leserbriefe POLITIK War es das wert? Die Briten sind nicht verrückt geworden – sie haben uns was zu sagen. Ein Essay von Ulrich Ladurner. D ie Briten sind durchgedreht. Viele Europäer würden die- Mehrheit angekommen. Im Gegenteil. Immer dann, wenn Eusen Satz sofort unterschreiben. Die EU verlassen? Wie ropäer in Referenden zur EU gefragt wurden, haben sie entwekann man nur?! Sicher, die EU hat große Probleme, der ablehnend oder mit Desinteresse reagiert. aber deswegen gleich austreten? Auch wenn Populisten in vielen Ein paar Beispiele: Nach den Maastricht-Verträgen 1992 – europäischen Ländern den Briten jetzt applaudieren, auf die sie schrieben eine weitere Vertiefung der Union fest – stimmten große Mehrheit der Europäer wirkt der Brexit wie eine Toll- die Franzosen darüber ab. Nur eine knappe Mehrheit (51 Proheit. zent) sprach sich für die Maastricht-Verträge aus. Die Dänen Den Briten selbst wird angesichts ihrer Entscheidung plötz- lehnten sie damals ab. Ein Jahr später mussten die Dänen noch lich unheimlich. In den vergangenen Tagen haben mehr als drei einmal über einen leicht veränderten Vertrag abstimmen. DiesMillionen Menschen eine Petition unterschrieben. Sie wollen, mal passte das Ergebnis: Sie nahmen den Maastricht-Vertrag an. dass die Abstimmung wiederholt wird. Auch im Parlament regt Den Vertrag von Nizza (2001), der die Osterweiterung der EU sich Widerstand. Das Referendum sei nicht bindend, sagt eine regelte, lehnten die Iren in einer Volksabstimmung ab. Sie musswachsende Zahl von Abgeordneten. Das Parlament könne den ten etwas später wieder an die Wahlurne, diesmal stimmte das Brexit stoppen. Ergebnis. Im Jahr 2005 wurde den Europäern eine neue VerfasDie Regierung Schottlands hat bereits angekündigt, eine sung vorgelegt. Die Franzosen lehnten sie in einer VolksabstimVolksabstimmung über die Unabhängigkeit des Landes abhal- mung ab. Viele Artikel dieser Verfassung wurden dann aber in ten zu wollen. Noch vor zwei Jahren votierte eine Mehrheit für den Vertrag von Lissabon aufgenommen, der 2007 unterzeichden Verbleib Schottlands im Vereinigten Könignet wurde. Die Iren lehnten ihn in einer Abstimreich. Wenn jetzt noch mal gewählt würde, würmung ab. Etwas später ließ man sie wieder wähden die schottischen Separatisten mit Sicherheit Der britische Fall hat len. Das Ergebnis passte. gewinnen. Denn die Schotten wollen in der EU Man ließ die Europäer in diesen Fällen also gezeigt, wie leicht bleiben. Jetzt fühlen sie sich von einer Mehrheit so lange abstimmen, bis das gewünschte Ergebsich Menschen der Briten dazu verdammt, sie zu verlassen. Es von Populisten und nis erzielt wurde. Die EU behandelte ihre eigeist mehr als verständlich, dass sie sich dem winen Bürger wie ungezogene Kinder, denen man ihrer Propaganda dersetzen wollen. Großbritannien könnte nach erst einmal gute Manieren beibringen musste – verführen lassen. dem Brexit also auch noch zerfallen. immer zu ihrem Besten freilich. Man muss kein Angesichts dieses Desasters fällt es leicht, sich Brite sein, um das als verstörend zu empfinden. über die Briten zu erheben. Wie kann man nur Denn es ist eindeutig undemokratisch. so dumm sein?! Doch man sollte versuchen zu verstehen. Die Warum ist das so lange niemandem aufgefallen? Warum hat britische Entscheidung hält für alle Europäer eine Reihe von sich dagegen kein nennenswerter Widerstand geregt? Lehren bereit. Nun, es gab immer Kritik an diesen