Oxalatnephropathie – eine (erwartete) Komplikation malabsorptiver

D E R B E S O N D E R E FA L L
Oxalatnephropathie – eine (erwartete) Komplikation
malabsorptiver bariatrischer Chirurgie?
Georg Mefferta, Ann-Kathrin Schwarzkopfa, Bernhard Hessb
a
b
Salem Spital, Bern
Klinik Im Park, Zürich
Fallbeschreibung
Die Autoren haben
keine finanzielle
Unterstützung und
keine Interessenkonflikte im
Zusammenhang
mit diesem Beitrag
deklariert.
Ein 61-jähriger Geschäftsinhaber wird im Februar 2011
nach fünftägiger akuter Erkrankung mit Schüttelfrost,
Gliederschmerzen, Inappetenz und schliesslich Somnolenz notfallmässig hospitalisiert, nachdem ihn die Angehörigen nicht mehr ansprechbar mit Kussmaul-Atmung
im Bett vorgefunden haben. Auf der Notfallstation beträgt
der GCS 9, die wichtigsten Laborwerte sind Leukozytose
35,9 × 109/l, toxisches Blutbild, CRP 335 mg/l, Kreatinin
1293 µmol/l, Harnstoff 40,6 mmol/l. Nach Intubation
ohne Sedation und Relaxation wird der Patient intensivmedizinisch überwacht. Als Ursache des septischen Zustandsbilds findet sich eine ausgedehnte Fournier-Gangrän (nekrotisierende Fasciitis der Perianalregion) mit
lokaler bakterieller Mischinfektion und kreislaufinstabiler Klebsiellen-Sepsis. Im Verlauf muss mehrfach und
grosszügig chirurgisch debridiert werden. Die empirische Antibiotikatherapie mit Imipenem wird im Verlauf
resistenzgerecht auf Ceftriaxon gewechselt.
Aus der Vorgeschichte des Patienten war bekannt, dass
1999 bei morbider Adipositas (BMI 40 kg/m2) ein Magenband («Schwedenband») laparoskopisch eingelegt
worden war. Wegen Intoleranz des Magen-Bandings entschloss man sich im Juni 2003 zu einer distalen Magenbypass-Operation mit duodenalem Switch. Unmittelbar vor dieser Operation hatte das Serum-Kreatinin
92 µmol/l betragen. Der postoperative Verlauf war komplikationsreich mit einem Anastomosenleck, einer global
respiratorischen Insuffizienz, einer Critical-Illness-Polyneuropathie und einem Multiorganversagen, weswegen
passager eine chronisch veno-venöse Hämofiltration
(CVVH) notwendig gewesen war. Knapp drei Monate
nach diesen Komplikationen hatte sich die Nierenfunktion mit einem Kreatinin von 83 µmol/l vollständig normalisiert.
Als Folge der Magenbypass-Operation stellte sich die beabsichtigte Malabsorption mit regelmässig 3–4 dünnflüssigen Stühlen pro Tag ein, was eine Gewichtsreduktion
um 26 kg innert eines Jahrs zur Folge hatte. Sechs Monate nach dem Eingriff war das Serum-Kreatinin auf
200 µmol/l angestiegen, entsprechend einer mittelschweren chronischen Niereninsuffizienz mit geschätzter GFR
von 50 ml/min/1,73 m2 (CKD-EPI-Formel). Die Ätiologie
dieser neu aufgetretenen Niereninsuffizienz wurde nicht
weiter abgeklärt. In den folgenden Jahren blieb die Nierenfunktion auf diesem Niveau stabil. Der letzte Kreatininwert vor der aktuellen Hospitalisation hatte 188 µmol/l
betragen.
