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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Pasticcio musicale 08-16
Von Konrad Beikircher
Sendung:
Redaktion:
Samstag, 20. August 2016
Martin Roth
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
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SWR 2 Musikstunde 20.08.2016
Pasticcio musicale (August 2016)
Signet + Titelmusik
Och, das ist aber schön, dass Sie da sind, ich grüße Sie ganz herzlich hier, im
Pasticcio musicale von Ihrem Konrad Beikircher.
Heute simmer mal jubelfrei, d.h. keine großen runden Gedenktage, Todestage,
Geburtstagsfeierlichkeiten, heute möchte ich mal ein kleines SommerPasticcio
zusammenstellen, Heiteres zum Wochenende, Nettes für den Samstag. Wir haben
ja in diesem Jahr 2016 ein grandioses Jubiläum im Rheinland, das aber kein
einziger Rheinländer feiert: 2oo Jahre Preußen im Rheinland. Das hängt ja, wie Sie
alle wissen, mit Napoleon und mit dem Wiener Kongress zusammen. Und an diese
Ereignisse möchte ich heute mal erinnern, bzw darüber möchte ich mit Ihnen ein
bisschen plaudern, aus rheinischer Sicht quasi. Sie wissen ja, ich stamme aus
Südtirol und lebe seit 51 Jahren im Rheinland, in Bonn und Umgebung.
Napoleon kam also ins Rheinland, und er ist ja, wie wir wissen, hauptsächlich
erstmal im Linksrheinischen geblieben Er hat das Rechtsrheinische, also das
Bergische und Oberbergische, eigentlich nur betreten, um schneller nach
Preußen und noh Moskau kommen zu können, sonst hätte er den Umweg über
die A3, Duisburg und den Ruhrschnellweg nehmen müssen.
Der Franzose wurde, wollen wir mal sagen, mehrheitlich nicht unfreundlich
empfangen, ich meine: Paris war ja immer schon direkt hinter Grevenbroich, der
Rheinländer ist immer schon gerne mit Schäfers Reisen Siegburg zu Ostern da hin
gefahren, bisschen Champs Elysées rauf und runter, Invalidendom geguckt (das
muss man sich mal vorstellen: ein ganzer Dom nur für Invaliden!) und der
Rheinländer hat sich auch immer schon mit einem gewissen savoir vivre
geschmückt, um sich vom Sauerländer und dem Westfalen zu unterscheiden.
Die freiheitsliebenden Intellektuellen und die benachteiligten unteren Klassen –
heute würde man sagen: Studenten und soziale Brennpunkte – haben überall
Freiheitsbäume aufgestellt,
die sahen aus wie ein Maibaum mit Jakobinermütze oben drauf und Bändern in
den Freiheitsfarben Grün-Rot-Weiß, was ja heute noch die Farben NordrheinWestfalens sind. Und Beethoven hat sich auch gefreut, auch wenn er nicht mehr
in Bonn lebte, er war da schon in Wien. Aber bis zur Kaiserkrönung Napoleons war
er schon ein großer Verehrer!
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Ludwig van Beethoven:
Finale. Alla Fuga aus: 15 Variationen mit einer Fuge über ein eigenes Thema EsDur op-35 „Eroica-Variationen“
Emil Gilels (Klavier)
Dauer: 4‘40
Wie das so war, als Napoleon ins Rheinland kam, beschreibt plastisch wie kein
anderer Heinrich Heine, der große Sohn Düsseldorfs, im Buch Le Grand, ich darf
zitieren:
"Aber, wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten, eignen
Augen, ihn selber, Hosiannah! den Kaiser.
Es war eben in der Allee des Hofgartens zu Düsseldorf. Und der Kaiser mit seinem
Gefolge ritt mitten durch die Allee, die schauernden Bäume beugten sich
vorwärts, wo er vorbeykam, die Sonnenstrahlen zitterten furchtsam neugierig
durch das grüne Laub, und am blauen Himmel oben schwamm sichtbar ein
goldner Stern. Der Kaiser trug seine scheinlose grüne Uniform und das kleine,
welthistorische Hütchen.
