Bienen gegen Kapital Imam gegen Diskriminierung Kino für alle John Holloway über kleine Revolten, SYRIZA und Richtiges im Falschen. Seite 3 Schwule und Islam gelten nicht als Traumpaar. Aber reden geht. Seite 11 Steven Spielbergs »BFG« ist politisch opportun. Seite 15 Grafik: nd Foto: dpa/Constantin Film Donnerstag, 21. Juli 2016 STANDPUNKT Lügen mit Gülen Roland Etzel zu Erdogans Variante der Politik mittels Staatsstreichs Der Putschversuch türkischer Militärs vor sechs Tagen war nach wenigen Stunden beendet. Hingegen dauert der Staatsstreich des Präsidenten gegen die verfassungsmäßige Ordnung nicht nur an, sondern wird von Erdogans Apparat auf rabiate Weise forciert. Schon vor Erdogans Erklärung vor seinem Sicherheitsrat bedurfte es keiner Neigung zu Verschwörungstheorien, um zu erkennen, dass allein sein Umsturzszenario bis ins Detail vorbereitet war und ist; ja, dass es nur eines auslösenden Anlasses bedurfte, von wem auch immer. Den haben die dilettierenden Putschisten geliefert – aus eigenem Antrieb oder längst fremdgesteuert. Das Wechselspiel aus Terror und Demagogie, dessen man in diesen Tagen in der Türkei ansichtig wird, beherrschen nur wenige so perfekt wie Erdogan und setzen es so frei von Skrupeln um wie er. Wiewohl er bisher nicht den geringsten Beweis gegen den im US-Exil lebenden Prediger Gülen präsentieren konnte, verkauft er diesen als Wurzel so ziemlich alles Bösen in der Türkei. Viel folgenreicher aber ist, dass mit dem Feindbild Gülen eine Hexenjagd in allen Bereichen des öffentlichen Lebens gegen dessen vermeintliche Parteigänger oder auch nur ErdoganKritiker losgetreten wurde. Erdogan hatte seine Allmachtspläne bislang trotz aller Intrigen auf legale Weise nicht im gewünschten Tempo vorantreiben können. Jetzt will er keine Zeit verlieren und Fakten schaffen. Vielleicht sind die Türken doch aufgeklärter, als er hofft, und glauben nicht alle Gülen-Lügen. UNTEN LINKS Machtverfall im Freistaat: »Mit dem Namen Horst Seehofer und seiner Verantwortungszeit wird die Verspargelung Bayerns nicht verbunden werden können«, sagte vor Jahren der Ministerpräsident persönlich. Noch in diesem Frühjahr proklamierte er, schon bescheidener, die »Bewahrung unserer bayerischen Heimat vor einer kompletten Verspargelung«. Doch längst hatte er die Kontrolle über die Äcker verloren, besangen vergeblich seine Landsleute in ihrer Hymne den Allmächtigen, die Fluren des Freistaats zu behüten. Denn trotz eines verregneten Junis übertraf die diesjährige Spargelernte mit fast 20 000 Tonnen den Spitzenwert des Vorjahres. Mit mehr als sechs Prozent wuchs der Ertrag noch schneller als im Bundesschnitt, was vor allem der erweiterten Anbaufläche geschuldet ist. Kein Gemüse nimmt in Bayern mehr Raum ein als die blassen, leckeren Stangen, die entfernt an Windräder erinnern, doch auf ewig mit dem Namen Horst Seehofer verbunden sein werden. rst ISSN 0323-3375 71. Jahrgang/Nr. 169 Bundesausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de Erdogans Strafgericht Valls wählt die Basta-Lösung Der türkische Staatspräsident präsentiert eine haarsträubende Putscherklärung Arbeitsgesetz soll ohne Abstimmung französisches Parlament passieren Paris. Die französische Regierung hat auch in letzter Lesung eine Abstimmung über ihre seit Monaten umstrittene Arbeitsmarktreform umgangen. Ministerpräsident Manuel Valls griff dazu am Mittwoch in der Nationalversammlung wie erwartet auf eine Sonderregel in der Verfassung zurück. Damit gilt das Gesetz als angenommen, sofern nicht innerhalb von 24 Stunden ein Misstrauensantrag gegen die Regierung gestellt wird und Erfolg hat. Zuletzt fand sich dafür unter den Abgeordneten keine ausreichende Mehrheit. Angesichts des Widerstands des linken Flügels der regierenden Sozialdemokraten erschien eine Mehrheit für das Reformgesetz unsicher. Das