Europäisches Parlament 2014-2019 ANGENOMMENE TEXTE Vorläufige Ausgabe P8_TA-PROV(2016)0510 Unterstützung der Thalidomid-Opfer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Dezember 2016 zur Unterstützung thalidomidgeschädigter Menschen (2016/3029(RSP)) Das Europäische Parlament, – unter Hinweis auf die bevorstehenden Änderungen am Conterganstiftungsgesetz, die von der deutschen Bundesregierung genutzt werden könnten, um thalidomidgeschädigten Menschen, die von gerichtlich benannten Kostenträgern als solche anerkannt worden sind oder für die staatliche Regelungen gelten, pauschalen Zugang zu den Mitteln der deutschen Conterganstiftung zu gewähren, – unter Hinweis auf das spanische Dekret Nr. 1006/2010 vom 5. August 2010, in dem das Verfahren für die Gewährung von Beihilfen für Menschen in Spanien, die im Zeitraum 1960–1965 durch Thalidomid geschädigt wurden, geregelt ist, – unter Hinweis auf die ungefähre Anzahl thalidomidgeschädigter Menschen in der EU (etwa 2 700 in Deutschland (Quelle: Bundesregierung), ca. 500 in Italien (Quelle: VITA – Associazione Vittime Italiane Thalidomide), 500 im Vereinigten Königreich, 100 in Schweden (Quelle: Studie DLA Piper) und 200 in Spanien (Quelle: Avite Spanien)), – unter Hinweis auf den Bericht der Universität Heidelberg mit dem Titel „Wiederholt durchzuführende Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten von thalidomidgeschädigten Menschen (2010-2013)“, in dem die zunehmenden Gesundheitsprobleme und spezifischen Bedarfe sowie die Versorgungsdefizite von thalidomidgeschädigten Menschen ausführlich beschrieben werden, – unter Hinweis auf den Firefly-Bericht vom Januar 2015, in dem die Verschlechterung der körperlichen und psychischen Gesundheit von thalidomidgeschädigten Menschen sowie ihre künftigen Bedarfe hervorgehoben werden1, – unter Hinweis auf den vom Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen im Mai 2015 herausgegebenen Bericht zur Untersuchung der Lebensqualität thalidomidgeschädigter Menschen und zur Prognose ihres künftigen 1 http://www.thalidomidetrust.org/wp-content/uploads/2014/01/Firefly-report-March2015.pdf Versorgungsbedarfs (Abschlussbericht der Universität Köln)1, – unter Hinweis auf die offenen Briefe der Vorsitzenden der Fraktionen des Europäischen Parlaments, in denen sie hervorheben, dass thalidomidgeschädigte Menschen unter starken chronischen Schmerzen und ungedecktem Bedarf leiden, – unter Hinweis auf die am 27. Mai 2015 im Europäischen Parlament in Brüssel abgehaltene Pressekonferenz, bei der Mitglieder aller Fraktionen hervorhoben, dass thalidomidgeschädigte Menschen Unterstützung im Hinblick auf ihre Gesundheitsprobleme benötigen2, – unter Hinweis auf die EU-Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Verabschiedung der ersten Arzneimittelverordnungen in Europa zum Schutz der Unionsbürger, mit denen hervorgehoben wird, dass wirksame Arzneimittelvorschriften ein dauerhaftes Vermächtnis der tausenden Todesfälle bei Kleinkindern und der schwerwiegenden angeborenen Fehlbildungen sind, die der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate während der Schwangerschaft geschuldet sind, – unter Hinweis auf die Anfragen an die Kommission (O-000035/2016 – B8-0120/2016) zur Beantwortung und die Aussprache im Plenum zu Thalidomid am 9. März 2016, – unter Hinweis auf das Schreiben der internationalen Rechtsanwaltkanzlei Ince and Co. vom 5. März 2015, in dem darauf hingewiesen wird, dass die mangelnde Arzneimittelkontrolle und die Beseitigung von Beweisen für die Folgen der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate sich auf die Gesundheit durch das Medikament geschädigten Menschen auswirkten3, – unter Hinweis auf die Erklärung der deutschen Bundesregierung vom Juni 2016 zu dem Erfordernis, Verantwortung zu übernehmen und thalidomidgeschädigten Menschen unbürokratische Unterstützung zukommen zu lassen4, – gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, A. in der