Kraftanstrengung« gegen Flüchtlinge

Befindlichkeit
THORSTEN STRASAS
Hetze gegen Kritiker der Politik TelAvivs ist in der Bundesrepublik weit
verbreitet. Sie ist für eine vermeintliche »Verteidigung Israels« zur Norm
geworden. Die vorgebliche Bekämpfung von Antisemitismus wird dabei
zur Farce. Von Moshe Zuckermann
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Gebremst
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Heiner Flassbeck: Deutscher AußenIn der neurechten Bewegung der
handelsrekord belastet andere
»Identitären« sammeln sich
Länder. Siehe Kommentar Seite 8
nicht nur schlichte Mitläufer
Bundesverwaltungsgericht stoppt vor- Die spanische Linkspartei Podemos
läufig die Pläne zur Elbvertiefung.
vor Kongress in schweren FlügelVon Burkhard Ilschner
kämpfen. Von Carmela Negrete
NATO will Stützpunkt in
Neapel ausbauen
Wieder nichts passiert
Brüssel. Das westliche Kriegsbündnis NATO baut sein Streitkräftekommando im italienischen
Neapel aus. Das wollen die Verteidigungsminister der Allianz
laut Informationen der Deutschen
Presseagentur bei ihrem Treffen in
der kommenden Woche beschließen. Begründet wird der Schritt mit
einer stärkeren Beteiligung an »internationalen Antiterroreinsätzen«.
In der Hafenstadt soll zunächst ein
Art Lage- und Koordinierungszentrum entstehen, wo etwa 90 Militärs Informationen aus Kriegsländern wie Libyen, Syrien oder dem
Irak auswerten. Später könnten von
dort aus auch Kriseneinsätze geleitet werden.
Das Bundesverteidigungsministerium in Berlin prüft nach eigenen Angaben bereits, ob und, wenn
ja, wie sich Deutschland an dem
sogenannten Süd-Hub beteiligen
könne. Auf dem NATO-Stützpunkt
in Neapel seien bereits heute rund
80 Deutsche beschäftigt, sagte ein
Sprecher am Donnerstag. (dpa/jW)
BENOIT TESSIER/REUTERS; MONTAGE: jW
Natürlich keine Gefahr:
Das französische Atomkraftwerk
Flamanville
Explosion in französischem Atomkraftwerk Flamanville.
Behörden wiegeln ab. Von Hansgeorg Hermann, Paris
tiven Reaktoren von der mit insgesamt
91 Prozent Anteilen ebenfalls mehrheitlich staatlichen Areva. Der international tätige Atomkonzern traf auch eine
Mitschuld am Reaktorunfall im japanischen Fukushima am 11. März 2011.
Die Gesellschaft ist darüber hinaus einer der weltweit größten Uranproduzenten und betreibt im afrikanischen
Niger drei Minen. Nicht zuletzt diesem
Umstand verdankt die benachbarte Republik Mali den »humanitären« Einsatz
der französischen Armee, die dort mit
mehr als 3.000 Soldaten angeblich gegen den »internationalen Terrorismus«
im Einsatz ist.
Areva baut in Flamanville zur Zeit
einen neuen Druckwasserreaktor vom
Typ EPR und machte in den vergangenen Jahren auch hier vor allem mit enormen Steigerungen der vorgesehenen
Baukosten und mit technischen Pannen
Schlagzeilen. Aus den ursprünglich veranschlagten sechs Milliarden Euro, die
der EPR bis zu seiner Fertigstellung in
2016 kosten sollte, wurden inzwischen
rund elf Milliarden. Wann der Reaktor
tatsächlich in Betrieb genommen werden kann, ist nicht absehbar. Zunächst
am EPR-Projekt beteiligte Konzerne
wie die deutsche Siemens und die italienische Enel zogen sich bereits 2012
zurück. Die Italiener begründeten ihren Schritt mit der wenig erstaunlichen
Analyse, der Reaktor werde wegen der
hohen Baukosten nie wirtschaftlich arbeiten können.
Frankreich ist mit 58 Reaktoren in
19 Kernkraftwerken fast völlig abhängig vom Atomstrom und den beiden
maßgebenden Atomkonzernen EDF
und Areva. Dem militärisch-industriellen Komplex Frankreichs ist besonders
daran gelegen, im Rahmen der Nut-
zung der Kernenergie die Möglichkeiten seiner atomaren »Force de frappe«
(Schlagkraft) zu erhalten.
»Kleinere Ereignisse« wie der Unfall in Flamanville haben daher hohe
Bedeutung für die Energiepolitik der
jeweiligen Pariser Regierung. Mit Ausnahme der EELV hat es bisher keine
Partei gewagt, Frankreichs vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie zu
verlangen. Auch die derzeitigen Kandidaten der politischen Linken für die
Präsidentschaftswahl am 7. Mai, seien
es der Sozialist Benoît Hamon oder
der Wortführer der Linkspartei Parti de
Gauche, Jean-Luc Mélenchon, rühren
nicht an die Macht der Konzerne. Der
von Skandalen verfolgte Präsidentschaftsaspirant der Rechten, François
Fillon, verlangt in seinem Wahlprogramm sogar den Ausbau der französischen Atomindustrie.