Das akute Nierenversagen (ANV) anlässlich der Hospitalisation 2011 war auf die vorbestehende chronische Nie-
reninsuffizienz aufgepfropft worden («Acute on chronic
renal failure») und in erster Linie prärenal bedingt, einerseits nach vorgängiger Einnahme von NSAR (Gliederschmerzen) und andererseits im Rahmen der Sepsis mit
Hypovolämie wegen schweren Capillary Leaks. Nach
initialer CVVH wurde ab Tag 13 auf intermittierende
Hämodialyse (HD) gewechselt, und 22 Tage nach Eintritt
konnte die HD erfolgreich beendet werden. Das Kreatinin betrug jetzt 250 µmol/l. Kurz vor der Verlegung
zur stationären Rehabilitation wurde erneut ein Kreatininanstieg auf 400 µmol/l registriert, und es zeigte sich
eine Proteinurie von ca. 500 mg/d (Prot/Krea-Quotient im
2. Morgenurin 50 mg/mmol). Das Urinsediment war unauffällig. Ätiologisch postulierte man zu diesem Zeitpunkt
am ehesten eine interstitielle Nephritis als Folge der eingesetzten Antibiotika Ceftriaxon und Ciprofloxacin, die
differentialdiagnostisch auch eine Kristallnephropathie
hätten auslösen können. Aggravierend waren in dieser
Phase wiederholt hypotone Blutdruck-Werte nach
vorsichtigem Wiederbeginn einer Therapie mit einem
AT-II-Antagonisten.
Nach viermonatiger Dialysepause wurde der Patient
klinisch erneut urämisch, und bei einem Kreatinin von
1127 µmol/l musste er jetzt definitiv chronisch dialysiert
werden. Zudem wurde zur ätiologischen Klärung der
Niereninsuffizienz eine sonographisch gesteuerte Nierenbiopsie durchgeführt. Diese zeigte eine hochgradige
tubuläre Atrophie (>90%), eine hochgradige interstitielle
Fibrose (>90%) sowie eine mittelgradige chronische, z.T.
eosinophile tubulo-interstitielle Entzündung. Als Hauptbefund imponierten zahlreiche Calciumoxalat-Kristalle
interstitiell und intratubulär, teilweise mit fremdkörperriesenzelliger Reaktion (Abb. 1 ).
Kommentar
Die Adipositas (Body Mass Index >30 kg/m2) hat pandemische Ausmasse angenommen und soll weltweit mehr
als 300 Millionen Menschen betreffen [1]. Da Ernährungsmassnahmen kaum je signifikante Gewichtsreduktionen erzielen, unterziehen sich mehr und mehr
dieser Patienten einem bariatrischen Eingriff. Bei den
malabsorptiven Techniken wie dem Magenbypass werden variable Anteile des Dünndarms, wo die Absorption
von Nahrungsbestandteilen stattfindet, ausgeschaltet [1].
Ein solcher Eingriff resultiert in einem nachhaltigen
Gewichtsverlust und hat signifikant positive Effekte auf
Insulinresistenz, Schlaf-Apnoe, arterielle Hypertonie
und kardiovaskuläre Risikofaktoren [2]. Eine mögliche
Konsequenz der erzielten Malabsorption ist aber auch
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B
Abbildung 1
Lichtmikroskopie der Nierenbiopsie (HE-Färbung).
A) Ausgedehnte tubuläre Atrophie (*). B) Intratubuläre Kalziumoxalat-Kristalle (Pfeile)
mit typischer lichtmikroskopischer Doppelbrechung (eingesetztes Bild) und perifokalen
mehrkernigen Riesenzellen (*).
ein funktionelles Kurzdarmsyndrom, das Osteoporose/
Osteomalazie [3, 4], Kalziumoxalat-Nephrolithiasis [5]
und Oxalatnephropathie [6] nach sich ziehen kann.
Die Oxalatnephropathie ist Folge einer simultan auftretenden Hyperoxalurie und Hypozitraturie, zweier der
entscheidenden Risikofaktoren für eine gesteigerte
Kalziumoxalat-Kristallisation in den Nieren und ableitenden Harnwegen [5]. Die Malabsorption nach Magenbypass induziert eine enterische Hyperoxalurie, höchstwahrscheinlich weil malabsorbierte Fette vermehrt
Nahrungskalzium binden, das dann nicht mehr zur intestinalen Ausfällung von Nahrungsoxalat zur Verfügung steht [5, 6]. Somit steht stark vermehrt freies
Oxalat zur Absorption zur Verfügung, was zu einer erheblich gesteigerten Ausscheidung von Oxalat durch
die Nieren führt. In einer prospektiven Studie mit
58 Patienten nach malabsorptivem bariatrischem Eingriff hatten drei Viertel aller Patienten eine Hyperoxalurie >500 µmol/24 h (Norm <450 µmol/24 h) und ein
Viertel eine schwere Hyperoxalurie >1100 µmol/24 h
[7]. Die Hyperoxalurie ist aus physikalisch-chemischen
Gründen für die Kalziumoxalat-Kristallisation bedeutend gefährlicher als eine Hyperkalziurie [8].
