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Billiges Öl
Paten oder Taten
Wie wirkt sich der fallende Preis
auf die Weltwirtschaft aus? Seite 9
Der Kampf um Spenden wird mit
modernem Marketing geführt. Seite 10
Traum vom
Anders-Leben
Priester und
Sozialist,
Dichter und
Kämpfer:
Ernesto
Cardenal
wird 90.
Seite 15
Fotos: 123rf/Nelson Marques (l.), imago/SKATA (r.)
Dienstag, 20. Januar 2015
70. Jahrgang/Nr. 16
Berlinausgabe 1,70 €
www.neues-deutschland.de
*
STANDPUNKT
Notstand
René Heilig hat Fragen zum
Demonstrationsverbot in Dresden
Man muss Pegida-Aufmärsche
wahrlich nicht mögen, um dennoch den Grundgesetzartikel 8
entschieden zu verteidigen: »Alle
Deutschen haben das Recht, sich
ohne Anmeldung oder Erlaubnis
friedlich und ohne Waffen zu versammeln.« Genau das aber hat
Dresdens Polizeipräsident mit
Verweis auf das Versammlungsgesetz untersagt. Er darf und muss
es tun, wenn die öffentliche Sicherheit »unmittelbar gefährdet
ist«. Doch diesen zu erbringenden
Nachweis sind die Behörden selbst
den zuständigen Abgeordneten
des Sächsischen Landtages schuldig geblieben.
Wer glaubt, sich hinter nicht
näher qualifizierten »Hinweisen«
des Bundeskriminalamtes verstecken zu können, schiebt das
Rechtfertigungsproblem nur eine
Ebene höher. Jetzt ist die Bundesregierung dran! Bundesinnenminister Thomas de Maizière muss
umgehend erklären, warum elementare Grundrechte außer Kraft
gesetzt wurden, warum Polizei
und Geheimdienste weder Demonstranten noch Demokratie
schützen können. Dann kann er
auch gleich erklären, warum man
grundlos alle öffentlichen Meinungsbekundungen in Dresden
verboten hat, obwohl sich die Bedrohungen doch – wie behauptet
– auf »eine Person im Rahmen eines Versammlungsgeschehens«
beziehen. Es fragt sich, warum
man die angeblich gefährdete
Person nicht schon bei der PegidaPressekonferenz am Morgen hinter schusssicheres Glas setzte.
Was uns hier als »polizeilicher
Notstand« in der Provinz verkauft
werden soll, könnte sich leicht zu
einem allgemeinen Notstand
deutscher Demokratie entwickeln.
UNTEN LINKS
Die täglich über uns hereinbrechenden schlechten Nachrichten
machen fast vergessen, dass die
fünfte Jahreszeit längst begonnen hat. Gut, dass Bayerns Ministerpräsident uns wieder den
Frohsinn ins Gedächtnis rief. Der
bekam am Sonntag den Fastnachtsorden »Wider die Neidhammel«. Horst Seehofer zeigte
sich sehr aufgeräumt, nannte den
Neid die größte Auszeichnung,
die einem zuteil werden könne –
und verbindet offenbar mit diesem speziellen Preis auch eine
spezielle Person: seinen Finanzminister. Markus Söder, über den
der Geehrte jede Menge Spott
ausschüttete, scharrt schon lange
mit den Füßen, um Seehofer zu
beerben. Und jüngste Umfragen
sehen den 48-Jährigen im Rennen der Kronprinzen und -prinzessinnen vorn. Aber weil Seehofer dessen Neid noch eine Weile
genießen will, macht er bis 2018
weiter. Die Zeit bis dahin kann
Söder seine Eitelkeiten pflegen.
Heute ist er in der Seifenoper
»Dahoam ist dahoam« im Heimatfernsehen BR zu sehen. oer
ISSN 0323-4940
Pegida-Führung
leitet Aufmärsche
nach Leipzig um
Wer kämpft, der wächst
Erfolgreiche Tarifabschlüsse bringen Gewerkschaften mehr Mitglieder
Pressekonferenz nach Demo-Verbot
in Dresden: Dialogbereitschaft erklärt
Foto: dpa/Peter Steffen
Berlin. Während die letzten Abschlüsse der
Tarifrunde 2014 noch nicht lange zurückliegen und das vergangene Jahr bilanziert wird,
machen in Thüringen die Metallarbeiter schon
wieder Druck mit Arbeitsniederlegungen. In
Baden-Württemberg und Bayern wird schon
seit letzter Woche für die Beschäftigten der
Metall- und Elektroindustrie verhandelt; in
Berlin beginnen die Gespräche am heutigen
Dienstag, in Thüringen am Mittwoch.