Verfahren. Sie kam vor allem von den rechten Populisten. Doch es gelang ihnen nicht, Die Briten sind zu Recht stolz auf ihre Demokratie. Sie ist größere Mehrheiten zu gewinnen. Das Demokratiedefizit der eine der ältesten der Welt. Den Briten ist ihre Souveränität hei- EU wurde zwar beklagt, aber es störte niemanden allzu sehr, lig, auch das aus guten Gründen. Die EU ist ein Projekt, das denn die EU war erfolgreich. Politologen nennen das „Outputden einzelnen Staaten immer mehr Kompetenzen nimmt. Die Legitimität“. Solange die Maschine EU Resultate lieferte, akNationalstaaten sollen sich im Zuge einer fortschreitenden eu- zeptierten die Menschen sie mit all ihren demokratischen Mänropäischen Integration in einem Bundesstaat auflösen. Der Wi- geln. Mit Resultaten ist gemeint: Wachstum, Arbeit, Wohlstand, derstand dagegen ist keine britische Verrücktheit, es gibt ihn in Sicherheit. Das hat sich geändert. allen europäischen Staaten, in manchen ist er stärker, in manDie EU rutschte im Jahre 2008 in die Finanz- und Eurokrise. chen schwächer. Der Bundesstaat Europa hatte nie eine deut- Sie hat sich bis heute davon nicht erholt. Die Arbeitslosigkeit ist liche Mehrheit unter den Europäern. hoch, das Wachstum schwach, und niemand scheint ein ReDie Europäische Union ist 1957 als Projekt der Eliten ent- zept dafür zu haben, wie es wieder besser werden kann. Hinzu standen. Man wollte den Kontinent vor weiteren Kriegen be- kommt die Angst vor dem Terror und die Angst vor einem Krieg wahren. Das ist eine ehrenwerte und eine richtige Absicht, bis in Europa. Die EU kann sich durch ihren Output nicht mehr heute ist sie von großem Wert. Die EU aber war und blieb im- legitimieren – und darum geriet plötzlich das Demokratiedefimer eine Idee der Eliten. Die europäischen Völker haben sie sich zit ins Visier der Bürger. In Großbritannien ist dieser Sachvernie wirklich zu eigen gemacht. Nie ist die EU im Herzen einer halt buchstäblich explodiert. Die Folgen sind für die ganze EU 18 No. 26 / 2016 ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Vox Populi, Vox Rindvieh? Sind Volksabstimmungen immer der richtige Weg? Leitartikel von Alexandra Aschbacher in ff 26/17 Ob eine Volksabstimmung in derart „existenziellen“ Fragen wie dem Brexit auch wirklich das richtige Mittel ist, fragt jetzt auch Chefredakteurin Alexandra Aschbacher. Gerade weil die EU-Mitgliedschaft so wichtig ist, muss das Volk darüber abstimmen können, so wie schon 54-mal in verschiedenen EU-Ländern über die EU abgestimmt worden ist, ohne einen Aufschrei von wegen Inkompetenz der jeweiligen Bürgerschaft für „komplexe Fragen“ auszulösen. Ein-Spruch: „Großbritannien ist leider ein trauriges verrücktes Land geworden, und ich fühle mich ihm völlig entfremdet.“ Denis Hope, Meran „Nicht immer entspricht der Mehrheitswille unbedingt dem Allgemeinwohl“, schreibt Aschbacher, doch wer, bitte, definiert das Allgemeinwohl? In einer modernen Demokratie ist der Bürger der Souverän: Es gibt keinen erleuchteten Platon mit seinen Philosophenherrschern, die wissen, was alle selig macht. Fast 52 Prozent der Briten befanden, dass Britanniens Wohl eher außerhalb der EU liegt. Wollen Sie die Briten zu ihrem Glück zwingen und ihnen das Recht absprechen, das ihnen die eigene politische Elite zugestanden hat? Ein höheres Zustimmungsquorum, wo gerade Großbritannien die klassische Mehrheitsdemokratie pflegt? Eine Mindestbeteiligung, obwohl