Die OSZE – was kann der deutsche Vorsitz leisten?

Nr. 109 | November 2015
Das außenpolit ische J o ur n al
Inseln im Sturm
Maritime Konflikte in Asien
Wessen Meer, wessen Inseln?
China versus Japan
Disput im Ostmeer
Sicherheit in Südostasien
WeltBlick
Herausforderung Völkerflucht
Obamas Umweltschwenk
WeltSichten
Politischer Islam heute
Historie
2+4 nach 25 Jahren
ISSN 0944-8101 | 4,80 €
Inhalt
4
WeltBlick
4
In den Krisen unserer Zeit
Denkschrift der Carl Friedrich v. Weizsäcker Stiftung
6
Völkerflucht nach Europa
Lutz Kleinwächter
12
16
Obamas Umweltoffensive
Roland Benedikter und Andrea Unterweger
Briefe aus …
Tunis
17
Abgelichtet: #Grenzgänger-Tagebuch
Hannah Pool und Felix Volkmar
24
Zwischenruf: Cyberwar – Hype & Reality
Wolfgang Schwarz
26
Maritime Konflikte in Asien
28
Streit um Inseln – Gefahr für den Frieden
Ralf Havertz
32
Der Konflikt um die Senkaku-/Diaoyu-Inseln
Heike Hermanns
37
Der Disput um Dokdo – Eine koreanische Sicht
Sook-Young Ahn
42
Rivalitäten im Südchinesischen Meer
Nathan Gilbert Quimpo
47
Die Sicherheitslandschaft in Südostasien – Eine chinesische Sicht
Daojiong Zha
52
Statistik: Ost- / Südostasien in Zahlen
Kai Kleinwächter
WeltTrends • Das außenpolitische Journal • 100 • Januar/Februar 2015 • 23. Jahrgang • S. 2–3
WeltSichten: Religion und Politik trennen!
54
Interview mit Iqbal Gharbi, Tunis
Historie: Potsdam und Zwei-plus-Vier
60
Gregor Schirmer
Briefe an die Redaktion
64
Buch des Monats
66
Jonas Seufert
Impressum
69
Kommentar: Der deutsche OSZE-Vorsitz
70
Rolf Mützenich
Wort und Strich
72
Kommentar
Die OSZE – was kann der deutsche Vorsitz leisten?
Rolf Mützenich
N
ach dem Ende des Ost-West-Konfliktes waren die Erwartungen
an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) scheinbar grenzenlos. Die damals noch als KSZE bekannte
Organisation galt vielen als Kern eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, in dem die Bündnisse des Kalten Krieges aufgehen sollten. Es kam
anders. Von Michail Gorbatschows „gemeinsamem Haus Europa“ steht
bis heute allenfalls der (erweiterte) Westflügel. Die meisten mittel- und
osteuropäischen Staaten sehen ihre militärische und ökonomische Sicherheit nicht in der OSZE, sondern in der NATO und der EU gewahrt.
Entgegen einer weitverbreiteten Legende war es auch nicht nur „der
Westen“, der wenig Interesse an der Organisation hatte, sondern auch
Russland gab vor allem schwammige Absichtserklärungen ab. So scheiterte die russische Initiative von 2008 zu einem „Europäischen Sicherheitsvertrag“ nicht nur an der kritischen Haltung des Westens, sondern
auch an mangelnder Substanz. Den USA und anderen skeptischen Staaten kam es dabei durchaus zupass, dass Russland inhaltlich nicht nachlieferte. Die Initiative versandete im sogenannten Korfu-Prozess.
Der Hauptgrund, weshalb die OSZE ihre „Vision einer freien, demokratischen, gemeinsamen und unteilbaren euroatlantischen und eurasischen
Sicherheitsgemeinschaft“ bis heute nicht verwirklichen konnte, besteht
schlicht in der Tatsache, dass ein Teil der 57 Mitgliedstaaten weder „frei“
noch „demokratisch“ ist. Deshalb sollte man den Nutzen der OSZE
jedoch nicht gering schätzen: Minderheitenschutz, Wahlbeobachtung,
OSZE-Missionen, Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle sind wichtige, in der Öffentlichkeit zumeist unterschätzte oder gar totgeschwiegene
Erfolge, die heute notwendiger sind denn je. Infolge der Ukrainekrise
hat die OSZE an Bedeutung gewonnen. Ausgerechnet Wladimir Putin
hat durch sein völkerrechtswidriges Vorgehen die Organisation „wach
geküsst“ und zum wichtigsten multilateralen Akteur im Konflikt auf der
Krim und in der Ostukraine werden lassen.
Es ist zweifelsohne ein gutes Signal, dass Deutschland 2016 den OSZEVorsitz übernehmen wird. Wie wichtig Berlin dieses Amt nimmt, zeigt die
WeltTrends • Das außenpolitische Journal • 108 • Oktober 2015 • 23. Jahrgang • S. 70–71
Kommentar
Tatsache, dass es seine Bereitschaft für den Vorsitz an echte Reformschritte
geknüpft hat. Vorrangiges Ziel ist es, die Erosion der bestehenden Rüstungskontrollverträge zu stoppen. So befindet sich der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) seit 2007 in einer schweren Krise.
Auch die anderen „klassischen“ Instrumente der konventionellen Rüstungskontrolle wie die Inspektionen nach dem Wiener Dokument von 2011 und
die Überflüge gemäß dem Vertrag über den Offenen Himmel bedürfen der
Anpassung. Sie haben zwar in der Ukrainekrise ihren sicherheitspolitischen
Wert bewiesen, sind aber auch an ihre Grenzen gestoßen. Vertrauen und
Transparenz lassen sich eben nur schwer durchsetzen, wenn an beidem kein
Interesse besteht. Auch wenn „miteinander reden“ per se noch keine diplomatische Spitzenleistung und auch kein Wert an sich ist, darf der Dialog
zu diesen Themen gerade in der OSZE nicht abreißen, wenn schon andere
Organisationen wie der NATO-Russland-Rat diesen nicht führen.
Der deutsche OSZE-Vorsitz ist mit großen, vielleicht zu großen, Erwartungen verknüpft – umso mehr sind wir auf Partner und Zusammenarbeit angewiesen. Denn eine Institution ist immer nur so stark, wie
ihre Mitglieder es zulassen. Es reicht deshalb nicht aus, in Sonntagsreden die Bedeutung und Unverzichtbarkeit der OSZE zu beschwören. Sie
und ihre Institutionen müssen vielmehr finanziell und personell dazu in
die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben nachkommen zu können. Wir
sollten an der Vision einer Friedensordnung in Europa, die auf Dialog,
Vertrauen und Sicherheit beruht, festhalten. Dazu brauchen wir Moskau. Wahr ist aber auch, dass Russland ein grundlegendes Prinzip der
europäischen Ordnung – nämlich die Unverletzlichkeit der Grenzen –
gebrochen hat. Das kann kein Verhalten sein, wie Staaten einer „Sicherheitsgemeinschaft“ miteinander umgehen. Mit anderen Worten: Es geht
weniger um neue Regeln für die OSZE als vielmehr darum, die bestehenden einzuhalten. Denn nur in ihren Deklarationen ist die OSZE eine
Sicherheitsgemeinschaft, in der Realität ist sie davon weit entfernt.
Dr. Rolf Mützenich
geb. 1959, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestags­
fraktion für Außen-, Verteidigungs- und Menschenrechtspolitik
[email protected]
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