"Er ritt ein weißes Rößlein, und das ging so ruhig stolz, so sicher, so ausgezeichnet wär' ich damals Kronprinz von Preußen gewesen, ich hätte dieses Rößlein
beneidet. Nachlässig, fast hängend, saß der Kaiser, die eine Hand hielt hoch den
Zaum, die andere klopfte gutmüthig den Hals des Pferdchens - Es war eine
sonnigmarmorne Hand, eine mächtige Hand, eine von den beiden Händen, die
das vielköpfige Ungeheuer der Anarchie gebändigt und den Völkerzweykampf
geordnet hatten - und sie klopfte gutmüthig den Hals des Pferdes. Auch das
Gesicht hatte jene Farbe, die wir bey marmornen Griechen- und Römerköpfen
finden, ... und auf diesem Gesichte stand geschrieben: Du sollst keine Götter
haben außer mir.
Ein Lächeln, das jedes Herz erwärmte und beruhigte, schwebte um die Lippen und doch wusste man, diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - et la Prusse
n'existoit plus - diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - und die ganze Klerisey
hatte aus geklingelt - diese Lippen brauchten nur zu pfeifen - und das ganze
heilige römische Reich tanzte."
Felix Mendelssohn-Bartholdy:
„Auf Flügeln des Gesanges“ Lied (Text: Heinrich Heine) bearbeitet für Violine und
Klavier
Renaud Capucon (Violine)
Jérome Ducros (Klavier)
Dauer: 2’20
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Nun wissen wir ja alle: alle Macht ist endlich und nach Napoleon kam der Wiener
Kongress. Und bei dem war ja so wat von wat los!
Fürst Metternich hatte gerufen und alle, alle kamen. Zar Alexander I., der
Preußenkönig Friedrich Wilhelm soweitichweißderDritte, Talleyrand, der meinen
Lieblingskoch mitbrachte, Antonin Carême, einen der wirklich ganz großen
Erneuerer der Küche und des Essens er war derjenige, der mit den schweren Saucen aus der Rokokoküche endlich
Schluss machte und der sagte, die Gerichte müssten nach dem schmecken, was
drin ist, Spinat nach Spinat, Kalb nach Kalb, Gänseleber nach Gänseleber -, dazu
ein Riesengewusel kleinerer Fürstlichkeiten und Herrscherchen, und natürlich Hans
Moser, Theo Lingen, Paul Hörbiger. Schön!
Und während der Kongress tanzte, teilte man Europa auf. Als unser Friedrich
Wilhelm WurzelausSieben bei der Zuteilung dran war, fragte ihn Metternich in
seiner bekannt höflich-weanerischen Art:
„Was darf‘s denn sein, königliche Hoheit?“
„Die Rheinlande“, schnarrte der Preuße.
Friedrich Wilhelm Dreimal-Null-Es-Null-Bliev-Null also wollte das Rheinland.
Metternich: „Bitte höflichst, königliche Hoheit, bedienen Sie sich“ und hat sich
halb totgelacht, weil er wusste, an der Verwaltung des Rheinlandes ist schon der
Römer gescheitert.
Nun haben die Preußen das Rheinland bekommen und haben es mit typisch
preußischer Feinfühligkeit gleich umbenannt in „preußische Rheinprovinzen“. Wat
hat sich da der Rheinländer aber gefreut!
Nicht genug damit, sie haben das Zentrum der Macht, die Verwaltungszentrale,
nicht nur nicht nach Köln gelegt oder nach Aachen, sie haben es noch nicht mal
nach Düsseldorf gelegt, selbst das hätte man ihnen verziehen, nein, sie haben es
nach Koblenz gelegt, das muss man sich mal vorstellen! Übrigens hat sich – und
das sage ich ohne jede Wertung oder Gehässigkeit – bis heute noch kein Preuße
dafür entschuldigt! Das nur mal dazu!
Johannes Brahms:
3. Satz aus der Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Staatsorchester Rheinische Philharmonie Koblenz
Leitung: Daniel Raiskin
Dauer: 6‘10
Und wir haben hier heroben in NRW noch ein Jubiläum, auf das ich den Süden
und seine Hörerinnen und Hörer gerne aufmerksam machen möchte: NRW ist 7o
Jahre alt geworden. Das hätte doch sicher keiner der Briten, die nach dem
Weltkrieg dieses sonderbare Bundesland geschaffen haben, gedacht: 7o Jahre!
