Der Golem, wie er in die Welt kam Inhalt Als ein Edikt des Kaisers die Juden zum Verlassen der Ghettostadt auffordert, ist für Rabbi Löw die Zeit gekommen, nach Regeln magischer Überlieferungen aus Lehm die Gestalt des Golem zu formen, der zum Retter der Juden werden soll. Der kaiserliche Bote, Graf Florian, verliebt sich in Löws Tochter Mirjam. Während Rabbi Löw zur Audienz am Hofe ist, wo er den Golem vorstellt, benutzt Florian die Zeit zu einem Schäferstündchen mit M i r jam. Vor dem kaiserlichen Hofstaat beschwört Löw den Z u g der Juden durch die Wüste. Als das Gebot der Stille von einem Mitglied des Hofes durchbrochen wird, schwindet die Vision, die magische Kräfte freisetzt und den kaiserlichen Palast in ein Trümmerfeld zu verwandeln droht. Löws Golem rettet den Kaiser vor dem Verderben, der aus Dankbarkeit den Juden Schutz verspricht. Der Golem hat seine Pflicht erfüllt. Löw entfernt den segenspendenden Schem, damit die Z a u berkraft sich nicht gegen die Juden wende. Der auf Florian eifersüchtige Famulus belebt erneut die Lehmfigur, um seinen Rivalen bei Mirjam auszuschalten. Jetzt entzieht sich der Golem dem menschlichen Willen und bringt Verderben und Zerstörung über die Ghettostadt. N o c h einmal gelingt es Löw, die Stadt zu retten, während der Golem das Tor öffnet und in den Kreis spielender Kinder tritt. E i n kleines Mädchen entwindet ihm im Spiel den Schem. Seiner Kraft beraubt, fällt die Lehmfigur zu Boden. Über die Bauten „Es ist nicht Prag, was mein Freund, der Architekt Poelzig, aufgebaut hat. Sondern es ist eine Stadt-Dichtung, ein Traum, eine architektonische Paraphrase zu dem Thema Golem. Diese Gassen und Plätze sollen an nichts Wirkliches erinnern; sie sollen die Atmosphäre schaffen, in der der Golem atmet." Paul Wegener „Man mag das Geschick anmerken, womit er in dem Gewinkel von Straßen und Plätzen eine dreidimensionale Tiefenwirkung erreicht, wie sie im Film jener Zeit (1920) noch ungewöhnlich war - mit einer plastischen Freiheit, die über alles brav ins Konstruktive hinweggeht, leiht er den Fronten, Türen, Türmen, Fenstern, Erkern eine heftige Beredsamkeit, in einem Innenraum überdreht er sozusagen die Wölbung ins Unwirkliche der Stützungsmöglichkeit, legt geheimnisvolle Treppen und Gänge, so daß Licht und Schatten wie gespenstisches Ornament sind. Er hat damals, es ist die Zeit des stummen Films, das derb-sarkastische Wort gebraucht, daß wenigstens die Häuser 'mauscheln' sollen - eine erfinderische Fröhlichkeit geht durch die ganze düstere und dumpfe Welt." Theodor Heuss Deutschland 1920 Regie Buch Kamera Bauten Kostüme Stummfilm Paul Wegener Paul Wegener Henrik Galeen Karl Freund Hans Poelzig Rochus Gliese Rollen Der Golem Rabbi L o w Mirjam, seine Tochter Famulus Der Kaiser Graf Florian Das K i n d sowie Darsteller Paul Wegener Albert Steinrück Lyda Salmonova Ernst Deutsch Otto Gebühr Lothar Müthel L o n i Nest Hanns Sturm Dore Paetzold Greta Schröder M a x Kronert Produktion Projektions-AG Union, Berlin 29.10.1920, Berlin 35 mm, s / w 1922 m Uraufführung Format Zensurlänge Anmerkungen: Der Film wurde im Sommer 1920 im Ufa-Union-Atelier und auf dem Ufa-Freigelände in Berlin-Tempelhof gedreht. - Als Mitarbeiter des Architekten Hans Poelzig w i r d Kurt Richter genannt. Die Kinomusik der Uraufführung komponierte Hans Landsberger, Dirigent war Bruno Schulz. - Der Stoff von Paul Wegener war bereits 1914 von Henrik Galeen mit Paul Wegener in der Titelrolle verfilmt worden; parallel - aber unabhängig vom Film - schrieb Gustav Meyrink 1914 seinen Roman „Der Golem". Als 'Nebenprodukt' drehte Paul Wegener 1917 den F i l m Der Golem und die Tänzerin (mit sich und Lyda Salmonova). Verleihkopie