sich 72 Prozent der Briten am Brexit-Votum beteiligt haben? Thomas Benedikter, Frangart Der Spaß, Opposition zu spielen Die SVP, die zugleich Mehrheit und Opposition sein will: Leitartikel von Norbert Dall’Ò in ff 27/17 Mittagsmagazin Das Radio-Magazin mit aktuellen Tagesthemen aus Politik, Chronik, Gesellschaft und Kultur. Von Montag bis Samstag täglich ab 12.10 Uhr auf Südtirol 1, Radio Tirol, Radio Holiday, Teleradio Vinschgau, Radio Grüne Welle, Stadtradio Meran, Radio Gherdeina, Radio Gherdeina2 und Radio Nord. www.nachrichten.it No. 28 / 2016 Dass eine Partei, die Bestandteil einer Regierungsmehrheit ist, gleichzeitig Opposition spielt, ist nicht ganz neu. Als seinerzeit Umberto Bossis Lega Nord mit fünf Ministern an der Regierung beteiligt war – was diese Leute hinsichtlich einer Föderalisierung Italiens, wofür sie sich stimmengewaltig stark machten, wirklich bewegt ha- ben, braucht wohl nicht erwähnt zu werden – hetzten manche Hitzköpfe derselben Partei die Bevölkerung gegen die Zentralregierung in Rom auf, wahrscheinlich deswegen, weil mit wutgeladenen Reden auf Stammtischniveau fette Stimmengewinne zu machen waren. Mit Regierungsverantwortung allein hätte man sich mit Sicherheit – so wie jeder politische Verband in dieser Rolle – Kritik eingehandelt und gezeigt, dass man auch nicht der Messias sein kann, der Wunder vollbringt. Im Falle der SVP dürfte es sich allerdings anders verhalten: Die Schließung von Geburtenstationen an Südtiroler Krankenhäusern, insbesondere in Sterzing, lässt unter weiten Teilen der Bevölkerung die Wogen der Empörung hochgehen, zwangsläufig würde es für die SVP einen weiteren Stimmenverlust bedeuten, wenn nicht jemand aus dieser Partei versuchte, den Trend einer Bevölkerungsmehrheit aufzufangen; andernfalls würde man das Feld und damit Wählerstimmen der Opposition überlassen. Es dürfte wohl nicht verfehlt sein anzunehmen, dass die SVP sich von der Opposition treiben lässt, um sich in etwas mehr als zwei Jahren nicht jenes gute Geschäft entgehen zu lassen. Politik ist immer ein Geschäft, es wäre naiv zu glauben, politische Kräfte und Exponenten handelten aus purer Nächstenliebe oder Menschenfreundlichkeit, das man der Opposition abjagen will. Deshalb spielt man Opposition. Wie viele oder wie wenige Wähler werden wirklich darauf hereinfallen? Georg Lezuo, Bozen War es das wert? Was die Briten uns mit dem Brexit sagen wollen: Essay von Ulrich Ladurner in ff 26/16 Ich bin noch leidenschaftliche Europäerin, aber leider auch britische Staatbürgerin, wenn auch nur zweiter Klasse. Da ich seit mehr als 15 Jahren in anderen EU-Ländern gewohnt habe, durfte ich nicht an diesem Referendum teilnehmen, das wahrscheinlich mir meine Europäische Staatsbürgerschaft entziehen wird und meine Zukunft hier vom Ergebnis der Verhandlungen zwischen GB und der EU abhängig macht. „Die Briten sind stolz auf ihre Demokratie“, so Herr Ladurner. Ist so, aber nicht „mit Recht“. Zwar ist England eine der ältesten Demokratien der Welt, aber die Demokratie wurde nie an moderne Standards angepasst. Es gibt immer noch unter anderem ein nicht gewähltes „House of Lords“. Viel gravierender, das ist erst jetzt ganz klar geworden, ist die fehlende schriftliche Verfassung. Dieses Referendum war ein absolutes Paradebeispiel dafür, wie man ein Re- ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Apfel-Mozzarella mit nussigem Pesto Die Online-Umfrage auf www.ff-online.com 48 % 52 % Länder. Großbritannien ist leider ein trauriges, verrücktes Land geworden, und ich fühle mich ihm völlig entfremdet. Denise Hope, Meran „Soll die Geburtenstation in Sterzing erhalten bleiben?