“Nationale Zusatzanforderungen nicht zulässig” Artikel aus dem

© Feuertrutz GmbH, Verlag für Brandschutzpublikationen, 2015 Köln. Jede Vervielfältigung und Verbreitung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.
REcht
Nationale Zusatzanforderungen
nicht zulässig
Urteile: Die Europäische Kommission hatte Deutschland wegen Behinderung des freien Marktzugangs verklagt.
Der Beitrag stellt das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vor. Stefan Koch
EuGH, Urteil vom 16.10.2014, C-100/13
Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen
ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 2 und
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 89/106/EWG des
Rates vom 21. Dezember 1988 (Bauproduktenrichtlinie – BPR) zur Angleichung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über Bauprodukte (in der
durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003
des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung) verstoßen, dass die durch die
nationalen Bauregellisten, auf die die Bauordnungen der Bundesländer verweisen,
zusätzliche Anforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung
von den Bauprodukten in Deutschland
gestellt hat, die von den harmonisierten
EN 681-2:2000 „Elastomer-Dichtungen
– Werkstoff-Anforderungen für Rohrleitungs-Dichtungen für Anwendungen in
der Wasserversorgung und Entwässerung
– Teil 2: Thermoplastische Elastomere“,
EN 13162:2008 „Wärmedämmstoffe für
Gebäude – Werkmäßig hergestellte Produkte aus Mineralwolle (MW) – Spezifikation“ und EN 13241-1 „Tore – Produktnorm – Teil 1: Produkte ohne Feuer- und
Rauchschutzeigenschaften“ erfasst wurden
und mit der CE-Kennzeichnung versehen
waren.
Entscheidungsinhalt
Mit einer Vertragsverletzungsklage gegen die
Bundesrepublik Deutschland rügte die EUKommission einen Verstoß der Bundesrepublik gegen Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1
der Richtlinie 89/106/EWG (Bauproduktenrichtlinie – BPR). Anlass dafür war, dass die
Bauregelliste vorschreibt, an bestimmte Bauprodukte zusätzlich zur CE-Kennzeichnung
das Ü-Zeichen anzubringen.
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Foto: FMI Fachverband Mineralwolleindustrie e. V.
Orientierungssatz
Die Bundesrepublik Deutschland hatte die
Anwendbarkeit der BPR bestritten. Für die
Produkte seien keine vollständig harmonisierten europäischen Normen bekannt
gemacht worden. Im Falle unvollständiger
europäischer Regelungen bleibe deshalb
die Befugnis der Mitgliedstaaten erhalten,
ergänzende Regelungen zu treffen. Das
Verbot der Behinderung des freien Warenverkehrs nach der BPR komme daher nicht
zum Tragen. Betroffene Produkte könnten
deshalb weitergehenden nationalstaatlichen Anforderungen unterzogen werden.
Demgegenüber hatte die Europäische
Kommission aus Sicht des EuGH zutreffend darauf hingewiesen, dass auch bei
unvollständigen Regelungen in europäisch
harmonisierten Normen die Mitgliedstaaten durch ergänzende nationalstaatliche
Regelungen keine einseitigen Maßnahmen
vornehmen dürfen. In solchen Fällen hätten die Mitgliedstaaten das in der BPR vorgesehene Verfahren einzuhalten. Danach
Das Urteil des EuGH
behandelte u. a. nationale
Anforderungen an Mineralwolledämmungen.
Es ist aber richtungsweisend für alle harmonisierten Bauprodukte.
könne ein Mitgliedstaat u. a. gemäß Art. 5
BPR die Überprüfung u. a. einer harmonisierten Norm mit dem Ziel ihrer Streichung
beantragen.
Der EuGH schloss sich der Auffassung der
Kommission an. Die in der BPR vorgesehenen Verfahren sind aus Sicht des Gerichts
obligatorisch, ohne dass die Mitgliedstaaten befugt seien, einseitig Regelungen zu
erlassen, selbst wenn eine harmonisierte
Norm lückenhaft ist.
