Von Austern und Tsunamis

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Wissenschaftsfonds (FWF). Die redaktionelle Verantwortung liegt beim Universum Magazin.
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ie kleine Gemeinde Stetten verfügt über großen Reichtum – zumindest wenn es um die Enträtselung der Urzeit und der damaligen Umweltbedingungen geht.
Tausende versteinerte Austern der Gattung
Crassostrea gryphoides bedecken im Korneuburger Becken ein 459 Quadratmeter großes
Areal. Die Fundstätte bildete sich im Miozän,
das rund 23 bis fünf Millionen Jahre zurückliegt. Doch den versteinerten Meeresbewohnern ihre Geheimnisse zu entlocken, gestaltet
sich schwierig, wie Projektleiter Mathias Harzhauser vom Naturhistorischen Museum Wien
erklärt: „Bis dato fehlt die Analyse von rund
50.000 Schalen, erschwerend kommt hinzu,
dass die Grabungsfläche unter Naturschutz
steht und nicht betreten werden darf.“
Wo klassische wissenschaftliche Methoden
an ihre Grenzen stoßen, setzt das ambitionierte Gemeinschaftsprojekt „Smart Geology“ des
Naturhistorischen Museums Wien und der
Technischen Universität Wien an. Finanziell
wird es vom FWF unterstützt und vereint modernste Messmethoden aus unterschiedlichen
wissenschaftlichen Disziplinen: Riesige Laserscanner auf Fahrgestellen tasten die Oberfläche
des Fossilienriffs von oben ab und liefern ein
detailgetreues 3D-Abbild des Riffs. 83 Scans
wurden mit dem Faro Focus Laserscanner gemacht, zur Kontrolle kamen 300 Fotos des Riffs
hinzu. Im digitalen Modell wurden alle Austernschalen und ihre Ausrichtung manuell
nachgezeichnet.
Ausgegraben und eingescannt
Nachdem die riesige fossile Austernbank
im Jahr 2008 freigelegt worden war, wurde
sie per 3D-Laserscan exakt vermessen und
in einem Computermodell nachgebildet.
NHM WIEN (4), PETER DORNINGER 4D-IT
Abbild vergangener
Sturmwellen
Insgesamt ließen sich 10.284 Objekte charakterisieren, die taxonomisch eingeordnet und nach
Lage, Größe und Fragmentierung dokumentiert
wurden. Obgleich Austern den Großteil der versteinerten Platte, die zwischen 15 und 25 Zentimeter dick ist, ausmachen, konnten Überreste von 650 Tier- und Pflanzenarten nachgewiesen werden. Interessanterweise liegen im
niederösterreichischen Stetten Arten nebeneinander, die sowohl in zeitlich als auch räumlich
voneinander getrennten Ökosystemen entstanden, wie der Geologe Harzhauser anmerkt.
Das größte Geheimnis der fossilen Fundstätte ist damit jenes um ihre Entstehung. Diese
dürfte den Wissenschaftlern zufolge in vier
Stadien abgelaufen sein. Detaillierte Untersu-
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chungen der Fossilien belegen, dass in der ersten Phase das Austernbett entstand. Dieses
wurde in Phase zwei von einer Sedimentschicht
überdeckt. Auf dem nunmehr sandigen Untergrund begannen während Phase drei auch kleinere Muscheln zu florieren. Ihre Entwicklung
wurde von einem Ereignis unterbrochen, das
die Austern, den überlagernden Sand, die darauf entstehenden Muscheln und die umgebende Fauna ordentlich durchmischte und neu anordnete. So lässt sich erklären, weshalb die fossile Fundstätte eine derart homogene
Zusammensetzung aufweist.
Hinter dem einschneidenden Ereignis vermuten die Wissenschaftler eine ungewöhnlich
hohe Sturmwelle oder einen Tsunami. Einige
Parameter lassen eher einen Tsunami vermuten, so etwa der geringe Durchmesser der versteinerten Schicht und die vereinzelt auftretenden Schlamm-Klasten. Sie deuten darauf
hin, dass Wasser zuerst mit großer Wucht ins
Land gedrückt wurde und sich mit ebensolcher
Dynamik zurückzog. Für Harzhauser erklärt
ein solches Naturphänomen, weshalb in der
einstigen Meeresbucht derlei vielfältige Arten
gruppiert sind. Ω
Von Austern
und Tsunamis
Paradox aber wahr: Das weltgrößte fossile
Austernriff liegt unweit des niederösterreichischen Korneuburg. Im FWF-Projekt „Smart
Geology“ wird die einstige Meeresbucht gänzlich in 3D digitalisiert und analysiert.
Frühere Landschaft
Das Korneuburger
Becken war vor
16,5 Millionen Jahren
eine Flusslandschaft
mit ausgedehnten
Sümpfen.