Manuskript

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Trockenmauerwelten
Wie ich zum Mauerspecht wurde
Autor:
Hans-Volkmar Findeisen
Redaktion:
Rudolf Linßen
Regie:
Andrea Leclerque
Sendung:
Donnerstg, 01.09.16 um 10.05 Uhr in SWR2
Wiederholung aus dem Jahr 2013
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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MANUSKRIPT
Musik Wiener Walzer
Atmo Arbeit mit Fäustel und Meißel
Erzähler:
Wenn Sie haben, was ich habe, kriegen Sie von mir einen Euro. Die Kunst, stabile
Naturstein-Bauwerke „trocken“, also ohne Mörtel zu errichten, geht auf die Anfänge
der menschlichen Kultur zurück. Die Inka-Stadt Machu Picchu, asiatische
Reisterrassen, Triers Porta Nigra, die sagenumwobene Stadt Groß-Simbabwe,
sardische Nuraghen, schwäbische Weinbergmäuerle, selbst die Verbauungen, über
die die Züge der Gotthard- und Brennereisenbahn donnern, solche TrockenmauerKonstruktionen lassen die Freunde des Stahlbetons kleinlaut werden. Sie halten
ewig. Fast. Nur noch wenige beherrschen die alte Trockenmauer-Kunst. Die Jugend
wendet sich ab. Und die meisten Meister sind schon alt, teilweise steinalt. Wie der
Böhmer Hermann aus Weißenkirchen. Er ist wie ich ein Freund der alten
Weinbergmauern und sorgt sich um den Nachwuchs.
Hermann Böhmer:
Naja, man muss sie begeistern über die Natur! Mit kleinen Kindern muss man schon
anfangen. Ein kleines Kind muss man schon mitnehmen in einen Weingarten, muss
erst sagen, wie das irgendwie geht, wie schön die Landwirtschaft ist, wie schön die
Aussicht auf dem Berg ist. Wenn man nichts macht mit den Kindern (…), dann wollen
sie meistens nimmer mehr.
Atmo Steine werden bewegt
Erzähler:
Aber wohl bin ich der Einzige, zumindest in Deutschland, der zertifiziert die Steine
schichtet und ein richtiges Diplom besitzt. Ich bin so eine Art Fachmann. Bitte melden
Sie sich, wenn ich da falsch liegen sollte und wenn Sie auch eines haben. Über gute
Gesellschaft freue ich mich immer. Aber Sie sollten auf Ihre Umgangsformen achten,
wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen. Auf der Rückseite des besagten Zertifikats
steht nämlich geschrieben, was ich dafür geleistet habe. Unter anderem durchlief ich
acht Unterrichtsmodule Persönlichkeitsbildung. Das festigt mein Leben. Also nehmen
Sie sich zusammen. Das Dokument, grade mal ein Jahr alt, wurde ausgestellt von
der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer in St. Pölten. Ha, ausgerechnet
St. Pölten. Da habe ich mal vor langer Zeit eine Reportage über einen Anatomen und
Gerichtsmediziner namens Hans Bankl gemacht. Gut und Gerne 15.000 Leichen
hatte der alte Bankl in seinem Leben seziert. Nicht schlecht. Eine Kapazität!
Atmo Arbeit mit Fäustel und Meißel
Mit der Anatomie auf Du und Du. Mein rechter Ringfinger ist blutunterlaufen, der
Nagel am Zeigefinger links eingerissen, und die rechte große Zehe hat auch ihr Fett
abgekommen, als ein Stein darauf fiel. An den Wundmalen, sagen die Meister des
Fachs, erkennt man den Dilettanten. Die Erkenntnis höherer Trockenmauerwelten
hat wie alles seinen Preis.
