SWR2 Tagesgespräch

SÜDWESTRUNDFUNK
Anstalt des öffentlichen Rechts
Radio  Fernsehen  Internet
PRESSE Information
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Chefredaktion Nachrichten und Distribution
Zentrale Information
SWR Tagesgespräch
Postadresse 76522 Baden-Baden
Hausadresse Hans-Bredow-Straße
76530 Baden-Baden
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im
Telefon
Europaparlament, gab heute, 10.03.17, dem Südwestrundfunk Telefax
ein Interview zum Thema "Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten"
Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marion Theis.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Datum:
07221/929-23981
07221/929-22050
www.swr2.de
10.03.2017
EVP-Fraktionschef Weber: Ohne EU-Blockierer vorangehen
Baden-Baden: Der Fraktionsvorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament,
Manfred Weber, CSU, hat die polnische Regierung heftig kritisiert. „Ich möchte nicht mehr
akzeptieren, dass ein einzelner Staat die gesamte EU in Zwang nehmen kann“, sagte Weber im
SWR (Südwestrundfunk). Polen hatte gestern versucht, die Wiederwahl von EU-Ratspräsident
Tusk zu verhindern.
Wenn andere in Europa vorangehen wollten, sollten sie das ohne die Blockierer tun, forderte
Weber. Deswegen werde das „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ einer der Wege
sein, die man gehen könne.
Für ihn gebe es keine Alternative zur EU. Denn die Europäer könnten in einer globalisierten
Welt vieles nur gemeinsam erreichen – zum Beispiel bei Strafzöllen gegen China oder bei
Steuerforderungen gegen Apple. Europa erzwinge das Miteinander, nicht das Gegeneinander,
sagte der CSU-Politiker.
Weber nannte die EU-Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik ein „Megathema“.
Insbesondere in den Bereichen Drohnentechnologie und Cyberwar müssten die europäischen
Kräfte gebündelt werden.
Der EU-Abgeordnete räumte ein, dass Europa unter Druck sei und vieles, was in den letzten
Jahrzehnten aufgebaut wurde, kaputt gehen könne. Deswegen müssten die Politiker mehr über
die Erfolge der EU reden, nur dann könnten sie die Menschen überzeugen.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Theis: Angriffe von allen Seiten. Was gefährdet die EU mehr: Millionen muslimische
Migranten oder Politiker wie der Pole Kaczynski und der Ungar Orban?
Weber: Gute Frage. Wir sind von vielen Seiten unter Druck. Wir spüren das. Zum einen die
Themen, die Herausforderungen Migration, Arbeitslosigkeit. Dann haben wir die externen
Veränderungen: Trump, Putin, Erdogan. Und dann haben wir den Populismus im Inneren.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Europa ist wahrlich unter Druck und wir sind in historischen Zeiten. Es kann vieles von dem,
was in den letzten Jahrzehnten aufgebaut worden ist in Europa, kaputtgehen.
Theis: Fremden-, Islamfeindlichkeit, Nationalismus breiten sich in Ungarn und Polen aus.
Ähnliches Gedankengut vertreten der Front National in Frankreich und die AfD in Deutschland,
und die wollen die EU gleich mit abschaffen. Wie könnte da denn eine wirksame
Gegenbewegung aussehen?
Weber: Indem wir wieder überzeugen. Europa ist nicht vom Himmel gefallen. Europa wurde von
Politikern und von vielen Menschen im Alltag aufgebaut. Und wir sollten uns auch an die Erfolge
Europas erinnern dürfen. Wir haben beispielsweise heute ein Wirtschaftswachstum, das
genauso groß ist wie das der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sind raus aus der
Wirtschaftskrise. In den letzten drei Jahren wurden in Europa 4,5 Millionen neue Arbeitsplätze
geschaffen. Und wir müssen über Erfolge reden, nur dann kann man die Menschen von Europa
überzeugen. Übrigens - auch bei der Flüchtlingsfrage gelingt es uns heute viel besser, die
Grenzen zu sichern.
Theis: Aber Polen, Ungarn oder auch Franzosen, die wollen nicht über europäische
Erfolge reden. Wie wollen Sie dann die Menschen überzeugen?
Weber: Wir werden genau über die neuen Schritte, die neuen Aufgaben Europas,
beispielsweise in der Verteidigung, wo wir wissen, dass wir mehr tun müssen als Europäer, da
werden wir verschiedene Geschwindigkeiten erleben in der Europäischen Union. Ganz konkret
erleben wir das ja jetzt aktuell in Brüssel beim Gipfel, wo Polen blockiert. Und ich möchte nicht
mehr akzeptieren, dass ein einzelner Staat die gesamte EU in Zwang nehmen kann und
stoppen kann. Wenn andere vorangehen wollen, wenn andere mehr zusammen arbeiten
wollen, dann sollen sie das tun. Deswegen wird das Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten einer der Wege sein, den wir gehen können.