Stiftung Deutsche Kinemathek Lyda Salmonova, Albert Steinrück Über den Film Paul Wegener fand als Dramaturg und als Regisseur des Golem den Ausgleich zwischen dem Mimischen und Bildhaften. Hans Poelzig hatte für ihn das Prager Ghetto architektonisch durchkomponiert und damit einen Hintergrund für die Schauspieler geschaffen, der sie produktiv machte. Wegener und Poelzig bewiesen, daß nur das streng gegliederte, rhythmisch konzentrierte B i l d , das alle Zufälligkeiten der Natur ausschaltet, für den Film eine Zukunft hat. Die Aufnahmen in wirklichen Städten, in wirklicher Landschaft mögen schön, mögen interessant, mögen zugkräftig sein. Das organische Gefühl, das auch den Schauspieler als notwendig in die Szenenarchitektur eingliedert, kann nur das für den bestimmten Film geschaffene, streng rhythmisierte B i l d ertragen. Es war entscheidend, daß der neue Golem dies nach dem Caligari, nach der Genuine bestätigte. (Wenn bei Poelzig manches noch störte und für Momente kitschig berührte, so schien es das Material der Szenenbauten zu sein, das die Filmstadt entblößte.) Die Bilder waren im Licht oft hervorragend, in der Perspektive oft faszinierend, in der Gruppierung oft hinreißend, trotz einiger verkleinernder Naturalismen. Wegener hat, wie man erst jetzt klar übersehen kann, für den deutschen Film mehr getan als irgend jemand, weil er an seinem Anfang stand und seine speziellen Bedeutungen als erster erkannte. V o n ihm stammt auch das ausgezeichnete Wort „Apparatgefühl". U n d aus dem „Apparatgefühl" war der Golem empfunden. Es ist deshalb fast tragisch, daß Wegener als Schauspieler zwar genau weiß, worauf es im Film ankommt, daß er es aber nur theoretisch, nicht leiblich erfüllt. A u c h sein Ausdruck kommt allein aus dem Gesicht, nicht aus dem Körper (obwohl jede Bewegung präzise einsetzt). Wegener ist genau, aber nicht intensiv. (...) Der Golem, wie er in die Welt kam ist der erste Film, der die Historie des Mittelalters überwindet und seine Atmosphäre gibt. Er hätte nur in den Kostümen der Hofherren noch gestufter sein müssen. Er hätte es, aus Dunkel und Licht, aus Farbe und Licht, aus Menschenleib und Zauberspuk geschaffen, auch nicht nötig gehabt, zum Schluß auf den Kitsch der spielenden K i n der zu verfallen. Aber er war im mimischen und architektonischen Willen zukunftsreich. Zukunftsreich auch, weil er zum erstenmal eine auf den Film selbst komponierte Musik brachte, die auf den Ton des Bildes und der Schauspieler einging. Herbert Jhering, Berliner Börsen-Courier, 31.10.1920, Morgenausgabe In diesem zweiten Golem wertet Wegener alle Lichteffekte aus, die von Reinhardt stammen. Sterne glitzern auf einem Samthimmel, vom Herd des Alchimisten lodert die Lohe, in einem Winkel wird Mirjams Gestalt von der kleinen Ölfunzel beleuchtet, ein Diener hält eine Laterne hoch, Fackeln flackern durch die Nacht, und in der Synagoge sind die Flammen des siebenarmigen heiligen Leuchters angezündet, ihr Licht huscht über die niedergesunkenen Beter. Weich verschwimmen alle diese Lichtwirkungen, ohne jene K o n traste und ohne den Schock, die der expressionistische Stil mit sich bringt. E i n Rembrandt-warmes Leuchten modelliert die rissigen Züge des alten Rabbiners, das Gitter eines Fensters zeichnet sich als Schatten auf ein Gewand. Die Beschwörungsszene mit ihren magischen Feuerkreisen, die stärker wirkt als die ähnliche Szene in Murnaus Faust, ist völlig auf Lichteffekte eingestellt. Das phosphoreszierende Antlitz des Dämonen mit den traurig leeren Augen fließt wie im Nichts daher, wird plötzlich an dem Rand der Leinwand zu einer gigantischen Asiatenmaske, zu einer packenden Drohung - die Macht der Vision ist