Terrorökonomie REUTERS TV / REUTERS Der »Islamische Staat« ist ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen. Mit seinen skrupellosen Finanzierungspraktiken unterscheidet er sich von anderen dschihadistischen Organisationen lediglich in der Geschäftsbilanz. Vorabdruck. Von Werner Ruf SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · DONNERSTAG, 21. JULI 2016 · NR. 168 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Hilfe verweigert Offensive gestartet Grundrechte ausgesetzt Fakten korrigiert 3 5 6 15 Todbringende Ignoranz: Vorherrschende Drogenpolitik in der BRD kostet immer mehr Leben IG Metall stellt Reformvorschläge zur Paris: Parlament verlängert AusnahStärkung der gesetzlichen Altersmezustand um sechs Monate. vorsorge vor. Von Claudia Wrobel Von Hansgeorg Hermann Im Streit um die Rigaer Straße in Berlin wird schamlos gelogen. Innensenator ist Stichwortgeber Erdogans Rache Israel bombardiert Ort in Syrien Damaskus. Ein israelisches Kampfflugzeug hat im Süden Syriens eine von der Regierung kontrollierte Stadt bombardiert. Ziel war das Gebiet um ein Verwaltungsgebäude in dem Ort Al-Baath auf den Golanhöhen, meldete die in Großbritannien ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« am Mittwoch. Aus syrischen Militärkreisen hieß es, dabei sei ein Zivilist ums Leben gekommen, drei Soldaten seien verletzt worden. Der Angriff habe einem Militärposten gegolten. Weder die syrische noch die israelische Regierung machten zunächst Angaben zu dem Vorfall. Das israelische Militär hat in der Vergangenheit immer wieder zugunsten der auf den Golanhöhen gegen syrische Regierungstruppen kämpfenden islamistischen Al-Nusra-Front Luftangriffe in dem Nachbarland geflogen, zuletzt Anfang des Monats. (dpa/jW) Türkische Regierung nutzt Putschversuch für Massenverhaftungen und die Unterwerfung der Opposition. Von Peter Schaber AP PHOTO/PETROS KARADJIAS N Siehe Seite 6 nicht regierungstreue Medien, Dutzende Fernseh- und Radiosender verloren die Lizenz. Selbst eine im Internet geäußerte Zustimmung zum versuchten Staatsstreich gilt inzwischen als Grund für eine Festnahme. Nachdem bereits am Montag Polizeibehörden dazu aufgerufen hatten, Menschen zu denunzieren, die etwa auf Facebook und Twitter Kommentare zugunsten der Putschisten gepostet hatten, kam es deswegen am Mittwoch zu ersten Verhaftungen. Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) will offenbar die aus dem Scheitern des Putsches entstandene Gelegenheit zur Unterwerfung der gesamten Opposition nutzen, die Behandlung der gefangenen Soldaten und Generäle wird als Drohung gegen alle Dissidenten inszeniert. Erneut wurden am Mittwoch auf staatlichen Fernsehkanälen Bilder des von schwerer Folter gezeichneten angeblichen Führers der Putschisten, General Akin Öztürk, veröffentlicht. Öztürks Augen sind darauf blutunterlaufen, sein Gesicht geschwollen. Sein rechtes Ohr ist in einen Verband gehüllt. Die oberste Religionsbehörde Diyanet erklärte zudem, den am Putsch beteiligten und währenddessen getöteten Soldaten werde kein islamisches Begräbnis gewährt. Der Istanbuler Bürgermeister Kadir Topas (AKP) sagte, man plane für die Putschisten die Errichtung einer eigenen Begräbnisstätte unter dem Namen »Friedhof der Vaterlandsverräter«. Begleitet werden die staatlichen Maßnahmen durch eine anhaltende Mobilisierung fanatisierter ErdoganAnhänger auf der Straße. Auch am Mittwoch hielten diese den Taksim- Platz im Zentrum Istanbuls besetzt, auf dem Kundgebungen oppositioneller Gruppen in der Vergangenheit grundsätzlich verboten waren. Die AKP-Demonstranten forderten die Wiedereinführung der Todesstrafe und eine harte Bestrafung aller am Putschversuch Beteiligten. Gemeldet wurden zudem immer wieder Übergriffe auf Stadtteile, in denen mehrheitlich Angehörige der in der Türkei diskriminierten Religionsgemeinschaft der Aleviten leben. Wiederaufgenommen wurden inzwischen die nach dem Putschversuch kurzzeitig eingestellten Luftangriffe auf Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Allein am Mittwoch soll es nach offizieller Verlautbarung bei Attacken auf das nordirakische Kandilgebirge 20 Tote gegeben haben. Siehe Seite 8 Bundesweit deutlich mehr Abschiebungen Sachsen besonders eifrig bei Rückführung abgelehnter Flüchtlinge A bschiebungen haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bundesweit