Die IG Metall fordert 5,5 Prozent mehr Lohn
und Gehalt im Monat und dazu die Ausweitung der Altersteilzeit sowie die Einführung
einer arbeitgebergeförderten Bildungsteilzeit,
was die Unternehmer aber kategorisch ablehnen. In der Branche arbeiten insgesamt 3,7
Millionen Menschen.
Während die Beschäftigten in Thüringen
den Warnstreikaufrufen folgten, trat in der IGMetall-Zentrale in Frankfurt am Main die Gewerkschaftsspitze vor die Presse, bilanzierte
das Jahr 2014 und bot einen Ausblick auf
2015. Ein Ergebnis: Die IG Metall wächst weiter, in der Streikkasse sind vermutlich Milliarden.
Auch die anderen DGB-Gewerkschaften
und deren Konkurrenzorganisationen im
deutschen beamtenbund (dbb) stellten dieser Tage die Mitgliederzahlen vor. Große
Überraschungen gab es dabei nicht, die Lage
ist außer kleineren Zugewinnen oder Verlusten stabil. Auffallend ist: Konnte sich eine
Gewerkschaft in einer harten Tarifrunde profilieren, stieg die Mitgliederzahl eher an.
Dagegen fand beispielsweise die Einführung des Mindestlohnes, der auch auf den
jahrelangen Druck der Gewerkschaften überhaupt erst auf die Agenda kam, keinen Niederschlag in gewachsenen Mitgliederzahlen.
Die Beschäftigten schienen oft zu glauben,
derlei Entwicklungen passierten von alleine,
sagte ver.di-Sprecher Christoph Schmitz gegenüber »nd«. Darum will die Dienstleistungsgewerkschaft auch in diesem Jahr mit
Kampagnen und Aktionswochen um Mitglieder werben.
Ein weiterer Arbeitskampf steht unterdessen der Lufthansa ins Haus. Die Unabhängige
Flugbegleiterorganisation UFO und der Konzern erklärten am Montag das Scheitern der
Tarifverhandlungen. jme
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Kiewer Strafaktion mit Toten und Verletzten
Offensive und Mobilmachung der ukrainischen Armee / OSZE: Keine Lösung auf dem Schlachtfeld
Die Kämpfe um den Donezker
Flughafen schienen am Montag
abzuflauen. Doch mit einer Offensive Kiews flammt der Krieg
im Donbass wieder auf.
Von Klaus Joachim Herrmann
Mit seiner Unterschrift unter das
Gesetz über eine Teilmobilmachung leitete der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am
Montag eine weitere Militarisierung des Landes ein. Ab diesem
Dienstag sollen zusätzliche 50 000
Ukrainer bei einer Teilmobilmachung unter Waffen kommen.
Insgesamt werden in der ersten
Hälfte des Jahres 2015 zusätzlich
100 000 Ukrainer zur Armee einberufen.
Bei heftigen Kämpfen in der
Ostukraine wurden innerhalb von
24 Stunden vermutlich mindestens 23 Menschen getötet und
mehr als 150 verletzt. Unter den
Opfern seien auch Kinder, hieß es.
In ein Krankenhaus im Zentrum
von Donezk schlug eine Rakete
ein. Nach Angaben der örtlichen
Behörden wurden fünf Patienten
und ein Mediziner verletzt.
Nach heftigen Gefechten zwischen prorussischen Separatisten
und ukrainischen Regierungstruppen am Wochenende flauten
die Kämpfe um den Donezker
Flughafen ab. Die Armee hatte
hier trotz der Anfang Dezember
vereinbarten Waffenruhe eine
massive Gegenoffensive mit Artillerie und Panzern begonnen.
Der Befehl an die Armee zu Angriffen auf die Stellungen der Separatisten sei erfolgt, nachdem
diese keine Bereitschaft gezeigt
hätten, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen, erklärte Sonntagabend Militärsprecher Andrej
Lyssenko laut der offiziösen ukrainischen Agentur UNIAN. Juri
Birjukow, Präsidentenberater und
Mitarbeiter des Verteidigungsministers, erklärte forsch, dass jetzt
die Aufständischen bestraft würden.
Zuvor hatte Poroschenko einen
Friedensvorschlag des russischen
Präsidenten abgelehnt. Laut TASS
hatte Wladimir Putin den Konfliktparteien »dringende Schritte«
»Warum sollte man
sich treffen, wenn
es keine Ergebnisse
geben wird.«
Pawlo Klimkin,
Ukrainischer Außenminister
zur Feuereinstellung vorgeschlagen. Im Gegenzug forderte Kiew,
Moskau solle die von der OSZE in
Minsk vermittelte Friedenslösung
für die Ostukraine unterzeichnen
und Verantwortung zeigen.
Die Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) forderte die Konfliktparteien zu einem sofortigen Ende der
Kämpfe auf. »Dieser Kreislauf töd-
licher Gewalt und die Eskalation
der Feindseligkeiten dürfen nicht
weitergehen«, sagte der serbische
Außenminister Ivica Dacic. Serbien hat derzeit den Vorsitz der
OSZE.