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Musik Wiener Walzer
Wie gut, dass es den Vogler Martin und die Weinbauschule in Krems in der Wachau
gibt. Krems, ein idyllisches altes Städtchen, ein mittelalterliches Juwel umschmeichelt
von Weinbergen und Marillenplantagen, das kennen Sie von der Fahrradtour entlang
der Donau. Wachau, die kommt gleich hinter dem Mostviertel und liegt südlich vom
Waldviertel. Flussabwärts ist es nicht mehr weit nach Wien. Errichtet wurde die
Weinbau-Schule in den 1950er Jahren. Ihr Baukörper strahlt viel heimattümelnde
Wärme ab. Und die unvermeidlichen bösen Zungen wollen stilistische Anklänge an
die Architektur des wenige Jahre zuvor die Donau hinabgeflossenen Großdeutschen
Reiches ausgemacht haben. Heute ist das öko-önologisches Paradies anderen
Zwängen ausgesetzt. Man findet es im Zangengriff zwischen einer Autobahn, einer
Bundesstraße, einem Bordell, einer Tankstelle, dem städtischen Friedhof und zweien
nutzlosen Ladengalerie-Monstern. Aber sie wird auch das überleben.
Atmo Weinbau-Schüler, Korridore, Pausengong
Obwohl auch in Österreich die Höfe sterben und den Bauern die Frauen davon
laufen, herrscht reges Leben auf den Gängen und in den Klassenzimmern. Denn die
Kremser haben seit dem Katastrophenjahr 2002 alle Hebel in Bewegung gesetzt, um
das Steuer herumzureißen.
Atmo Starkregen
Damals hat es geregnet und geregnet, und ein Teil der Wachauer Weinbergterrassen
hat sich auf den Weg hinunter zur Donau gemacht. Die Sintflut bedrohte die Existenz
der Winzerfamilien. Wie man die Weinbergmauern wieder aufbaut, wusste kaum
noch jemand. Also trommelte der Vogler Martin ein paar Alte wie den Hermann
zusammen und baute mit ihnen ein mustergültiges Trockenmauer-Lehrgangs-Wesen
auf. Die Zahl vergleichbarer Ausbildungsgänge kann man auf dem europäischen
Kontinent an einer Hand abzählen. Heute wird Vogler und sein Team nicht mehr vom
Starkregen, dafür aber von Massen von Anfragen überschwemmt. Jeder will das
Zertifikat und unterzieht sich dafür einem mehrwöchigen Zölibat.
Atmo Beten im Speisesaal
Bei Tisch wird noch anständig der Herrgott gelobt und Gebete werden gen Himmel
geschickt.
Ora et labora, bete und arbeite, haben sich das nicht schon die Mönche zum Motto
genommen, als sie im Mittelalter aus dem Dschungel Europa eine Kulturlandschaft
formten?
Atmo Geistliche Musik
Auch sonst müht sich der Lehrkörper nach Kräften, die nachwachsende Landjugend
in das klösterliche Regelwerk einzupassen. Der Vogler Martin und die andern
Kollegen sind gehalten, nächtens mit der Taschenlampe auf den Fluren auf Pirsch zu
gehen. Den Trinkritualen der jungbäuerlichen Novizen im Schlaftrakt wird so tatkräftig
vorgebaut. Was ausgerechnet bei angehenden Winzern und Alkoholproduzenten ein
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wenig seltsam wirkt. Besser ist es, man zählt wie wir Lehrgangsteilnehmer zu den
Spätberufenen, steht in den besten Jahren und besitzt einen Schlüssel zu einem der
Gemeinschaftsräume. Dort lagern die Eigengewächse des Hauses. Der Zweigelt
oder der Veltliner können sich sehen lassen.
Wir Mauerspechte genießen den Vorzugspreis und, um der Jugend kein schlechtes
Vorbild zu geben, schlucken wir in Maßen und im Stillen. Oder wir gehen in die
Wirtschaft. Anonym sozusagen. Das Gedankenspiel gefällt dem Rainer. Da muss er
lachen. Das klingt so ähnlich wie das, was er unserer Gruppe vermitteln möchte:
anonymes Handwerk. Jeder kann es ausüben.
Atmo Gruppenteilnehmer bearbeiten Stein
Die Kunst, Steine aufzuschichten, um Äcker und Weidevieh zu schützen, Gräber,
Tempel oder Burganlagen zu bauen, Terrassen für den Anbau von Kulturpflanzen zu
gewinnen oder Brunnen und Kanäle zu bauen, um Oasen zu bewässern, nennt den
Künstler nicht. Was zählt, ist der Wunsch, die himmlischen Mächte gütlich zu
stimmen und den Boden zu bereiten, um genug zu haben für das tägliche Überleben.