Aus Sicht des EuGH besteht der Hauptzweck der BPR darin, Handelshemmnisse
zu beseitigen, indem die Voraussetzungen
dafür geschaffen werden, dass Bauprodukte innerhalb der Europäischen Union frei
vermarktet werden können. Zu diesem
Zweck seien in der Richtlinie die wesentlichen Anforderungen genannt, denen
die Bauprodukte genügen müssten. Diese
würden durch harmonisierte Normen und
nationalen Umsetzungsnormen, europäisch technische Zulassungen und durch auf
FeuerTRUTZ Magazin 1.2015
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Unionsebene anerkannte nationale technische Spezifikationen konkretisiert.
Art. 4 Abs. 2 BPR sehe vor, dass die Mitgliedstaaten von der Brauchbarkeit von
Bauprodukten ausgehen, die eine CEKennzeichnung tragen. Nach Art. 6 Abs. 1
Satz 1 BPR „dürfen die Mitgliedstaaten den
freien Verkehr, das Inverkehrbringen und
die Verwendung von Produkten, die der
BPR entsprechen, auf ihrem Gebiet nicht
behindern“. Die streitgegenständlichen
Produkte erfüllen nach dem EuGH jeweils
die Anforderungen einer europäischen
harmonisierten Norm, so dass sie die CEKennzeichnung tragen und deshalb ohne
weitere nationalstaatliche Anforderungen
in der Euro­päischen Union verwendet werden dürfen.
Folgen und Ausblick
Das Urteil liegt auf einer Linie mit dem vielfach besprochenen Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 10.12.2012
(9 K 906/10, w
­ ww.justiz.nrw.de). In dieser
Entscheidung hatte das Verwaltungsgericht
festgestellt, dass Dämmstoffe aus Steinwolle, die in den Anwendungsbereich der DIN
EN 13162 fallen, ohne allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (§ 21 BauO NRW)
vertrieben und verwendet werden dürfen,
obwohl die europäische Norm keine Regelungen zum Glimmverhalten enthielt.
Auch wenn bundesdeutsche Stellen in
ihren ersten Reaktionen betonen, das Urteil
des EuGH sei lediglich zu den ausdrücklich
genannten Produktgruppen ergangen und
betreffe überdies die Rechtslage aufgrund
der früheren BPR, wird man davon ausgehen müssen, dass das Urteil richtungsweisend ist für die Verwendbarkeit aller
europäisch harmonisierten Bauprodukte.
Es steht nicht zu erwarten, dass der EuGH
die Rechtslage aufgrund der inzwischen in
Kraft getretenen Bauproduktenverordnung
(BauPVO) anders beurteilen würde. Auch
dürfte eine Entscheidung des EuGH zu
anderen europäisch harmonisierten Bauprodukten als den im Orientierungssatz
genannten ebenfalls in dem Sinne ausfallen, dass weitergehende nationalstaatliche
Anforderungen nicht gestellt werden dürfen.
Die bundesdeutschen Stellen sind durch
das Urteil aufgerufen, die Rechtslage klarzustellen und dem Urteil entgegenstehende
nationalstaatliche Anforderungen in der
FeuerTRUTZ Magazin 1.2015
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Bauregelliste aufzuheben. Bis dahin obliegt
es den Herstellern und den Verwendern,
im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob ein
nationaler Verwendbarkeitsnachweis zu
Unrecht gefordert wird. Bleiben die bundesdeutschen Stellen untätig, kann verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz geboten
sein. Auch wäre im Einzelfall zu prüfen,
ob durch das Aufrechterhalten europarechtswidriger Regelungen ein ersatzfähiger Schaden entsteht, der nachvollziehbar
■
beziffert werden kann.
Eine Bewertung der ersten Änderungen infolge dieses Urteils finden Sie in dem Kommentar
des DIvB auf Seite 73 in dieser Ausgabe.
Autor
Rechtsanwalt
Stefan Koch
Fachanwalt für Verwaltungsrecht; Dipl.-Verwaltungswirt;
Kanzlei für Baurecht und
Brandschutz in Köln
www.baurecht-brandschutz.de
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