DR. HANNES JAROLIM JUSTIZSPRECHER ABGEORDNETER ZUM NATIONALRAT SOZIALDEMOKRATISCHER PARLAMENTSKLUB 1017 Wien, Parlament Tel. 40110/3720 Fax 40130/3455 [email protected] http://spoe.parlament.gv.at An: Ao.u.bev. Botschafter der Republik Türkei Mehmet Hasan Göğüş Botschaft der Republik Türkei Prinz Eugen Straße 40 1040 Wien Vorab per Mail an: [email protected] Ergeht gleichschriftlich an NR-Präsidentin Doris Bures und Vorsitzende Abg.z.NR Brigitte Jank Wien, am 04.11.2016 Austritt aus der türkisch – österreichischen parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft Sehr geehrter Herr Botschafter Mehmet Hasan Göğüş, Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Doris Bures, Sehr geehrte Frau Vorsitzende der parl. Freundschaftsgesellschaft Abg.z.NR Brigitte Jank, Ich bin einst als Unterstützer des türkischen Volkes stolz dieser parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft beigetreten. Denn ich persönlich hielt den wunderschönen, historischen und bunten türkischen Staat für ein Reich der gelebten Vielfalt. Die Türkei bildet seit Anbeginn der Geschichte die Brücke zwischen dem Orient und Okzident und verkörperte auf mannigfaltige Weise das friedliche und freundliche Zusammenleben verschiedenster Ethnien und Religionen. Seit geraumer Zeit beobachte ich nun die besorgniserregende Entwicklung der türkischen Republik unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan und muss aufrichtig sagen, dass ich jene Türkei, die ich einst erlebte, nicht wiedererkenne. Nicht zuletzt als Freund der Türkei habe ich versucht Brücken zu bauen und jegliche Missverständnisse aufzuklären und mir als überzeugter Demokrat stets eine rechtsstaatlich vertretbare Lösung herbeigesehnt. Doch gestatten Sie mir kurz zusammenfassen, wie die politische Führung unter Präsident Erdogan zu einem erschreckenden Armutszeugnis der Türkei im Jahr 2016 wurde. Bereits vor dem zu verurteilenden Putschversuch im Juli dieses Jahres kam es zu massiven menschenrechtsverletzenden Ereignissen, welche eines Rechtsstaates unwürdig sind und in der Folge nachvollziehbarer Weise zur Spaltung des türkischen Volkes. Die willkürliche Aufhebung der Immunität demokratisch gewählter Abgeordneter der „Demokratischen Partei der Völker“, die Schließung verschiedenster Presse –und Medieneinrichtungen, all die Verbrechen gegen die Menschlichkeit insbesondere in der kurdischen Region, im Südosten Ihres Landes, unzählige unschuldige Menschen kamen bisher ums Leben, weil Städte und Dörfer zerbombt und Ausgangssperren verhängt wurden, die Inhaftierung kritischer Chefredakteure von Tageszeitungen, die gezielte Einleitung zahlreicher Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte etc. Die Lage nach dem Putschversuch ist demokratiepolitisch völlig unakzeptabel und furchteinflößend. Über zehntausende von Beamten, darunter Lehrer, Professoren, Universitätsmitarbeiter, Polizisten, Soldaten, Richter, Staatsanwälte, Gewerkschafter, auch Mitarbeiter von halbstaatlichen Unternehmen wurden suspendiert oder entlassen. Die willkürliche Inhaftierung unzähliger Journalisten, die Sperrung von Webseiten, die Kündigung von Sendelizenzen, die brutale Vorgehensweise gegenüber Demonstranten und die gewaltvolle Auflösung von Kundgebungen bzw. Versammlungen, die Schließung von Privatschulen und Universitäten, das Ausreiseverbot für Akademiker, um die Flucht von Regierungskritikern ins Ausland zu verhindern etc. Die Hochschulbehörde berief über 1500 Universitätsrektoren und Dekane ab. Die Fluggesellschaft Turkish Airlines, die zu 49% dem Staat gehört, ließ über 200 Mitarbeiter entlassen. Dies wurde unter anderem mit politischen Motiven begründet. Ebenso geschah Mitarbeitern des teilstaatlichen Telefonkonzerns Türk Telekom. Diese Säuberungswelle dient keineswegs dem türkischen Volk, sondern einzig und allein Ihrem autokratischen Präsidenten Erdoğan, der seine Gegner nicht anders „beseitigen“ kann und den Ausnahmezustand dafür missbraucht, um schneller und leichter, alleine und am türkischen Volk vorbei zu entscheiden bzw. dieses beherrschen und zu einem großen Teil unterdrücken zu dürfen. Nach der Festnahme des kurdischen Bürgermeisters der Stadt Diyarbakir, Fırat Anlı, wurde nun ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Über das Schicksal der festgenommenen Vizebürgermeisterin, Gültan Kışanak, wurde noch nicht entschieden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Verbindungen zur PKK vor. Mehrere Mitarbeiter der Tageszeitung Cumhuriyet wurden willkürlich festgenommen, darunter Journalisten Karikaturisten, sogar der Anwalt des ehemaligen Chefredakteurs, Can Dündar. Auch ihnen wird Terrorismusunterstützung vorgeworfen. All die gerichtlichen Untersuchungen und Verhandlungen sind intransparent. Gegen die KO-Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, wurde vor kurzem ein Ausreiseverbot verhängt, da gegen sie wegen Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation ermittelt wird. Nun ist es soweit, heute Nacht erhielt ich die erschütternde Nachricht, dass mehrere Abgeordnete der HDP festgenommen wurden, darunter der Parteichef, Selahattin Demirtaş, und die KO-Chefin, Figen Yüksekdağ. Ebenso wurde das Parteibüro der HDP beschlagnahmt. Das sind unerträgliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der betroffenen Personen und ein massiver Angriff auf das formal noch demokratische System der Türkei. Wie sonst, als Willkürherrschaft sollte man ein derartiges, brutales und unverstehbares Vorgehen bezeichnen. Allein die Tatsache, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe angekündigt wurde, ist eine völlige Bankrotterklärung für die Errungenschaften des türkischen Volkes. Ich denke auch, dass der zwangsläufige Ausschluss der Türkei unter der derzeitigen Führung unter Präsident Erdogan aus ernsthaften Verhandlungen um eine EU-Mitgliedschaft dem an einer positiven Entwicklung des Landes interessierten Türkischen Volk keinesfalls entspricht. Aufgrund der erschreckenden Entwicklung unter dem Einfluss von Präsident Erdogan in Richtung eines autoritären Staates, der sein Volk unterdrückt, gebe ich hiermit meinen endgültigen Austritt aus der türkisch – österreichischen parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft unter der aktuellen Türkischen Führung bekannt. Mit demokratischen Grüßen Dr. Hannes Jarolim
© Copyright 2024 ExpyDoc