CETA - junge Welt

Exodus
YANNIS BEHRAKIS / REUTERS
Auszug aus Ägypten: Das nordafrika­
nische Land ist eine der wichtigsten
Transitregionen für Migranten.
Aber im Zuge der Wirtschaftskrise
brechen auch immer mehr Ein­
heimische nach Europa auf.
Von Sofian Philip Naceur
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Zweite Runde der Kommunalwahlen in Redakteure von Berliner Zeitung und
Brasilien: In Rio ist der Teufel los.
Berliner Kurier dürfen sich für
Von Peter Steiniger
»Newsroom« bewerben
191 Staaten votierten in der UNO für
ein Ende der Kuba-Blockade.
USA und Israel enthielten sich
Victoria Woodhull war die erste Bewerberin für das Präsidentenamt
der USA. Eine neue Biographie
Bundeswehr schickt
­Panzer nach Litauen
CETA:
PETER STEFFEN/DPA-BILDFUNK
Belgien wirft
Handtuch
CHRIS WATTIE/REUTERS [M]
Unterzeichnung des Abkommens der EU mit Kanada
­verschoben. Befürworter bejubeln Einigung der belgischen
Politik auf gemeinsame Position. Von Jana Frielinghaus
Trotz verschobener Unterzeichnung: Der Rundensieg ging an den kanadischen ­Premier und Freizeitboxer Trudeau sowie an die CETA-Propagandisten der EU
Z
ur Signierung von CETA ist
es am Donnerstag nicht gekommen. Sie war für diesen
Termin lange geplant. Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau hatte
seine Reise nach Brüssel zur feierlichen Unterzeichnung des Handelsvertrages zwischen seinem Land
und der Europäischen Union in der
Nacht zum Donnerstag abgesagt.
Der Grund: Am 14. Oktober hatte
das Parlament der belgischen Region
Wallonien die Zustimmung zum Abkommen verweigert und dadurch die
Unterschrift des Brüsseler Handelsministers blockiert. Seither herrscht
in der EU-Politik und in bürgerlichen
Medien helle Aufregung: Missbrauch
der Demokratie wird da bejammert,
und manche Blätter fordern schon,
dem angeblichen Zuviel an Mitbestimmung der Regionen und Nationen einen Riegel vorzuschieben.
Am Donnerstag nun sahen sich die
Propagandisten einer »handlungsfähigen« EU wieder im Aufwind: Nach
tagelangen Debatten über CETA
hätten sich »die Belgier zusammengerauft«, meldeten die Agenturen.
Vertreter der Föderalregierung, der
Regionen, der Sprachgemeinschaften
und der EU-Kommission hätten eine
Einigung über »umstrittene Punkte«
gefunden, verkündete Belgiens Regierungschef Charles Michel. Sein
Land könne das Abkommen daher
bald unterzeichnen, versprach er.
Der belgische Sender RTBF stellte
das beschlossene Papier am Nachmittag ins Internet. Es enthält nicht
die Forderung, den Vertragstext noch
einmal zu verhandeln, sondern nur einen Vorschlag für Zusatzerklärungen.
Außerdem will Belgien danach beim
Europäischen Gerichtshof noch ein
Gutachten einholen. Darin solle die
Vereinbarkeit des im Abkommen vorgesehenen Schiedsgerichtssystems
mit dem EU-Recht beurteilt werden.
Das Dokument muss nun von den
EU-Partnern und Kanada akzeptiert
werden, bevor es zur Unterzeichnung
kommen kann. Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette erklärte, seine Region sei »extrem glücklich
darüber, dass unsere Forderungen
wahrgenommen wurden«. Außer
Wallonien hatten sich auch die Hauptstadtregion Brüssel und die französischsprachige Gemeinschaft gegen
CETA gestellt und damit zunächst eine Zustimmung der Zentralregierung
verhindert. Auch sie sind mit dem
Papier offenbar einverstanden.
Michel sagte, die innerbelgische
Übereinkunft ermögliche es, die nächsten Schritte auf regionaler und auf
EU-Ebene mit den zuständigen Instanzen zu beginnen. Zunächst müssen jetzt die belgischen Regionalparlamente wiederum über die Einigung
befinden, nach Angaben von Michel
soll dieser Prozess bis zum Freitag
um Mitternacht abgeschlossen sein.
Auf EU-Ebene rief die slowakische
Ratspräsidentschaft am Donnerstag
nachmittag den ständigen Rat der
EU-Botschafter der Mitgliedstaaten
zu einer Sitzung zusammen. Sie müssen die Vereinbarkeit der belgischen
Einigung mit dem CETA-Text klären.
EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte, er werde den kanadischen Premier erst dann wieder kontaktieren,
wenn alle Prozeduren auf EU-Ebene
abgeschlossen seien.
EU-Handelskommissarin Cecilia
Malmström gab sich derweil optimistisch: »Endlich weißer Rauch über
CETA«, twitterte sie. Der deutsche
Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht
den »Weg für Europa und Kanada
freigemacht«. Jetzt könne der Vertrag unterzeichnet werden, sagte er
am Donnerstag im sachsen-anhaltinischen Barby. Danach werde das Europäische Parlament darüber beraten,
anschließend gehe er in die nationalen Parlamente. Jetzt sei erst einmal
»eine große Hürde genommen«, behauptete er. EU-Parlamentspräsident
Martin Schulz sprach von einem
Durchbruch.
