Erbschaftssteuer: Grüne wollen »Flatrate

»Viva Russia!«
jW-ARCHIV
Vor 80 Jahren: Nach dem Angriff einheimischer Militärs auf die demokratisch gewählte Volksfrontregierung
vor 80 Jahren leistete die Sowjetunion der Spanischen Republik zwischen 1936 und 1939 umfassende
Hilfe. Von Peter Rau
SEITEN 12/13
GEGRÜNDET 1947 · MONTAG, 18. JULI 2016 · NR. 165 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
WWW.JUNGEWELT.DE
Unduldsam
Unsozial
Uneins
Ungeliebt
4
5
6
15
Deutsche Agrarressortchefs berieten
Maßnahmen gegen Milchpreis­
krise. Ergebnisse: keine
Kerry unterbreitet Moskau inakzeptab­ Neoliberaler Kahlschlag: Ein nützliches
les Angebot für »Kooperation« in
Buch von Felix Syrovatka zu
Syrien und holt sich einen Korb
»Reformen« in Frankreich
Terror in der Türkei
Reichste nehmen am
wenigsten Flüchtlinge auf
Auf den gescheiterten Putsch in dem Land am Bosporus folgen Massenverhaftungen,
»Säuberungen« und Rufe nach der Todesstrafe. Von Nick Brauns
REUTERS/MURAD SEZER
N
ach dem Scheitern eines
Staatsstreichs in der Türkei
herrscht unter vielen Gegnern
von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan jetzt die blanke Angst. Auf den Straßen triumphieren radikale Islamisten.
»Säuberungen« mit Massenverhaftungen Tausender Regierungskritiker, vor
allem von Richtern und Militärs, sind
angelaufen.
Am Freitag abend hatten Kampfflugzeuge im Tiefflug Ankara und
Istanbul überflogen, während Panzer
in die Innenstädte einfuhren. Militärs
besetzten den Istanbuler Flughafen
und sperrten die Brücken über den Bosporus. Kampfhubschrauber beschossen die Geheimdienstzentrale in der
Hauptstadt Ankara, das Hauptquartier
der Polizeisondereinheiten wurde bombardiert, und vor dem Parlament explodierte ein Sprengsatz. An mehreren
Orten kam es zu Gefechten mit regierungstreuen Polizei- und Militäreinheiten. Ein Hubschrauber der Putschisten
wurde von einem F-16-Kampfflugzeug
abgeschossen.
Gegen Mitternacht erzwangen Soldaten, die in das Gebäude des staatlichen
TV-Senders TRT eingedrungen waren,
die Verlesung einer Erklärung eines
»Rates für Frieden im Land«. Darin
verkündete dieser die Übernahme der
Staatsmacht und versprach, angesichts
des »systematischen Bruchs der Verfassung und des Rechts« die »laizistische
und demokratische Ordnung« wiederherzustellen. Doch schnell zeigte sich,
dass die dilettantisch durchgeführte
Militärrevolte auf eine kleine Gruppe
innerhalb der Streitkräfte beschränkt
blieb, so dass auf seiten der Regierung
stehende Einsatzkräfte innerhalb weniger Stunden die Oberhand gewinnen
konnten. Alle vier im türkischen Parla-
Ein Lynchmob traktiert aufständische Soldaten auf einer Bosporus-Brücke in Istanbul (16.7.2016)
ment vertretenen Parteien verurteilten
den Putschversuch ebenso einhellig wie
die Regierungen der EU- und NATOStaaten sowie Russlands.
Erdogan, der sich in einem Ferienort
an der Ägäis aufgehalten hatte, rief über
einen vom Sender CNN Türk verbreiteten Mobiltelefonanruf die Bevölkerung
dazu auf, sich auf den Plätzen und am
Flughafen zu versammeln. Eine entsprechende SMS ging an alle Besitzer
türkischer Handys. Nachdem die mit
nur einem Panzer am Istanbuler Atatürk-Flughafen aufgefahrenen Putschisten vertrieben worden waren, ließ sich
der gegen 2.30 Uhr nachts gelandete
Erdogan von der versammelten Men-
ge feiern. Seine Anhänger skandierten
»Hier ist die Armee, hier ist der Kommandant!« und »Befiehl, und wir töten!
Befiehl, und wir sterben!«
In der Istanbuler Innenstadt wurden derweil Soldaten, die sich bereits
der Polizei ergeben hatten, Opfer von
Lynchmorden. Im Internet kursierende
Bilder zeigen, wie Islamisten einen Rekruten nach Art des IS köpften. Unter
den Augen der Polizei peitschten fanatisierte Erdogan-Anhänger am Boden
liegende Wehrpflichtige mit Gürteln
aus. 104 Putschisten sowie 161 regierungstreue Einsatzkräfte oder Zivilisten
wurden in der Putschnacht getötet. Acht
Soldaten flohen mit ihrem Hubschrau-
ber in die griechische Grenzstadt Alexandroupoli, wo am heutigen Montag
über ihr Asylbegehren entschieden werden soll.
Samstag abend gingen in mehreren
türkischen Städten Zehntausende Anhänger Erdogans zu einer »Wache für
die Demokratie« auf die Straße. Unter den Teilnehmern waren zahlreiche
Imame sowie radikale Islamisten. In
Sprechchören wurde die Einführung
eines islamischen Rechtssystems gefordert. Erdogan erklärte, den Staat von
»Viren« und »Metastasen« »säubern«
und die Wiedereinführung der Todesstrafe auf die Agenda setzen zu wollen.