Theis: Sie sagen, wir brauchen ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Dann
müsste es ein paar Länder geben, die sich enger zusammenschließen, die aber dann
auch Kompetenzen abgeben würden. Glauben Sie, das ist in irgendeinem Land
vermittelbar?
Weber: Die Frage ist nicht, ob es vermittelbar ist, wenn ich das etwas provozierend sagen darf,
sondern die Frage ist, ob es notwendig ist. Wir leben in einer globalisierten Welt, und wer glaubt
denn, dass man heute als einzelner Staat gegen China beispielsweise Zölle durchsetzen kann
und einen Handelskrieg anfangen kann? Wir Europäer können das gemeinsam. Wir haben
beispielsweise im Stahlbereich jetzt den Chinesen Zölle auferlegt, weil sie mit Dumping auf den
Markt gehen und damit europäische Arbeitsplätze riskieren. Oder wer glaubt denn, dass man
gegen Apple heute Steuern durchsetzen kann? Apple hat jetzt in Europa fast keine Steuern
bezahlt und die EU hat jetzt durchgesetzt, dass Irland 13 Milliarden nachfordert. Das kann
Europa, das können wir gemeinsam schaffen. Ein einzelner Staat kann das nicht. Und
deswegen stellt sich, ehrlich gesagt, nicht die Frage, ob wir wollen, sondern es stellt sich die
Frage, ob wir es machen, weil die Globalisierung uns dazu zwingt, um unser Lebensmodell
Europa zu verteidigen.
Theis: Angenommen, wir machen es. Wir finden Partner, die mitmachen. In welchen
Politikbereichen könnte Deutschland sich denn mit anderen Ländern zusammen tun und
in der EU vorneweg schreiten, außer in der Verteidigung?
Weber: Das A und O ist die Außen- und Sicherheitspolitik. In vielen anderen Bereichen haben
wir ein Europa, das arbeitet, das auch funktioniert, das leider Gottes zu wenig wahrgenommen
wird - auch im Alltag, beispielsweise beim Abschaffen der Roaminggebühren für die
Handynutzer, wenn sie ins Ausland fahren, da arbeitet Europa und da funktioniert Europa auch
ganz gut im Alltag, und deswegen ist es wichtig, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik
vorankommen. Das ist ein Megathema, die Zusammenarbeit der Armeen in Europa. Wenn wir
das die nächsten Jahre, in den nächsten zehn Jahren, schaffen, dann haben wir viel erreicht.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Theis: Wer soll denn da mitmachen? Wer soll seine eigenen Soldaten, die Oberhoheit
über seine eigenen Soldaten aufgeben und sie der EU unterwerfen, welche Länder?
Weber: Es geht nicht um "der EU unterwerfen", sondern dass wir sie gemeinsam machen. Das
hört sich immer nach externer Power an, nach externer Kraft an. Es geht um die Frage, das zu
bündeln. Übrigens gibt es dies in vielfältiger Art und Weise. Belgien und Niederlande machen
zum Beispiel schon gemeinsame Schiffseinsätze, wo sie Schiffe untereinander aufteilen.
Deswegen, es gibt schon viel Kooperation, und das müssen wir verstetigen. Ich würde in zwei
Feldern ganz konkret sagen, dass wir dort europäische Einsatzstrukturen brauchen und das ist
bei der Drohnentechnologie, einer modernen Methode zur Sicherheit, und dies ist der
Cyberwar, der Internetkrieg. Wenn uns der bevorsteht, dann ist es besser, wenn wir europäisch
die Kräfte bündeln, weil kleine Staaten in diesen Technologien gar nicht mehr in der Lage sind,
sich zu verteidigen, deswegen soll das Europa gemeinsam machen.
Theis: Viele kleine Staaten sehen ein solches Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten allerdings auch als Bedrohung. Ihre Angst ist, dass am Ende sich
derjenige durchsetzt, der am meisten Geld hat, nämlich Deutschland. Ist die nicht ein
bisschen begründet, diese Angst?
Weber: Deutschland ist Führungsmacht in Europa, das steht außer Frage. Wir sind
wirtschaftlich dominant und stark, weil leider Gottes Frankreich die notwenigen
Strukturreformen bisher nicht gemacht hat. Deswegen ist Deutschland eine wichtige Kraft. Und
Europa hat ja gerade das Ziel, dass wir es miteinander machen, dass jeder die Möglichkeit hat,
sich einzubringen. Diese Chance sollten auch die kleinen Staaten ergreifen. Europa erzwingt
das Miteinander und nicht das Gegeneinander.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)