Siehe Seiten 2 und 8
Eskalation in Venezuela
Polizist von regierungsfeindlichen Demonstranten erschossen. Opposition ruft zu »Generalstreik« auf
I
n Venezuela sucht die rechte
Opposition die Machtprobe mit
der Regierung. Für den heutigen Freitag haben die Gegner von
Präsident Nicolás Maduro zu einem
»zwölfstündigen Generalstreik« aufgerufen. Eine Eskalation droht zudem
am 3. November. Für diesen Tag hat
das Rechtsbündnis MUD (Tisch der
demokratischen Einheit) eine Demonstration zum Präsidentenpalast
Miraflores im Zentrum von Caracas
angekündigt. Das weckt Erinnerungen an den 11. April 2002, als Heckenschützen das Feuer auf einen solchen
Demonstrationszug eröffneten. Diese
Provokation diente damals reaktionären Militärs und rechten Politikern
als Vorwand für den Putsch gegen
Hugo Chávez. Dieser wurde durch einen Volksaufstand und das Eingreifen
loyaler Teile des Militärs innerhalb
von 48 Stunden vereitelt.
Schon am Mittwoch hatten die Regierungsgegner Tausende Anhänger
landesweit zu Demonstrationen mobilisiert. Dabei kam es zu Ausschreitungen, MUD-Anhänger attackierten
Sicherheitskräfte und Einrichtungen
des Nationalen Wahlrats (CNE). In
San Antonio de Los Altos nahe Caracas erschossen Demonstranten einen
Polizisten, als die Sicherheitskräfte
eine Straßenblockade räumen wollten. Zwei weitere Beamte wurden verletzt. Innenminister Néstor Reverol
teilte mit, dass zwei Tatverdächtige
festgenommen worden seien.
Unterdessen ist unter den Oppositionsparteien ein offener Streit über
Verhandlungen mit der Regierung
entbrannt. Der Gesandte des Vatikans
in Venezuela, Emil Paul Tscherrig,
hatte am Montag mitgeteilt, dass Vertreter beider Seiten am Wochenende
zusammenkommen würden. Dem widersprach wenige Stunden später der
Oppositionspolitiker Henrique Capriles Radonski von der Partei Primero Justicia (PJ, Gerechtigkeit zuerst).
Er habe davon »aus dem Fernsehen
erfahren«. Das wies die eigentlich
verbündete Organisation Un Nuevo
Tiempo (UNT, Eine Neue Zeit) zurück. Parteichef Enrique Márquez
sagte dem Sender Telesur, alle Führer
der Opposition seien über die Initiative des Vatikans informiert gewesen,
niemand habe das aus dem TV erfahren.
André Scheer
Brüssel. Die Bundeswehr wird im
kommenden Jahr neben 600 Soldaten auch Kampfpanzer vom Typ
»Leopard 2« nach Litauen verlegen, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwoch
abend bestätigte. Die deutschen
Pläne sind Teil des größten gegen
Russland gerichteten Aufrüstungsprogrammes des Kriegsbündnisses
seit dem Kalten Krieg.
NATO-Generalsekretär Jens
Stoltenberg kündigte zudem am
Donnerstag am Rande des am
Donnerstag zu Ende gegangenen
zweitägigen Verteidigungsministertreffens in Brüssel an, die Allianz
werde den EU-Marineeinsatz »Sophia« vor der libyschen Küste binnen zwei Wochen mit Schiffen und
Flugzeugen unterstützen. Unklar ist
indes, ob der NATO-Einsatz in der
Ägäis über das Jahresende hinaus
verlängert wird. (AFP/dpa/jW)
Siehe Seiten 7 und 8
NSU: Möglicherweise
zweite DNA-Panne
Bayreuth. Nach Entdeckung einer
DNA-Spur des mutmaßlichen NSURechtsterroristen Uwe Böhnhardt am
Fundort der getöteten Schülerin Peggy haben die Ermittler eingeräumt,
dass sie möglicherweise selbst eine
falsche Spur gelegt haben. Die in
beiden Fällen eingesetzten Spurensicherer hätten teilweise dasselbe
Gerät benutzt, teilten Polizei und
Staatsanwaltschaft am Donnerstag in
Bayreuth mit. Eine endgültige Aussage dazu, wie Böhnhardts DNA in
die Nähe der Leiche gelangte, könne
aber erst nach langen Untersuchungen getroffen werden.
Schon zu Beginn der NSUErmittlungen hatte es eine DNAPanne gegeben: Monatelang wurde
einer Phantomtäterin nachgejagt,
deren DNA an diversen Tatorten
gefunden worden war. Schließlich
kam heraus, dass die Polizei zur
Analyse Wattestäbchen verwendet
hatte, die mit DNA-Spuren einer
Mitarbeiterin des Herstellerwerkes
kontaminiert waren.
(dpa/jW)
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