Erwägung, dass das Arzneimittel Contergan von der Chemie Grünenthal GmbH in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts als sicheres Medikament zur Behandlung von Morgenübelkeit, Kopfschmerzen, Husten, Schlaflosigkeit und Erkältung vermarktet wurde; in der Erwägung, dass die Einnahme des Medikaments durch schwangere Frauen zum Tod oder zur Missbildung tausender Säuglinge in vielen europäischen Ländern führte; B. in der Erwägung, dass Dokumente aus der Zeit des Contergan-Skandals, die von der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Ince and Co. unabhängig überprüft wurden, zeigen, dass es in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA, Frankreich, Portugal und der Türkei erhebliche Mängel bei der Arzneimittelkontrolle gab; 1 http://www.thalidomidetrust.org/wp-content/uploads/2016/04/The-Cologne-Report.pdf http://www.fiftyyearfight.org/latest/europe-speaks-loudly-with-one-voice:-pressconference http://www.fiftyyearfight.org/images/Appendix_1._Ince_letter.pdf http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/kinder-und-jugend,did=225796.html 2 3 4 C. in der Erwägung, dass unabhängig überprüfte Forschungsarbeiten1 eindeutig darauf schließen lassen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1970 in das Strafverfahren gegen die Chemie Grünenthal GmbH, den deutschen Hersteller von Contergan, eingriff und in der Folge die Schuld des Herstellers nicht ordnungsgemäß festgestellt werden konnte; in der Erwägung, dass darüber hinaus Schritte unternommen wurden, um dafür zu sorgen, dass gegen das Unternehmen kein Zivilverfahren angestrengt wird, wodurch in der Tat verhindert worden sein könnte, dass die Opfer zu ihrem Recht kamen oder angemessene finanzielle Unterstützung für ihre bestehenden und künftigen Gesundheitsprobleme erhielten; D. in der Erwägung, dass jüngst veröffentlichten unabhängigen Berichten aus Deutschland (Endbericht der Universität Heidelberg und Abschlussbericht der Universität Köln) und dem Vereinigten Königreich (Firefly-Bericht) zufolge thalidomidgeschädigte Menschen besser unterstützt werden müssen, damit sie ihren gesundheits- und mobilitätsbezogenen Bedarf decken und ein unabhängiges Leben führen können, da sie unter einer raschen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands leiden, die der Art ihrer Behinderungen und der Tatsache geschuldet ist, dass die Menschen in der ganzen Zeit seit ihrer Geburt keine ausreichende Unterstützung erhalten haben; E. in der Erwägung, dass Deutschland eine besondere Verantwortung zukommt, aber auch die Regierungen anderer Länder dafür verantwortlich sind, für eine gerechte Behandlung der thalidomidgeschädigten Menschen in ihren Ländern zu sorgen; F. in der Erwägung, dass die Fraktionsvorsitzenden im Europäischen Parlament in offenen Briefen zum Ausdruck gebracht haben, dass sie die Maßnahmen unterstützen, mit denen der gesundheitsbezogene Bedarf der thalidomidgeschädigten Menschen gedeckt werden soll; G. in der Erwägung, dass im Mai in einer Pressekonferenz in Brüssel, die von allen Fraktionen des Europäischen Parlaments unterstützt wurde, darauf hingewiesen wurde, dass der gesundheitsbezogene Bedarf der thalidomidgeschädigten Menschen nicht gedeckt wird; H. in der Erwägung, dass die Kommission im September 2015 in Brüssel den 50. Jahrestag der Annahme des ersten Akts des EU-Arzneimittelrechts begangen hat, der hauptsächlich infolge des Conterganskandals zustande kam; in der Erwägung, dass Millionen EU-Bürger in den letzten 50 Jahren durch die im Folgenden entwickelten Regulierungsstrukturen vor ähnlichen Katastrophen geschützt wurden, während die thalidomidgeschädigten Menschen mit den schmerzhaften und einschränkenden Folgen des Präparats leben mussten; I. in der Erwägung, dass Mitglieder aller Fraktionen bei der Plenartagung im März 2016 in Straßburg darauf hingewiesen haben, dass die Thalidomidgeschädigten zur Deckung ihres Bedarfs dringend unterstützt werden müssen, und der Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, die Bereitschaft festgestellt hat, eine geeignete Lösung für die Verbesserung der Lebensqualität aller Thalidomidgeschädigten zu finden; J. in der Erwägung, dass das Europäische Parlament und die Kommission nun die 1 http://www.fiftyyearfight.org/images/Appendix_1._Ince_letter.pdf Gelegenheit haben und willens sind, unter Beachtung der ethischen und humanitären Standards Entschädigungen für die Fehler zu leisten, die im Versagen der Arzneimittelkontrolle und in der anschließenden Beseitigung von Beweisen bestanden und zu der Contergankatastrophe führten; K. in der Erwägung, dass die deutsche Bundesregierung im Juni 2016 erklärt hat, sie müsse ihrer Verantwortung nachkommen und unbürokratisch und ohne langwierige Einzelprüfungen finanzielle Unterstützung leisten1; L. in der Erwägung, dass die deutsche Bundesregierung ebenfalls im Juni 2016 mitgeteilt hat, eine Änderung des Conterganstiftungsgesetzes in Deutschland vor Januar 2017 sei notwendig und möglich; M. in der Erwägung, dass viele Thalidomidgeschädigte in der ganzen EU oft keine Finanzmittel beantragen können, mit denen sie die Kosten von Sozialleistungen decken könnten, was derzeit die größte Sorge der Betroffenen ist, die mittlerweile zwischen 50 und 60 sind und diese Leistungen in den kommenden Jahren sogar vermehrt werden in Anspruch nehmen müssen, da die Menschen, die sich um sie kümmern – oftmals ihre Partner oder Verwandten –, möglicherweise selbst krank werden oder sterben; 1. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission nachdrücklich auf, Maßnahmen zu koordinieren, mit denen die förmliche Anerkennung und die Entschädigung von Thalidomidgeschädigten geregelt werden; 2. fordert die deutsche Bundesregierung nachdrücklich auf, die Gelegenheit, die die bevorstehenden Änderungen am Conterganstiftungsgesetz bieten, zu nutzen, um thalidomidgeschädigten Menschen, die über gerichtlich benannte Kostenträger als solche anerkannt worden sind oder Leistungen aus staatlichen Programmen erhalten, zu ermöglichen, Leistungen der deutschen Conterganstiftung für behinderte Menschen in Anspruch zu nehmen; 3. fordert, dass Thalidomidgeschädigte aus dem Vereinigten Königreich, Spanien, Italien, Schweden oder anderen Mitgliedstaaten diese Leistungen als Gruppe in Anspruch nehmen können, wenn sie in ihren eigenen Ländern in gutem Glauben als thalidomidgeschädigte Menschen anerkannt wurden; 4. fordert die spanischen Behörden auf, den von der Regierung 2010 begonnenen Prozess zu überprüfen und die ordnungsgemäße Ermittlung und Entschädigung der spanischen Thalidomidgeschädigten im Rahmen ihres nationalen Programms gemäß dem nichtlegislativen Vorschlag zum Schutz thalidomidgeschädigter Menschen (161/000331), der im spanischen Kongress am 24. November 2016 einstimmig verabschiedet wurde, zu erleichtern; 5. fordert die Kommission nachdrücklich auf, in einem Rahmenprotokoll auf EU-Ebene festzulegen, dass alle thalidomidgeschädigten europäischen Bürger unabhängig davon, aus welchem Mitgliedstaat sie kommen, Entschädigungen in gleicher Höhe erhalten, und ein (sowohl finanzielle als auch Sozialleistungen umfassendes) EU-Hilfsprogramm 1 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/leistungen-sollen-gerechterverteilt-werden/90418?view=DEFAULT für die Opfer des Wirkstoffs Thalidomid und ihre Familien aufzulegen; 6. fordert die Firma Grünenthal auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und dafür zu sorgen, dass noch nicht als Geschädigte anerkannte Opfer angemessene Entschädigungs- und Betreuungsleistungen erhalten, indem das Verfahren für die Anerkennung der Geschädigten geändert wird und mit den Opfern ein Dialog mit dem Ziel aufgenommen wird, einen Ausgleich des verursachten Schadens zu erreichen; 7. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission, dem Rat und den Mitgliedstaaten zu übermitteln.
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