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Beitrag: Kriminelles Netzwerk in Berliner JVA? Verdacht auf Schmuggel
Sendung vom 13. September 2016
von Christian Esser und Manka Heise
Anmoderation:
Es gibt wohl kaum etwas, was die Menschen so fasziniert wie das
Verbrechen. Doch wenn die Tat aufgeklärt ist und der Verbrecher
hinter Gitter kommt, dann ist die Spannung weg. In einem Berliner
Gefängnis läuft die Geschichte anders. Da sitzen Männer ein, die
von Schmuggel erzählen, von Schmuggel raus und rein trotz
Schloss und Riegel. Und die bösen Buben sind nicht nur
Gefangene, sondern angeblich auch Beamte. Christian Esser und
Manka Heise über einen Krimi aus dem Knast.
Text:
Die Justizvollzugsanstalt in Berlin-Tegel. Deutschlands größter
Männerknast. Aus dem Gefängnis erreichen uns Nachrichten von
Insassen. Sie behaupten Unglaubliches: Beamte der JVA Tegel
hätten hier seit Jahren in großem Stil einen Schmuggel
organisiert. Sie lassen uns die Nachrichten über Smartphones
zukommen. Dabei sind Smartphones und Internet im Knast
eigentlich verboten.
O-Ton Benjamin L., Insasse JVA Tegel:
Den Schmuggel im Knast erlebe ich auf zweierlei Arten, und
zwar gibt es einmal den Schmuggel nach innen, das ist wie
ein Pizzalieferservice, man bestellt halt nur keine Pizza. Und
dann gibt es halt noch das, was sich die Beamten halt so
wegnehmen und nach draußen geschmuggelt wird und sich
daran bereichern. In der Regel sind das bei den Inhaftierten
Handys, besseres Essen und mal ein paar Pornos.
O-Ton Timo F., Insasse JVA Tegel:
Es ist so, dass der Fahrer, der Justizvollzugsbedienstete,
eben mit seiner Bande, mit seinen Gefangenen
zusammengearbeitet hat und wenn ein anderer Gefangenen
etwas haben wollte, dann hat er sich an den Mitgefangenen
aus der Bande gewendet und gesagt: Ich hätte gerne hier ‘ne
Tüte.
So soll es angeblich abgelaufen sein: Der Inhaftierte gibt eine
Bestellung auf, draußen packen ihm Angehörige eine Tüte. Ein
Justizvollzugsbeamter holt sie ab und bringt sie in den Knast. Die
Gefangenen behaupten, ein Schmuggel koste 70 Euro.
O-Ton Timo F., Insasse JVA Tegel:
Und diese Tüte ist dann ganz offen im Führerhaus des Lkw in
die JVA Tegel eingebracht worden. Am Tor der JVA Tegel ist
es dann so gewesen, dass der Beamte einfach nur von
seinem Kutschbock runtergesprungen ist, wieder seinen
Schlüssel bekommen hat und gesagt hat, hier bei uns ist
alles in Ordnung und ist dann durchgefahren.
Kaum zu glauben. Die Gefangenen sagen, Schmuggel sei ganz
einfach.
Wir erhalten einen Anruf von einer Kontaktperson, die wir am
nächsten Tag treffen. Sie sagt, sie kann heimlich ein
Mainzelmännchen in den Knast bringen. Auch so ein kleines
Männchen muss normalerweise registriert und angemeldet
werden. Schon am nächsten Tag das Beweisfoto von Timo F.:
Das Mainzelmännchen ist im Knast.
Es könne nicht nur rein-, sondern auch rausgeschmuggelt
werden, behaupten die Gefangenen. Das funktioniere angeblich
wie ein Selbstbedienungsladen für einige Beamte.
O-Ton Timo F., Insasse JVA Tegel:
Die Beamten haben alles, was nicht niet- und nagelfest ist
und in der JVA Tegel produziert worden ist und sie
gebrauchen konnten, mit nach Hause genommen und der
Fahrdienst erfüllte da die wichtige Funktion des Lieferanten.
Tatsächlich hat die JVA Tegel hat Werkbetriebe wie
beispielsweise eine Schneiderei, Glaserei oder Schlosserei. Die
produzierten Waren werden entweder, wie hier, im JVA Shop
verkauft oder an Abnehmer direkt geliefert - mit diesen Lkws.
Bei den Fahrten immer dabei: ein Beamter und mindestens ein
Gefangener. Diese Transporte hätten sich die Schmuggler
zunutze gemacht, erzählt Timo F. Auch er war im Fahrdienst.
Gefangene, die mitmachten, durften angeblich sogar draußen
unbeaufsichtigt Zeit verbringen. Timo F. sagt, er habe sich
irgendwann geweigert beim Schmuggel weiter mitzumachen. Für
ihn sei das zum Problem geworden.
O-Ton Timo F., Insasse JVA Tegel:
Meine Familie ist durch den Schmuggel, durch meine
Tätigkeit im Fahrdienst insofern in Mitleidenschaft gezogen
worden, dass nicht nur der Justizvollzugsbedienstete,
sondern auch Mitgefangene aus der Bande um den
Justizvollzugsbeamten herum uns bedrohten und
erpressten. Und diese Bedrohungen waren durchaus
körperlich. Und die Gefangenen wie auch der Beamte
wussten ja, wo wir wohnen und der Beamte ist etwa einmal
im Monat zu uns nach Hause gefahren und hat dort seinen
Verdienstausfall erpresst.