Im Wallis in der Schweiz haben Winzer Stützmauern von 25 Metern Höhe errichtet.
Wer sie waren? Wie die Erbauer solcher Wunderwerke hießen? Niemand weiß es.
Atmo Geistliche Musik
Baufachleute, die einen Namen haben, betreten die historische Bühne erst spät.
Seitdem im 12. und 13. Jahrhundert der Bau komplizierter Tragwerkskonstruktionen
für die gotischen Kirchen den Beruf des Baumeisters oder Architekten erforderlich
machten. Langsam trennten sich die Wege von Wissen und Erfahrung, von
anonymem Handwerk und professioneller Baukunst. Noch lange gingen sie
nebeneinander her, lange noch tauschten sie sich aus. In direkte Konkurrenz traten
Profis und die namenlosen Handwerker eigentlich erst im frühen 20. Jahrhundert, als
mit der Erfindung des Stahlbetons industrielle Bautechniken die Kultur-Landschaft zu
formen beginnen.
Atmo Zimmerverteilung
Krems. Die Zimmer werden verteilt. Der erste Tag. Im Klassenzimmer finden sich
Menschen zusammen, die sich normalerweise nicht begegnen. Da sind David, der
grade das Abi gemacht und den Kurs von seiner Oma geschenkt bekommen hat,
Manfred, der pensionierte Polier und Motorradfahrer, der sich mit allen anlegt,
Hermann, der Steinmetz, der den Veltliner und ausgedehnte Urlaube in Ägypten
schätzt, Helmuth, der den Lehrerberuf an den Nagel gehängt hat und als ÖkoLandschaftsgärtner etwas werden will, Hans, Computerspezialist in der
Lebensmittelbranche, dessen Herz für die Haiderpartei schlägt, Michael, der
Bauingenieur, der nicht nur auf die Mauern, sondern auch auf die Gemeinschaft
achtet, und schließlich Peter, ein ledig gebliebener Kufsteiner Bergbauernbub, der
Maurer gelernt hat, nicht immer so schnell die Worte findet, aber dafür ein prima
Kumpel ist und viele der alten Bautechniken noch kennt. Und dann bin da noch ich.
Musik Wiener Walzer
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Dazu kommen drei Damen. Britta, die ABM-Frau mit der flippigen Frisur, Andrea,
Managerin in einem großen Wiener Medienunternehmen, die gegen einen
Landschaftsgärtner prozessiert, der ihr die Gartenmauern versaut hat und die
Friederika, die Schneiderin gelernt und ein ganzes 70-jähriges Leben lang geübt hat,
wie man sich zurücknimmt. Auf die alten Tage hat sie noch einen Traum: „Ja, ein
Sitzplatzerl hinterm Haus, das wär scho was ganz was Feines“.
Atmo Lachen, Diskussion
Atmo Unterricht Bautechnik
Das was man vor einhundert Jahren einmal Heimatschutz nannte, ist das feste
Weltanschauungsband, das uns alle im Kurs umschlingt, die Lauten und die Leisen,
die Linken, die Mittleren und die Rechten, die, die auch im Geiste ständig ihre
Mauern und Bollwerke gegen Andersartige errichten müssen. Ein mahnendes
Menetekel ist die Trockenmauer allemal, die geborene Feindin der Bau- und
Betonmafia. Letztere will nicht das Beständige, sondern den schnellen Profit. Sie
stellt Bauwerke in die Landschaft, die oft schon nach wenigen Jahrzehnten saniert
werden müssen. Ihr Weg endet dort, wo er enden muss: im Schredder oder gleich
auf der Bauschuttdeponie.