deutlich zugenommen. Fast alle Länder steigerten die Anzahl der zwangsweisen und überwachten Rückführungen abgelehnter Asylbewerber – allen voran Sachsen, das mit 2.245 die Zahl des ersten Halbjahres 2015 um mehr als das Vierfache übertraf, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. »Sachsen bleibt beim Thema Abschiebungen konsequent«, sagte Innenminister Markus Ulbig (CDU). Zugleich bedauerte er die Vertagung Als Fälscherin ertappt: SPD-Politikerin gibt auf Am Mittwoch paradierten türkische Soldaten aus Anlass des 42. Jahrestags der Besetzung Nordzyperns durch Nikosia der Entscheidung im Bundesrat über die Einstufung der Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten. Damit könnten die Verfahren Asylsuchender aus diesen Ländern verkürzt und Abschiebungen weiter erleichtert werden. Das Innenministerium in Nordrhein-Westfalen nahm für sich in Anspruch, mit 2.167 Rückführungen in diesem Jahr das bundesweite Ranking anzuführen. Zwar rangiert das einwohnerstärkste Bundesland damit in absoluten Zahlen hinter Sachsen, allerdings lagen in Düsseldorf nur Zahlen aus den ersten fünf Monaten vor. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nahmen Abschiebungen in NRW um 62 Prozent zu. Hamburg schob in den ersten sechs Monaten mit 2.066 Männern, Frauen und Kindern ebenfalls mehr als viermal so viele Menschen ab. Knapp 2.000 waren im ersten Halbjahr in Bayern betroffen – fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Vergleichsweise wenige Rückführungen wurden demnach im Saarland (86) und in Brandenburg (60 im ersten Quartal) vollzogen. »Mancherorts scheint ein Negativwettbewerb zu laufen, nach dem Motto: Wer schiebt am meisten ab«, erklärte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, am Mittwoch gegenüber jW. »Mich beunruhigen besonders die gesetzlich verschärften Bedingungen, unter denen Abschiebungen stattfinden. Das Verbot, Abschiebungen nach Ablauf der Ausreisefrist noch einmal anzukündigen, sorgt für rechtsstaatswidrige Überraschungsabschiebungen«, sagte sie weiter. (dpa/jW) SVEN HOPPE/DPA-BILDFUNK ach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei geht die AKP-Regierung drakonisch gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner vor. Die von Ankara angekündigten »Säuberungen« des Staatsapparates werden in rasantem Tempo durchgeführt. Etwa 50.000 Bedienstete aus Justiz, Polizei und Bildungssektor wurden bislang suspendiert. Tausende Menschen wurden verhaftet, darunter am gestrigen Mittwoch erneut hochrangige Funktionäre des Regierungsapparats. Nach Massenentlassungen in Militär, Polizei und Justiz geraten nun auch der Bildungssektor und nichtstaatliche Medien in den Fokus der Behörden. Akademikern und Lehrern untersagte der Hochschulrat die Ausreise. Man wolle so die Flucht von »mutmaßlichen Komplizen der Umstürzler in Universitäten« unterbinden, heißt es von offizieller Stelle. Im Ausland befindliche Lehrkräfte wurden aufgefordert, so rasch wie möglich in die Türkei zurückzukehren. Für rund 1.000 Schulen, die der Bewegung des 1999 ins Exil gegangenen Imams Fethullah Gülen nahestehen sollen, will die Regierung staatliche Treuhänder bestimmen. Ankara sieht in der Gülen-Bewegung die treibende Kraft hinter dem versuchten Staatsstreich. Ebenfalls intensiviert wurden die seit Jahren andauernden Angriffe auf Berlin. Die Essener SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz legt ihr Mandat wegen der Fälschung ihres Lebenslaufs nieder. Ihr Anwalt teilte am Mittwoch in Essen mit, Hinz habe Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) darüber bereits informiert und ihn um einen Termin gebeten, um den Verzicht offiziell zu erklären. Die Politikerin hatte zuvor eingeräumt, Abitur und einen Jura-Studienabschluss in ihrem Lebenslauf erfunden zu haben. Hinz reagierte mit ihrer Entscheidung auf massiven Druck aus der eigenen Partei. Der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Essen, Thomas Kutschaty, hatte die Politikerin zum Mandatsverzicht aufgefordert. Auch die SPD-Fraktion im Bundestag hatte von Hinz verlangt, unverzüglich die Konsequenzen zu ziehen. (AFP/jW) wird herausgegeben von 1.862 Genossinnen und Genossen (Stand 4.7.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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