Ich möchte quasi als Botschafter von Nordrhein-Westfalen Ihnen dieses
Bundesland etwas näher bringen, wenn Sie gestatten, denn bis zum Ende des II.
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Weltkrieges gab es Westfalen und die Rheinprovinz, erst die Briten haben in der
Operation "marriage" diese beiden Landesteile zusammengebracht und am 23.
August, also quasi am Dienstag vor 7o Jahren, war es dann soweit: NRW war
geboren: ein schönes Land. Die wunderbaren Skigebiete im Rheinland, die
herrlichen westfälischen Seenplatten, die riesigen Rinder-Auen und
Weidelandschaften zwischen Dortmund und Oberhausen, die sauerländische
Steppe – alles weltberühmte Fernerholungsparadiese, wie jeder weiß, der schon
mal im Stau zwischen Siegen und Hagen stand und von den kühn
geschwungenen Autobahnvolten weit ins Land hinein schauen durfte.
Was die Briten nicht wussten: NRW war schon seit Jahrhunderten auf dem Weg zu
einem einheitlichen Land und das hat mit einer großen Männerfreundschaft zu
tun: mit der Freundschaft zwischen Karl dem Großen und Papst Leo III.
Das eigentliche Wunder ist, dass die beiden sich in Paderborn zum ersten Mal
trafen und dabei nicht nur nicht ‘laufen jejangen’ sind, sondern außer
aneinander auch am Westfalen Gefallen fanden. Was übrigens für die oft
unterschätzte Raffinesse des Westfalen spricht: er galt nämlich damals als
Sachse, hatte aber die Zeichen der Zeit erkannt und war kurz vor dem Besuch der
beiden rasch zum ‘normalen Glauben’ konvertiert - im Gegensatz zu den übrigen
Sachsen, deren Halsstarrigkeit ja 3o.ooo von ihnen den Hals kostete. Zurecht, wie
uns die Geschichte lehrt, denn wären sie damals ebenfalls Rechtgläubige
geworden, wäre uns sicher das Trio infernale Ulbricht, Pieck und Grotewohl und in
der Folge der Helium-Pavarotti Honecker und damit letztlich die teure
Wiedervereinigung erspart geblieben. Nun denn: es hat nicht sollen sein.
Leo III. kam übrigens aus Italien, weil man ihm in Rom übelst nachstellte, zuletzt
versuchte man bei der Prozession am 5. April 799 ihn vom Pferd zu holen, zu
blenden und ihm die Zunge abzuschneiden, denn er gehörte nicht zum
römischen Adel und muss auch sonst etwas unangenehm gewesen sein. Um sich
zu schützen floh er nach Paderborn, wo ihm die Pfalz und die Karlsburg derart
gefielen, dass er beschloss, den Sitz des Vatikan von Rom nach Paderborn zu
verlegen. Wäre ihm das gelungen, sprächen die Päpste unter dem Drei-HasenFenster zu den Gläubigen, no, wenn das nix wäre! Aus heute nicht mehr
bekannten Gründen kam es dann doch nicht mehr zum Umzug. Schade aber
auch.
Tomás Luis de Victoria:
„Ego vir videns“ Motette für 5-stimmigen gemischten Chor a cappella (Rom 1585)
Ensemble Plus Ultra
Leitung: Michael Noone
Dauer: 7‘10
So ist also, dank der Briten, aus dem Völkergemisch aus Selfkantern, Eifelern,
Rheinländern, Bergischen, Sauerländern, Ruhrgebietlern, Münsterländern,
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OstWestfalen, Siegerländern - um nur einige zu nennen - eine Familie geworden,
die sich sehen lassen kann. Einer hat das ganz genau erkannt: Johannes Rau,
vormals Ministerpräsident in NRW. Er sagte:
"Die Stärke des Landes NRW liegt in der einmaligen Kombination der
Eigenschaften seiner Menschen: der Zuverlässigkeit des Rheinländers, der
Leichtfüßigkeit des Westfalen und der Großzügigkeit des Lippers".