Siehe Seiten 3 und 8
Erbschaftssteuer: Grüne wollen »Flatrate«
Schäuble drückt aufs Tempo bei »Reform«, Kretschmann warnt vor linken Forderungen
I
m Streit um die Erbschaftssteuer hat
der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die Bundesregierung
kritisiert. Sie habe es zu verantworten,
dass sich das Bundesverfassungsgericht
erneut mit dem Thema befassen muss,
sagte Kretschmann den Zeitungen der
Funke-Mediengruppe (Sonntagausgaben). Der Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
(CDU) habe erst vorgelegen, »als die
Frist der Karlsruher Richter bereits
überschritten war«. Karlsruhe hatte im
Dezember 2014 wesentliche Teile der
bislang gültigen Steuervergünstigungen
für Firmenerben gekippt und eine Frist
für eine Neuregelung bis Ende Juni dieses Jahres gesetzt.
In der großen Koalition von Union
und SPD sorgt seither die Frage für
Streit, wie weit der Staat Firmenerben
entgegenkommen soll. Ein Ende Juni
ausgehandelter Kompromiss wurde
vom Bundesrat am 8. Juli gestoppt
und an den Vermittlungsausschuss
verwiesen. Den von SPD, Grünen und
Linken regierten Ländern gehen die
Privilegien für Unternehmer zu weit.
Anfang September will sich das Bun-
desverfassungsgericht nun erneut mit
der Erbschaftssteuer befassen – und
womöglich eine eigene Übergangsregelung in Kraft setzen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)
macht mit Blick auf dieses Datum
Druck auf den Vermittlungsausschuss
von Parlament und Länderkammer.
Die erste Sitzung des Gremiums solle
nicht »erst Anfang September stattfinden, sondern jetzt«, sagte Schäuble am
Samstag im Bayerischen Rundfunk.
Unterdessen hat Grünen-Chef Cem
Özdemir für eine einheitliche Erbschaftssteuerpauschale von 15 Prozent
plädiert. In einem Interview mit der
Welt am Sonntag sprach er sich für eine »Flatrate« in dieser Höhe aus, die
in einem Zeitraum von 15 Jahren von
Erben gezahlt werden solle. Sehr hohe Vermögen würden dadurch deutlich mehr zum Gesamtvolumen dieser
Abgabe beitragen. Kretschmann wiederum warnte ausdrücklich vor einer
neuen »Steuerdebatte« in seiner Partei.
Das Hauptproblem sei nicht die Höhe
der Abgaben, sondern der Umfang der
Steuerhinterziehung. Jährlich würden
rund 150 Milliarden Euro am Fiskus
vorbeigeschleust. (AFP/Reuters/jW)
REUTERS/ANTONIO PARRINELLO
Viele CETA-Gegner im Freistaat:
Volksbegehren in Bayern mit
großem Erfolg gestartet
Berlin. Die Nothilfeorganisation
Oxfam verlangt von den sechs
größten Volkswirtschaften der Welt
mehr Einsatz für den Schutz von
Flüchtlingen. Die USA, China,
Japan, Deutschland, Frankreich
und Großbritannien beherbergten
insgesamt nur 2,1 Millionen Schutzsuchende, hieß es vorab zu einer
Analyse, die von dem Bündnis am
heutigen Montag veröffentlicht werden soll. Damit hätten die Länder,
die zusammen mehr als die Hälfte
der globalen Wirtschaftskraft ausmachen, weniger als neun Prozent
der Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Die Zahl der von der UNO
offiziell registrierten Flüchtlinge
und Asylbewerber liegt bei 24 Millionen. Oxfam weist darauf hin,
dass Jordanien, die Türkei, Pakistan, Libanon, Südafrika und die
besetzten palästinensischen Gebiete
mehr als 50 Prozent aller weltweit
registrierten Flüchtlingen Zuflucht
gewährten. Sie verfügten zusammen
über weniger als zwei Prozent der
globalen Wirtschaftskraft. (AFP/jW)
Geheimverträge zwischen
Grünen und CDU
Stuttgart. Die baden-württembergischen Regierungsparteien Grüne
und CDU haben neben dem Koalitionsvertrag in einem »Geheimdokument« Milliardenausgaben
vereinbart. Trotz der angespannten
Finanzlage hätten sich beide Partner
ohne Information der Öffentlichkeit
auf bevorzugte Projekte geeinigt,
berichtete die Südwest-Presse am
Sonnabend. Regierungskreise bestätigten die Informationen. Demnach
gibt es bei den »Nebenabreden« eine
Liste mit 43 Maßnahmen, die »vom
Haushaltsvorbehalt ausgenommen«
sind, der ab 2020 im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Die Projekte
sollen unabhängig von der Finanzlage des Landes bis 2021 umgesetzt
werden. In dem »zwölfseitigen Geheimdokument« seien Ausgaben von
1,365 Milliarden Euro für einmalige
Maßnahmen festgehalten. Hinzu kämen dauerhafte Projekte, die jährlich
754 Millionen Euro kosten. (dpa/jW)
wird herausgegeben von
1.862 Genossinnen und
Genossen (Stand 4.7.2016)
n www.jungewelt.de/lpg