So_WIS_2 46 WISSEN Sonntag | Nr. 11 | 16. März 2008 Seite 46 Esst, so viel und was ihr wollt Ein Arzt kämpft gegen die «Übergewichtslüge» VON FELIX STRAUMANN «Ich bin ein typisch deutscher übergewichtiger Fettsack», sagt Gunter Frank und lacht. Mit seinen 1,78 Metern und 81 Kilogramm ist der 45-jährige Allgemeinmediziner nach gängigen Normen tatsächlich zu schwer. Wer ihn sieht, schätzt ihn jedoch kaum als übergewichtig ein. Im Internet präsentiert er sich als durchschnittlich gebauter Mann, der einen in seinem Alter häufig gesehenen kleinen Rettungsring um den Bauch trägt – geschickt kaschiert unter seinem dunklen, in die Hose gesteckten Poloshirt. An seiner Figur will Frank denn auch nichts ändern: «Übergewicht wird total überbewertet», schimpft er. Weil es uns immer besser gehe, würden wir zwar seit 200 Jahren im Durchschnitt immer grösser. Doch die Zahl der Übergewichtigen nehme nicht zu, auch nicht bei den Kindern. «Beispielsweise in Bayern gibt es unter den Kindern seit sechs Jahren sogar immer mehr Untergewichtige.» Das Einzige, was laut Frank zunimmt: «Die wirklich Fettleibigen werden immer dicker.» Bei seinen Aussagen stützt sich Gunter Frank nicht nur auf Erfahrungen aus seiner Praxis, in der er inzwischen mehrheitlich Menschen mit Übergewichts- und Verdauungsproblemen behandelt. Er hat sich auch die einschlägigen Studien angeschaut – mit einem kritischen Blick, den er bei seinem Mitstreiter, dem engagierten Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, gelernt hat. «DAS GRUNDPROBLEM ist, dass es kaum Studien gibt, die Körperbauveränderungen über die Jahre wirklich vergleichbar und sicher messen», so sein Urteil. Eine Ausnahme ist beispielsweise der deutsche Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). 17 000 Kinder im Alter von der Geburt bis Alter 17 wurden dazu 2003 bis 2006 in einem Studienzentrum standardisiert gemessen und gewogen. Resultat: 85 Prozent der deutschen Kinder sind normal- oder gar untergewichtig. 90 Prozent wären es in einer idealen Referenzbevölkerung. Extreme Aussagen wie die, dass jeder fünfte Schulanfänger übergewichtig sei, könnten nicht bestätigt werden, folgern die Studienautoren. Wasser auf die Mühlen von Frank: «Ich sehe sie nicht, die dicken Kinder.» Zu viel Speck auf den Rippen ist für den Arzt Frank ohnehin kein Drama: «Ungesund ist Übergewicht ausschliesslich bei den paar tausend wirklich krankhaft Fettleibigen.» Denen müsse medizinisch geholfen werden. Die restlichen Millionen von Menschen seien hingegen «gesund dick». Ihre Lebenserwartung ist tatsächlich nicht geringer als bei Normalgewichtigen, in gewissen Studien ist sie sogar höher. Das einzige medizinisch relevante Fettgewebe, dem Beachtung geschenkt werden müsse, sei das Bauchfett, so der Mediziner weiter. Doch das habe wenig mit Kalorien und viel mit Stress zu tun. «WIR HABEN DAS PROBLEM, dass wir das Essen dämonisieren», sagt Frank. «Wir glauben, dass es dick und krank macht, dabei gibt es dazu keine wissenschaftlichen Daten.» Übergewichtigen werde gesagt, dass sie abnehmen sollten, was vor allem Frust verursache und wenig helfe, denn der Hautfettanteil sei genetisch festgelegt. Da lässt sich wenig ändern: «Sie können es sich sogar absaugen lassen – das wächst wieder nach.» Wir fahren deshalb wohl besser, wenn wir uns mit unserem Hautfettanteil anfreunden. Franks Ratschlag: «Essen Sie, was Ihnen bekommt, auch wenn es angeblich ungesund ist.» Die Hauptschuldigen an der Übergewichtshysterie sind für Frank die Ernährungswissenschafter, die sich überall breitmachen würden: «Keine ihrer Behauptungen der letzten Jahre wurde je bestätigt.» Sie frönten einer Art Ernährungsreligion und könnten das Essen nicht mehr geniessen, glaubt der Arzt. Mit seinem Buch «Lizenz zum Essen» (Piper-Verlag 2008) will er einen Kontrapunkt zu den Warnungen von Ämtern, Medizinern und Gesundheitsaposteln setzen. Dass er da nicht nur Freunde hat, kümmert ihn wenig: «Viel Feind, viel Ehr.» BILD: MAURITIUS IMAGES/BAB.CH Ob dick oder dünn – alles sei angeboren und könne kaum beeinflusst werden. Gunter Frank hinterfragt in seinem Buch «Lizenz zum Essen» das Gerede von der Übergewichtsepidemie. Unser Gewicht