Atmo Steinbrecher
Atmo Radlader
Ja, so kann es doch, Himmelsapperment, nicht weiter gehen?! Der Beamer findet an
diesen ersten Tagen keine Ruh. Ein Bild jagt das andere, und die Verheißungen
türmen sich vor unserem geistigen Auge auf, hoch wie die Chinesische Mauer. Wir
werden nicht nur in den Weinbergen umherstreichen, um Schäden an
altersschwachen Terrassen aufzunehmen und besprechen, wie die Baustelle
einzurichten, Werkzeug und Material herangeschafft und die in alle Ewigkeit
recycelbaren Mauern wieder auf sichere Fundamente gestellt werden können.
Atmo Arbeit auf der Baustelle
Nein, wir wollen mehr. Zwischen den Schnur- und Lattengerüsten, die wir in die
Landschaft stellen, sollen auch seltene Blumen wachsen. Wir wollen eine
Schutzhütte bauen oder einen Gewölbekeller, der dem Seiser Johann drüben in
Wösendorf als Probierstube im Weingarten dienen soll.
Atmo Mittagessen auf dem Hof, Turmuhr Dorfkirche
Wir Trockenmaurer zählen zur Speerspitze, zur Avantgarde. Denn mittlerweile ist die
so genannte Trockenmauer-Renaissance zum Thema von Garten- und
Architekturzeitschriften und den entsprechenden Fernsehformaten geworden. Nicht
von ungefähr machte die neue Bewegung erstmals zu dem Zeitpunkt von sich reden,
als die politischen Mauern zwischen Ost und West eingerissen wurden und die
Luftschlösser der Finanzhaie zusammenfielen wie ein Kartenhaus.
Atmo Arbeit mit Fäustel und Meißel
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Das beflügelte die etwas romantische Suche nach dem Alten, Bewährten und
Soliden. Mauern sind nicht nur Bauwerke. Sind sie nicht immer auch Teil des
kulturellen Gerüsts, das Menschen brauchen, um gegenüber den Herausforderungen
der Zeit Halt zu finden? Stoa hinten, Stoa vorne. Das alte Griechenland! Antike
Philosophie! Und das ausgerechnet hier, in einer Weinbauernschule. Der Beamer
wirft ein Bild von dem berühmten Löwentor von Mykene an die Wand. Wie elegant
die Hellenen ihre Tempel und Theater in die natürliche Umgebung einzupassen
wussten. Der Stoa sei Dank! Welt als großes in sich abgestimmtes Bauwerk, das
Ganze, der Logos, der alles Sein bis zum letzten Stein durchdringt! Sie verstehen?
Etwa nicht? Ging mir auch so.
Anfangs habe ich irgendwie nicht alles verstanden. Was auch mit den im Kurs
gebräuchlichen Sprachgewohnheiten zu tun haben kann. In der Sommerfrische am
Wolfgangsee einen Kaffee zu bestellen oder beim Apres-Ski in Lech einen Aperol
Spritz, dürfte auch Ihnen nicht sonderlich schwer fallen. Insbesondere wenn der
Kellner aus der ehemaligen DDR kommt. Aber den Rainer, Andy oder den Peter oder
die Britta zu verstehen, ist schon was anderes. Dass ein Pfost’n nicht ein Stück
Rundholz ist, dass man in den Boden schlägt, sondern eine Baudiele, erfordert
schon viel Phantasie. Und so ging’s mir auch mit der Philosophie. Der gelehrte
Diskurs über das Denken der Stoa war ein Missverständnis. Er drehte sich in
Wahrheit um Steine, im Dialekt: Stoa. Das zu durchschauen, hat mich einige Zeit
gekostet.
Atmo Geistliche Musik
Peinlich fühlte ich mich an meine Studententage in Rom erinnert, als ich im Seminar
bei den Jesuiten ein durchaus provokant gemeintes Statement über Luther und das
fromme Werk seiner Reformation abgab. Luther heißt auf Italienisch Lutēro. Ich
hingegen sprach von l‘ūtero, was aber in der Landessprache so viel wie Gebärmutter
heißt. Die angehenden geistlichen Herren tuschelten und grinsten, und die Häme ließ
die pastoralen Bauchansätze freudig auf und ab wippen.
