriak soll gegen alle Krankheiten und Vergiftungen schützen und besteht aus etwa 70 Bestandteilen. Unter anderem gehören kleine Mengen Arsen und Opium dazu. Die Herstellung wurde unter staatliche Aufsicht gestellt, um Verfälschungen und damit Vergiftungen zu vermeiden. L I T E R AT U R T I P P Geschichte der Pharmazie Band I; Rudolf Schmitz; Govi-Verlag Eschborn 1998; 836 Seiten, 102 Euro; ISBN 3-7741-0706-8 Der Autor, Apotheker und Gründer des Marburger Institutes für Geschichte der Pharmazie, hat ein umfassendes Werk geschaffen, basierend auf modernen Forschungsergebnissen. Er spannt einen höchst interessanten Bogen von den prähistorischen Anfängen über das Hochmittelalter bis hin zum 16. Jahrhundert. Der vorgeschichtliche Mensch mit seinen eher instinktiven Handlungen reiht sich ebenso ein wie die großen Gelehrten Celsus, Galen, Kosmas und Damian oder Avicenna und Hildegard von Bingen, um nur einige wenige aufzuzählen. Beschrieben wird die Entwicklung der Pharmazie in den griechischen, römischen, byzantinischen und arabischen Epochen, im christlichen Abendland, in Indien, Japan und China. Die Akribie des Werkes besticht, aber auch sein Stil; beim Lesen wird Geschichte lebendig, und man mag das Buch kaum weglegen. Band II, der im Dezember 05 ebenfalls im GoviVerlag erschienen ist, schließt die Lücke von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Eine Rezension desselben finden Sie in unserer Februarausgabe. -JUP- Die erste Apotheke wurde im Jahr 754 in Bagdad gegründet. Bis in die römische Zeit sollte dies die einzige bleiben. Denn die Salbenmacher und Kräuterkundigen gehörten meist zum umherziehenden Gewerbe, und die Heilkunde wurde fast immer im Tempelbereich oder auf dem Schlachtfeld ausgeübt. In der Römerzeit etablierte sich die Idee, 30 Apotheken mit Tiernamen zu versehen. Diese Tradition wurde weiter fortgesetzt, und so gibt es bis heute unzählige Adler-, Einhorn-, Elefanten- und Löwen-Apotheken. Es gab bereits Vorschriften zu Maßen und Gewichten, ein ausführliches Arzneibuch und Richtlinien, welche Arzneimittel in welchem Umfang für Notzeiten vorrätig gehalten werden mussten. Diese römischen Anweisungen galten zum Teil bis ins späte Mittelalter in den ehemaligen römischen Provinzen. Im Vorgriff auf die Teilung der Berufe Apotheker und Arzt, die 1241 im „Edikt von Salerno“ durch den Staufenkaiser Friedrich II. (1194 bis 1250) verfügt wurde, verteilten bereits die Römer die Aufgaben zwischen den beiden Berufsbildern. Die Trennung war allerdings nicht so streng, wie wir sie heute kennen, aber man unterschied schon Salbenbereiter, Kräuterhändler und Chirurgen bzw. Wundärzte, die dem Militär angehörten. Ein berühmter römischer Arzt war Aulus Cornelius Celsus (23 v. Chr. bis 50 n. Chr.). Ähnlich wie Hippokrates legte er Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz. Neben Heilmitteln empfahl er vor allem diätetische Maßnahmen. Ein zweiter, pharmazeutisch bedeutender Römer war Galen (Galenos von Pergamon, 131 bis 201 n. Chr.). Er definierte den Begriff des Arzneimittels folgendermaßen: „Ein Arzneimittel verändert den Organismus, während das Lebensmittel den Organismus vermehrt.“ Zudem entwickelte Galen die Grundlagen der Homöopathie. Auf seinen Namen geht der Begriff Galenik zurück. Er sammelte zahlreiche Schriften und Drogen und bewahrte diese in einem Lagerraum, der apotheka, auf. Dank Plinius dem Älteren (Gaius Plinius Secundus, 23 bis 79 n. Chr.) kennen wir heute den naturwissenschaftlichen Wissensstand der römischen Kultur. In seiner Naturgeschichte hat Plinius das gesamte Wissen des Mittelmeerund kleinasiatischen Raums zusammengetragen. Die Enzyklopädie bietet einen reichen Schatz an Informationen für historisch Interessierte, da sowohl naturwissenschaftliche, geographische, medizinische und kulturhistorische Besonderheiten der Römer, Griechen, Ägypter und Kleinasiaten aufgeführt werden. Einen Schwerpunkt bildet die Beschreibung von Pflanzen und ihrer Verwendung als Lebens- und Heilmittel. Aber auch mineralische und tierische Drogen sind ausführlich dargestellt. ● Literatur bei der Autorin Constanze Schäfer Poststraße 4 · 40213 Düsseldorf E-Mail: [email protected] Die P·T·A in der Apotheke 35 (2006), Heft 1
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