hat weniger mit dem Essen zu tun, als wir glauben. «Gestresst war ich nur beim Spazieren» BILD: HO Claude Nicollier, bisher einziger Schweizer Astronaut, erlebte die Anspannung im Weltraum fast nur positiv VON MARTIN KOCHER Sie waren viermal mit dem Space Shuttle im Weltraum. Was war die grösste Herausforderung für Sie? Claude Nicollier: Das zu tun, was von uns erwartet wurde. Jede Mission hatte klare Ziele, die das Team erreichen wollte. So waren die Flüge zum Hubble-Teleskop ein voller Erfolg, Standen Sie stets unter Stress? Ja, die Anspannung war gross, aber der Stress war für mich nie negativ. Ich arbeite gerne unter Zeitdruck und habe mich nie schlecht gefühlt. Aber wirklich kritische Situationen gab es nicht. Ausser bei meinem Weltraumspaziergang, da lagen wir eine Stunde hinter dem Zeitplan. Das war etwas beunruhigend, weil ich nur beschränkte Energie und Sauerstoff hatte. Flügen ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass Probleme zwischen Besatzungsmitgliedern auftauchen. und war gut integriert. Für mich sind die kulturellen Unterschiede eine Bereicherung, kein Hindernis. Haben Sie gut geschlafen im All? Wie erlebten Sie die Rückkehr zur Erde? Ja, ausser vielleicht in der ersten Nacht, da war die Aufregung nach dem Start noch gross. Man wird rasch mental müde, weil man immer aufmerksam sein muss, um keine Fehler zu begehen. Vor allem merkte ich die Schwerkraft. Ich hatte das Gefühl, auf einen anderen Planeten zurückzukommen. Ich kam mir schwerer vor als zuvor. Sonst war ich ein bisschen traurig, denn ich habe den Weltraum immer sehr genossen. Nicht nur wegen der Sicht auf die Erde und der Schwerelosigkeit, sondern auch wegen unserer Arbeit. Aber natürlich war ich auch froh, meine Familie wieder zu sehen. Wie war die Schwerelosigkeit? Claude Nicollier (64) und viermal im All, würde sofort zum Mars fliegen. In den ersten Stunden störte mich das etwas, aber dann gewöhnte ich mich daran. Es war «de Plausch»! Was erzählen Ihre Kollegen, die sechs Monate auf der ISS lebten? Sie haben mit Menschen aus anderen Kulturen gearbeitet. Wie war das? Sie finden das zu lange, aber die Leute sind gute Soldaten und arbeiten effizient bis zum Schluss. Auf längeren Kein Problem. Ich bin mit Amerikanern, Italienern und einem Franzosen geflogen. Ich lebte lange in den USA Würden Sie zum Mars fliegen, auch wenn das drei Jahre dauert? In der Erdumlaufbahn wären drei Jahre inakzeptabel. Aber die Landung auf einem anderen Himmelskörper ist ein grossartiges Ziel. Und der Mars ist ein sehr interessanter Planet, auf dem es früher Wasser, vielleicht sogar Leben gab. Ja, ich würde liebend gerne zum Mars fliegen und zurück! Was halten Sie von Forschungsprojekten zu den Folgen längerer Raumflüge? Ich finde, das braucht es nicht unbedingt. Sie haben ja immer dieses fantastische Ziel vor Augen. Das Interesse an diesem Abenteuer ist so gross, dass es kaum zu psychischen Problemen kommen kann. Sicher braucht es aber Trainings zur Teambildung. ISS-Besatzungen gehen zum Beispiel gemeinsam in die Berge. Herr Nicollier, vermissen Sie den Weltraum? Ja. Es war einfach fantastisch, fast wie ein Traum. ? WER WEISS? Wachsen Haare eigentlich schneller, wenn man sie oft schneidet? > Fritz Geissberger, Solothurn Haare wachsen in Zyklen, ein Haarfollikel durchläuft dabei mehrere Phasen, die als Haarzyklus bezeichnet werden. Kopfhaare wachsen in einem Jahr zirka 15 Zentimeter. Das Haarwachstum ist bei Menschen oft verschieden, dieser Unterschied ist aber meist nur ein halber bis ein ganzer Millimeter. Die immer noch verbreitete Annahme, Haare – auch am Körper – würden durch regelmässiges Rasieren schneller oder vermehrt wachsen, ist somit falsch. > Hans Peter Hug, Dietlikon «Nein», petzt meine Lieblings-Haarartistin und meint: «Ein guter Schnitt bringts eh.» Und deswegen gehe ich alle paar Wochen hin; freiwillig und zufrieden. Nächsten Sonntag: «Warum versteckt der Osterhase die Eier?» Antworten Sie unter www.sonntagonline.ch oder schicken Sie ein E-Mail an: [email protected]. Die besten Antworten werden veröffentlicht. Ihre Frage können Sie ebenfalls per E-Mail senden.
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