Atmo Baustelle, Trainer Hermann unterweist Teilnehmer
Viele Wege führen nach Rom und zum Seelenheil. Das ist vielleicht das Schönste an
der anonymen Handwerkskunst. Standfest muss das Bauwerk sein, gewiss. Aber
sonst lässt die Ansichtsseite der Mauer Raum für allerlei Stile und Handschriften. Ob
man die Steine im Fischgratmuster schichtet, pedantisch Lage auf Lage setzt und die
krümmsten Steine, man nennt sie hier: „schiach“, als sogenanntes wildes Gefüge
zusammen bringt, spielt keine Rolle.
Atmo Traktor
Besonders schön ist es, mit dem alten Hermann aus Weißenkirchen und einem
Traktor-Gespann voll beladen mit Mauersteinen in die Arena der Rebterrassen hoch
über der Donau hinauf zu fahren. Er wartet schon unten am Parkplatz beim
Telefonhütt’l, und es kann losgehen. Unter uns liegt eine Spielzeuglandschaft, der
Fluss mit seinen Lastkähnen und Ausflugsschiffen, die Bahn, ein paar Straßen und
das Viertel mit dem Gefängnis. Das ist die Welt, die Hermann, als er in Rente ging,
zurückgelassen hat. Hermann hat Schuster gelernt und einen großen Teil seines
Lebens als Knast-Aufseher verbracht. Er ist ein Augenmensch. Gute Mauerbauer
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sind Meister der Langsamkeit. Sie arbeiten mit Bedacht, und machen immer wieder
Pausen, um ihr Werk zu betrachten. Ich bin der einzige Deutsche im Kurs. Für den
Hermann ist das erstmal gar keine gute Voraussetzung.
Hermann Böhmer:
Naja, der Deutsche der prescht irgendwie vor. Der sagt, kommt eine neue Sache, „ja,
das mach‘ ich, das ist gut!“ Der Österreicher sagt, „naja, warten wir ein bisserl,
schauen wir uns das von dem Deutschen einmal an. Wenn es gut ist, machen wir es
auch. Wenn es nicht gut ist, lassen wir es stehen. “
Erzähler:
Es dauert eine Weile, bis wir Kurskollegen ein Team werden, wenn überhaupt.
Bisweilen tobt der Geschlechterkampf, was nicht sein muss. Grade in den
angelsächsischen Ländern ist das Trockenmauer-Bauen auch ein beliebter
Damensport. Dass die Kremser auch Theresa als Trainerin angeheuert haben, gefiel
der Britta.
Atmo Theresa unterweist Teilnehmer
Theresa gefiel auch mir. Wegen ihrer Hände, ihres haptischen Gespürs. Wie
vorsichtig, geradezu respektvoll sie den schweren und scharfkantigen Kremser
Granit abgetastet und bewegt hat. Als einzige trug sie keine Handschuhe.
Werkzeuge gebrauchte sie selten. Patentlösungen mochte sie nicht. Jeder sollte
seinen Weg finden, mit dem Stein zu hantieren. Aber trotz Theresa, Britta hatte so
ihre Schwierigkeiten mit mir und den Maurer-Männern, denen sie bisweilen feurige
Blicke zuwarf. Denn Männer gehen mit Steinen erst einmal anders um als Frauen.
Atmo Fachsimpeln im Steinbruch
Bei der Exkursion in den Steinbruch, wo die groben Arbeiten anfallen und man viel
über die Erdgeschichte lernen kann, sind die Herren vorneweg. Männer hauen gerne
druff und heben Gewichte bis kurz vor den Bandscheibenvorfall. Was nicht sein
muss, wenn man weiß, wie man auch schwere Brocken bewegt. Besonders
Hermann, der Steinmetz, legt Hammer und Meißel nicht eine Minute zur Seite. Er ist
es gewohnt, den Stein in Form zu bringen. Dagegen fällt den Frauen der
vorausschauende Blick auf das Ganze leichter, die Achtsamkeit für die Eigenart des
Steins, der seinen Platz im Gefüge der Mauer wie von selbst finden muss. Ein
Vorurteil? Ich glaube nicht.
Atmo Straußenwirtschaft
Aber abends, wenn wir in den Bauernwirtschaften, im Buschenschank den Staub der
Baustelle von uns schütteln, ist Zeit, gemeinsam über die Geschlechterunterschiede
und das Geheimnis der Trockenmauerkunst nachzudenken. Was ist das Wichtigste?