“ Ja Die letzte Insel Man nehme: 4 × 125 g Brimi Mozzarella ... Ein Besuch auf Kuba, solang es noch besteht: Reportage in ff 27/17 über ein Land vor dem Umbruch Nein ferendum nicht regeln, vorbereiten, organisieren und umsetzen sollte. Und jetzt streiten sogar die Juristen, ob es doch einen Weg für das Parlament gibt, diesem Wahnsinn ein Ende zu machen. Es ist doch eine Tollheit, was sich dort abspielt. Es gibt sehr viele Faktoren, die zu dieser Katastrophe geführt haben, und sie haben fast nichts mit der EU zu tun, Ich kann hier nur zwei erwähnen. Erstens: die noch fast intakte Klassengesellschaft, wo jede Klasse eine andere Kultur hat und die anderen verachtet. Nie fühlte ich mich so fremd wie an der Uni Oxford als Studentin einer „Grammar school“ (Gymnasium). Die Trennung und Abneigung zwischen uns und den verwöhnten Studenten der „Public Schools“ (teuren privaten Internatsschulen) war stärker als früher zwischen den Sprachgruppen in Südtirol. Ein anderer, sehr wichtiger Grund ist natürlich der knallharte Neoliberalismus aller Regierungen seit Thatcher, und die damit verbundene Ungerechtigkeit und wachsende Armut, die zum Hass auf Einwanderer geführt hat. Das ist auch eine Warnung für andere europäische Cuba libre? Bleibt das ein erfrischender Longdrink oder ist das die Perspektive der Karibikinsel, nachdem sich von Obama bis Papst Franziskus maßgebende Menschen die Klinke in die Hand geben und eine andere Gesprächskultur mit der Führung in Havanna suchen? Die Tage der sozialistischen Republik als „Reliquie“ einer mittlerweile antiquierten Staatsform und Ideologie scheinen gezählt zu sein, es kommen bereits Investoren ins Land, die nostalgische Marxisten als stille Invasoren abtun. Wie auch immer, ganz ohne Sponsoren, und die kommen nun mal aus der „kapitalistischen Ecke“, würde das „tropische Arbeiter- und Bauernparadies“ in seinem sozialromantischen Dornröschendasein weiterschlummern und auf „venezolanische Verhältnisse“ hinauslaufen. Südtirol Thomas Malfertheiner, Bozen Leserbriefe Die Briefe in der ff sind ein freies Forum. Jeder Brief ist uns willkommen, möglichst sollten alle Platz finden. Wir bitten Sie, sich kurz zu halten. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Postanschrift: ff – Das Südtiroler Wochenmagazin Brennerstraße 7a, 39100 Bozen E-Mail: [email protected] Fax: 0471 304 510 ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl ... 2 rote Südtiroler Äpfel (z. B. Jonathan oder Elstar), Saft von ½ Zitrone, 150 g wilde Rauke mit Blüten, 50 g getrocknete Walnüsse, 60 ml Olivenöl, 1 Knoblauchzehe, Steinsalz, Schwarzer Pfeffer, Aceto Balsamico Creme, Blütenblätter von Kornblume oder Ehrenpreis. Äpfel waschen und in Scheiben schneiden. Kerngehäuse entfernen. Scheiben mit Zitronensaft beträufeln. Raukeblüten abzupfen für Deko. Rauke waschen, grobe Stengel entfernen. Mit Walnüssen, Olivenöl und geschälter Knoblauchzehe im Multischneider zerkleinern. Mit Salz und Pfeffer würzen. Mozzarellascheiben mit Apfel und Pesto zu kleinen Stapeln anrichten. Mit Blüten und Balsamicocreme dekorieren! Dazu Weißbrot servieren! (Gericht für 4 Personen) www.brimi.it No. 28 / 2016
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