Er lässt uns dieses Video zukommen. Es zeigt einen Beamten der
JVA in der Wohnung von Timo F.s Verlobten. Sie legt mehrere 50
Euro-Scheine vor ihn auf den Tisch. Lisa S. steht auf, holt ihr
Portemonnaie und legt einen weiteren 50 Euro-Schein dazu. Eine
Geldübergabe zeigt das Video nicht. Wir treffen Lisa S., fragen
nach.
O-Ton Lisa S., Verlobte von Timo F.:
Ja, er kam rein und hat auf sein Geld gewartet, dann war es
ihm zu wenig und hat noch mal um 50 Euro mehr gebeten.
Was heißt gebeten, er hat gefordert und hat gesagt, ne, das
ist viel zu wenig. Entweder war es ‘n bisschen mehr Geld
wieder mal, was heißt ein bisschen, aber es ist ‘ne Menge
Geld, 500 Euro. Da mal ‘n „Fuffi“, dann war es mal die Kiste
Budweiser, die ich ihm organisieren musste.
Lisa S. zeigt uns ihren Keller. Sie sagt, hier habe sie von
Häftlingen hergestellte Edelstahlgrills lagern müssen.
O-Ton Lisa S., Verlobte von Timo F.:
Ja, also der Bedienstete und ein Gefangener aus der JVA
Tegel kam rein, haben hier die fünf Grills abgestellt und sind
wieder gefahren. Das war ‘ne schnelle Nummer für sie. Kurz
rein und wieder raus. Und dann standen hier die Grills, ich
weiß nicht wie lange und es wurde mal einer abgeholt, mal
zwei, je nachdem wann sie die verkauft haben.
Timo F. fühlt sich unter Druck gesetzt – flieht aus der JVA Tegel
und wird wieder geschnappt. Anfang dieses Jahres schickt sein
Anwalt Carsten Hoenig einen Brief an den Berliner Justizsenator
und die Anstaltsleitung, um die Flucht zu erklären. Es passiert
nichts.
O-Ton Carsten Hoenig, Anwalt von Timo F.:
Das verstehe ich eben nicht, warum ich da nur „Gemauer“
zurückkriege. Das heißt also, die Rückmeldung, die ich da
bekommen habe, die haben halt eben den Tenor gehabt,
dafür sind wir nicht zuständig, wir kümmern uns da drum,
wenn es denn notwendig werden sollte, vielleicht. Das waren
solche Abwimmel-Versuche, jedenfalls hab ich so den
Eindruck.
Wir fragen nach bei der JVA Tegel. Zum Schmuggel-Verdacht
äußert sie sich nicht. Als ihr im vergangenen Mai das Video
vorgelegt wurde, habe sie sofort die Polizei eingeschaltet. Nun
ermittelt die Staatsanwaltschaft.
O-Ton Martin Steltner, Staatsanwaltschaft Berlin:
Bei uns liegt eine Strafanzeige vor, die richtet sich gegen
einen Mitarbeiter in der JVA Tegel und es geht um
mutmaßlich korruptive Vorfälle. Aufgrund dieser Strafanzeige
haben wir ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen des
Verdachts der Bestechung beziehungsweise der
Bestechlichkeit.
Wir fragen nach bei der zuständigen Sprecherin der
Senatsverwaltung für Justiz.
O-Ton Claudia Engfeld, Pressesprecherin Senatsverwaltung
für Justiz, Berlin:
Im Moment sehen wir hier keinen Skandal, sondern im
Moment sehen wir das wirklich nicht entschuldbare
Verhalten eines einzelnen Beamten. Wenn sich daran was
ändern sollte, werden wir auch gegenüber anderer Beamten,
sofern sich diese Beschuldigungen des Gefangenen
bewahrheiten sollten, werden natürlich entsprechende
Schritte ergreifen.
Für Justizsenator Thomas Heilmann von der CDU könnten die
Aussagen der Insassen der JVA Tegel noch zum Problem
werden. Schließlich waren ihm die Vorwürfe seit Langem
bekannt. Knapp eine Woche vor der Wahl sieht die Opposition
ihre Chance.
O-Ton Klaus Lederer, DIE LINKE, MdA Berlin,
Rechtspolitischer Sprecher der Fraktion:
Das ist natürlich ein gravierender Missstand. Und wenn eine
Verwaltung davon erfährt und wenn die politische Spitze
davon erfährt, dann muss sie natürlich erstens alles tun, um
diejenigen, die möglicherweise zur Aufklärung beitragen
können, zu schützen. Sie muss zweitens alles und zwar
sofort tun, dass die Staatsanwaltschaft die entsprechenden
Ermittlungen schnell durchführt, weil wenn sowas dann
bekannt wird, gibt es ja auch die Möglichkeit, Beweise zu
vernichten oder beiseite zu schaffen, zu verdunkeln.
Fest steht, dem Berliner Landeskriminalamt liegen umfangreiche
Informationen vor, nach denen mehrere Beamte in einen
Schmuggel involviert sein sollen. Auf rund 45 Seiten nennt
Hoenigs Mandant Namen und Vergehen.
O-Ton Anwalt Hoenig, Anwalt von Timo F.:
Das waren Informationen in einer Detailtiefe, die es nicht
zulassen, den Schluss nicht zulassen, dass es sich um einen
einzelnen Beamten handelt und vielleicht den ein oder
anderen Gehilfen da drum rum, sondern das muss ein
funktionierendes Netzwerk sein.
Die Gefangenen Timo F. und Benjamin L. hoffen, dass die Justiz
ihnen jetzt endlich glaubt, mögliche Täter ermittelt - und sie vor
Repressalien geschützt werden.
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