Hermann Böhmer:
Naja, das Wichtigste zuerst einmal: Steine, Zeit und Geduld. Geduld! Muss man halt
langsam beginnen. Es dauert immer eine Zeit, bis man das mit dem Aug‘ kriegt, dass
man genau sieht, wo der Stein hingehört, dass er passt! Hm?
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Erzähler:
Manche vergleichen ihr Werk mit einem Legobaukasten. Andere betonen die
spirituelle und entspannende Seite der vermeintlichen Schwerarbeit, die in
Wirklichkeit ja gar keine ist. Sie macht den Kopf frei. Das sei wie Zen, sag Andrea,
die im Urlaub im Himalaya Trekking macht. Barfuß. In japanischen
Erziehungsanstalten müssen jugendliche Delinquenten mit Sandpapier und den
bloßen Händen Steine schleifen. Solange, bis die Finger bluten und sie die Struktur
des Steins und sich selbst frei gelegt haben. Ein Schüler der Soto-Schule, die wir im
Westen Zen nennen, lernt über Jahre hinweg nichts als sitzen und atmen. Ich kenne
einen Trockenmaurer, der seinem Mitarbeiter erst nach vier Jahren erlaubt hat,
eigenständig eine Mauer zu errichten. Also Zen! Wir lernten so etwas wie Zen. Zen
wie Zertifikat.
Atmo Arbeit mit Fäustel und Meißel
Es ist Mai, und da kommt unser großes Finale. Die Prüfung. Das Ende. Mein
Prüfungs-Projekt soll eine Weinberg-Staffel sein. Friederika ist vor mir dran, und sie
präsentiert statt des Sitzplatzls – ein Überraschungscoup - das Projekt einer
Kräuterschnecke. Auch recht. Alle werden die Prüfung bestehen. Dank dem Vogler
Martin und seinen Kollegen und der Frau Prüferin von der Landwirtschaftskammer.
Atmo Verabschiedung und Dankeswort der Teilnehmer
Wir haben es geschafft und köpfen gemeinsam ein letztes Fläschchen. Peter, der
alte Tonnengewölbe baut wie kein anderer, nimmt mich mit bis zum Bahnhof nach
Salzburg. Wie das mit den Gewölben geht, hat er niemandem verraten wollen. Aber
auf den letzten Metern bricht er sein Schweigen und offenbart mir plötzlich seine
Geheimnisse. Ungefragt. Ich bin gerührt. Obwohl ich nie ein Tonnengewölbe mauern
werde. Ein paar Wochen später kommt Post aus Krems. Endlich, das Zertifikat. Ich
stecke es in einen Rahmen und nagle es an die Wand im Wohnzimmer. So wie mein
Bäcker seinen Meisterbrief hinter dem Tresen an die Wand genagelt hat. Aber
beruflich kann ich die Meisterurkunde doch gar nicht gebrauchen. Ich bleibe lieber in
der Anonymität. Doch vielleicht hilft der zertifizierte Pappendeckel, auch in der
Heimat endlich Gleichgesinnte zu finden, etwa beim Schnupperkurs auf der Yburg im
Remstal. In Deutschland beginnt der Trockenmauer-Virus ja gerade erst richtig um
sich zu greifen.
Atmo Lehrbaustelle Yburg
Atmo „Kässpätzle“
Ja, bei den Spätzle, da kommen die mit den blauen Finger zuerst zum Zuge. Da
sitzen wir Mauerspechte dann, betrachten stolz unser Tagewerk und danken dem
Herrgott, dass es noch irgendwo auf der Welt ein Plätzchen gibt, wo man anonym
etwas zuwege bringen und sich die Fachleute, „ausgewiesenen“ Spezialisten und die
übrigen Besserwisser vom Hals halten kann. Der Weg nach Arkadien ist steinig. Aber
unermesslich der Lohn. Viel mehr als jener Euro, den ich Ihnen versprochen habe,
wenn Sie auch so ein schönes niederösterreichisches Zertifikat haben wie ich.
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