Das Manuskript zum Beitrag

Manuskript
Beitrag: Nach Schmuggel-Verdacht gegen Berliner JVA –
Gericht hebt Disziplinarmaßnahmen gegen
Gefangenen auf
Sendung vom 1. November 2016
von Christian Esser und Manka Heise
Anmoderation:
Verkehrte Welt hinter Gittern. In einem Berliner Gefängnis
behaupten zwei verurteilte Straftäter, dass Vollzugsbeamte
Straftaten begehen. Es geht um Schmuggel und Erpressung.
Diese schweren Vorwürfe erhoben sie vor einigen Wochen in
Frontal 21. Jetzt folgt Teil zwei des Krimis: Benjamin L. und Timo
F. berichten uns, sie bräuchten Schutz. Denn sie würden bedroht
und unter Druck gesetzt, weil sie Frontal 21 ein Handy-Video mit
ihren Aussagen zugespielt hatten. Christian Esser und Manka
Heise mit einem neuen Kapitel aus dem Knast.
Text:
Benjamin L. und Timo F. - vor einem Monat berichten sie uns per
Handy Unglaubliches: In der JVA Tegel soll im großen Stil
geschmuggelt werden. Organisiert und koordiniert auch von
Beamten – so die Gefangenen.
O-Ton Benjamin L. , Insasse JVA Tegel:
Den Schmuggel im Knast gibt es zwei verschiedene Arten
und Weisen, das eine ist, was nach drinnen rein kommt, wie
Pornos, Handys und besseres Essen und die anderen
Sachen, sind Sachen, die nach draußen gehen. Das sind
Dinge, die Beamte gerne begehren oder haben möchten und
einfach mitnehmen.
O-Ton Timo F., Insasse JVA Tegel:
Es ist also ein System von Gefälligkeiten und
Gegenleistungen, was in der JVA so selbstverständlich ist,
wie das Auf- und Zuschließen der Türen.
Die JVA Tegel bestreitet ein Schmuggel-Netzwerk. Die
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen Beamten. Benjamin L.
und Timo F. machten die Vorwürfe durch ihre Handy-Aktion
öffentlich. Nun, so berichten sie uns am Telefon, seien sie dafür
von der Gefängnisleitung bestraft worden.
O-Ton Timo F., Insasse JVA Tegel:
Man hat mich zu vier Wochen Stubenarrest bestraft und die
Strafe geht aber darüber hinaus, weil diese vier Wochen
Stubenarrest eben auch weitere Nachteile wie beispielsweise
der Verlust von sogenannten Langzeitbesuchen, die dafür
gedacht sind, mit der Familie Zeit zu verbringen. Auch da bin
ich für mindestens sechs Monate gesperrt.
O-Ton Benjamin L., Insasse JVA Tegel:
Dass einfach auch ein Signal gesetzt wird, dass niemand das
machen sollte, weil er sonst mit Konsequenzen zu leben hat,
jedenfalls wenn er an die Öffentlichkeit geht.
Für die Gefangenen bedeutet das beispielsweise, dass sie die
meiste Zeit in ihrer Zelle verbringen müssen, nicht fernsehen oder
Sport machen dürfen. Disziplinarmaßnahmen, wenn Gefangene
auf Missstände aufmerksam machen?
O-Ton Benjamin L., Insasse JVA Tegel:
Mit der Disziplinierung nach dem Frontal 21-Bericht habe ich
sogar gerechnet, vor allem mit der Zellenkontrolle, weil es
hier Gang und Gäbe ist, wenn sich hier Inhaftierte für Rechte
einsetzten, dass sie dementsprechend auch klein gehalten
werden. Das letzte Mal ist es mir passiert, als ich um eine
zusätzliche Vergütung für meine Arbeit gekämpft habe.
Eine Zeit lang arbeitete Benjamin L. in der JVA-eigenen
Zahnarztpraxis. Dort habe er Instrumente desinfiziert und
sterilisiert. Eine Arbeit, für die er eigentlich mehr Geld hätte
erhalten müssen.
O-Ton Benjamin L., Insasse JVA Tegel:
Wir reden hier nicht von horrenden Summen, sondern von 50
Euro vielleicht im Monat, und weil ich das dann übers Gericht
gefordert habe, haben sie sich nicht mehr an ihr Wort
gehalten.
Zahlreiche Dokumente belegen L.s Tätigkeit in der
Zahnarztpraxis. Doch die Anstalt streitet das vor Gericht ab.
Frontal 21 liegen E-Mails vor, die den Verdacht nahe legen, dass
Gefängnismitarbeiter zu Falschaussagen vor Gericht gedrängt
werden sollten. Doch die Mitarbeiter weigern sich. In einer E-Mail
heißt es:
„Ich möchte nicht durch eine Falschaussage die ZAGST
(Zahnärztliche Geschäftsstelle) oder Dich und mich in
Probleme bringen, die sich eindeutig durch den Inhaftierten
L. beweisen lässt.“
Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz weist die Vorwürfe als
unzutreffend zurück. Benjamin L. hat mittlerweile seinen Job in
der Praxis verloren. Der Streit geht vor Gericht weiter.
Einen kleinen Sieg hat er in der vergangenen Woche errungen.
Die Disziplinarmaßnahmen gegen Benjamin L. nach dem
Frontal 21-Beitrag müssen unverzüglich aufgehoben werden. Das
hat das Berliner Landgericht beschlossen.
O-Ton Lisa Jani, Pressesprecherin Berliner Strafgerichte:
In diesem besonderen Fall hätte berücksichtigt werden
müssen, was Gegenstand dieses Handy-Filmes gewesen sei
– nämlich der Verdacht gegen Justizvollzugsbeamte hier in
unlautere Machenschaften verwickelt zu sein. Das hätte die
JVA Tegel nach Auffassung des Gerichts berücksichtigen
müssen bei der Entscheidung.
Im Fall von Timo F. steht ein Beschluss des Gerichts noch aus.
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