Gesetz kann nun voraussichtlich an diesem Donnerstag als endgültig angenommen gelten. Die Arbeitsrechtsreform sieht unter anderem vor, die 35-Stunden-Woche und den Kündigungsschutz zu lockern. Die Regierung hatte sie nach starken landesweiten Protestaktionen der Gewerkschaften mehrfach abgeschwächt. Agenturen/nd Seiten 4 und 8 Täter vom IS »angestachelt«? Generalbundesanwalt übernahm Ermittlungen zu Würzburg-Anschlag Am Mittwoch im Präsidentenpalast in Ankara Ankara. Erstmals seit der Niederschlagung des Putschversuchs in der Türkei ist am Mittwoch der Nationale Sicherheitsrat des Landes zusammengekommen. Die Sondersitzung in Ankara wurde von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan geleitet, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist. Erdogan wartete dort mit einer haarsträubenden Geschichte über die Putschisten auf. Diese hätten ihn, Erdogan, wegen Unterstützung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anklagen wollen. Eine entsprechende Akte, vermutlich zur Nutzung nach einem Putscherfolg, sei im Büro eines festgenommenen Richters gefunden Foto: AFP/Kayhan Ozer worden. Erdogans Bemühungen, mit der PKK Frieden zu schließen, hätten wesentlich zum Zerwürfnis mit dem Prediger Fethullah Gülen beigetragen, der nun im Zentrum von Erdogans Putschanschuldigungen steht. Türkische Behörden haben den Zugang zur Enthüllungsplattform Wikileaks gesperrt, nachdem diese angebliche E-Mails der Regierungspartei im Netz veröffentlicht hatte. Die knapp 295 000 E-Mail-Nachrichten reichen Wikileaks zufolge von 2010 bis zum 6. Juli dieses Jahres. Die Veröffentlichung sei angesichts des harten Vorgehens der Behörden nach dem Umsturzversuch vom vergangenen Wochenende vorgezogen worden, erklärten die Aktivisten auf ihrer Website. Die Quelle für das Material aus dem Datenleck stamme nicht aus dem Umfeld der Putschisten. Die Bundesregierung ließ am Mittwoch erklären, sie beobachte das Vorgehen der türkischen Regierung gegen mutmaßliche Sympathisanten der Putschisten mit wachsender Sorge. »Fast täglich kommen neue Maßnahmen hinzu, die einem rechtsstaatlichen Vorgehen widersprechen«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Reaktionen auf den vereitelten Putsch seien unverhältnismäßig. roe/dpa Seiten 4 und 7 Der Anfang vom Brexit Großbritannien verzichtet auf EU-Ratspräsidentschaft / Aus Dreikampf um die Labour-Spitze wird Duell Das neue britische Kabinett zieht erste Konsequenzen aus dem Brexit-Votum und verzichtet auf Leitungsfunktionen in der Europäischen Union (EU). Berlin. Die britische Regierung hat Wichtigeres zu tun, als die vorgesehene EU-Ratspräsidentschaft für das zweite Halbjahr 2017 zu übernehmen. Wie ein Regierungssprecher am Mittwoch mitteilte, werde London mit den Verhandlungen über den Austritt aus der Europäischen Union »sehr beschäftigt« sein. Diese hätten »Priorität«. Am Dienstag bereits hatte Premierministerin Theresa May EU-Ratspräsident Donald Tusk über diesen Schritt in einem Telefongespräch informiert. Estland soll stattdessen für Großbritannien einspringen und die Ratspräsidentschaft übernehmen. Darauf einigten sich am Mittwoch Vertreter der EU-Staaten in Brüssel. Estland wäre eigentlich erst Anfang 2018 mit der alle sechs Monate wechselnden EU-Ratspräsidentschaft an der Reihe gewesen. Der nun aufgestellte Plan sieht vor, dass mit Estland angefangen alle bis 2020 eingeteilten Staaten den sechsmonatigen Vorsitz bereits ein halbes Jahr früher übernehmen. Im Januar 2020 übernimmt dann außerplanmäßig Kroatien. Deutschland wäre wie ursprünglich vorgesehen erst wieder im zweiten Halbjahr 2020 an der Reihe. Die Ratspräsidentschaft organisiert und leitet die Sitzungen im Rat der Mitgliedstaaten und hat damit großen Einfluss auf Themensetzung und Beschlussfassung. Politisch hat sie indes seit 2009 an Bedeutung