Die jüngsten Kämpfe in der
Ostukraine nannte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini »keine gute Nachricht«.
Wie sie mitteilte, werde ein Beschluss der Gemeinschaft über die
Russland-Sanktionen
vorerst
nicht fallen. Das werde im März
Thema eines EU-Gipfels sein. Die
bislang verhängten Sanktionen
laufen automatisch nach einem
Jahr aus.
Bundesaußenminister FrankWalter Steinmeier (SPD) forderte
eine schnelle Entscheidung über
einen Ukraine-Gipfel. Sein ukrainischer Kollege Pawlo Klimkin
stellte ein für Mittwoch geplantes
Außenministertreffen in Frage:
»Warum soll man sich treffen,
wenn es keine Ergebnisse geben
wird?« Mit Agenturen
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Berlin. Nach der Demonstrationsabsage für
den gestrigen Montagabend hat der Dresdner Pegida-Verein seine politischen Forderungen bekräftigt, zugleich jedoch Dialogbereitschaft signalisiert. Nach angeblichen
Terrordrohungen hatte die Polizei für den
Montag alle Demonstrationen in der Elbestadt verboten.
Die Aussetzung des Aufzugs bedeute nicht,
dass sich die Bewegung »mundtot« machen
lasse, sagte Mitorganisatorin Kathrin Oertel
am Montag auf der ersten Pressekonferenz
der sogenannten islamkritischen Bewegung.
Die sächsische Landeszentrale für politische
Bildung hatte den Raum für den Medienauftritt zur Verfügung gestellt. Direktor Frank
Richter rechtfertigte das mit dem Bildungsauftrag seiner Behörde. Bei dem Medienauftritt rief Pegida-Anführer Lutz Bachmann
dazu auf, am Mittwoch zu einer Demonstration von »Leipzig gegen die Islamisierung des
Abendlandes« zu kommen. »Legida ist ein offizieller Ableger von uns.«
Das Demonstrationsverbot für Dresden
wurde von Politikern aus Regierung und Opposition kritisch aufgenommen. Kanzlerin
Angela Merkel erklärte, sie habe ein Interesse
daran, dass an jedem Ort in Deutschland demonstriert werden könne, »weil es sich um ein
Grundrecht handelt«. Regierungssprecher
Steffen Seibert betonte, die Verbotsentscheidung sei von der Landesregierung in eigener
Zuständigkeit getroffen worden. Die anderen
Länder-Innenminister sehen derzeit keine
weitere konkrete Anschlagsgefahr für Demonstrationen. Man habe »überhaupt keine
weitergehenden Hinweise bekommen«, sagte
der Chef der Innenministerkonferenz, Roger
Lewentz (SPD). nd/dpa
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Schwere Gefechte
in jemenitischer
Hauptstadt
Huthi-Rebellen und Armee einigten
sich in Sanaa auf Feuerpause
Sanaa. Nach schweren Gefechten in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa sollen sich
schiitische Huthi-Rebellen und die Armee auf
eine Feuerpause geeinigt haben. Eine entsprechende Waffenruhe sei am Nachmittag
in Kraft getreten, teilte Jemens Informationsministerin Nadia Sakkaf im Kurzmitteilungsdienst Twitter mit. Seit den frühen Morgenstunden war es zu Zusammenstößen zwischen der Armee und den Huthis gekommen, nachdem sich die Rebellen dem Präsidentenpalast genähert hatten. Im Verlauf des
Tages hatten die Huthis unter anderem auch
auf den Konvoi des Regierungschefs Chaled
Bahah gefeuert und das Gebäude des Staatsfernsehens eingenommen. Der Ministerpräsident sei nicht verletzt worden, hieß es.
Bei den Kämpfen wurden mindestens zwei
Menschen getötet. Zwei Leichen und 14 Verletzte seien ins Krankenhaus gebracht worden, verlautete aus Klinikkreisen.
Die Lage in Sanaa ist angespannt, seitdem
die schiitische Rebellengruppe am Samstag
den Stabschef des Präsidenten, Ahmed Awad
bin Mubarak, verschleppte. Die Schiiten-Miliz will damit Änderungen an der künftigen
Verfassung erzwingen, deren Ausarbeitung
Mubarak leitet. Sie werfen der Regierung vor,
eine im September getroffene Abmachung zu
verletzen. Diese sieht im Gegenzug für den
Abzug der Rebellen aus staatlichen Institutionen die Bildung einer neuen Regierung unter Einschluss von Huthi-Mitgliedern vor.
Was zur Eskalation der Gewalt am Montag führte, blieb zunächst unklar. Seit die Rebellen im September weite Teile der Hauptstadt eingenommen hatten, war es relativ ruhig geblieben. Agenturen/nd