Zusätzlich begünstigen die kontinuierlich flüssigen
Stühle nach malabsorptiven bariatrischen Eingriffen
einen chronischen Bikarbonatverlust [5]. Dieser induziert via intrazelluläre Azidose der proximalen Tubuluszellen eine gesteigerte Rückresorption von glomerulär
filtriertem Zitrat und damit eine massiv verminderte
Urinausscheidung von Zitrat, dem physiologisch wichtigsten Hemmer der Kalziumoxalat-Kristallisation [9].
Es ist nicht restlos geklärt, warum enterische Hyperoxalurie und schwere Hypozitraturie bei gewissen
Patienten eine Kalziumoxalat-Nephrolithiasis ohne Konsequenzen für die Nierenfunktion hervorrufen, während
andere Patienten, wie in unserem Fall, eine Oxalatnephropathie erleiden. Tierexperimentelle Studien legen
nahe, dass eine vermehrte interstitielle Kristallisation
von Kalziumoxalat und damit eine Oxalatnephropathie
umso eher auftreten, je stärker ausgeprägt die Hyperoxalurie ist [10]. Prospektiv sollte bei Adipösen im Anschluss an grössere malabsorptive Eingriffe mit persistierender Kurzdarmsyndrom-Symptomatik (Durchfälle)
nach Hyperoxalurie und Hypozitraturie gesucht werden. Eine stark erhöhte Kalziumzufuhr mit den Mahlzeiten kombiniert mit einer chronischen Alkalitherapie
kann den Urinchemismus normalisieren und damit das
Potential zur Steinbildung reduzieren [5].
Konklusion
Dieser Patient wurde wegen einer Oxalatnephropathie
terminal niereninsuffizient und ist seither chronisch
hämodialysebedürftig. Ursache war eine enterische
Hyperoxalurie nach bariatrischer distaler MagenbypassOperation mit duodenalem Switch. Begünstigend war
ein prärenales Nierenversagen wegen einer septischen
Fournier-Gangrän.
Verdankung
Wir bedanken uns bei PD Dr. med. Meike Körner, Pathologie Länggasse,
Bern (koerner[at]patholaenggasse.ch), für die Befundung der Nierenhistologie und die freundliche Bereitstellung der mikroskopischen Aufnahmen.
Korrespondenz:
PD Dr. med. Bernhard Hess
Innere Medizin und Nephrologie/Hypertonie
Klinik Im Park
Bellariastrasse 38
CH-8038 Zürich
bernhard.hess[at]hirslanden.ch
Literatur
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2007;356:2176–83.
2 Sinha MK, Collazo-Clavell ML, Rule A, Milliner DS, Nelson W, Sarr MG,
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3 DePrisco C, Levine SN. Metabolic bone disease after gastric bypass
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4 Colazzo-Clavell ML, Jiminez A, Hodgson SF, Sarr MG. Osteomalacia
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5 Hess B. Metabolic Syndrome, Obesity and Kidney Stones. Arab J Urol.
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6 Nasr SH, D’Agati VDF, Said SM, Stokes MB, Largoza MV, Radhakrishnan J, Markowitz GS. Oxalate Nephropathy Complicating Roux-en-Y
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Prevalence of hyperoxaluria after bariatric surgery. J Urol. 2009;
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8 Hess B. Nephrolithiasis. Schweiz Med Forum. 2001;1:1119–27.
9 Hess B. Acid-base metabolism: implications for kidney stone formation. Urol Res. 2006;34:134–8.
10 Khan SR. Nephrocalcinosis in animal models with and without stones.
Urol Res. 2010;38:429–38.
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