Und einer seiner Lieblingswitze war: Woran erkennt man, dass ein Schiff unter
lippischer Flagge fährt? Daran, dass das das einzige Schiff ist, hinter dem keine
Möwen herfliegen...!
So ist „mein“ NRW: europäisch, weltoffen und hat doch soviel mit sich selbst zu
tun, dass es kaum dazu kommt, nach links und nach rechts zu gucken. Es ist die
Keimzelle der EU, nur weiß das keiner und vielleicht ist das auch gut so. Es kämen
sonst vielleicht doch einige auf die Idee, nach hier zu kommen und das wäre
nicht opportun, denn das Hauptelement der vielen Völker in diesem
wunderbaren Bundesland ist nach wie vor: sie bleiben am liebsten unter sich. Der
Sauerländer im Sauerland, der Rheinländer im Rheinland, der Kumpel im Revier,
der Westfale dortselbst. Und der Rest der Welt kann ihm, gäbe es DEN NRWler
und fragten Sie ihn danach, gestohlen bleiben.
Robert Schumann:
Finale aus dem Klavierquartett Es-Dur op. 47
Hariolf Schlichtig (Viola)
Trio Parnassus
Dauer: 7‘35
Och, jetzt hab ich Ihnen die Ohren voll geplaudert und das auch noch mit
Themen, die ja so gar nicht badisch oder schwäbisch, alemannisch oder hessisch
sind, wenn auch vielleicht der ein oder andere Zuhörer im Elsass sich über einige
Napoleon-Sätze gefreut haben mag, worüber ich mich sehr freuen würde, bin
ich doch ein großer Elsass-Verehrer und der immer die Konzertabende mit der
Choucrouterie genossen hat, wenn die beim WDR oder in Bonn zu Gast waren
und falls Du mich hörst, Roger Siffer, schöne Grüße! Also, liebe Freunde und
Freundinnen des pasticcio musicale, ein Bonbon habe ich schon noch für Sie, ein
Gedicht, nein, ein August-Gedicht von Sandor Petöfi, dem großen ungarischen
Dichter, der am 31. Juli 1849 im Freiheitskampf der Ungarn gegen die Habsburger
in der Schlacht bei Segesvar gefallen ist.
Damit aber entlasse ich Sie gernstens in den August-Samstag und bleibe bis zum
silbernen September Ihr Konrad Beikircher
Also: Sandor Petöfi
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August
Trag nun ihren Ring am Finger,
ihren Ring, am Finger nun!
Fühl beglückt auf meinen Lippen
ihre warmen Lippen ruhn.
Oh, wie süß ist es, zu küssen
ihren holden roten Mund,
süßer wohl als alle Süße
auf dem weiten Erdenrund!
Küss mich! ... Mögen's alle sehen,
saug an meinem Mund dich fest!
Recht ist's, dass sich die Verlobte
vom Verlobten küssen lässt!
Deine Augen, Stirn und Wangen,
nicht die Lippen nur allein
lass mich küssen, wie den Himmel
küsst der Morgenröte Schein.
Halte mich in deinen Armen!
Ach, ich taumle, stürze hin,
weiß nicht, ob von deinen Küssen,
ob vom Wein ich trunken bin.
Deine Küsse sind wie Nektar,
so berauschend wie der Wein,
der selbst Götter trunken machte!
Sollt ich da nicht trunken sein?
Liebesrausch hat meine Sinne
ganz verwirrt, den Göttern gleich
steige ich, entrückt der Erde,
auf in aller Seligen Reich.
Schwebe über bunter Wolken
Wandrerheeren hoch im All
zwischen Sternen, jeder singt mir
zu wie eine Nachtigall.
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Ja, sie singen nie gehörte
holde Sphärenlieder mir!
Licht wie hunderttausend Blitze
blendet meine Augen schier.
Doch mein Herz, es pocht wie rasend!
So viel Glück erträgt es nicht!
Mann, gib acht, dass es dir plötzlich
nicht vor lauter Freude bricht!
Wolfgang Amadeus Mozart:
2. Satz: Adagio aus dem Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur KV 622
Wenzel Fuchs (Klarinette)
Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker
Leitung: Stephan Frucht