»Kraftanstrengung« gegen Flüchtlinge
De Maizière: »Jeder« muss »mehr für Abschiebungen« tun
V
or dem Spitzentreffen im
Kanzleramt zu schnelleren
Abschiebungen hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière
(CDU) die Länder in die Pflicht genommen. »Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung«, sagte
de Maizière am Donnerstag im ARD»Morgenmagazin«. Jeder müsse nun
Verantwortung übernehmen und mehr
für Abschiebungen tun. Am Abend berieten Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) und die Länderchefs über einen
16-Punkte-Plan zur Flüchtlingspolitik.
Das Maßnahmenpaket verfolgt
das Ziel, Asylbewerber schneller außer Landes zu bringen. In dem Beschlussentwurf werden sogenannte
Bundesausreisezentren erwogen, um
Ausreisepflichtige zentral zu internieren. Über gesundheitliche Abschiebehindernisse sollen künftig Amtsärzte
entscheiden. Weiterhin soll die Abschiebehaft erleichtert werden – eine
Unschuldsvermutung ist nicht mehr
vorgesehen.
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder, Markus Ulbig
(CDU), machte sich für ein härteres
Vorgehen gegen abgelehnte Asylbewerber stark. »Wir müssen die Fehlanreize für Ausreisepflichtige hierzulande abbauen. Dabei spielt das Thema
Leistungskürzung eine wichtige Rolle«, sagte Sachsens Ressortchef der
Welt. Wer kein Bleiberecht in Deutschland bekomme, »sollte aktiv nachweisen müssen, warum es für ihn einen
Grund zur Duldung gibt«.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, kritisierte die Planungen am Donnerstag. »Wer
eine ›nationale Kraftanstrengung‹ bei
Abschiebungen fordert, stärkt rassistische Stimmungen und fördert rechte
Kräfte und Parteien im Land«, erklärte
sie. »Wie die Bundesregierung gerade auf eine kleine Anfrage antwortete,
gab es im Jahr 2016 insgesamt 25.375
Abschiebungen, das ist ein Anstieg um
21,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in
dem sich die Abschiebezahlen bereits
verdoppelt hatten. Zugleich wurden
54.069 geförderte sogenannte freiwillige Ausreisen registriert, 45 Prozent
mehr als 2015.«
(dpa/jW)
Deutschland erzielt 2016
Rekordüberschüsse
CHRISTIAN CHARISIUS/DPA-BILDFUNK
E
s ist mal wieder »nichts passiert«. Kein Problem, kein Unfall im »Nuklearbereich«, versicherten am Donnerstag die Präfektur
Manche (Ärmelkanal) und die französische Energiebehörde, nachdem am
Morgen eine Explosion im Atomkraftwerk Flamanville die Bewohner des
gleichnamigen normannischen Dorfes
aufgeschreckt hatte. Fünf Arbeiter hätten bei dem Vorfall, der sich angeblich im Maschinenraum des Reaktors I
ereignete, leichte Rauchvergiftungen
erlitten. Das AKW hat zwei Reaktoren
in Betrieb, von denen einer nun abgeschaltet ist. Ein dritter Reaktor ist im
Bau. Sprecher der Umweltpartei EELV
(Europe Écologie – Les Verts) sahen in
dem Unfall einen »neuerlichen Beweis
dafür, dass Atomenergie nicht sicher ist
und durch umweltfreundliche Energie
ersetzt werden muss«.
Betreiber des Kraftwerks ist die EDF
(Électricité de France), an der der französische Staat 84,8 Prozent der Aktien
hält. Konstruiert wurden die beiden ak-
Berlin. Deutschland hat 2016 so viele Waren exportiert wie nie zuvor.
Die Ausfuhren erreichten den Wert
von 1,21 Billionen Euro. Das war
eine Steigerung von 1,2 Prozent gegenüber 2015. Die Einfuhren stiegen um 0,6 Prozent auf 954,6 Milliarden Euro, erklärte das Statistische Bundesamt am Donnerstag in
Wiesbaden. Da Deutschland mehr
Waren im Ausland verkauft als von
dort einführt, stieg der Exportüberschuss auf den Rekordwert von
252,9 Milliarden Euro. Besonders
kräftig war die Nachfrage in der
Europäischen Union. Die Exporte
dorthin stiegen um 2,2 Prozent auf
707,9 Milliarden Euro. Ausfuhren
in Länder außerhalb der EU sanken dagegen um 0,2 Prozent auf
499,6 Milliarden Euro. (Reuters/jW)
Siehe Seiten 2 und 8
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