hier bis zum Äußersten gesteigert. Paul Wegener hat sich stets dagegen gewehrt, seinen Golem als expressionistischen Film gelten zu lassen. Wenn der Golem uns heute als expressionistischer Film erscheint, so liegt dies in der Hauptsache an Hans Poelzigs Bauten. (...) Lotte H. Eisner: Die dämonische Leinwand. Wiesbaden 1955. Neuausgabe: belleville Verlag, München 2009 (...) Wegener hatte eine deutliche Stilvorstellung von seinem schweren, massigen Golem und die sehr klar durchgeführte Reduktion der Gebärde, die auf wenige starke Formen beschränkte Energie des Ausdrucks sieht fast schon wie Expressionismus aus. U n d Poelzig setzt diese geistige Einstellung in eine kühne und bewunderungswürdige Architektur um, die nur am Fluß der Linien, Kraft der Körperlichkeit und entfesselten Energie des Ausdrucks orientiert ist. Poelzigs Golemstadt hat vom Aspekt einer mittelalterlichen Siedlung nichts und von einem gotischen Traum alles: die Massenverteilung verwirklicht ein starkes architektonisches Bewußtsein von Kräftespaltung und Gebundenheit, die starken Linien der Mauern setzen sich in Türmen zu starken rhythmischen Harmonien fort, das Abschüssige der Flächen, die kühnen Kurven der Führungen, Fallen und Steigen der Linien realisieren eine rhythmisch gefühlte Architektur. (...) Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film. Berlin 1926 (...) Was indes läßt jene Häuser, deren gotische Vertikalen Kurtz richtig empfunden hat, sich so stark von den vorn überfallenden schiefen Kubenhäusern Caligaris unterscheiden? Es ist die wirkliche Form von steilen, engen Giebelhäusern, die durchdringt; auf einem spärlichen, durch Mauern eingezwängten Raum erhebt sich ein qualvoll gedrängtes Ghetto, in dem Haus neben Haus keinen Platz hat, sich auszubreiten, und in die Höhe steilen muß. Hier sind die expressionistisch empfundenen Bauten nicht zum abstrakten Dekor geworden. Die spitzen Judenhüte scheinen die Replik zu den spitzen Giebeln zu sein, alles wird fast Greco-haft zackig, zackig wirken die Spitzbärte, die im Winde wehen, zackig die flackernden Gesten, die in die Höhe gereckten Hände. Die fiebernde Unruhe dieser Ghetto-Menge, ihr H i n - und Herwogen in ewigem Schrecken hat nichts gemein mit dem geschickten Mechanismus, mit dem Lubitsch eine Menge vorund zurücktreibt. Hier ist auch nichts von dem wohlgeordneten Vordringen in geometrisch-architektonisch eingebundenen Gruppen zu finden, wie sie Fritz Lang zu lenken weiß. Wegener sucht im Grunde keine ornamentale Einordnung. Wenn einmal in einer Einstellung die von oben aufgenommene Masse sich dekorativ um die Thora-Lade einfügt, wenn sich zu beiden Seiten dieser Lade die Schofarhörner der Synagoge erheben, so ist dieser sich zum Ornament gestaltende Anblick, gerade weil er einmalig erscheint und organisch aus der A k t i o n selbst herauswächst, von besonderer Wirkung. Ähnlich ist es am Schluß des Films, wenn die vom Golem befreiten Bewohner sich als eine fast unabsehbare Menschenschlange aus der engen, langen Ghettostraße zum Tor vordrängen; auch hier wieder sind Bewegung und die gebundene Form der Masse aus der Handlung heraus entwickelt. Lotte H. Eisner a. a. O. Hinweise Das Zitat von Paul Wegener auf der vorderen Seite ist entnommen: Paul Wegener. Sein Leben und seine Rollen. E i n Buch von ihm und über ihn. Eingerichtet von K a i Möller. Hamburg 1954. Das Zitat von Theodor Heuss stammt aus dessen B u c h : Hans Poelzig. Berlin 1939. - Einen würdigenden A r t i k e l über Paul Wegener enthält: Lexikon des phantastischen Films. Bd. 2 v. Rolf Giesen. F r a n k f u r t / M . , Berlin, Wien 1984 (Ullstein B u c h 36508).
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