verloren. Der Grund: Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Positionen des ständigen Ratspräsidenten sowie der EU-Außenbeauftragten eingeführt. Was die Zukunft ihres Landes außerhalb der EU betrifft, zeigte sich Premierministerin May bei ihrer ersten Fragestunde im Parlament zuversichtlich. »Dieses Land wird aus dem Brexit einen Erfolg machen, weil wir draußen in der Welt sein werden«, sagte May am Mittwoch in London. Großbritannien sei ein nach außen gerichtetes Land mit Chancen rund um den Globus. May bekräftigte zudem ihre Absicht, die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU für Großbritannien zu beenden. Die britischen Wähler hätten beim Referendum über einen EU-Austritt eine »sehr klare Botschaft ausgesandt«, dass sie die Zahl der Einwander aus der EU kontrollieren wollten. »Das ist genau, was wir tun möchten«, sagte May, die später am Mittwoch zu Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin erwartet wurde. Vor dem Treffen hatte die Bundesregierung durch ihren Sprecher Steffen Seibert ihre Ablehnung informeller Gespräche über den EU-Austritt Großbritanniens bekräftigt. Aus dem Dreikampf um den Vorsitz der oppositionellen Labour-Partei ist unterdessen ein Duell geworden. Die ehemalige Gewerkschafterin Angela Eagle zog ihre Kandidatur zurück und unterstützt nun den Kandidaten Owen Smith, teilte sie mit. Der linke Vorsitzende Jeremy Corbyn war nach dem Brexit-Votum insbesondere von rechten LabourAbgeordneten massiv kritisiert worden. gsp/Agenturen } Lesen Sie auf Seite 10 Gesund leben Tierversuche sind in Forschung und Medizin alltäglich. Doch die Ergebnisse der Tests rechtfertigen diese Quälerei schon lange nicht mehr. Berlin. Nach dem Axtangriff in einem Regionalzug am Montagabend nahe Würzburg hat am Mittwoch die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Ein angeblich aus Afghanistan stammender jugendlicher Asylbewerber hatte fünf Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt. Es bestehe der Verdacht, dass der Attentäter, der von der Polizei erschossen wurde, die Tat als Mitglied des Islamischen Staates (IS) beging. Zugleich wird die Suche nach möglichen Hintermännern fortgesetzt. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen werden vom Bayerischen Landeskriminalamt fortgeführt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte am Mittwoch, der Täter habe sich vom IS »angestachelt« gefühlt. Die Tat liege, so de Maizière, vielleicht »im Grenzgebiet zwischen Amoklauf und Terror«. Unterdessen warnte Europol vor weiteren Einzeltäteranschlägen nach dem in Nizza und Würzburg angewandten Muster. Das sei eine »bevorzugte Taktik« des IS sowie von Al Qaida. hei Seiten 4 und 5 Trump im Triumph: Nominierung steht US-Unternehmer ist Kandidat der Republikaner fürs Präsidentenamt Cleveland. Im Moment seines größten Triumphes war Donald Trump gar nicht da. Der Parteitag der US-Republikaner nominierte ihn am Dienstag (Ortszeit) in Cleveland zum Präsidentschaftskandidaten. Der Immobilienmilliardär selbst war in seinem New Yorker Hauptquartier im Trump Tower und bedankte sich von dort in einer Videobotschaft. »Ich bin so stolz, der Nominierte zu sein«, sagte er. An diesem Donnerstag soll er seinen großen Auftritt haben und die Nominierung annehmen – eine Formsache zwar, aber erst dann steht sie hundertprozentig fest. In einer zeremoniellen Abstimmung erhielt der politische Quereinsteiger die nötige Mehrheit der Delegierten. Der Reihe nach verkündete jeder Bundesstaat lautstark, wie viele Delegierte er für Trump in die Waagschale wirft. Trump hatte in den Vorwahlen die nötige Hürde von 1237 Delegierten genommen. In Cleveland wurden 1725 Stimmen für ihn gezählt; sein ärgster Verfolger, Senator Ted Cruz aus Texas, kam auf 475 Delegierte. dpa/nd
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